Die Arena

 "He du! Heda! He!" Der Wüstenwind wehte den Klang einer menschlichen Stimme an sonnenverbrannte Ohren, die seit Tagen nichts als das Wispern und Scharren ewig gleitenden Sandes gehört hatten.

Der Besitzer der Ohren, ein hünenhafter Krieger in zerschlissener Wüstenkleidung, schrak jäh aus seinen fiebrigen Visionen von kaltem Bier, Gebratenem und vollbusigen Mädels. Obwohl ihn sein langer Marsch durch die Wüste bis zum Äußersten erschöpft hatte, reagierte der Mann mit der Flinkheit eines hungrigen Raubtiers.

Er riss ein riesiges Breitschwert aus einer schräg über dem Rücken befestigten Scheide. Die fließende Bewegung war kaum langsamer als das Blinzeln eines Auges, so dass es aussah, als flöge die Waffe wie ein gezähmter Falke von selbst in die kräftige linke Faust des Mannes.

Dann ließ er die schwere Klinge über seinem Kopf durch die Luft kreisen.

In der linken Hand wirbelte er sie, immer schneller, bis der Umriss der mächtigen Waffe zu einer silbernen Scheibe verschwamm, dann wechselte er das singende Schwert in die rechte Hand und ließ es auch dort stahlblitzende Kreise beschreiben. Plötzlich hielt er mitten im Wirbeln inne, grunzte zufrieden und steckte die Klinge so schnell und elegant wieder zurück in die Scheide auf seinem Rücken, wie er sie gezogen hatte.

Damit war das traditionelle Ritual des Drohens und Angebens beendet, das in der kalten Heimat des Mannes üblich war.

Jetzt hatte er Zeit, sich nach der Ursache der Schreie umzusehen. Er kniff die eisblauen Augen zusammen.

Mit einer schwieligen Hand schirmte er seinen Blick gegen die Sonne ab, die trotz des frühen Morgens schon blendete wie ein weiß glühender Dolch.

Vor ihm erhoben sich die ersten Ausläufer des Gebirgszuges, auf den er seit Tagen zu marschiert war. Rotbraun und vom Wind zu bizarren Formen geschliffen waren die Felsen, die ein mutwilliger Riesensäugling hier im Grenzgebiet zwischen Sand und Stein verteilt zu haben schien. Zwischen den Schatten der Felsen erkannte der Mann etwas Weißes, das sich wenige Augenblicke später zu der Gestalt eines Menschen formte, die auf ihn zu lief.

Lose weiße Kleiderfetzen flatterten um diesen Menschen herum, als verfolgten sie ihn in böser Absicht. Die Arme des Läufers befanden sich in hektischer Bewegung, sie kreisten wie Dreschflegel auf einem Kornboden im Spätsommer. Eine Waffe war nicht zu erkennen.

Der blauäugige Krieger wartete mit verschränkten Armen und geringschätzig herabgezogenen Mundwinkeln. In seiner eisigen Heimat hatte er früh gelernt, dass ein unbewegter Gesichtsausdruck wichtiger war als jedes gesprochene Wort. Nur ein gelegentliches Zucken seiner Unterarmmuskeln zeigte, dass er bereit war, seine Schwertkünste ein zweites Mal zu beweisen, diesmal mit einem lebenden Körper als Ziel.

 

Schließlich war der Läufer herangekommen und lief mit holpernden Schritten aus. Es war ein Mann. Er blieb stehen, stützte den gebeugten Oberkörper auf die Knie und atmete keuchend. Dabei bekam er eine Menge des Wüstenstaubes, den er selbst aufgewirbelt hatte, in die Kehle. Er hustete bellend.

Der Krieger betrachtete den Mann mit gerunzelter Stirn. Gefährlich sah der Bursche nicht aus. Seine Kleidung, die traditionelle weiße Bellybah der Wüstenvölker und eine lächerlich weite, ebenfalls weiße Hose, war alt, zerrissen und schmutzig. Waffen hatte er keine, er trug nicht einmal einen Gürtel, nur eine schwarze Kordel, um die Hose zu halten.

Auch seine Schultern schienen nicht viel breiter als die eines Mädels. Nein, ein Kämpfer war der Kerl ganz bestimmt nicht!

Aber er konnte immer noch ein Köder sein, der Lockvogel einer Räuberbande, der einen unachtsamen Reisenden ablenken oder in einen Hinterhalt führen sollte. Der Krieger blieb wachsam.

 

Endlich hatte der Mann genug gehustet und geatmet. Er richtete sich auf und war nun größer als der mächtige Krieger, sehr zu dessen Missfallen.

Strahlend grüne Augen lachten den Norländer aus einem dunkelbraunen Gesicht an.

"He, danke, dass du gewartet hast, Mann! Es ist hier wirklich nicht sehr gemütlich, so allein!" sagte er und streckte dem Krieger die rechte Hand entgegen. "Ich heiße Jon."

Der Krieger, der nur den deftigen Schulterschlag als Begrüßung unter Männern kannte und akzeptierte, starrte die langen, braunen Finger eine Zeit lang an, dann grunzte er verärgert. Ein Bettelbursche! Jetzt liefen die einem selbst in der Wüste nach!

Jon ließ die Hand wieder sinken.

"Na, dann nicht. Ist ja auch ungesund, das Handgeben, haha", sagte er und grinste schief. Er schwieg eine Weile, rollte mit den Augen, dann schüttelte er den Kopf und begann wieder zu sprechen. "Mein Sandfresser, dieses versoffene Mistvieh, hat es gestern Abend fertig gebracht, in einem Wasserloch von der Größe eines Soldatenhirns zu ertrinken, und seit der Zeit bin ich zu Fuß unterwegs. Ist ganz schön anstrengend, im Sand zu gehen. Und langweilig. Ich wollte mich gerade ein bisschen hinlegen, da hab' ich dich gesehen, und ich dachte, vielleicht können wir ja ein Stück zusammen gehen. Es gibt immer wieder Räuber und andere Gestalten in den Bergen, und vier Arme können sich besser wehren als zwei. Obwohl...", er machte eine Pause und schnitt eine Grimasse. "...man aus jedem deiner Arme wohl vier von meinen Armen machen könnte."

Der Krieger kniff die Augen zusammen, runzelte die Stirn und grunzte noch einmal. Was wollte dieser Schwätzer?

Dann beschloss er mit der Konsequenz des geborenen Kämpfers, sich darüber keine Gedanken zu machen und einfach weiter zu gehen. Also straffte er die Schultern - und ging weiter.

Doch der Bursche blieb hartnäckig neben ihm. Die langen, dürren Beine hielten mühelos Schritt mit den muskulösen Schenkeln des Kriegers.

"Ich nehme an, es stört dich nicht, wenn ich neben dir hergehe, hm?" schwatzte der Mann. Er hatte eines dieser dunklen, aufdringlichen Gesichter, die nach der Erfahrung des Kriegers vielen Mädels unverständlich gut gefielen. "Jemand, der dich stört, würde das wohl gar nicht überleben, wie? Hahahahaha!"

Das Gelächter des Burschen gellte dem Krieger in den Ohren wie das Meckern eines Ziegenbocks. Er schoss einen verächtlichen Seitenblick auf den Mann ab, dann richtete er seine stahlblauen Augen starr geradeaus, dorthin, wo die steigende Sonne die schroffen Flanken der Berge mit hartem, klarem Licht übergoss.

Die Felsen rings umher wurden größer, manche hatten die Form und Ausmaße von Stadttoren, andere wirkten wie die gigantischen Knochen vorzeitlicher Ungeheuer, und einer hatte die Gestalt eines hausgroßen Bierhumpens. Sogar eine Art Henkel war daran.

