Barn von Täppenwinkel war sehr verärgert.
"Ho, Mann!", brüllte er, die Stimme rau von zu viel Bier. "'N Nordmann
fürcht' sich vor nix! Gar nix!"
Bekräftigend ließ er seine Faust auf den schmierigen Tavernentisch
krachen. Wenn er dabei auch die Absicht gehabt hatte, den ungünstigen
Würfelwurf, der nicht unwesentlich zu seinem Ärger beitrug, zu ändern, so
wurde er enttäuscht: die beiden geschnitzten Knochen klebten unverrückbar
in getrockneter Bratensoße fest und zeigten weiterhin ihr vernichtendes
Resultat.
Barns Gegenüber, eine schlanke, rothaarige Frau mit einem schmalen
Gesicht, das auf freundliche Weise an eine Füchsin erinnerte, und einer
ledernen Klappe über dem linken Auge, war nicht beeindruckt. Sie spuckte
einen dünnen Strahl bläulichen Speichels auf den Boden neben ihren Stuhl
und lehnte sich zurück.
"Entspann' dich!", sagte sie mit sanfter Stimme. "Ich habe doch nur
gefragt, ob du nicht fürchtest, dass du verlierst. Na und? Ich fürchte
auch, dass du verlierst, das heißt aber nicht, dass ich ein Feigling bin.
Das ist nur eine Redensart."
Der Nordmann vergrub das mürrische Gesicht in seinem Bierhumpen und nahm
einen lautstarken Schluck. Mit solchen Spitzfindigkeiten erreichte das
Mädel bei ihm gar nichts!
"Ich fürchte nix!", wiederholte er brummig, mehr an sich selbst gerichtet
als an die Frau.
"Ist das wahr?", mischte sich jemand hinter Barns Rücken in das Gespräch.
"Hm?", schwerfällig drehte sich der Barbar auf seinem Hocker um. Hinter
ihm stand der Wirt, ein kleiner, kahlköpfiger Mann mittleren Alters mit
einem so großen und schwarzen Schnurrbart, dass es aussah, als trüge er
einen toten Raben unter der Nase. Sein Körper steckte in einer fleckigen
Kittelschürze aus braunem Leder, nur am unteren Ende schauten die Spitzen
merkwürdig geformter Pantoffeln heraus.
"Ist es wahr, dass Ihr Euch vor nichts fürchtet, mein Herr?" Der Wirt
knetete sein feuchtes Poliertuch mit rosa Fingern und lächelte unsicher in
Barns abweisende Miene. "Vor gar nichts?"
"Hm!", machte der Nordmann und nickte energisch.
Der Wirt gab ein unbestimmbares Seufzen von sich, es mochte Erleichterung,
aber vielleicht auch Resignation ausdrücken. Oder war einfach eine
Angewohnheit.
"Ich bin Zacharias Preller", stellte er sich vor. "Ich bin der Wirt
hier", fügte er überflüssigerweise hinzu.
"Hm", machte der Nordmann.
Die rothaarige Frau lachte. "Holt dir einen Hocker und setz dich, Wirt!",
rief sie vergnügt. "Aber rühr die Würfel nicht an."
Preller zog einen freien Stuhl von einem Nachbartisch heran und ließ sich
umständlich darauf nieder. Sein lederner Kittel war offenbar nicht zum
Sitzen gedacht.
"Danke, die Dame!", schnaufte er und wischte sich mit dem Poliertuch die
Glatze.
"Keine Dame!" Um diese Aussage zu unterstreichen, kippte die Frau mit
ihrem Stuhl nach hinten und schwang zwei endlos lange Beine in derben
Stiefeln auf die Tischplatte. "Mein Freund hier ist Barn von Täppenwinkel,
das ist so ein Dorf im Norland. Ich bin Aprilia Inari Freifrau von
Otterbach, aber wer am Leben bleiben will, nennt mich Prilla. Was können
wir Furchtloses für dich tun?"
Der Wirt schluckte.
"Ihr seid scharfsinnig, Fräulein… Prilla. Ich habe tatsächlich eine
Aufgabe für jemanden ohne Furcht", sagte er leise.
"Lass hören!" Prilla verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Barn starrte
nur mürrisch in sein Bier. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass der ganze
Dialog nur dazu diente, sich über ihn lustig zu machen.
Preller vergewisserte sich, dass niemand in Hörweite war, dann schob er
den Kopf vor und flüsterte: "Da ist etwas im Keller, das mir seit einiger
Zeit Sorgen macht."
Prilla zog die unverdeckte Augenbraue hoch. "Eine Aufgabe im Keller eines
Wirtshauses?"
Der Wirt nickte.
Prilla schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte.
"Das ist mal originell!", rief sie. "Lass mich raten, um was es geht –
eine Rattenplage?"
Dann wurde ihre Stimme scharf: "Sehen wir vielleicht wie Anfänger
aus?"
Sie zeigte zwei Reihen sehr weißer, aber irgendwie auch sehr spitzer
Zähne. Es war kein Lächeln.
Der Wirt zog seinen Kopf erschrocken zurück, hob abwehrend die Hände und
wurde blass.
"Ich wollte Euch nicht beleidigen, meine Dame!", stieß er hervor.
"Natürlich bin ich kein Abenteurer, aber ich würde sagen, dass das Problem
in meinem Keller nicht so einfach zu beseitigen ist wie eine… Rattenplage
– ihr seid nicht die Ersten, die ich um Hilfe bitte."
Elegant entfernte Prilla ihre Beine wieder von der Tischplatte. Sie zog
ihren Stuhl dicht an den Tisch, beugte sich vor und schob ihr schmales
Kinn angriffslustig vor das Gesicht des Wirtes.
"Und was ist mit den anderen passiert?", fragte sie.
Auf den Wangen des Wirtes erschienen zwei hektische rote Flecke. Schweiß
trat auf seine Stirn. Er musste wieder das Poliertuch benutzen.
"Sie… verloren den Verstand. Und starben", antwortete er schließlich,
sehr kleinlaut.
Prilla warf einen Blick auf Barn. "Nun, da haben wir nicht viel zu
verlieren", sagte sie grinsend. "Nicht wahr, mein geliebter Freund?"
"Hm!", machte der Nordmann, der nicht zugehört hatte.
"Ich zahle einen guten Lohn", sagte der Wirt leise. "Zehn Ähren, und
Freibier auf Lebenszeit!"
"So viel?", fragte Prilla, plötzlich misstrauisch. Zehn Ähren waren genug
Geld, um ein Landgut zu kaufen. "Was genau ist denn da in deinem
Keller?"
Preller wrang sein Poliertuch. Ein dicker, trüber Tropfen platschte auf
den Tisch.
"Um das zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen. Lasst mich so
beginnen: wie schmeckt Euch das Bier?"
Barn hob den Kopf. "Ho, klasse Bier, Mann! Kühl, würzig, frisch, alles
drin!" Er hob den Humpen. "Ich würd' noch eins nehmen!"
Zacharias Preller ignorierte die plumpe Schnorrerei des Nordmanns und
seufzte. "Es ist das beste Bier der Stadt. Sogar darüber hinaus bekannt.
Und das gibt es nur hier, bei mir. Deswegen ist mein Haus auch immer
voll." Er wies mit einer müden Geste in den Schankraum, in dem wirklich
jeder Tisch besetzt war und ein ganzer Schwarm von Serviermädchen
ununterbrochen leere Krüge gegen volle tauschen musste. "An manchen
Abenden gibt es hier mehr Gäste als in allen anderen Wirtshäusern der
Stadt zusammen."
Prilla nickte anerkennend. "Du musst ein wohlhabender Mann sein, Herr
Preller."
Der Wirt machte eine wegwerfende Geste. "Ach, Geld", sagte er bedrückt.
