Das Wasser, das in dem alten Holztrog träge schwappte,
stank. Es stank schlimmer als ein Kessel ausgekochter Fußlappen. Oder ein
Teller haubrugger Aalsuppe. Barn grunzte. Das sollte ein Zauberbrunnen sein? Er
sah aus wie eine Viehtränke.
Leise verfluchte der Nordmann die Not, die ihn hierhergetrieben
hatte. Es war keine gute Nacht, sich außerhalb befestigter Mauern aufzuhalten.
Als schlechtes Omen stand der volle Herbstmond rot wie ein blutiger Schädel
über den Baumwipfeln, und die Wölfe, diese reizbaren Biester, heulten in den
Bergen. Außerdem knirschte und krachte es im nahen Wald, als ob dort eine Rotte
von Trollen die Knochen unachtsamer Wanderer knackte. Und selbst auf der Wiese,
wo der Brunnen stand, fanden die Schatten keine Ruhe.
Der Barbar hatte die Stadt kurz vor Mitternacht verlassen
und war in das rote Halbdunkel dieser unheiligen Herbstnacht getaucht,
unbeachtet von den Wachen am Westtor, die – wie alle in der Stadt – nur noch
über das große Rallenrennen am nächsten Morgen diskutierten.
Nervös und müde, wie er war, hatte Barn sich nicht lange mit
Suchen aufgehalten – er musste einen Brunnen finden, und der hölzerne Trog, den
er etwa zweihundert Schritte vom Tor entfernt auf einer Wiese entdeckt hatte,
hatte Wasser enthalten. Also war er ein Brunnen. Der Brunnen.
Barn hatte den brüchigen Becher aus Ochsenhorn bei sich, den
der alte Jahrmarktszauberer ihm verkauft hatte. Drei Schlucke des Wassers aus
dem alten Brunnen vor dem Tore, um Mitternacht bei Vollmond, und er habe einen
Wunsch frei, hatte der zerlumpte Alte ihm versichert. Dreißig Kupfermünzen
hatten den Barbaren diese Auskunft und der Becher gekostet, fünf Tropfen Blut
aus seinem rechten Daumen und einen halben Vormittag in einem Zelt, in dem ein
Geruch hing, als sei sein Bewohner schon vor Monaten an einer Überdosis
Saubohnen verstorben.
Von der Stadt her kam schwach die Stimme des Nachtwächters, der
die Mitternacht ausrief.
Zögernd tauchte der Barbar den Becher in die Flüssigkeit,
die im Mondlicht ölig schimmerte. Er erinnerte sich vage, dass er dabei
irgendwelche Worte sagen sollte, aber er hatte sie vergessen.
"Bei Gruunz!", fluchte er stattdessen, als er den
Becher vor das Gesicht hob. Nicht einmal das Innere seiner Stiefel roch so übel
wie diese Brühe!
Er wusste, dass
Gruunz, der grimmige Gott der Nordmänner, ihm nicht helfen würde. Gruunz half
ohnehin niemandem, dazu war er nie nüchtern genug. Aber diesmal hatte Barn auch
noch eine der schlimmsten Sünden begangen, die ein Nordmann begehen konnte: er
hatte seine Waffe verloren.
Bei einem Würfelspiel.
Da sein Geld nicht ausgereicht hatte, um das Schwert von
seinem neuen Besitzer – Nubb dem Zinker – zurückzukaufen, hatte der Barbar
schließlich schweren Herzens gegen seinen eigenen Kodex verstoßen: er hatte Rat
bei einem Zauberer gesucht – auch
wenn es nur einer dieser zahnlosen, alten Burschen war, die man auf fahrenden
Märkten fand. Und der hatte ihm von dem Wunderbecher, dem Zauberwasser und dem einen
Wunsch erzählt.
Barn schloss die Augen, setzte die Lippen an den Becherrand
und trank.
Nur der eiserne Wille eines in den lebensfeindlichen Eisöden
des Norlandes aufgewachsenen Kriegers hielt ihn davon ab, die widerliche Brühe
sofort wieder auszuspucken. Tapfer schluckte er. Als die Flüssigkeit den Magen
erreichte, verbreitete sie dort das Gefühl eines kräftigen Tiefschlages.
