Am Meer

 Der hoch gewachsene, muskulöse Mann wanderte am Rand grasbedeckter Klippen. Der Wind vom Meer wisperte in den dunkelgrünen Halmen zwischen seinen Zehen, zupfte sanft an seiner barbarischen Fellkleidung und spielte sachte mit seinem langen, blonden Haar.

Er war kühl, salzig und frisch, der Wind, doch er trug auch die Drohung eines kommenden Sturms mit sich, wenn er pfeifend um den Griff des Schwertes fuhr, das der Mann schräg über den Rücken geschnallt trug.

Manchmal wandte der Mann seinen Blick nach rechts, wo tief unter ihm die schwere, graue See ihre Wellen gegen die Füße der Klippen warf; manchmal nach links, wo sich hinter wogendem Grasland und runden, grünen Hügeln in der Ferne ein Gewitter aufbaute, gewaltig weiße, zum Himmel strebende Wolkentürme, aus deren blaugrauen Bäuchen schon die Blitze schossen.

Es schien, als hätte das Land sein Wetter und seinen Wind gerufen, um Krieg gegen das Wetter und den Wind der See zu führen.

Und die Klippen waren die Grenzlinie: der Ort, um den die Rivalen seit Anbeginn der Zeiten stritten, denn die Küste war bei Ebbe Eigentum des Landes, gehörte aber während der Flut zum Meer.

Den Mann kümmerte das wenig, die meiste Zeit blickte er zu Boden, ins Gras, und gab sich Tagträumen hin.

In diesen Träumen wurde das Tanzen der Halme zu den biegsamen Leibern der Mädchen aus seinem fernen Heimatdorf, die sich zum einfachen Rhythmus der Dröten und Drommen beim Frühjahrsfest drehten, die ihre verführerischen Leiber den Burschen, die steif um den Tanzboden standen, entgegen neigten – zumindest denen, die sie attraktiv fanden. Und das Wispern des Windes im Gras wurde zum wissenden Kichern der Frauen, die beobachtend im Schatten standen; das Stampfen der See und der ferne Donner über dem Land aber zu den derben Scherzen der Männer, die um das große Fass versammelt waren, denn auch sie erinnerten sich.

Deswegen war der Mann auch ziemlich erschrocken, als jemand rief:

"Oh Freund, sag mir, warum das gleiche Wasser, das wir aus einem Becher in einem Zug leeren und uns nichts dabei denken, in uns, wenn es vor uns als Meer ausgeschüttet liegt, Ehrfurcht erregt; und warum wir den kleinen Kiesel achtlos aus dem Weg treten, aber der große Berg uns göttergleich erscheint, wo doch beide aus dem gleichen Stein sind?"

Ein ehrwürdiger Greis mit schlohweißem Bart und Haar, gestützt auf einen dicken Knotenstock aus dunklem Holz, stand mitten im Weg. Seine Kutte wehte im Wind. Er trug einen spitzen Hut, an dem ein Büschel Ginster steckte. Seine Augen waren hell und scharf, wie die eines Raubvogels.

Die linke Hand des hoch gewachsenen Mannes zuckte kurz, als wolle sie zum Griff des Schwertes fliegen; aber dann lachte der hoch gewachsene Mann dröhnend.

"Ho, Alter, ich hab' keine Ahnung!" rief er fröhlich. "Aber'n Meer aus Bier is' besser als nur'n Becher voll,  unnen Schweinsbraten macht satt, 'n Mausbraten aber nich'!“

Er hielt inne, in seinem Gesicht gingen Dinge vor, die von einem eher ungewohnten Denkprozess zeugten. Nach einer Weile äußerte sich dieser Prozess in Form einer Frage: "Hm, Alter, gibt's hier'n Gasthaus inner Nähe?"

Der Greis starrte den hoch gewachsenen Mann eine Zeit lang an, seine Lippen kämpften lautlos mit Worten, die sie nicht hinauslassen durften. Dann hob er seinen Stock und deutete damit ins Landesinnere.

"In dieser Richtung, zwei Meilen, da liegt das Dorf Whyrrnhysswalldha, in der Schänke dort gibt es den besten Apfelwein der Gegend, und sie machen ein ordentliches Schmalzbrot."

"Ho, danke, Alter, möge Gruunz mit dir sein!" rief der hoch gewachsene Mann, straffte die Schultern und machte sich pfeifend auf den Weg in Richtung Whyrrnhysswalldha.

Der Greis schaute ihm lange nach.

Dann setzte er sich seufzend an den Klippenrand, ließ die Beine über den Abgrund baumeln und begann wieder zu warten. Irgendwann würde schon einer kommen und es ihm erklären, das mit dem Wasser und den Steinen.

Hoffte er.

Der Wind wurde stärker, der Donner lauter. Ein Blitz schlug ein.