"Ich mache es nicht wegen des Geldes. Geld erzeugt nur Neid. Ich bin
einfach glücklich, wenn die Gäste zufrieden sind, das ist der höchste Lohn
eines Wirtes!"
Die rothaarige Frau lächelte süßlich und enthielt sich eines
Kommentars.
"Leider denken die anderen Wirte in der Stadt nicht so. Dauernd
beschweren sie sich über mich beim Stadtrat. Dabei verdrehen sie alles,
sie sagen, dass ich mit meinem Bier den Wettbewerb verzerre, und dass es
der Wirtschaft als Ganzes schade, wenn nicht alle Wirte das gleiche Bier
hätten. Aber solange der alte Burz Bürgermeister war, fanden sie mit
diesem Unsinn kein Gehör. Der mochte mein Bier, er war mein Stammgast.
Doch letzten Monat ist er gestorben, und Niffol Schmarzer, sein
Nachfolger, ist nicht nur ein Freund der anderen Wirte, er ist auch der
Besitzer der örtlichen Brauerei. Er hat ein uraltes kaiserliches Gesetz
ausgegraben, das besagt, dass alle privaten Brauanlagen einmal im Jahr auf
Sauberkeit überprüft werden müssen. Morgen früh ist mein Termin."
Prilla runzelte die Stirn und blickte misstrauisch auf den halbvollen
Krug, der vor ihr stand. "Stimmt denn etwas nicht mit der Sauberkeit?"
Der Wirt wirkte nun vollends wie ein Häufchen Elend in einer
Lederschürze.
"Das kann ich euch hier nicht erklären. Kommt bitte mit."
*
"Mein Problem hat nichts mit der Qualität des Biers zu tun, eher mit
seiner… Quelle. Ich braue es nicht selbst – es kommt aus einem
besonderen Fass im Keller. Einem Zauberfass, wenn ihr so
wollt. Ein mächtiger Zauberer, ein großartiger Mann und guter Freund, den
ich mal ein paar Tage vor den Rectificatores des Pala versteckt
habe, hat mir als Dank einen Dämon in ein Fass gebannt. Dieses Fass ist
jetzt immer voll mit dem allerbesten Bier. Gekühlt dazu."
Der Wirt hatte Prilla und Barn in ein Nebenzimmer geführt, das als
Lagerraum diente, denn, wie er sagte, nicht alle Einzelheiten waren für
alle Ohren bestimmt. Barn saß auf einem leeren Fass und bemühte sich, dort
sein Gleichgewicht zu halten; Prilla lehnte an einer Wand und bemühte
sich, dort abgebrüht und gefährlich zu wirken. Prilla war erfolgreicher
als Barn.
"Und seit der Zeit schenke ich halt das Zauberbier aus. Ich habe mir nie
etwas dabei gedacht. Jeder nutzt doch ein bisschen Zauberei, um sein Leben
besser zu machen, Glücksklee, Hasenpfoten, schwarze Katzen, das ganze
Zeug. Warum nicht auch ein Fass? Und das Bier schmeckt wirklich allen, wie
kann es also schlechter Zauber sein? Natürlich habe ich das mit dem Dämon
nicht an die große Glocke gehängt, und immer gewisse Mengen an Malz und
Hopfen gekauft, um den Anschein zu erwecken, dass ich selbst braue. Das
Bier habe ich täglich umgefüllt, in normale Fässer, damit auch die Mädels
nichts merken."
Preller presste die Lippen zusammen.
"Aber jetzt bin ich in wirklichen Schwierigkeiten. Nicht nur wegen der
Prüfung, sondern vor allem wegen der Prüfer. Denn laut Gesetz ist die
Priesterschaft des Pala nicht nur verantwortlich für die Reinheit des
Glaubens, sondern auch für die der Getränke! Das heißt, dass diese
Hexenjäger, die Rectificatores, in meinen Keller kommen werden!
Könnt ihr euch vorstellen, was diese Eiferer mit mir machen, wenn sie
keinen Braukessel, sondern ein Fass finden, dass offenkundig verzaubert
ist? Mit einem Dämon drin? Die machen mir den Prozess wegen Hexerei! Die
stecken mir so lange Holzsplitter unter die Fingernägel und zünden sie an,
bis ich gestehe!"
Der Wirt raufte sich den Schnurrbart.
Prilla hob eine Hand, um ihn zu unterbrechen.
"Meinst du nicht, dass der Bürgermeister das Gesetz wieder vergessen
würde, wenn du ihm einfach sein Bier abkaufst?", fragte die
rothaarige Freifrau, die in ihrem selbstgewählten Beruf – Schurkerei –
nicht nur wegen ihres verwegenen Aussehens erfolgreich war, sondern auch
weil sie eine erstklassige Erziehung genossen hatte und sich mit Politik
bestens auskannte. "Und wenn dein Bier nicht mehr besser ist als das der
anderen Wirte, regelt sich auch das mit den Gästen, und niemand muss mehr
neidisch sein. Lass dein Zauberfass einfach eine Weile ruhen."
Preller verdrehte die Augen. "Das geht nicht, das Fass muss ständig
geleert werden, sonst passiert etwas Schlimmes, hat der Zauberer
gesagt."
"Gieß das Zauberbier doch weg!"
"Das darf ich auch nicht, dann wird der Dämon sauer, hat der Zauberer
gesagt. Und dann passiert etwas ganz Schlimmes, das hat er auch
gesagt."
"Ho, dann musste das Ding loswerden!", warf Barn der Barbar überraschend
ein. Es war ihm gelungen, auf dem leeren Fass eine stabile Position zu
finden, und das versetzte ihn offenbar in die Lage, am Gespräch
teilzunehmen.
Der Wirt seufzte.
"Das ist leicht gesagt, Herr Barn. Genau da beginnt das Problem. Ich
versuche schon eine ganze Weile, das Fass zu verstecken. Aber es geht
nicht. Ich will ganz ehrlich sein: bisher ist es noch nicht einmal
gelungen, das Fass auch nur hochzuheben. Und das nicht, weil es so schwer
wäre."
Preller polierte sich die Stirn mit seinem Tuch. Er senkte die Stimme.
"Zunächst habe ich einfach vier kräftige Fuhrknechte von außerhalb
angeheuert, aber sie fassten es nur an…"
"…und dann passierte etwas ganz Schlimmes", ergänzte Prilla
gelangweilt und studierte ihre spitzen Fingernägel.
"Genau", sagte Preller kleinlaut. "Sie begannen zu schreien und zu
sabbern, zwei erbrachen sich, dann verloren alle das Bewusstsein. Als sie
wieder erwachten, waren sie völlig verblödet. Sie vergaßen sogar zu atmen
und starben kurze Zeit später."
"Hm", machte der Nordmann.
"Ich versuchte es noch einmal, mit anderen Knechten und demselben
Resultat. In meiner Not habe ich schließlich aus der Hauptstadt erfahrene
Teufelsaustreiber bestellt." Er verdrehte die Augen. "Heute Morgen kamen
sie. Sie waren zu dritt, zwei Kriegermönche mit heiligen Spaten, und ein
Instigator. Sie gingen mit mir in den Keller und beteten und
sangen. Es gab einen gewaltigen Knall und einen Blitz; übrig waren nur
zwei verbogene Spaten und ein Teil des Instigators. Der blieb lange genug
am Leben, um mir zu erklären, dass das Fass vom Bösen besessen sei.
Dass es Menschen durch Angst in den Wahnsinn treiben kann." Der Wirt
knetete nervös die ausladenden Enden seines Schnurrbarts. "Vom Bösen besessen!
Da wurde mir endlich klar, dass das Fass gänzlich verschwinden muss!
Zauberei ist für die Pala-Diener schon eine schlimme Sünde, aber
böse Zauberei ist eine Todsünde! Da wird man mir keinen Prozess
machen, sondern mich direkt auf den Rathausplatz schleifen und
verbrennen."