Der Barbar musste sich am glitschigen Rand des Trogs
festhalten. Während ihm jäher Schwindel in den Kopf stieg, füllte er das
ausgehöhlte Ochsenhorn ein zweites Mal.
Er leerte den Becher in einem Zug. Vom verkrampften Knoten
seines Magens brannte sich der höllische Trunk einen Weg durch seinen Körper.
Kalter Schweiß lief über seine Oberlippe. Seine zitternden Hände tauchten den
Becher noch einmal in den Brunnen. Das war der letzte Schluck, danach war der
Wunsch dran. Während er wieder trank, versuchte er, an Rennrallen zu denken.
Denn das war sein Plan: Er wollte sich einen kurzen Blick in
die Zukunft wünschen. Damit wollte er herausfinden, welcher Vogel morgen das
große Rennen gewinnen würde. Wenn er seine letzten Kupfermünzen auf den Sieger
setzte, würde er bestimmt genug Goldmünzen zurückbekommen, um von Nubb sein
Schwert zurückkaufen.
Für einen Barbaren von Barns Format war es ein sehr
komplexer Plan, und er war ziemlich stolz darauf. Das es auch einfachere
Lösungen geben könnte, war ihm allerdings nicht in den Sinn gekommen.
Das Wasser gurgelte in seinem Bauch. Jetzt war es soweit.
Rennrallen!
Das größte Problem des Barbaren war, dass er keine Ahnung
hatte, wie eine Rennralle aussah. Die ganze Stadt redete davon, aber er hatte
nur verstanden, dass eine Ralle eine Art Vogel war. Sicher ein großer Vogel,
mit langen, kräftigen Beinen... der leere Becher fiel zu Boden. Kräftige, lange
Schenkel, darüber ein fester, runder Hintern, eine schmale Taille. Ein
pfirsichfarbener Vogel. Trotz seiner Übelkeit musste Barn schwach grinsen:
eigentlich sah so eine Ralle genau aus wie die Art Mädel, die ihm am besten
gefiel!
Er überlegte, ob Vögel auch Brüste hatten. Da er keine Vögel
mochte, zumindest nicht ungebraten, hatte er sich nie damit beschäftigt. Er war
einmal in den Stockaden, dem Felsgebirge zwischen Schilfmar und der Westermark,
von einer Rotte Harpyien angegriffen worden. Die hatten Brüste gehabt, sogar
ziemlich große. Aber da sie außer Flügeln nicht viel mit Vögeln gemeinsam
hatten, zählte das wohl nicht. Oder?
Vorsichtig setzte er sich hin, den Rücken gegen den Trog
gestützt. Er schloss die Augen. Harpyien! Vögel! Mädels! Es gurgelte in seinem
Bauch. Bilder tanzten in seinem Kopf. Große, schlanke Mädels mit langen,
kräftigen Schenkeln und großen wippenden Brüsten, völlig nackt! Sie liefen um
die Wette, ihre langen blonden Haare wehten im Wind. Sie lachten. Alles war in
helles, weiches Licht getaucht. Frühlingslicht... der Süden. Kränze im Haar!
Das tiefe Donnergrollen eines fernen Gewitters klang wie das Gelächter
mutwilliger, junger Götter. Der Duft von Oliven.
In einer kurzen, aber heftigen Eruption erbrach Barn das
Brunnenwasser über seine lederne Hose.
Mit dem Wasser verließen auch die Visionen den Barbaren. Das
Letzte, was er sah, war enttäuschend gewöhnlich: ein alberner, kleiner,
hellbrauner Vogel, dem jemand mit weißem Kreideschlamm drei Kreuze auf den
Rücken gepinselt hatte.
Dann war selbst dieses letzte Bild verschwunden, und es blieb
nur die blutrote Herbstnacht. Und ein Gefühl kalter Leere. Gescheitert! Dreißig
Kupfer, fünf Tropfen Blut, seine Hoffnungen, und vor allem: Windmacher – für immer verloren!
Ein einzelner Tropfen salziges Wasser lief unter dem geschlossenen
linken Lid des Mannes aus dem Norden hervor.
Dann verlor er auch noch das Bewusstsein.