Barn knurrte, als er die Form erkannte. Die Götter dieses staubigen Landes verhöhnten ihn! Es war wirklich nicht nötig, ihn auf diese Weise daran zu erinnern, dass ihm der Durst die Eingeweide zusammen zog, bei Gruunz!

 

"Sag mal, so wie deine Stiefel aussehen, hast du in letzter Zeit kein Reittier gehabt." begann Jon erneut. Es schien ihm schwer zu fallen, auch nur kurz still zu bleiben. "Und du kommst direkt aus der Wüste. Bist du da zu Fuß durchgegangen?" Er wartete nicht einmal eine Antwort ab, sondern lachte und redete weiter. "Mann, das hat bisher wohl noch keiner geschafft! Zu Fuß durch die Scharrende Wüste! Das sind neunzehn Tagesmärsche ohne Wasser!"

Er machte eine kurze Pause, um Luft zu holen.

"Was gab es denn so Wichtiges, dass du das gemacht hast?"

Der Krieger bemühte sich, Jon noch deutlicher zu ignorieren als zuvor. Ihm waren in der Wüste einige merkwürdige und verstörende Dinge passiert, über die er mit niemandem reden wollte. Schon gar nicht mit diesem lästigen braunen Burschen. Außerdem wurde der Boden unter seinen Füßen steinig und uneben. Zwischen dem feinen, hellgrauen Sand wurden immer größere Flächen nackten Felses sichtbar. Tiefe Sprünge, manche so breit wie ein Fuß, zogen sich durch den Stein. Man musste aufpassen, wohin man trat. Deshalb senkte er seinen Blick fest zu Boden.

Aber Jon blieb hartnäckig.

"Du bist nicht von hier, oder?" fragte er. "Kein Garstek oder Dunggi würde seine Sonnenhaube so seltsam binden, und deine Haare sind gelb wie trockenes Gras. Ja, und sag mal, sind das gefärbte Tierfelle da unter deiner Bellybah? Du trägst Fellklamotten, hier in der Wüste? Du musst ein Barbar sein!"

Jon blickte den großen Mann anerkennend an.

Der Krieger schnaubte stolz. Die Hosen und die Weste aus lockigem Bergziegenfell hatte er sich in Thenil in den Farben seines Heimatdorfes Täppenwinkel mit Bildern von nackten Mädels, Schwertern und Schweinehaxen bemalen lassen, und fast sein ganzer Sold als Feldwebel der königlichen Garde war dafür draufgegangen. Nun waren die rosa, türkisen und gelben Zeichnungen zwar stumpf vom Staub, aber für Barn waren sie immer noch alles an Kunst, was die Welt seiner Meinung nach brauchte.

Er hob seine Bellybah über die Brust, damit Jon alles noch besser bewundern konnte, bis er bemerkte, dass der sich nur mühsam ein Lachen verbiss. Da straffte er die Schultern würdevoll, hob das Kinn und schritt schneller aus. Ein Norländer ließ sich doch von einem solchen Burschen nicht beleidigen! Nicht von so einem, bei Gruunz!

Stur blickte er auf die schmale Schlucht voraus, in der so etwas wie ein geröllbedeckter Pfad, das ausgetrocknete Bett eines Gebirgsbaches, steil bergauf führte. Hoffentlich gab es weiter oben Wasser - und etwas zu essen. Noch hatte der gewaltige Körper des Kriegers Reserven, doch den letzten Schluck Wasser hatte er vor zwei Tagen getrunken, und gegessen hatte er seit einer Woche nichts. Er brummte bitter. Wenn die gruunzverdammten Berge so kahl blieben, wie sie jetzt waren, dann würde seine Seele wohl von diesen Gipfeln direkt in die Speisehallen von Vollduunheim aufsteigen!

 

Doch zunächst stieg nur die Sonne, und trotz des Schattens wurde es in der Schlucht bald so heiß wie in einem Backofen.

"Wüsten sind das Reich des Bösen. Wüsten nehmen der Welt den Atem", erklärte Jon gerade. "Sie sind eine Barriere zwischen den Völkern, eine kaum zu überschauende Mauer, an der sich an beiden Seiten der Unrat von Misstrauen, Vorurteil und Hass sammelt."

Jon schien die Hitze nichts auszumachen. Er geriet sogar immer stärker in Fahrt, schimpfte auf Könige und unmündiges Volk, wütete über Unvernunft und Bequemlichkeit. Dabei gestikulierte er, als spräche er nicht zu einem schweigenden Barbaren, sondern zu einer gewaltigen Volksmenge.

Der Mann aus dem Norland konnte damit ungefähr so viel anfangen wie ein Braunbär mit einer Blumenvase.

Plötzlich blieb Jon stehen, so abrupt, dass auch der Krieger stehenblieb und seine Linke nervös zum Schwertgriff zuckte.

"Echt scheißheiß!" verkündete der braune Mann nach einem Blick in den blendenden Himmel. "Und das Reden macht die Kehle trocken. Zeit für etwas Flüssigkeit."

Er fummelte in der Weite seiner Beinkleider und zog einen ledernen Schlauch heraus, der prall war wie die Brust einer jungen Mutter.

Die Augen des Kriegers weiteten sich.

Jon löste den Stopfen und hob den Schlauch vor sein Gesicht. Gluckernd rann das klare Wasser heraus. Es tropfte dem braunen Mann von den vollen Lippen und stürzte in einem kleinen Wasserfall sein Kinn hinab auf den staubigen Boden.

Da war es um die Beherrschung des Kriegers geschehen. Mit einem wilden Grunzen riss er Jon den Wasserschlauch aus den Händen, setzte ihn an und trank in großen, gierigen Schlucken, bis er leer war. Dann schleuderte er das faltige Leder rülpsend hinter sich, wie es die Norländer mit Trinkgefäßen gerne tun.

Ein breites Grinsen fand seinen Weg in die kantigen Züge des Kriegers.

"Ich heiß' Barn, Mann!" verkündete er dröhnend und schlug Jon so fest auf die Schultern, dass der große, schmale Mann zu Boden ging. "Barn von Täppenwinkel!"

"Angenehm", murmelte Jon. "Ich werde es mir aufschreiben, damit ich nie wieder fragen muss."

Er stemmte sich ächzend hoch und klopfte den Staub von seiner Bellybah.

 

"Es ist nicht ganz ungefährlich, hier laut zu schreien.", erklärte Jon dem Barbaren, während sie weiter stiegen. "Der Schall trägt weit in diesen Schluchten, und jenseits der Passhöhe beginnt das Reich von König Dunggur. Es ist ein kleines Königreich, das auf drei Seiten von Gebirgen begrenzt wird, und auf der vierten von dichtem, unpassierbarem Dschungel, und entsprechend eng ist das Denken der Leute dort. Ich wollte eigentlich nicht mehr zurück. Aber in Thenil und den Stadtstaaten sind die Köpfe der Leute ebenso voller Mauern. Also habe ich beschlossen, zurückzukehren. Außerdem habe ich in der Hauptstadt O'bah Dungg eine kleine Schwester, von der ich mich nie richtig verabschiedet habe."

Jon seufzte.

Barn aus Täppenwinkel knurrte leise. Er verstand das. Auch er wollte nach Hause, zurück in den kalten Norden, um dort seine Verlobte, die schöne Skjörga, zur Frau zu machen, ein Haus zu bauen und Kinder zu haben.

Aber alle Straßen schienen ihn nur immer weiter nach Süden zu führen, immer tiefer in eine Welt aus Staub, Hitze, Sonne und Unmengen von schwatzenden braunen Burschen.

 

*

 

Der Weg stieg ständig an. Die Felswände links und rechts schienen manchmal bis direkt in den Himmel auf zu ragen, dann wieder waren sie niedriger als der Barbar, und er konnte über eine weite, zerklüftete Berglandschaft blicken, braun und schrundig wie das Gebiss eines Bettlers. Alle Geräusche wurden von den Felsen zurückgeworfen und übertrieben verstärkt. Jedes Ächzen oder Grunzen klang wie der donnernde Groll eines Gottes.