Preller schwieg einen Weile. Der Schweiß rann in Strömen über seinen
glänzenden Schädel.
"Ihr versteht, dass ihr meine letzte Hoffnung seid. Als ich hörte, dass
Herr Barn sich vor nichts fürchtet, dachte ich, das ist mein Mann. Jemand,
der nichts fürchtet, kann auch vor Angst nicht den Verstand verlieren,
nicht wahr?"
Prilla grinste, sagte aber nichts. Barn nickte schwer.
"Also, was sagt ihr? Helft ihr mir? Zehn Ähren für jeden! Das Fass könnt
ihr behalten, wenn ihr es nur aus meinem Keller schafft!"
Die Frau blickte zu dem Nordmann, der Nordmann blickte zu Boden.
"Wir machen es.", sagte Prilla nach einer Pause. "Die zwanzig Ähren jetzt
gleich, und deine beste Kammer für uns zwei – zur Vorbereitung"
"Abgemacht!" Der Wirt strahlte. "Danke! Tausend Dank, Fräulein
Prilla!"
"Dank nicht mir, dank Barn – ich fass das Fass sowieso nicht an",
erwiderte Prilla. "Und wenn du mich noch einmal Fräulein nennst,
dann passiert etwas so Schlimmes, dass du beten würdest, dass die Palas
dich foltern."
*
Der Wirt hatte mit Prilla vereinbart, dass Barn und sie erst dann in den
Keller gehen würden, wenn die Wirtschaft zur Nacht geschlossen war. Es
sollten keine Gäste zu Schaden kommen, wenn der gewaltige, furchtlose
Krieger aus Täppenwinkel gegen das besessene Fass antrat. Das ließ den
beiden drei Stunden, die sie gemeinsam in der besten Kammer von Zacharias
Prellers Gasthaus verbrachten.
Die rothaarige Schurkin nutzte die erste Stunde, um das unterbrochene
Würfelspiel zu beenden und Barn den letzten Rest seines Anteils aus einem
früheren gemeinsamen Abenteuer abzunehmen. Die übrigen beiden Stunden
verbrachte sie mit einem anderen Spiel, bei dem sie dem kräftigen Nordmann
wesentlich öfter erlaubte, obenauf zu sein.
So waren die beiden Abenteurer ruhig und entspannt, als die Zeit gekommen
war und Preller an die Tür klopfte. Barn öffnete.
Der Wirt war weder ruhig, noch entspannt. Unglücklicherweise hatte er
sein Poliertuch vergessen, und so rann der Schweiß ungehindert über seine
Glatze in die Kittelschürze.
"Seid ihr bereit?", fragte er zaghaft. Vielleicht befürchtete er, dass
die beiden Abenteurer es sich anders überlegt hatten.
"Ho!", machte der Nordmann. Er tätschelte ein letztes Mal sein gewaltiges
Breitschwert Windmacher, das er auf das zerwühlte Bett gelegt
hatte. Als erfahrener Kämpfer wusste er, dass die große und schwere Klinge
ihm in der beengten Umgebung eines Bierkellers keinen Nutzen bringen
würde. Daher trug er nur seinen verlässlichen Dolch im Gürtel, den er in
der Hoffnung auf regelmäßige und nahrhafte Mahlzeiten schon vor langer
Zeit Schinkenschneider getauft hatte.
"Auch gleich!", flötete Prilla, die, wie Zacharias Preller mit heißem
Schrecken feststellen musste, im Augenblick nur mit ihren klobigen
Wanderstiefeln bekleidet war. Der Wirt sah mehr großflächige
Tätowierungen, als für seinen Seelenfrieden gut war; zum Teil an sehr
unerwarteten Stellen.
"I-ich wa-warte dann draußen…", stotterte er und floh aus dem Raum.
*
"Hinter dieser Tür beginnt der Bierkeller", erklärte Preller. "Er besteht
aus zwei aufeinander folgenden Räumen, im vorderen sind die normalen
Fässer, im hinteren steht das Fass."
Der Wirt, Barn und Prilla standen im Untergeschoß des Wirtshauses.
Der Boden war aus festgestampfter Erde, die Wände aus groben Bruchsteinen,
die in bröckelndem Mörtel ruhten. Es roch nach Moder und Kloake, die Luft
war feucht und kalt. Preller trug einen Kerzenleuchter, einen zweiten
hatte er Prilla gegeben. Das Licht der zwei Flammen beleuchtete eine
große, eisenbeschlagene Tür aus nachgedunkeltem Eichenholz.
"Am Ende des Ganges", der Wirt zeigte nach rechts, in die Dunkelheit,
"befindet sich eine weitere Tür, dahinter führt eine Rampe hoch zum Hof.
Wenn ihr es schafft, das Fass irgendwie aus dem Bierkeller zu bekommen,
könnt ihr es dort hinaustragen. Ich werde die Tür aufschließen, nachdem
ich euch in den Bierkeller gelassen habe."
"Du kommst nicht mit uns, Herr Preller?", fragte Prilla.
Der Wirt wand sich. "Ich bitte um Verständnis. Ich habe das dreimal mit
ansehen müssen, auf ein viertes Mal würde ich gerne verzichten."
"Hm", machte der Nordmann.
Preller fummelte unter seiner monströsen Kittelschürze und zog nach
längerer Suche einen Schlüsselbund heraus. Seine Hand zitterte sichtbar,
als er den größten Schlüssel in das Schloss der Bierkellertür steckte. Es
dauerte eine Weile, bis die Verriegelung mit einem gequälten Ächzen
nachgab.
Er schob die schwere Tür nach innen und trat einen Schritt zurück. Ein
brackiger Geruch kroch wie ein nasser Hund aus der Dunkelheit hinter der
Öffnung.
Barn schnüffelte und rümpfte die Nase. Von einem Bierkeller hatte er sich
etwas anderes erhofft.
Der Wirt machte eine steife Handbewegung. "Ich wünsche euch viel Erfolg
mit dem Fass und bitte nochmal um Verständnis, dass ich nicht mitkomme.
Aber ich wäre sowieso nur im Weg."
Er drückte Barn seinen Kerzenleuchter in die Hand. "Ich werde die Tür
hinter euch zumachen. Es schlafen Gäste im Haus, und ich möchte nicht noch
mehr Aufregung, als ich ohnehin schon habe."
*
Als sich die Tür mit einem dumpfen Laut hinter ihnen geschlossen hatte,
zog Prilla ihr Rapier, eine nadelspitze Waffe, die sie
Spinnefeind nannte. Sie behauptete, sie könne damit einer Libelle
im Flug die Flügel gravieren. Barn zückte Schinkenschneider.
"Ich glaube, Preller hat uns nicht die ganze Wahrheit gesagt.", sagte die
Frau leise.
"Hm?", machte der Nordmann.
"Ich glaube ihm, dass hier unten was ist, das ihm Sorgen macht. Aber
kannst du mir erklären, warum er dann seine letzte Hoffnung ausgerechnet
in einen – Verzeihung – unterbelichteten Barbaren und eine einäugige
Herumtreiberin setzt?"
Barn rieb sich sein kräftiges Kinn. So eine Frage hätte er sich nie
gestellt, und das nicht nur, weil ihm vielleicht die Antwort nicht
gefallen würde.
"Ich werde es dir sagen: weil kein Hahn nach uns kräht, wenn wir
verschwinden. Weil wir vor dem Angesicht der der Welt wertlos sind. Also
könnte es sein, dass die Erfüllung unserer kleinen Aufgabe nicht
notwendigerweise unser Weiterleben beinhaltet."
"Hä?"
"Schon gut. Ich meine nur, wir sollten vorsichtig sein. Und jetzt sehen
wir uns mal an, was auf uns wartet."