*
Am nächsten Morgen zogen zwei junge, unseriös wirkende
Männer in der bunten, schmutzigen Kleidung umherziehender Gaukler am großen
Brunnen von Haubrugg vorbei. Den im Schatten einer Viehtränke auf einer nahen
Wiese schnarchenden Barbaren bemerkten sie nicht.
Einer der Männer trug einen eckigen Holzkäfig auf dem
Rücken. Darin saß ein kleiner, hellbrauner Vogel mit drei weißen Kreuzen auf
dem Gefieder. Der andere Mann schleppte ein riesiges Breitschwert in einer
abgewetzten Lederscheide. Schwert und Mann passten ganz offensichtlich nicht
zusammen: der Träger lamentierte lautstark über die Waffe.
"Das Ding is' scheiße schwer!", verkündete er
seinem Begleiter und der Welt. "Das bring' ich nie bis nach Brucken! Und
außerdem kriegen wir sicher Ärger, wenn uns die Leute des Vogts mit einer Waffe
schnappen"
"Jetz' halt endlich's Maul!", befahl sein Gefährte
ungehalten, denn es war nicht das erste Mal, dass er diese Rede hörte. "Ich
kann nix dafür, dass Nubb der Zinker uns beim Würfeln beschissen hat!"
"Aber ich hab' gesagt: setz' nich' gleich das ganze
Gold!"
"Immerhin ham wir jetz' das Schwert, das bringt uns auf
dem Markt in Brucken bestimmt 'n paar Münzen!"
"Oder in Baron Fredogars Verlies!"
Der Mann mit dem Vogelkäfig blieb abrupt stehen. Sein
Gesicht wurde rot.
"Dann schmeiß' es doch weg!" schrie er. "Lass
es einfach fallen! Dann haben wir von diesem verwünschten Rennen rein
gar nichts gehabt, außer dem verdammten Weg hierher und den verfluchten
Kosten für das beschissene Futter von diesem verkackten
Vogel!"
"Genau das
werde ich genau jetzt machen! Ich
schmeiße das verdammte Schwert weg!" rief der andere, sein Gesicht
genauso rot. Mit sichtlicher Mühe zerrte er die Waffe von der Schulter und ließ
sie ins Gras neben einer hölzernen Viehtränke fallen. Dann stampfte er mit
wütenden Schritten davon. "Und jetzt braten wir den verkackten
Vogel! Ich hab' verfluchten Hunger!"
"Einen verdreckten Dreck tun wir! Nächste Woche
ist das Rennen in Oberdreist, da brauchen wir ihn. Grab' im Wald und such' dir
Wurzeln!"
"Graben? Seh' ich aus wie eine beschissene Wildsau?"
"Willst du darauf wirklich eine ehrliche Antwort
hören?"
Das Wortgefecht der beiden Männer wurde mit wachsender
Entfernung leiser, und verklang schließlich ganz, nachdem sie den Wald betreten
hatten.
Barn erwachte. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihm das
bewusst wurde, und noch etwas länger, bis er darauf reagieren konnte. Dann
öffnete er sehr langsam die verklebten Augen. Etwas blendete ihn. Er blinzelte.
Ein großer, metallischer Gegenstand lag neben ihm im Gras
und reflektierte das Licht der aufgehenden Sonne direkt in sein Gesicht.
Er blinzelte noch ein paar Mal.
Der Umriss des Gegenstands kam ihm bekannt vor, doch an
diesem Morgen traute er seinen Augen noch nicht. Er streckte eine Hand aus. Und
fühlte den glatten Stahl, die zerkratzte Parierstange, und schließlich das
abgewetzte Griffband.
Windmacher!
Die Müdigkeit und die Schmerzen fielen von ihm ab. Er packte
das riesige Schwert, sprang auf und ließ die Klinge in der Morgensonne blitzen.
Dann brüllte er seine Freude und Erleichterung heraus, bis
er heiser war.
Und in den reifüberzogenen Hallen der Festung Vollduunheim
über dem Ende der Welt schlug sich der Gott Gruunz vor Vergnügen brüllend auf
die muskulösen Oberschenkel, und alle gefallenen Helden lachten mit ihm.
Der Gott nahm einen gewaltigen Schluck aus seinem Krug,
wischte sich die dicken Lippen und hatte schon vergessen, was ihn so erheitert
hatte. Aber er lachte noch eine Weile weiter.