Das gefiel dem Nordmann, und er ächzte und grunzte oft, nur um sich zu hören.

"Wir müssen vorsichtig sein", murmelte Jon neben ihm. "Auf der Passhöhe gibt es einen alten Grenzturm, und König Dunggurs Soldaten legen die Einreisegesetze gerne auf ihre Weise aus, um Material für die Arena zu bekommen."

Der dünne Mann betonte das Wort Arena auf eine Art, die sich Menschen sonst für die Schilderung von schmerzhaften Fußkrankheiten aufsparen. Barn fiel das allerdings nicht auf. Der Barbar lauschte nach innen, nach den seltsamen Geräuschen, die das Wasser in seinem Bauch machte. Er lächelte wehmütig und ein bisschen entrückt. Das klang so heimatlich, wie das Knarren und Murren der Eismassen in den Gletscherhöhlen unter der Weißhöh!

 

Kurz vor der Passhöhe erweiterte sich die enge Schlucht zu einem länglichen Tal zwischen zwei narbigen, ockerfarbenen Bergbuckeln. Aus dem rechten Buckel wuchs ein Gebäude wie ein blassbrauner Mittelfinger in den wolkenlosen Himmel.

Jon blieb stehen. Er zeigte auf einen Fetzen von undefinierbarer Farbe, der über dem Turm wehte.

"Da haben wir die Grütze: Der Turm ist besetzt. Durch den Pass werden wir nicht kommen."

Er sah sich um.

"Aber es gibt noch einen Weg, der vom Turm nicht eingesehen werden kann. Da ist er." Jon deutete auf eine dunkle Stelle in der linken Wand, die eine Öffnung, aber auch nur ein Schatten sein mochte. "Aber er ist eng. Da wirst du deine Muskeln einziehen müssen!"

Barn brummte, als ihn der dünne Bursche in eine enge Spalte führte. Das sah nicht aus wie ein Weg, der irgendwohin führte, wo er gern sein wollte. Warum konnten sie nicht zu dem Turm gehen und dort nach Wasser fragen? Schwierigkeiten konnte er immer noch mit seinem Schwert beseitigen.

Er wollte gerade eine entsprechende Frage stellen, da ertönte hinter ihm eine scharfe Stimme.

"So-so, wieder zwei Hungerleider, die sich ungesehen in das herrliche Land meines Königs Dunggur schleichen wollen. Das mag ich überhaupt nicht, denn das ist gegen das Gesetz!"

Der Barbar wirbelte mit einem wilden Schrei herum und zog dabei Windmacher aus der Rückenscheide. Leider hatten die Kampfinstinkte des Nordmanns die Enge des Pfads nicht bedacht: Die schwere Klinge traf mitten im Schwung auf soliden Sandstein, und die Wucht des Aufpralls riss Barn die Waffe aus den Fingern. Klirrend fiel sie zu Boden.

Der Barbar stand waffenlos vor sieben Uniformierten, die ihre gebogenen Schwerter sicher in den Fäusten trugen.

Ein kleiner, drahtiger Krieger, dessen dunkles Gesicht wie alle Kriegergesichter der südlichen Wüstengebirge irgendwie einem Raubvogel ähnelte - außer dass Raubvögel niemals goldene Ohrringe und gefettete schwarze Spitzbärtchen tragen - trat schief lächelnd vor.

"Dank im Namen des Königs, dass du deine Waffe so schnell abgeliefert hast, großer Mann. Vielleicht wäre der Arena sonst wertvolles Material entgangen. Ich bin Hauptmann Sharla Than und nehme dich hiermit fest, weil du versucht hast, illegal die Grenze zu übertreten!"

"Halt, Hauptmann!" rief eine Stimme hinter Barns Schulter. "Dieses Gelände gehört noch nicht zu König Dunggurs Land, und seine Gesetze haben keine Gültigkeit hier!"

Jon drängte sich am Barbaren vorbei und stellte sich vor ihn. "Ihr habt kein Recht, hier jemanden festzunehmen!" rief er aufgebracht.

Der Hauptmann Sharla Than runzelte die dunklen Brauen, dann fanden seine scharfen Züge zu einem gefährlich milden Lächeln.

"Und wie ist es hiermit?" Er hob sein Schwert und ließ es in der hellen Sonne blitzen. "Ich finde, die Kraft von sieben Kriegern mit sieben Schwertern ist überall eine gute Grundlage für Gesetze."

Dann hielt er inne. Seine Augen wurden eng. Er blickte Jon genauer an. "Ich wundere mich eigentlich, dass dich das stört, Jon Ben Sissi!" zischte er. "Schließlich hast du jahrelang das Gold meines Königs genommen, das deine Schwester in der Arena verdient hat! Dann warst du plötzlich reich genug, um dir moralische Bedenken zu leisten und hast wie ein tollwütiger Köter die Hand gebissen, die dich fütterte!"

Sharla Than wandte das Gesicht ab und schwieg für einige Zeit mit gesenktem Kopf. Schließlich sprach er wieder, und seine gepresste Stimme war voll Hass. "Mein Bruder starb bei dem Aufstand der Kämpfer, den dein Geschwätz ausgelöst hat!“

Er richtete sich auf, seine goldenen Ohrringe blitzten in der Morgensonne.

„Männer, tötet diesen Hund, verbrennt sein Fleisch und verstreut seine Knochen in der Wüste, dass sich die Schakale darum streiten mögen."

Jon wurde sehr blass.

"Das ist ungesetzlich, Hauptmann!" rief er. "Ich habe nach den Gesetzen Dunggs das Recht auf ein öffentliches Gerichtsverfahren! Und ich werde..."

Das Lächeln kehrte in Hauptmann Thans Gesicht zurück. "Dann ist das hier deine Öffentlichkeit", er wies auf die Soldaten und nickte dem Barbaren zu. "Und ich bin dein Richter. Dein Urteil lautet auf Tod, Jon Ben Sissi."

Mit einer Flinkheit, die niemand, am allerwenigsten wohl der Offizier, dem dürren Mann zugetraut hatte, verschwand Jon. Nur das hastige Platschen von Ledersandalen verkündete, dass er durch den geheimen Pfad floh.

Der Barbar wandte hektisch den Kopf zwischen dem Felsspalt und den Soldaten hin und her. Zuviel war in zu kurzer Zeit um ihn herum passiert. Müde, durstig und hungrig, wie er war, fühlte er sich nicht zu solchen Scharaden aufgelegt, wie sie um ihn aufgeführt wurden.

Am besten schien ihm, er ginge einfach weiter, irgendwohin, wo es ein Gasthaus gab, kühles Bier und ein vollbusiges Schankmädel mit lockerem Mieder und loser Moral.

"Ho, ich geh' dann mal, hm?" murmelte er und nickte den Soldaten knapp zu.

"Sicher, Fremder." Der kleine, raubvogelgesichtige Offizier lächelte wieder. "Und vergesst nicht, Euer Schwert wieder aufzuheben."

"Klar, Mann. Schwert", brummte der Barbar. "Danke." Windmacher hatte er völlig vergessen.

Doch als er sich bückte, fiel ihm etwas Hartes auf den Hinterkopf, und die Bergwelt erhob sich und schoss ihm entgegen wie eine geballte Faust.

Als sie sein Gesicht traf, wurde alles dunkel.

 

*

 

In Barns Kopf mahlte ein alter, schartiger Mühlstein grobe Kiesel. Erst nach einiger Zeit stellte er fest, dass die Erschütterungen, das Knarren und das Dröhnen von außerhalb kamen.

Er öffnete die Augen einen Spalt. Dann riss er sie weit auf.

Wäre seine Zunge nicht so trocken gewesen wäre, hätte er auch noch geflucht.