Sie gingen schweigend und mit erhobenen Lichtern durch die ersten zwei
Räume. Beide waren leer, und nichts wies darauf hin, dass sie seit
längerem für etwas anderes als die Aufbewahrung einer Menge übelriechender
Luft genutzt worden wären.
Der letzte Kellerraum war der größte, und er war nicht leer. Er enthielt
eine gemauerte Plattform aus hellen Steinen, auf der eine große,
gestaltlose Masse ruhte, die sich dem Licht zu entziehen schien.
Der Barbar und die Schurkin mussten mit der flackernden Kerze sehr nahe
herangehen, bis sie Einzelheiten erkennen konnten. Prilla zog scharf die
Luft ein, Barn flüsterte einen Fluch.
Es mochte einmal ein gewöhnliches Holzfass gewesen sein, aber jetzt war
es etwas anderes. Die ursprüngliche Form war kaum noch zu erkennen, so
verzerrt und aufgebläht war der Behälter; es sah aus, als sei das Holz
weich und formbar geworden wie nasses Leder. Die vom inneren Druck
aufgespreizten Dauben erinnerten an die Rippen eines deformierten
Brustkorbs. Tatsächlich wirkte das Ding auf dem steinernen Sockel wie eine
von der eigenen ungeheuerlichen Fruchtbarkeit bis zum Bersten gefüllte,
trächtige Monstrosität, die jederzeit beginnen konnte, eine über alle Maße
entsetzliche Brut in die Welt zu schleudern.
Barn blickte sehr bedenklich drein.
"Ho, da ist unser Bier rausgekommen?"
Prilla nickte mit zusammengepressten Lippen. Sie hatte nicht so viel
getrunken wie Barn, aber es reichte, um sich beim Anblick der Quelle zu
fühlen, als hätte sie einen darmkranken Oger auf die Kehrseite geküsst.
Mit Zunge.
"Ich könnte schon vor Abscheu den Verstand verlieren, Panik ist gar nicht
nötig", sagte sie leise zu sich selbst, nachdem sie sich eine Weile mit
trockenem Würgen beschäftigt hatte.
"Ho!", machte der Nordmann und hob eine Hand. "Das Fass atmet!"
Jetzt hörte Prilla es auch, ein leises, aber schnelles, pfeifendes
Röcheln.
"Das ist ja so widerlich", murmelte die Schurkin. "Was machen wir jetzt?
Nach Plan vorgehen?"
"Plan?" Barn runzelte die Stirn.
"Naja, was der Wirt sich vorgestellt hat – du hebst es vom Sockel und
verlierst nicht den Verstand. Dann trägst du es raus. Wir klauen
einen Wagen, laden es auf und sehen zu, dass wir das Fass irgendeinem
Deppen für möglichst viel Geld verkaufen. Und dann leben wir glücklich bis
ans Ende unserer gemeinsamen Tage."
"Ho!", machte der Nordmann und nickte. Er hatte zwar nicht alles
verstanden, aber die Erwähnung von möglichst viel Geld gefiel ihm.
Er stellte sein Licht auf den Boden, steckte Schinkenschneider in
den Gürtel und spuckte in die Hände. Dann stieg er auf den Sockel, ging
breitbeinig in die Hocke und streckte seine muskelbepackten Arme wie ein
angreifender Ringer aus.
"Willst du das wirklich tun?", fragte Prilla hinter ihm in einem ihrer
unglaublich seltenen Anfälle von Zaghaftigkeit. Aber Barn hörte sie gar
nicht. Er rammte seine rechte Schulter gegen das Fass und griff zu. Und
dann…
…spürte er, wie der Sockel unter ihm nachgab, seine Füße ins Leere
rutschten, die Arme wild und vergeblich durch die Luft ruderten. Er
begann zu fallen.
Er fiel endlos, gleichzeitig wusste er schon alles über seinen fatalen
Aufschlag, sein Sinken und sein ewiges Ungrab tief unter der See. Jeden
Moment bis zur völligen Zerstörung seines Körpers würde er bei vollem
Bewusstsein erleben, und auch alle Ewigkeiten danach. Blind durch
heulende Dunkelheit fiel er, doch konnte zugleich auch das entsetzliche,
schwarze Meer, das ihn verschlingen würde, deutlich sehen.
Gleißender Schmerz, grelles Licht, das ihm die Augen zerkochte und die
Haut zu Asche verbrannte. Alle Knochen gebrochen, sein Körper
zerquetscht.
Er wusste, dass er eingeschlagen war in die lebendige Masse des Meeres,
das kein Meer war, kein Ende, sondern der Anfang von etwas anderem, noch
schrecklicheren. Jetzt sank er. Arme und Beine waren eng an seinen
zerschmetterten Körper gepresst, sein zertrümmerter Kopf klemmte
zwischen den geborstenen Knien. Immer tiefer sank er, der Druck wurde
unerträglich. Alles war Schmerz, er konnte sich nicht bewegen, nicht
atmen. Alles war Schmerz. Er war begraben im Schlamm unter der schwarzen
See. Todlos begraben, für immer. In endlosem Schmerz. Ein letztes Mal
öffnete er die zerfetzten Lippen…
"Gruunzverdammter Blödsinn!", brüllte Barn und wuchtete das Fass hoch.
Fleischiges Gewebe, dass das Fass mit dem Sockel verband, spannte sich und
riss dann mit einem schmatzenden, klebrigen Geräusch.
Dann hielt der Barbar das Fass in den Armen. Es war ungeheuer schwer, und
noch immer war es mit einem schenkeldicken, purpurroten Tentakel mit dem
Sockel verbunden. Hervortretende Sehnen und Adern ließen Barns Oberkörper
erscheinen wie einen knorrigen Baumstamm. Rote Flecken tanzten vor seinen
Augen, jeder Muskel brannte, seine Beine begannen zu zittern, aber er gab
nicht auf.
Da war Prilla neben ihm, flink wie ein Schatten. Sie schwang
Spinnefeind und durchtrennte den Tentakel. Rostbraune, dicke
Flüssigkeit spritzte, das Fass schrie. Barn, der plötzlich keinen
Widerstand mehr hatte, wurde von seiner eigenen Kraft nach hinten
gerissen, das Fass entglitt seinen Armen. Es krachte mit Wucht auf die
Sockelkante. Und zerplatzte.
Der intensiv bittere Geruch von Hopfen füllte den Raum. Dicke, schaumige
Fontänen schossen zwischen den geborstenen Rippen hervor. Bier flutete
dunkel über den Boden und brachte Barns Kerze zum Erlöschen. Prilla sprang
zurück, die Flamme ihres Leuchters flackerte bedenklich.
Und dann krochen Dinge aus dem Kadaver des Fasses.
Sie erinnerten entfernt an schwarze, haarlose Ferkel, mit kurzen, dünnen
Beinchen und einem fassförmigen Leib, aber sie hatten keinen Kopf, sondern
nur eine runde, faltige Öffnung, die innen ringsum mit langen, spitzen
Zähnen besetzt war. Als die ersten sich schwerfällig in die Luft erhoben,
zeigte sich, dass sie Flügel hatten, ledrige Schwingen wie Fledermäuse.
Barn stemmte sich hoch, als die ersten Kreaturen in seine Richtung
taumelten. Sein Kopf war auf der Sockelkante aufgeschlagen. Er fühlte
klebriges Blut, als er nach der schmerzenden Stelle tastete.
"Bist du in Ordnung?", rief Prilla von der anderen Seite des Sockels.
Dann legte sie eine Hand vor den erschrockenen Mund. "Oh", machte sie.
"Die Flederschweine scheinen dich zu mögen!"
Tatsächlich krochen und flatterten immer mehr der plumpen, schwarzen
Geschöpfe auf den Nordmann zu. Viele schienen missgebildet, hatten
unvollständige Flügel oder keine Beine, und immer wieder stürzte eines zu
Boden, blieb liegen und rührte sich nicht mehr.
Der Barbar knurrte und zog Schinkenschneider.
Ein geflügeltes Flederschwein von der Größe eines kleinen Hundes
erreichte Barn als erstes. Die Mundöffnung stülpte sich wie ein Rüssel
nach vorn, und das kreisförmige Gebiss schnappte nach dem Arm des
Nordmanns. Barns Linke schoss vor, und Schinkenschneider zerteilte
das Scheusal in der Mitte.
Zwei weitere ereilte das gleiche Schicksal, ein viertes zerschmetterte
Barn mit der rechten Faust. Doch dann erreichte ihn eine Gruppe von
mindestens einem Dutzend Kreaturen.
Normalerweise wäre auch das kein Problem gewesen, denn der Nordmann war
trotz seiner titanischen Statur ungeheuer flink. Doch die Kopfverletzung
beeinträchtigte ihn, und nun erreichten ihn auch die ersten flügellosen
Kriecher und schnappten nach seinen Beinen.
Barn trat und schlug wie ein Besessener um sich, schäumendes
Flederschwein-Blut und schwarze Fetzen flogen in alle Richtungen, aber er
musste immer weiter zurückweichen, bis er die Wand im Rücken hatte. Dort
verschwand er unter einer schwarzen Wolke aus ledrigen Schwingen.
Prilla lief zu ihm, doch sie musste auf das Licht in ihrer Hand achten
und wagte es nicht, sich zu schnell zu bewegen. Wenn die kleine Flamme
erlosch, war dass das Ende für Barn – und sie.
Mit ihren derben Stiefeln stampfte sie auf die Nachzügler, die aber alle
so deformiert und schwächlich waren, dass sie ohnehin keine große
Bedrohung darstellten. Endlich hatte sie Barn erreicht, der an der Wand
keuchend und fluchend um sein Leben kämpfte.
Sie schwang ihr schweres Rapier wie eine Sense, zerschnitt Rümpfe und
trennte Gliedmaßen ab, aber sie wagte es nicht, die Hauptmasse der
Flederschweine zu attackieren, aus Angst, ihren Freund zu verletzen.
Dann stürzte ein besonders großes Flederschwein mit schrillem Quieken auf
sie zu, und sie wehrte es instinktiv mit dem Leuchter ab. Wachs spritzte.
Die Kerze brach.
Die Flamme berührte kurz den Rumpf der Kreatur, bevor sie erlosch.
Mit einem explosiven Fauchen entzündete sich das Flederschwein, als wäre
es purer Zunder. Kreischend taumelte es brennend in einem weiten Bogen zu
Boden. Es streifte in seinem Todeskampf einige Brutgeschwister und setzte
auch sie in Brand.
Es roch plötzlich nach Schweinebraten in Biersoße.
Die Rotte um den Barbaren geriet in Bewegung, als mehrere brennende
Flederschweine mit ihr kollidierten. Viele der Angreifer fingen selbst
Feuer und stoben in alle Richtungen davon.
Barn erkannte seine Chance und brach aus der geflügelten Wolke aus. Der
Barbar bot einen erschreckenden Anblick. Mindestens ein halbes Dutzend
Flederschweine hatte sich an ihm festgebissen, und er blutete hemmungslos.
Er war sichtbar erschöpft. Seine Bewegungen waren schwerfällig, trotzdem
packte er systematisch jedes der kleinen Ungeheuer und riss es ab, bis er
schwer atmend in die Knie sackte. Seine Kleidung hing in Fetzen, sein
Körper war über und über mit kreisrunden Wunden bedeckt.
"Ho, Mädel, Durst – aber bloß kein Bier!", krächzte er.
"Bier macht sowieso dick!", rief Prilla mit aufgesetzter Munterkeit. Sie
war immer noch damit beschäftigt, Flederschweine zu zerteilen und zu
zertreten. Mit einem abschließenden Hieb holte sie die letzten drei
fliegenden Exemplare aus der Luft und sprang zurück.
"Geschafft", keuchte sie und sah sich um. "Oder auch nicht."
Tatsächlich waren die meisten der Kreaturen entweder tot oder zu schwer
verwundet, um noch angreifen zu können. Aber jetzt stellten sie auf andere
Weise eine Gefahr dar: sie brannten zu gut. Ihre kleinen Körper waren wie
ölgetränkte Fackeln – schnell zu entzünden, aber mit genug Substanz für
einen längeren Brand. Die Luft wurde heiß und zunehmend schwerer zu
atmen.
"Wir müssen hier raus!" Prilla lief zu Barn und versuchte, ihn auf die
Füße zu ziehen. Genauso hätte sie versuchen können, einen gefallenen
Menhir aufzurichten. Der Nordmann rührte sich erst, als er selbst die
Kraft fand, aufzustehen.
Die Schurkin legte sich Barns rechten Arm über die schmalen Schultern.
Gemeinsam schleppten sie sich durch Hitze und Qualm bis zur Kellertür.
"Ho, Mädel", flüsterte der Nordmann heiser. "Nix mit viel Gold, hm?"
Die Schurkin, die diese Überlegung für den Augenblick zurückgestellt
hatte – die derzeitige Lage war deprimierend genug – verzog das
Gesicht.
"Ich hab' die zwanzig von Preller, aber das reicht mir bei weitem nicht",
sagte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. "Wenn wir hier raus sind,
statten wir dem verfluchten Wirt einen Besuch ab."
Barn grunzte zustimmend.
Prilla schüttelte Barn ab und zog an dem rostigen Ring, der an der
Kellertür befestigt war. Die Tür rührte sich nicht.
"Verdammt! Diese Ratte hat uns eingeschlossen!"
"Lass mich mal, Mädel", brummte der Barbar und legte seine Finger um den
Ring. Er zerrte mit aller verbleibenden Kraft, setzte sein ganzes Gewicht
ein, aber seine Bemühungen sorgten nur dafür, dass seine Wunden stärker
bluteten.
"Diesmal nicht, mein Held, die Tür ist dicker als deine Arme."
Prilla warf ihr Rapier zu Boden und trat kurz oberhalb des Parierkorbs
auf die Klinge. Das Metall brach unter ihrem Stiefel.
"Spinnefeinds Tod kommt auch auf die Rechnung des Wirts!", stieß
sie hervor und hob den Griff der verstümmelten Waffe auf. Dann rammte sie
den Klingenstumpf mit Wucht in die Öffnung des Türschlosses und drehte,
bis ein Klicken ertönte. Knarrend schwang die Tür nach innen.
"Man muss Klingen nicht immer an Kehlen halten, um damit Schlösser zu
öffnen, auch wenn es weniger Spaß macht", sagte sie. "Komm, wir holen
Windmacher, und dann besuchen wir Preller!"
Das Wirtshaus war dunkel, still und voller Gerüche.
Über dem mit Brandgestank vermischten Kloakendunst des Kellers
dominierten im Erdgeschoss kaltes Schweinefett und verschüttetes Bier; der
erste Stock mit den Schlafkammern roch nach altem Stroh, Nachttöpfen und
ungewaschenen Körpern.
Prilla bewegte sich flink und lautlos durch die Schatten, doch der
angeschlagene Barbar, selbst in guter Verfassung kein Leisetreter, brachte
jedes lose Bodenbrett und jede Treppenstufe zum Dröhnen. Die entnervte
Schurkin befahl ihm schließlich, stehenzubleiben und sich nicht mehr zu
rühren, bis sie mit Windmacher zurück war. Dann schlich sie zu der
Kammer, in der Barn das Schwert auf das Bett gelegt hatte.
Der Nordmann setzte sich schwerfällig auf die oberste Stufe der Treppe
zum zweiten Stock und stützte das breite Kinn in die Hände. Er wartete und
blutete.
Allerdings nicht lange. Als das Geräusch eines dumpfen Schlages aus der
Kammer kam, gefolgt von einem leisen Stöhnen und dem Laut eines fallenden
Körpers, sprang er auf, zog seinen Dolch und stürmte zur Tür.