Er lag auf dem Rücken, in dicke Ketten gewickelt, auf Stroh in einem Karren. Zwischen seinen großen Füßen konnte er eine Straße aus gestampfter Erde sehen, die zwischen Wellen sonnenverbrannter Hügel von den Zacken eines zerklüfteten Gebirgszuges herkam.

Links und rechts waren Wände aus Holzbrettern, und neben dem Karren marschierten zwei raubvogelgesichtige, mürrisch blickende dunkle Männer in schmutzigen Bellybahs. Sie trugen Speere über den Schultern.

"Eh, Fahradh!" rief der eine lachend. "Unser Wilder is' wach! So schnell schon! Na, ich verwette meinen Monatssold, dass der ein Champion wird!"

Er deutete mit einem spitzen Daumen auf den Barbaren.

Der andere Wächter grunzte verächtlich.

"Ich würd' keinen Fekal auf den setzen. So leicht wie der sich hat fangen lassen."

"Aber überleg mal!" warf der erste ein. "Wo is' der denn wohl hergekommen? Aus der Wüste! Ohne Pferd! Und wie er aussieht, hat er seit Tagen nichts getrunken und gegessen. Zu Fuß durch die Scharrende Wüste, ohne Pferd und Proviant, und er lebt noch! Ich sag' dir, der is' ein Kämpfer durch und durch! Fütter' ihn richtig, und er macht dir alles platt!"

"Bei Quaatch! Lambad, der fällt dir höchstens platt hin, wenn du ihn losmachst!"

Barn hustete wütend. Das musste er sich wirklich nicht gefallen lassen! Mit aller Kraft bäumte er sich auf.

Lambad lachte begeistert. "Sieh doch, Faradh! Wie ein wildes Tier! Der Kellermeister wird uns ein schönes Taschengeld zahlen!"

Er drehte seine Lanze und stieß den Barbaren mit dem Stiel sachte in die Seite.

"Streng dich nicht so an!" mahnte er ihn. "Bald wirst du noch genug zeigen müssen. Aber erstmal bringen wir dich wohin, wo du Essen, Trinken und ein Bad bekommst."

Der Barbar verkniff die Augen zu schmalen Schlitzen und knurrte tief hinten in der Kehle. So war das also! Die beiden Kerle waren Schankknechte, die auf räuberische Weise Gäste für ihr Wirtshaus beschafften! Nun, das hatte er schon erlebt.

Er knurrte noch einmal, dann zwang er sich zur Ruhe. Er ließ den schweren, trockenen Körper tief in das Stroh sinken. Seine Augen wanderten nach oben. Über ihm im blendend blauen Himmel war keine Wolke. Er starrte in das Blau, bis ihm schwindlig wurde.

 

Das trockene Land streckte sich endlos unter der brennenden Sonne. Manchmal erhoben sich aus Feldern verdorrten Getreides Lehmhütten, von deren überdachten Veranden apathische Menschen mit eingefallenen Gesichtern lustlos die vorüberziehenden Krieger grüßten. Die bröckelnden Sandsteinbögen alter, geborstener Bewässerungsanlagen überspannten den Weg. Halbverhungertes Vieh rupfte letzte gelbe Halme von dürren Wiesen.

Bald tanzte das grelle Gelb unter dem grellen Blau dem Barbaren in den Augen. Alles verwob sich mit seiner Erschöpfung zu wilden, brüllenden Mustern, bis er glaubte, sich beim Burschweihtanz auf dem Tanzboden von Täppenwinkel zu drehen. Aber das war schon im Traum. Und wie immer in seinen Träumen wurde der Barbar mit Leichtigkeit der Beste und gewann dadurch die Herzen mehrerer vollbusiger Mädels.

 

Das Schütteln des Karrens weckte den Barbaren. Es musste eine längere Zeit vergangen sein. Das trockene Land war das gleiche geblieben, aber längs der Straße standen nun in Abständen von etwa hundert Schritten riesige Holztafeln, auf denen mit grellen Farben muskulöse, meist halbnackte Männer gemalt waren, die gegeneinander oder gegen Furcht einflößende Bestien kämpften. Das gefiel dem Nordmann, und er bemühte sich, die brennenden Augen offen zu halten, um alles genau zu sehen.

Seine beiden Bewacher unterhielten sich lautstark über die Abbildungen.

"Da guck, Lambad, wie ich immer sag': Der Stab des Präsentors wird schlampig!" Er wies auf ein Bild, auf dem ein struppiger Riese sich über den roten Überresten eines Gegners wild die breite Brust betrommelte. "Fakker die Keule is' schon letzten Monat von Grabratte Ghulkopf aufgeschlitzt worden. Ich hab' es selbs' gesehen. Aber sein Bild is' immer noch hier!"

Lambad wiegte nachdenklich den Kopf.

"Na, ich weiß nicht, ob das nicht Absicht ist. Seit dem Aufstand hat die Arena keinen einzigen neuen Kämpfer bekommen, der wirklich gut ist. Und Fakker war beliebt, vor allem bei den Damen."

"Da kannst du recht haben", gab Faradh zu. "Nur aufständische Bauern sterben zu sehen, das amüsiert auf die Dauer kein Publikum."

Lambad spuckte zustimmend in den Staub.

Der Barbar wandte sich wieder den Kampfbildern zu, an deren schier endlosen Reihen er vorbeigefahren wurde. Manchmal waren auch Mädels abgebildet, die nichts an hatten und in demütiger Pose vor bewaffneten Riesen knieten. Diese Bilder gefielen dem simplen Mann aus dem hohen Norden am besten, und er hätte mit der Zunge geschnalzt, wäre die nicht zu trocken gewesen.

 

*

 

Irgendwann gab es einen harten Ruck, und dann merkte der Barbar am gleichmäßigen Mahlen der Räder, dass die Straße nun gepflastert war. Zwischen den Bildtafeln standen jetzt Gebäude, denen man den Verfall so deutlich ansah wie dem ganzen Rest des Landes, die aber in leuchtenden Farben bemalt waren und auf ihren Giebeln Wimpel trugen.

"O'bah Dungg", brummte einer der Begleitsoldaten. Barn schnüffelte, aber er roch nur Staub.

Dann kam ein gewaltiges Tor, das wie ein gestürzter Felsen wirkte. Vor langer Zeit mochte es einmal beeindruckend gewesen sein, jetzt war es nur noch eine düstere Steinmasse, zerfressen von Wüstenwinden. Eine traurige Fanfare ertönte von irgendwo, als der Wagen die staubigen Schatten der Wölbung durchfuhr.

Nun standen Häuser mit drei und mehr Stockwerken dicht beieinander, und kriegerische Bilder hingen von den Fassaden und verdeckten viele Fenster und Türen. Trümmerstücke abgeschlagener Balkone und Erker lagen in wirren Haufen auf den Gehsteigen und der Straße verstreut. Viele waren schon mit Gras und Moos bewachsen.

Zwischen den Trümmern entdeckte Barn auch Bewohner. Sie wirkten so müde und zerschlissen wie ihre Gebäude und waren äußerlich ebenso bunt. Besonders bleiche Gesichter waren sogar bemalt. Manche Menschen holten beim Nahen des Karrens Wimpel hervor und schwenkten sie hysterisch in die Straße, nur um sie matt wieder wegzustecken, wenn sie erkannten, dass da bloß ein Ochse, zwei Wächter und ein Gefangener vorbeizogen.

Barn knurrte leise. Dieser Ort gefiel ihm nicht. Es fehlte alles, was er von einer Stadt erwartete: Mengen von Menschen; Garküchen längs der Straße, wo halbe Ochsen am Spieß brieten und Köche dicke, braune Suppen rührten; bunte Bazare und Kaufhallen; Schenken, vor denen Ausrufer standen und Wein, Schnaps und Bier priesen; geschminkte Mädels, die einen Fremden mit sanften Lauten willkommen hießen und ihn gegen ein paar Kupfermünzen die Strapazen seiner Reise vergessen ließen.