Dort blieb er erst einmal stehen.
In der Kammer brannte auf einem Tisch eine Kerze. Und im Schein der Kerze
sah der Nordmann Zacharias Preller, der sich über den reglosen Körper von
Prilla beugte. Der Wirt hielt einen dicken, hölzernen Knüppel in einer und
ein glänzendes Messer in der anderen Hand. Das Messer zeigte auf Prillas
Kehle.
"Ho!", machte der Nordmann.
Preller blickte auf und wurde bleich, als er den blutüberströmten Riesen
in der Tür sah. Er ließ das Messer fallen und nahm stattdessen die
Kerze.
"Oh!", machte er. "Herr Barn! Oh, was für ein grässliches
Missverständnis! Es tut mir so leid! Ich habe Fräulein Prilla für einen
Pala-Diener gehalten, und wollte mich nur verteidigen..."
Barn grunzte. Ihm war bewusst, dass Prilla schwer einzuschätzen war, aber
mit einem Pala-Priester hatte sie so viel gemeinsam wie eine Katze mit
einem Rübenacker. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Preller erhob sich langsam, seine Schürze knarrte gequält.
"Herr Barn, ihr seid verletzt!", rief Preller, als er vor dem Barbaren
stand. "Was ist passiert?"
"Ho, Wirt, dein Fass ist passiert!", grollte Barn aus tiefster Kehle.
Der Wirt starrte ihn nur an. Sein blassrosa Gesicht war ausdruckslos.
"Dein gruunzverdammtes Bier war voller schweinischer Flatterteufel!",
brüllte der Nordmann. "Aber wir ham sie alle kaputtgemacht, und das Fass
dazu!"
"Kaputtgemacht?", wiederholte Preller. "Kaputtgemacht? Du solltest
doch…"
Plötzlich schleuderte er Barn die Kerze ins Gesicht. Das heiße Wachs
verfehlte die Augen des Barbaren nur knapp und verbrannte ihm die linke
Wange. Völlig überrascht stolperte Barn rückwärts und wäre fast
gestürzt.
"Du solltest doch sterben!", brüllte der Wirt in der Dunkelheit.
"Und dann die Einäugige! Dreizehn! Verdammt! Nur noch euch zwei, dann wäre
der Pakt erfüllt gewesen, und die Brut bereit!"
Mit einem pfeifenden Laut traf Prellers Knüppel Barn an der rechten
Schulter.
Der Nordmann fühlte einen stechenden Schmerz im gesamten Arm, der in
keinem Verhältnis zu dem eher schwächlichen Schlag stand. Nur mit Mühe
konnte er Schinkenschneider in der Hand behalten.
"Ja, da staunst du, Muskelprotz!" Ein weiterer Hieb traf den Barbaren in
den Bauch. Er krümmte sich, es war, als hätte ihn ein Pferd getreten. "Ich
habe nicht nur ein Zauberfass, ich habe auch einen Zauberstab! Ich
bin nämlich ein Zauberer!"
Barn taumelte zurück zur Tür, den Dolch in der zitternden Faust vor sich
gestreckt.
Der Knüppel pfiff dicht an seinem Gesicht vorbei.
"Es hätte meine Rache sein sollen! Wenn die elenden Pala-Diener
das Fass gefunden hätten, wäre meine Bierbrut über sie gekommen wie die
Horden des Flabbergasst, und danach über diese ganze elende Stadt!
Rache! Seit meiner Jugend werde ich nur verfolgt, gequält und abgelehnt,
dabei suche ich nur nach Wissen! Und jetzt, wo ich Ruhe gefunden habe,
wollen sie mich schon wieder vertreiben!" Der Wirt atmete schwer. "Doch
diesmal, diesmal wollte ich mich wehren! Ich habe aus dem Fass eine
Waffe der Rache erschaffen!" Prellers Stimme überschlug sich. "Aber
ihr habt mir alles kaputtgemacht – und dafür mache ich jetzt
euch kaputt!"
"Das glaube ich nicht", flüstere da jemand. "Denn vorher passiert dir
etwas ganz, ganz Schlimmes."
Der Wirt stieß einen Schmerzensschrei aus. Den Geräuschen nach hüpfte er
eine Weile auf einem Bein herum, kollidierte mit etwas und fiel jammernd
zu Boden.
"Das war übrigens eine vergiftete Nadel", kommentierte Prilla. "Wunder
dich also nicht, wenn es gleich noch viel mehr wehtut!"
Funken stoben, und eine kleine Flamme sprang auf, in deren Licht das
schmale Gesicht der Schurkin zu sehen war. Ihr gesundes Auge funkelte
unheilvoll.
Die kleine Flamme huschte im Raum herum, bis Prilla mit einem zufriedenen
Laut etwas vom Boden aufhob. Es war die Kerze, die sie wieder entzündete
und auf den Tisch stellte.
Preller lag unter dem Tisch und zuckte. In seiner voluminösen Schürze sah
er jetzt selbst ein wenig aus wie ein Fass in Geburtswehen.
Die Schurkin setzte sich auf die Tischkante und schlug ihre langen Beine
übereinander.
"So!", machte sie. "Jetzt werden wir ein wenig über die Bezahlung für
unseren Auftrag in deinem Keller reden, Herr Preller."
Der Wirt gab einen unverständlichen Laut von sich, denn Prilla hatte
einen Stiefelabsatz auf seiner Kehle platziert.
"Du brauchst jetzt noch nichts zu sagen", sagte sie freundlich. "Es
genügt völlig, wenn du zuhörst. Ich werde alles genau erklären, und dir
zum gegebenen Zeitpunkt die Möglichkeit zu einer Antwort lassen."
Prilla schilderte die Ereignisse im Keller sehr ausführlich und lebhaft.
Sie redete sich mit der Zeit derart in Rage, dass der Wirt unter ihrem
Absatz immer weniger Gelegenheit hatte, Luft zu holen.
Barn hatte sich auf das Bett gesetzt und riss das Bettzeug in Streifen,
während er zusah, wie sich das Gesicht von Zacharias Preller immer roter
färbte. Es wurde schließlich derart rot, dass er begann, sich Sorgen zu
machen – der Wirt schien regelrecht zu glühen. Der Nordmann glaubte sogar,
schwache Rauchwolken von den Dielenbrettern unter dem Wirt aufsteigen zu
sehen.
"Hm, Mädel…", begann er, wurde aber von einem spitzen Schrei Prillas
unterbrochen.
"Verdammt!" Die Schurkin zog ruckartig ihren Fuß vom Brustkorb des Wirts.
"Er hat mich durch die Stiefelsohle verbrannt!"
Ein papierdünnes Kichern kam aus Prellers Mund.
"Heiß, nicht? Wenn ich schon scheitere, dann scheitert ihr mit mir. Ich
mache aus uns einen Scheiterhaufen, hihi!", krächzte er.
"Verflucht, Preller, was hast du für ein Problem?", schrie Prilla erregt.
Sie rutschte vom Tisch und ging langsam rückwärts, Richtung Tür.
"Habt ihr das noch nicht erraten? Ich bin gar nicht der Wirt, ich trage
nur seine Schürze. Der Wirt war das, was ihr unten
kaputtgemacht habt!"
"Ho?", machte der Nordmann und sprang auf. "Das Fass?"
"Jaaa", hauchte der Mann am Boden. Kleine Flammen tanzten um seine
Lippen. "Preller wollte mich betrügen. Er sagte, er wolle mir helfen. Ich
sollte mich in einem leeren Fass verstecken, das er heimlich aus der Stadt
schaffen wollte. Aber in Wahrheit wollte er mich an die Hexenjäger
ausliefern, um das Kopfgeld zu kassieren! Doch er hat mich unterschätzt!