 

Die wenigen Läden in den Erdgeschossen der Häuser, die nicht mit buntbemalten Brettern vernagelt waren, verkauften nur Fähnchen, Papierblumen und Tonfiguren von muskelbepackten Kriegern. Und die Mädels, die durch die Straßen schlurften, sahen alle so aus, als hätten sie sich in Öl und Staub gewälzt und würden ohne den Dreck noch übler aussehen.

 

Lambad und Faradh schienen ebenfalls wenig begeistert.

"Wenn ich das so sehe, packt mich fast Sehnsucht nach den Bergen und unsrem öden Wachturm", kommentierte Lambad schwermütig den Anblick. "Da kann man wenigstens noch träumen!"

"Wir sind ja auch hintenrum in die Stadt gekommen. Das nächste Mal gehen wir durch das Südtor."

Lambad schüttelte den Kopf. "Das letze Mal hab ich am Südtor innerhalb eines Tages einen ganzen Jahressold verloren bei so einer Spielschau. Die locken dich einfach hin, dann gibt's was zu trinken, ein buntes Rad und Weiber ohne Hemd, und schon bist du pleite - bis zur Arena kommst du gar nicht."

"Der Leutnant hat uns sein Dienstsiegel mitgegeben. Wir können jetzt überall hinkommen. Ohne Geld. Vielleicht sogar in die Keller der Tänzerinnen." Faradh schnalzte vielsagend mit der Zunge.

"Sicher. Aber wenn er das rausfindet, ist alles, was uns bleibt, ein einmaliger Auftritt mitten in der Arena. Als Löffenfutter!"

"Lambad, du bist ein Dummkopf!" spottete Faradh. "Sharla Than hat uns eine ganze Woche Urlaub gegeben dafür, dass wir diesen Kerl nach O'bah Dungg bringen und ihn an den Stab des Präsentors verkaufen! Der normale Dienstweg für Illegale ist doch der Bezirkskerker von Krekkcht. Aber das wollte unser Leutnant natürlich nicht, denn dann hätte irgendein dicker Wachtmeister den Burschen hier an die Arena verscherbelt und die dreißig Fekal Prämie eingesteckt! Nein, mein Alter, ich bin sicher, dass Herr Than gar nichts sagt, wenn wir uns in seinem Namen ein bisschen amüsieren."

Lambad verdrehte die Augen. „Oh, meine Mutter wird mich noch verfluchen, und dich dazu!“ rief er. Aber er grinste.

 

Als der Karren anhielt, wurde Barn fast schlecht, so sehr hatte sich sein Körper an das Schwanken des Fahrzeugs gewöhnt. Vorne wurden Stimmen laut; die von Faradh und Lambad, aber auch andere, die der Barbar nicht kannte. Zunächst klang alles sehr freundlich, doch dann kamen die Wörter immer härter und schneller und lauter. Ein Mann brüllte sogar. Schließlich entstand ein längeres Schweigen, gefolgt von dem Geräusch, das Silbermünzen verursachen, wenn sie in eine geöffnete, hornige Handfläche fallen. Dann wurde eine Trompete geblasen. Wenig später rasselten Ketten, und die Scharniere einer schweren Tür knarrten und ächzten wie geschundene Seelen in den Tretmühlen der Hölle.

Barn sah den gemauerten Bogen eines weiteren Tores über sich nach hinten ziehen.

 

Plötzlich war alles anders.

Die Türbögen und Fenstergitter der Häuser waren aus kostbarem, dunklen Muggahholz geschnitzt und mit Silber eingelegt, die Simse waren aus sorgfältig gemeißeltem, buntgeädertem Gestein; von den Dachfirsten funkelten Edelsteine als Augen wohlmeinender Hausgötter. Geschäftige Menschen in goldgesäumten Bellybahs eilten lächelnd umher, alle Frauen waren Schönheiten, und niemand schwenkte einen Wimpel.

Aber der größte Unterschied zu allem Vorigen war so ungeheuerlich, dass er dem Barbaren zunächst gar nicht auffiel: Es gab nirgendwo Bilder von kämpfenden Helden.

Die Stimmen der beiden Soldaten schienen sich dieser Umgebung angepasst zu haben: Leise und respektvoll waren sie geworden.

"Das Viertel des Stabes ist schon etwas Besonderes", wisperte Faradh. "Hier spürt man richtig das Herz des Reiches schlagen!"

"Das einzige Besondere an diesem Viertel ist seine Geldgier!" widersprach Lambad, aber auch er sprach sehr gesenkt. "Diesen eitlen Fatzke von Feldwebel am Tor, den würd' ich gern mal im Grenzdienst erleben, wenn ein Stamm Dunggi seinem Zug von oben in einem Hohlweg auflauert, Speere, Steine Schrumpfköpfe und Schlimmeres auf ihn niederprasseln… und seine Frisur ruinieren!"

"Klar, das wär' Spaß." stimmte Faradh grimmig zu. „Aber hier wohn‘ dürfen, dass wär‘ mehr Spaß!“

Dann herrschte wieder Schweigen, bis Barn ein tiefes Einatmen hörte. Seine beiden Begleiter sogen gleichzeitig die Luft ein und behielten sie für einen ehrfürchtigen Moment in ihren Lungen.

"Bei Buulb, da vorne, das muss sie sein!" stieß Faradh halberstickt hervor.

"Ja, Faradh, das ist sie." sagte Lambad mit von Demut dünner Stimme. "Sie ist so gewaltig..."

"Ich hab' sie noch nie von hier gesehen... Sie scheint größer als der Himmel..."

"Sie ist größer, sie ist unvergleichlich viel größer... sie ist die Arena!"

Die beiden Soldaten äußerten noch viele ehrfürchtige Sprüche dieser Art, bis der Barbar in seinem schwankenden Nest aus hartem Stroh eine bleischwere Müdigkeit empfand. Er schloss die Augen, und schlief ein.

 

*

 

Wie schon so oft in seinem bewegten Kriegerleben wurde der Nordmann von einem Guss eiskalten Wassers geweckt.

"Schon gut, Mädel, ich werd'... gleich aufstehen..." brummte er schwach.

Normalerweise erwachte er unter solchen Umständen in irgendeinem üblen Gasthaus, und vor ihm stand eine wütende Freundin mit einem Eimer in der Hand und Vorwurf im Blick.

Aber diesmal war nichts normal, und die Freundin war ein Felsbrocken von Mann mit eisgrauen, kurz geschorenen Haaren und einer Klappe über dem linken Auge. Er trug eine stumpfbraune Ledertunika über dem Körper eines alternden Kriegsgottes.

"Willkommen in der Arena, Frischfleisch!" sagte der Mann, und auch seine Stimme klang wie ein Fels. Er streckte Barn eine Hand, groß wie eine Schaufel, entgegen. "Steh' auf Kleiner, deine Zeit hier könnte zu kurz sein, um sie gleich liegend zu beginnen!"

Der Barbar ignorierte die Hand und stemmte sich hoch, obwohl ihm alles wehtat und Teufel auf Hufen aus schartigem Glas in seinem Kopf tanzten. Dann schenkte er dem Felsbrocken einen vorwurfsvollen Blick.

"He, Wirt, meine Kehle is' staubiger als die ganze Wüste! Un' fressen könnt' ich auch wie'n Löffe!"

Der graue Fels musterte ihn lange mit seinem einen Auge, bis ein weniger sturer Mann als der Norländer den Blick gesenkt hätte.

"An deiner Stelle würd' ich mir eher Sorgen machen, dass'n Löffe dich frisst, Kleiner!" meinte der Alte trocken. Doch dann fasste er den Barbaren fest an der Schulter, und sein schrundiges Gesicht verzog sich zu einer erschreckenden Grimasse, die einem Grinsen so ähnlich sah wie ein Schwert einer Rose, aber wohl eins sein sollte. "Ich glaub', du has' das Zeug zum Kämpfer, Kleiner. Und 'nen Kämpfer lass' ich nich' verhungern. Mein Name is' Drakken Beilstein der Dritte. Meister Drakken für dich. Ich werd' dein Trainer sein hier in der Arena."

 

Meister Drakken führte den Barbaren durch eine Vielzahl dunkler, niedriger Gänge bis in ein in den Fels gehauenes Gewölbe, in dem an derben Tischen derbe Männer im Licht großer Feuerkessel saßen und schweigend Grillfleisch von Holztellern aßen.

"Grunter! Ich hab' hier'n neuen Gast!" brüllte Drakken mit seiner Felsenstimme in den Raum. Aus einer Tür kam ein weiterer grauhaariger Fels aus etwas weicherem und runderem Gestein. Er trug über einem grauen Kittel eine schmuddelige Schürze aus dickem Leder, die steif von seinem Körper abstand und so blutverschmiert war, als müsse er mit jedem Steak einen Kampf auf Leben und Tod ausfechten (Barn erfuhr später, dass es tatsächlich so war: Grunter holte sich das Fleisch für die Küche direkt aus der Arena, wo er mit einem Tranchier- und einem Hackmesser gegen ältere Löffen, Snarks und Phantiere antrat und sie mundgerecht portionierte).

Grunter kratzte sich am Kopf und nickte Barn zu. Sein Grinsen war etwas milder als Drakkens, genügte aber, um den besten Wein in Essig zu verwandeln.

"Hm, der sieht aus, als würd‘ er'n Phantier roh fressen könn'. Ich werd' seine Steaks schön blutig lassen!"

"Klar, Grunter. Und gib ihm Wasser. Bei Quaatch, seine Lippen sind spröder als die Tanzmädels aus dem Pausenballett! Er wird Durst haben."

Und obwohl der Norländer die Kraft von drei normalen Männern besaß, drückte ihn Drakken wie ein Kind auf die nächste Bank. "Setz' dich, Kleiner, un' iss tüchtig." brummte er. "Un' dann lass dir’n Bett zeig’n un‘ ruh dich wirklich aus. Heute Abend lassen wir dich erstmal gegen eine kleine Bestie kämpfen, um zu seh'n, ob du's wirklich wert bist, trainiert zu werden. Also - wir seh'n uns in der Arena."

Er zwinkerte. "Wir seh'n uns in der Arena - das is' unser Gruß hier unten!"

Hinkend verschwand er in der Dunkelheit.

Barn nickte den anderen Männer im Raum zu, aber sie beachteten ihn überhaupt nicht.

Schon nach kurzer Zeit brachte Grunter dem Barbaren eine Platte mit mehreren ungeheuren Fleischstücken und einen Bierkrug, in dem ein Ochse hätte ersaufen können.

"Wenn du gegessen hast, zeig' ich dir den Schlafraum, Kleiner", sagte er. "Un' du schläfst besser gut - das Dienstagabendpublikum is' nämlich der blutgierigste Haufen von allen, un' als Neuer braucht man 'ne Menge Ruhe, um das zu überleben."

 

*

 

Gerade, als die fünf dunkelhäutigen Mädels vor dem Barbaren endlich die letzten Schleier fallen gelassen hatten, wurde er unsanft geschüttelt und musste aufwachen.

"He, Kleiner, steh' auf!" rief eine harte Stimme. "Die Sonne sinkt, un' die Massen wollen Blut sehen!"

Barn grunzte. "Ich kann jetz' nich' aufstehn. Ich bin noch nich' mit mei'm Traum fertig!" protestierte er.

"Un' wie du aufstehen wirst, mein Guter!" Der Nordmann wurde gepackt und hochgezerrt, bis sein Gesicht den zerklüfteten Zügen des Meisters Drakken Beilstein unangenehm nahe war. "Hier schläft jeder Frischling nur solange, wie es mir gefällt, klar?"

Barn brummte etwas Unverständliches, das man als Ablehnung oder Zustimmung auffassen konnte. Der Trainer entschied sich für Zustimmung. Er zwang sein Gesicht wieder zu jener Deformation, die seine Version eines Grinsens war.

"Siehst du, Kleiner, geht doch!" rief er. "Jetz' beeil dich, wir müssen dir noch die Ausrüstung und 'ne Waffe verpassen!"

Mit einem letzten bedauernden Blick hin zur hölzernen Pritsche, auf der er so aufregend geträumt hatte, ließ sich der Nordmann aus dem übelriechenden Schlafraum führen.

Wieder ging es durch eine Menge dunkler Gänge, deren Wände grob gemauert oder einfach in den Fels gehauen waren. Fenster gab es nirgendwo, nur alle zwanzig Schritte eine einsame Fackel.

"Kanns' du mit einem Spieß umgehen?" fragte Meister Drakken den Barbaren, während sie gingen. Barn brummte wieder unverständlich, und Drakken nickte.

"Nun, du wirst es heute Abend lernen... oder du lernst nix mehr in deinem Leben. Weil das dann nämlich vorbei is'."

 

Schließlich erreichten die beiden Männer einen großen Raum, in dessen Mitte ein großer Feuerkessel unruhiges Licht verbreitete. Hier herrschte ein Durcheinander aus jeder Art von Waffen, Helmen, Rüstungsteilen, bunten Bannern und Schilden aller Größen und Formen. Dazwischen standen, knieten oder saßen fluchende Männer, die sich für eine Schlacht zu rüsten schienen. Sie bandagierten Waden, schnallten stachelige Schulterpanzer an, schwangen probeweise Schwerter, rotzten auf den Boden und fletschten Zähne, die zum Teil mit blitzendem Stahl überkront waren. Alle trugen Stirnbänder, selbst die Glatzköpfe, und die meisten der Bänder hatten die ungesunde Farbe geronnenen Blutes.

"Das is' die Rüstkammer der vierten un' dritten Klasse! Die Männer machen sich für's Abendprogramm fertig!" erklärte Drakken dem Barbaren. "Such dir'n Plätzchen, ich bring' dir, was du brauchst."

Barn grunzte und setzte sich auf die nächste Bank. Ein verwachsenes Monstrum von Mann fauchte ihn kurz an, dann erhob es sich schwerfällig und verschwand in der Finsternis. Barn runzelte die Stirn. Hier gefiel es ihm nicht.

Drakken kam zurück.

"So, da haben wir den Spieß für dich. Der Spieß is' eine Waffe der vierten Klasse, also neben Stab und Fäusten alles, was dir der Kodex als Anfänger erlaubt." Der Trainer drückte dem Nordmann einen dicken, schweren Stab aus Muggahholz in die Hand, an dessen oberem Ende eine zweischneidige Spitze von der Länge und Form eines Kurzschwertes befestigt war. Dann packte er das kantige Kinn des Barbaren und drehte es so, dass Barn direkt in sein Auge sehen musste. "Jetz' hör mir sehr gut zu, Kleiner: Das is' kein Speer zum Werfen, sondern eher eine Verlängerung für deine Arme, damit du dir das Viech vom Leib halten kannst. Stechen und Hauen kannste damit in etwa wie mit einem Schwert, Blocken wie mit einem Kampfstab. Aber er is' sehr schwer, der Speer, also langsam. Klar?"

Barn zuckte mit den Schultern. Meister Drakken rollte sein Auge.

"Wie du meinst, Kleiner!" meinte er gleichmütig. Dann ließ er den Barbaren los und trat einen Schritt zurück. "Ein Problem ham wir jetz' noch: Deine Klamotten. Da drin siehst du aus wie irgendwas, das letzten Monat in der Wüste gestorben is'.“

Drakken versuchte sich wieder an einem Grinsen.