Ich konnte die Situation umdrehen, und dann steckte er im Fass. Weil ich
wirklich sehr erbost war, habe ich ihm noch einen kleinen Teufel dazu
gepackt und das Ganze zugenagelt." Er hustete kurz. "Und mit der Zeit
haben sich die Dinge entwickelt, irgendwann wuchsen der arme Kerl, der
Dämon und das Fass zusammen, und plötzlich spendeten sie Bier!" Der Mann
kicherte trocken. Aus dem Halsausschnitt der Kittelschürze stieg schwarzer
Rauch auf. "Eine herrliche Ironie! Zwei Jahre lang habe ich hier als
falscher Wirt den echten Wirt ausgeschenkt!"
Barn hob Windmacher vom Bett und richtete die Spitze der mächtigen
Klinge auf den Mann, der nicht der Wirt war.
"Ho, Alter, lass das mittem Feuer, sonst…"
"Was sonst? Stich zu, du wirst schon sehen, was passiert!"
"Barn, lass ihn, ja?", rief Prilla von der Tür der Kammer. "Wir hauen ab,
der Typ ist komplett durchgeknallt!"
"Jaaa! Geht nur, lauft! Wer weiß, wie weit ihr kommt, bevor ich wirklich
richtig durchknalle!" Die Stimme war wie das Fauchen kochender Luft
in einem Ofenrohr.
Der Nordmann blickte unsicher zwischen Prilla und dem glühenden Mann auf
dem Boden hin und her.
"Komm schon!", drängte die Schurkin. "Wir gehen durch den Keller
raus!"
In diesem Augenblick hallten dumpfe Schläge durch das Gasthaus.
"Im Namen von Allkaiser Orgiastor!", dröhnte eine gewaltige Stimme. "Hier
sind die Recitificatores des Pala! Es ist Euer Prüfungstermin, Wirt
Preller! Öffnet diese Tür!"
Barn grunzte verwirrt. Glücklicherweise war Prillas Auffassungsgabe.
"Scheiße!", kommentierte sie die Situation. "Die Hexenjäger sind vor dem
Haus!"
Der Schurkin war klar, dass die fanatischen Priester bei den chaotischen
Zuständen im Wirtshaus keine Unterschiede zwischen Schuldigen und
Unschuldigen machen würden. Ihre Doktrin der
Heilsamen Gerechtigkeit schloss Kollateralschäden ausdrücklich mit
ein.
"Nyktele sei Dank!", seufzte der Mann am Boden. "Die Pala-Diener!
Jetzt erwische ich sie doch noch!"
Ein Brodeln wie von einem überkochenden Kessel kam von ihm, die
Kittelschürze blähte sich gefährlich, und ein starker Schwefelgestank
stieg auf. Prillas Hand fand die Pranke des Nordmannes und zog ihn aus der
Kammer. Die Schläge gegen die Haustür wurden lauter und ernsthafter.
"Weg jetzt! Gleich geht hier alles hoch!", rief die Schurkin über dem
wachsenden Lärm.
"Ho!", machte der Nordmann, dem das mittlerweile auch klar geworden war.
Er packte Windmacher fester und rannte hinter Prilla die Treppe
hinunter.
Im Erdgeschoss hasteten sie über den kurzen Korridor zur Kellertreppe,
als die Haustür hinter ihnen krachend aufsprang. Barn blickte sich um. Die
Umrisse von ein paar mächtig großen Kerlen standen in der Türöffnung.
Erstes Morgenlicht sickerte verstohlen über ihre glänzenden
Schulterpanzer.
"Reinheit des Lichts!", donnerte eine Stimme in befehlsgewohntem Bass.
"Stehenbleiben!"
Barn stolperte die ersten Stufen der Kellertreppe hinunter. Dann schien
sich plötzlich die Welt um seinen Kopf zusammenzuziehen, um sich gleich
darauf wieder explosiv auszudehnen. Ein grellroter Blitz blendete ihn.
Eine glühend heiße Riesenfaust traf ihn in den Rücken und drosch in die
Stufen hinab. Unten wartete eine zweite Faust in Form des Kellerbodens auf
sein Gesicht. Das war zu viel, selbst für jemanden, der in seiner Jugend
beim Eisklettern auf den tückischen Bergen des Nordens regelmäßig in
Gletscherspalten gefallen war. Barn verlor das Bewusstsein.
Als er erwachte, hatte er kein Gefühl, wieviel Zeit vergangen war. Es war
entsetzlich hell und heiß. Nur ein verschwommener, schwarzer Fleck direkt
über ihm spendete etwas Schatten. Mit einiger Anstrengung erkannte er den
Fleck als ein Gesicht, genauer gesagt als das Gesicht einer jungen Frau,
umrahmt von grellrotem Haar und Flammen. Prilla.
"Barn", schrie Prilla. "Wach' auf! Bei Vaxina, alles brennt, das ganze
Gasthaus fällt uns gleich auf den Kopf!"
Eigentlich war es eine vertraute Situation für den Barbaren: üble
Kopfschmerzen und das Gefühl, das gesamte Gasthaus sei über ihm
zusammengebrochen. Aber normalerweise gehörte dazu auch eine durchzechte
Nacht.
Er spürte einen Stich in der Schulter, dann hatte den Eindruck, als
flösse eisiges Wasser durch seine Adern. Mit einem schiefen Grinsen
verstaute Prilla eine ihrer zahlreichen Nadeln im Gürtel.
"Das sollte helfen. Hoch jetzt, sonst lasse ich dich hier!"
Der Nordmann stand auf. Er spürte seine Wunden nicht mehr, aber er hatte
auch ein Gefühl der Taubheit, als trüge er seinen Körper wie ein dickes
Kleidungsstück. Prilla fasste ihn an der Hand und zerrte ihn ungeduldig
vorwärts, in einen dunklen Gang. Das grelle Licht und die Hitze blieben
langsam zurück.
Jäh hörte er hinter sich ein ungeheures Krachen, der Boden bebte, und
eine Woge siedend heißer Luft brandete von hinten heran und überspülte
ihn. Er spürte keinen Schmerz, aber er sah, dass die Haare auf seinen
Unterarmen zu feinen Krümeln verbrannt waren.
Barn taumelte weiter und prallte gegen Prilla, die stehengeblieben war.
Blinzelnd sah er vor sich freien Himmel und das violette Licht eines
beginnenden Tages. Sie standen auf der Rampe, die vom Keller auf den Hof
hinter dem Gasthaus führte.
"Vorsicht!", flüsterte Prilla und legte einen Finger an die Lippen. "Da
sind noch welche!"
Barn blickte über ihre Schulter.
Der Hinterhof des Gasthauses war ein Geviert aus moosbewachsenen
Pflastersteinen, eingerahmt von vernachlässigten Schuppen und einem
baufälligen Torbogen ohne Tor. Von den Flammen des brennenden Hauses
hellrot erleuchtet, wirkte er wie ein besonders vernachlässigter Vorhof zu
einer Hölle für die sozial Schwachen.
In seiner Mitte wartete ein zweirädriger Karren, vor den die plumpe,
struppige Parodie eines Pferdes gespannt war. Auf der Pritsche des Karrens
war ein großes Fass verzurrt. Der Kutschbock war leer.
Neben dem Gespann standen drei große Männer mit dunklen Kapuzenmänteln
über polierten Harnischen. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, mit
offenen Mündern das brennende Gasthaus anzustarren, um die beiden
Abenteurer zu bemerken. Barn erkannte sie als Krieger-Mönche des Pala,
denn sie hielten große, reich verzierte Spaten in den Hände – die
Ritualwaffen ihres Ordens.
"Wir müssen sie irgendwie ablenken, dann schnappen wir uns den Karren und
verschwinden!", sagte die Schurkin leise. Barn nickte. Verschwinden hielt
auch er für eine gute Idee.