„Ich persönlich find' das völlig in Ordnung. Die Leute draußen aber wollen Muskeln, Schweiß un' Blut sehen. Also sagt der Kodex, dass du was anderes anziehen musst. Vor allem weniger."

Barn blickte an sich hinunter und grunzte. Was hatten die Burschen hier nur gegen seine schönen Felle?

Dann jedoch sah er, was der grauhaarige Mann ihm gebracht hatte: Einen blitzenden Panzer für den rechten Arm, komplett mit Handschuh und Schulterplatte, dazu einen Lederschurz mit passendem, nietenbeschlagenem Gürtel. Außerdem gab es noch hohe Stulpenstiefel mit Sporen und Stahlkappen sowie ein braunes Stirnband.

"Hoho!" machte der Barbar angesichts dieser Pracht. Wenn er das den Kumpels daheim in Täppenwinkel zeigen könnte!

Schneller als eine Tempeltänzerin zog er sich aus.

 

*

 

"Jetzt gilt's, Kleiner!" raunte Meister Drakken, und seine Stimme klang ungewohnt weich. "Wir haben dir Essen gegeben, wir haben dir eine Waffe gegeben, du trägst das Stirnband, wir haben dich eingeölt - jetzt tu etwas für uns. Wenn das Tor aufgeht, gehst du durch bis zur Holzwand. Da sin' dann Leute, die dir sagen, wo du hinsollst. Un' dann - lass dich nich' vom Lärm stören. Guck überhaupt nich' hoch zum Publikum. Warte einfach ab, bis das Viech kommt. Und dann... kämpfe."

Nach dem Umkleiden hatte der Trainer Barn über eine lange Treppe zu einer langen, düsteren Halle geführt, an deren Ende ein riesiges Tor lag. Ganz schwach, wie Stimmen aus dem Totenreich, drang Geschrei durch diese Ehrfurcht gebietende Barriere aus Holz und Schmiedeeisen, deren Beschläge zahlreiche Szenen von Triumph und Tod auf drastische Weise zeigten.

Der Barbar brummte leise. Er verstand, dass er jetzt durch dieses Tor gehen musste, um zu kämpfen, als Bezahlung für das Essen, das Bier und das Bett, das er bekommen hatte. Er wusste nicht genau, ob ihm das gefiel.

Doch er war ein Nordmann! Besser war es, im Kampf zu fallen, als zu verhungern und zu verdursten, bei Gruunz!

Er packte den schweren Spieß mit der Linken, mit der er sonst sein Schwert führte, und versuchte ein paar Drehungen aus dem Gelenk. Er hätte genauso gut mit einem Kessel kochender Suppe tanzen können - die Sache kam nicht in Schwung und tat sogar weh. Knurrend stellte er den Spieß wieder auf den Boden. Gruunz würde ihm Kraft geben, wenn es notwendig war!

Er sah sich um. Neben und hinter ihm standen Männer, ähnlich gerüstet wie er: Die Brust entblößt, mit Panzerhandschuhen, kurzen Lendenschurzen und Stiefeln. Alle trugen das braune Stirnband. Plötzlich ertönte eine Trompete. Die meisten Männer zuckten zusammen.

Nackte Sklaven huschten vorbei und stemmten sich gegen das gewaltige Tor, das sich schließlich mit entsetzlichem Knarren öffnete. Licht flutete herein. Nach der Dunkelheit der unterirdischen Gänge und Kammern so schmerzhaft wie geschmolzenes Metall in den Augen des Barbaren.

Barn erhielt einen Schlag auf die ungepanzerte linke Schulter.

"Auf!" knirschte Drakkens Steinstimme neben ihm. "Du bist der erste Kämpfer heute Abend! Zeig, was du wert bist! Ich seh' dich in der Arena!"

Langsam ging der Barbar auf den hellen Spalt zwischen den Torflügeln zu. Am Tor standen zwei Männer in schwerer Panzerrüstung und riefen "Los-los-los! Nicht so langsam, Frischfleisch!"

Dann war Barn hindurch, und der Abendhimmel über ihm war nach dem Tag in den Gewölben so hell, dass er geblendet stehen blieb. Orange und türkis war dieser Himmel, und längliche violette Wolken zogen darin wie schwer beladene Kauffahrer in ruhiger See.

"Verdammt! Los, komm hierher!" fluchte eine raue Stimme vor ihm. Barn blinzelte und sah vor sich eine hohe Bretterwand, an der weitere zwei Männer in dicken, stachelbewehrten Lederpanzern lehnten. Einer winkte ungeduldig. Sand stob unter Barns Füßen auf, als er auf den Mann zu lief.

"So. Bleib stehen", befahl der Mann. Er spähte jetzt durch die Ritzen zwischen den Brettern auf ein Geschehen jenseits der Wand. "Sie räumen noch die Bauern weg. Geh' jetzt zum Rand. Aber erst wenn ich 'Los!' rufe, läufst du um die Barrikade 'rum und gehst langsam zur Mitte. Da bleibst du stehen, bis der Sprecher den Kampf eröffnet. Der Gegner findet dich schon. Verstanden?"

Barn nickte, obwohl er überhaupt nichts verstanden hatte. Er wollte nur zurück auf seine Pritsche. Wenn er schnell genug wieder einschliefe, dann konnte er vielleicht in dem Traum von den Mädels da weitermachen, wo er vorhin hatte aufhören müssen.

"Bist neu, hm?" fragte der Gepanzerte neben ihm. Barn wusste nicht, was er dazu sagen sollte.

Der Mann grinste. "Ein Rat von mir, Neuer - wenn du stirbst, dann schrei laut. Richtig laut. Das gefällt den Leuten!"

Er lachte heiser.

Zwei Sklaven kamen von jenseits der Bretterwand. Sie trugen einen großen Weidenkorb zwischen sich. Der Korb triefte von Blut und hinterließ eine dunkelrote Spur im hellen Sand.

"Gubukh, Herr, wir sind fertig." rief einer der Sklaven. "Is' immer besser, wenn die Biester hungrig sind. Lassen dann weniger übrig!"

Der alte Mann schlug Barn auf die Schulter. "Na dann los, Junge! Ich seh' dich in der Arena!"

 

Der Barbar lief um die Wand und stand im vollen Licht der sinkenden Sonne. Lärm brandete wie eine Sturmflut über ihn herein. Ein Kreischen kam von allen Seiten, das in seiner Schrillheit ihm schier die Ohren zerreißen wollte.

Gegen den Ratschlag von Meister Drakken sah er sich um.

Vor ihm erstreckte sich eine ungeheure, kreisförmige Fläche aus hellem Sand. Dieser Sandboden war von einer hohen Steinmauer umgeben, vor der in regelmäßigen Abständen Holzwände errichtet waren wie die hinter ihm.

Über der Mauer, die vielleicht vier oder sogar fünf Mannshöhen aufragte, hoben sich scheinbar endlos Reihen über Reihen farbigen Gewimmels. Von dort oben kamen Geschrei, Paukenschläge und Trompetenklänge, dort wehten Banner und Bänder. Die Reihen schienen geradewegs in den Abendhimmel zu führen. Ganz oben, am Rand, brannten riesige Feuer und leckten mit ihren Flammen am Bauch des Himmels.

Nur langsam wurde dem Barbaren klar, dass das da oben Menschen waren, unglaublich viele Menschen. Und sie alle sahen auf ihn herab.

Barn starrte fassungslos auf die Massen, die sich wie Ameisen auf den Rängen drängten. Nie hatte er so viele Menschen an einem Ort gesehen. Die obersten Reihen waren soweit von ihm entfernt, dass er sie nur noch als flimmernde Farbflecke sah.

Er verspürte so etwas wie ein Schwindelgefühl.