Prilla duckte sich in den Schatten einer Gruppe großer, leerer Fässer,
die auf der rechten Seite des Innenhofes für Unordnung sorgte. Barn folgte
ihr. Die Schurkin stöberte im Dunklen herum, bis sie einen befriedigten
Laut ausstieß.
"Hier! Das ist sogar besser, als ich gehofft hatte!", zischte sie und
zeigte auf einen Stapel verbeulter Blechrohre. Manche hatten eine
trichterförmige Erweiterung an einem Ende, wahrscheinlich hatten sie
einstmals dazu gedient, das Regenwasser vom Dach des Gasthauses in die
Fässer zu leiten.
"Nimm das ganz lange hier und schieb es ganz vorsichtig die Kellerrampe
hinunter", wies sie den Barbaren an. Barn legte Windmacher behutsam auf
den Boden und packte das angewiesene Rohr. Es war leicht genug, dass er es
mit zwei Händen in der Luft halten konnte, wären er es langsam in Richtung
Rampe schob. Dort setzte er die trichterförmige Öffnung sanft ab und
blickte Prilla erwartungsvoll an.
"Jetzt musst du in dieses Ende des Rohres hineinsprechen, und zwar genau
das, was ich dir sage", flüsterte Prilla. "Achtung, hier kommt es:
Reinheit des Lichts! Helft uns, Brüder, wir sind von den Flammen
eingeschlossen!"
Barn brummte und runzelte die Stirn, aber er hatte gelernt, dass es
besser war, den Anweisungen seiner Freundin genau zu folgen, auch wenn er
sie nicht verstand. Also sprach er in das Rohr.
"Reinheit des Lichts! Helft uns, Brüder, wir sin' vonnen Flamm'
eingeschlossen!", dröhnte die Stimme des Nordmanns aus den Tiefen der Rampe. Barns
Nackenhaare richteten sich auf.
"Verfluchte Zauberei!", hallte es von der Rampe, dann gelang es
Prilla, dem Barbaren den Mund zuzuhalten.
Die drei Kriegermönche zuckten zusammen, sahen sich gegenseitig an, dann
stürmten sie mit erhobenen Spaten vorwärts und rannten dann gemeinsam die
Rampe hinunter. Hinweise auf verfluchte Zauberei ließen jeden
Diener des Pala alle Vorsicht vergessen.
"Komm!", rief Prilla, fasst Barn am Arm und lief mit ihm auf den Karren
zu. "Setz' dich auf das Fass, ich fahre!"
Barn starrte für einen Augenblick das Gefäß auf der Pritsche an. Er hatte
für diese Nacht eigentlich genug von Behältern dieser Art.
Aber Prilla war bereits auf den Kutschbock gesprungen und schwang die
Zügel wie eine Peitsche über dem verwirrten Pferd.
Murrend packte der Barbar sein Schwert, rannte zum Karren und schwang
sich auf das Fass. Das Pferd, ohnehin am Rande des Nervenzusammenbruchs,
kommentierte diese Aktion mit einem entsetzlichen Wiehern und stürmte los.
Knarrend und ächzend, wie eine ganze Armee Untoter setzte sich das
Fuhrwerk in Bewegung, und Barn musste sich flach auf die Dauben werfen, um
nicht herunterzufallen.
Prilla fluchte. Das panische Pferd ließ sich nicht kontrollieren und
rannte geradewegs auf den linken Pfeiler des alten Torbogens zu.
"Halt! Im Namen Palas! Haltet an, auf dass ihr gerichtet werdet!",
brüllte jemand von hinten, und zur Bekräftigung flog ein schwerer Spaten
nur wenige Handbreit von Prillas Gesicht durch die Luft. Mit einem
schrillen Kreischen traf das Werkzeug auf den linken Pfeiler des
Torbogens. Funken sprühten. Das Pferd stieß einen geradezu menschlich
klingenden Schrei aus und warf sich nach rechts. Der Karren schlingerte
und drohte zu kippen. Die Schurkin riss an den Zügeln, aber das Pferd
schüttelte nur den Kopf und rollte die Augen, während es den Torbogen
passierte. Mit einem scharfen Krachen traf das linke Rad des Karrens gegen
den Pfeiler, gleichzeitig mit einem weiteren Spaten, der kurzzeitig in die
Speichen geriet und dann wieder nach hinten geschleudert wurde. Durch
einen absolut unwahrscheinlichen Zufall hatte gerade dieses kurze
Zusammentreffen das Rad um den Steinsockel gehebelt, und der Karren schoss
mit hoher Geschwindigkeit schnurgerade durch das enge Tor. Zwei
Kriegermönche, die direkt dahinter mit gesenkten Spaten gewartet hatten,
sprangen im letzten Augenblick beiseite, um nicht zerschmettert zu
werden.
Dann war der Weg frei. Prilla stieß einen Jubelschrei aus, als der Karren
knatternd über das Kopfsteinpflaster einer breiten Straße rollte, während
am Horizont vor ihr eine verschlafene Sonne aus den Morgennebeln tauchte.
Sie erkannte die Straße, es war die gleiche, auf der sie gestern Abend
zusammen mit Barn zu Fuß auf der Suche nach einer Bleibe für die Nacht
gegangen war. Die Straße führte direkt zum Osttor der Stadt und dann durch
die Felder und den anschließenden Schnokenwald hinaus auf die Verwunschene
Heide. Und in der Verwunschenen Heide hatte Prilla ein kleines Versteck
aus der Zeit, bevor sie Barn kennengelernt hatte.
Wenn niemand es und die Vorräte darin entdeckt hatte, würde das reichen,
sich für ein paar Tage oder Wochen verborgen zu halten, bis die Aufregung
sich wieder gelegt hatte.
*
Prilla stand auf der Spitze des einsamen Steins, der den Grabhügel
krönte, in dessen Innerem die Schurkin vor zwei Jahren ihr Versteck
angelegt hatte. Dafür hatte sie eine Menge alte Knochen und anderen
Plunder herausräumen und in einem kleinen Tümpel in der Nähe versenken
müssen, aber der abgeschiedene Ort war die Arbeit wert gewesen – niemand
wagte sich in die Nähe des uralten Grabes, weil jeder wusste, dass es hier
spukte.
Es spukte hier tatsächlich. Prilla hatte in Neumondnächten interessante
Gespräche mit dem aufgebrachten Geist des Mannes geführt, der im Hügel
begraben worden war und dessen Gebeine jetzt im Tümpel lagen.
Sie verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. Das würde sie dem
abergläubischen Barn noch vorsichtig beibringen müssen.
Barn selbst stand am Fuße des Steins und ähnelte derzeit dem
verdrießlichen Häuptling, der bei Neumond durch seine geschändete
Grabkammer polterte. Prilla hatte den Nordmann in salbengetränkte Binden
gewickelt, damit die Verletzungen, die die Flederschweine ihm beigebracht
hatten, besser abheilen konnten.
"Ho, was siehst du, Mädel?", rief der Barbar zu ihr hinauf.
Prilla blickte wieder in die Ferne, wo sich eine gewaltige Rauchwolke
über den Horizont erhob. Sie glaubte, trotz der Entfernung von fast
zwanzig Meilen, Flammen in den Himmel schießen zu sehen.
"Die ganze Stadt brennt!", schrie sie in den aufkommenden Wind.
"Unfassbar!"
Sie blickte hinauf in den Himmel, in dem sich dunkle Wolken sammelten,
und schauderte. Auf gewisse Weise hatte der Wahnsinnige doch noch seine
Rache bekommen.
Was er nicht bekommen hatte, war ein Leben in Reichtum. Obwohl er das
sicherlich geplant hatte.
Denn das Fass auf dem Karren, mit dem Prilla und Barn entkommen waren, war gefüllt gewesen mit dem Gold, das er mit seinem zauberhaften Dämonenbier verdient hatte.