Damals bei der Burschweih in Täppenwinkel hatte er es geliebt, als beim Armdrücken gegen Fallburz den Fauler das ganze Dorf zugesehen hatte.

Aber das hier war ganz anders.

Er fühlte sich wie das einzige Fleischstück in einer riesigen Suppenschüssel, umgeben von hunderttausend hungrigen Wahnsinnigen - eine grelle, wogende Masse, eine brüllend bunte See, die sich bereit machte, ihn zu verschlingen.

 Er senkte den Kopf und biss sich auf die Unterlippe. Was immer auf ihn wartete, er würde diesen ganzen Leuten zeigen, was ein Nordmann wert war!

 

Die Fanfaren schmetterten einen letzten Dreiklang, und das dumpfe Pochen der Pauken verstummte. Mit betäubender Plötzlichkeit endete auch das Lärmen der Masse.

Eine einzige Stimme füllte das riesige Rund der Arena, als wäre sie ein Organ göttlicher Macht.

"Geliebtes Publikum! Volk von Dungg! Ehrwürdiger, gottgleicher Monarch, Schenker der ewigen Spiele! Ein neuer, fabelhafter Abend voller Wunder und Kraft bricht für uns an! Die besten Kämpfer des Erdkreises werden gegeneinander und gegen die grausamsten Bestien dieser Welt antreten! Unvorstellbarer Ruhm wartet auf die Sieger!"

Eine kurze Pause.

"Aber für die, die es nicht wert sind, das Volk von Dungg zu unterhalten, gibt es nur ein Ende voll Blut und Schmerzen!"

Das ekstatische Kreischen, das sich nach diesen Worten erhob, hätte einen geringeren Mann dazu gebracht, sich zu Boden zu werfen und im Sand zu vergraben. Aber Barn biss nur fester in seine Lippe.

Den metallischen Geschmack seines eigenen Blutes im Mund, sah er sich um, um den Ursprung der gewaltigen Stimme zu finden.

Dort, hinter ihm, war der prachtvollste Teil des gewaltigen Gebäudes: hohe Mauern trennten diesen Bereich vom Rest der Arena. Goldene Statuen – Abbilder von gewaltigen Muskelprotzen und üppigen Liebesgöttinnen -  säumten die Ränder, und schwer bewaffnete Soldaten patrouillierten auf der Mauerkrone.

Ganz unten befand sich, verschwenderisch eingehüllt in Bahnen fließenden weißen und goldenen Stoffes, ein Balkon, auf dem ein einzelner Mann hinter einer komplizierten Apparatur aus Röhren und Trichtern stand. Von ihm kam die gewaltige Stimme.

"Eben haben sie, verehrtes Publikum, zur Eröffnung unseres heutigen und wie immer einmaligen Programms die Bauern des Dorfes Leer aus den südlichen Bergen gesehen. Statt ihre Steuern und Abgaben zu entrichten, haben sie tapfer den Weg in die Öffentlichkeit gewagt und sich dem strengen Urteil der Bestien unterworfen. Einen Applaus für die braven Bauern!" Ein fröhliches Pfeifkonzert ertönte, das jeden Orkan beschämt hätte.

"Heißen wir nun willkommen den ersten Kämpfer des Abends, einen jungen Mann, der aus ferner Fremde zu uns gekommen ist, um für uns in unserer geliebten Arena zu kämpfen! Er steht dort unten voll Demut, in Erwartung des Urteils der Zuschauer!"

Das Pfeifen verstärkte sich und wurde durch rhythmisches Rufen ergänzt. Es klang nach "Tod! Tod! Tod!"

Doch die Stimme des Sprechers durchschnitt den Lärm wie ein Schwert. "Gegen ihn wird kämpfen... Lonzo der Löffe! Lonzo, eine unbesiegte, blutgierige Bestie aus den Zuchtkäfigen des bekannten Tiermeisters Servil Kronk, hat seit drei Tagen kein Fressen bekommen! Und das macht ihn wütend! Sehr wütend! Und wir alle wissen, was ein hungriger und wütender Löffe aus einem Menschen machen kann! Blut und Därme zur höheren Ehre unserer geliebten Arena und des gottgleichen Königs Dunggur!"

Ein ungeheurer Jubel erhob sich.

Die Trompeten bliesen ein lang gezogenes Signal. Direkt gegenüber dem Barbaren öffnete sich ein Tor.

Die Trompeten ertönten noch einmal. Der dunkle Bogen blieb leer. Doch dann kam ein Schrei von dort, so mächtig und hallend, dass Barn ihn zunächst für ein weiteres Hornsignal hielt. Ein gestreckter Schatten folgte dem Schrei in die Arena. Sein Gebrüll wurde von der Menge auf den Rängen begeistert erwidert.

Barn kniff die Augen zusammen. Ein gewaltiges Tier stand dort am gegenüberliegenden Ende der Arena, vielleicht dreihundert Schritte von ihm entfernt. Ein langer, keilförmiger Schädel mit löffelförmigen Ohren pendelte suchend am Ende eines kurzen Halses über einem muskulösen Leib mit kräftigen Hinterbeinen.

Das war der Schrecken der Savannen des sonnenverbrannten Südens, die blutgierige Bestie des Buschwerks: Ein Löffe.

Der Nordmann musste schlucken, um weiterhin Luft zu bekommen. Damit hatte er nicht gerechnet. Sollte er hier wirklich sterben? Seine sehnigen Fäuste fassten den Spieß fester. Ihm war sehr unwohl.

In seiner eisigen Heimat hatte Barn nur einmal gegen den gigantischen Räuber des Berglands, den schrecklichen Schneebären, gekämpft und war knapp mit dem Leben davongekommen. Und die Bestie hier wirkte noch größer als ein Schneebär, und der derbe Spieß in seinen Händen war gewiss nicht der perfekt ausbalancierte Windmacher.

Neues Gebrüll verkündete, dass Lonzo den Barbaren entdeckt hatte. Mit weiten, ruckartigen Sprüngen kam die Bestie auf ihn zu. Tausend Pfund Muskeln und Sehnen, Zähne und Klauen ließen den Sand erbeben.

Barn nahm den schweren Spieß in beide Hände, den gepanzerten rechten Arm mit dem stachelgespickten Ellenbogen dem Löffen entgegen gereckt, den bloßen linken Arm stoßbereit gegen die Rippen gepresst. Seine muskulösen Schenkel stemmten sich breitbeinig in den Sand. Die rissigen Lippen murmelten unentwegt Flüche.

Vielleicht zehn Schritte vor dem Barbaren kam das Raubtier zum Stillstand. Der lange Kopf zuckte hin und her, und die kleinen, nachtschwarzen Augen zwinkerten auf der Suche nach der besten Angriffsposition. In diesem unheimlichen, ruhigen Moment vor dem Angriff stiegen alte Erinnerungen im Nordmann auf. Er dachte an den alten Schlukker Erbrecht aus Täppenwinkel. Der hatte einmal behauptet, dass man einen Löffen mit einem Finger töten könne, wenn man wüsste, wie es geht. Aber Schlukker hatte es natürlich vergessen.

Barn grunzte. Die Bestie sah ohnehin so aus, als müsste der Finger, der sie tötete, mindestens fünf Fuß lang und aus geschliffenem Stahl sein. Und sich an der Hand eines Kriegsgottes befinden.

Als der Löffe plötzlich sprang, waren seine Bewegungen so schnell, dass selbst die Augen des Barbaren kaum folgen konnten.

Der Nordmann riss den Spieß höher, doch die Waffe reagierte nur träge. Viel zu langsam schwang die Schneide dem Kampftier entgegen. Aber glücklicherweise hatte der Löffe Lonzo die Fähigkeiten des Barbaren weit überschätzt. Er war nicht direkt auf ihn gesprungen, sondern an ihm vorbei, um von hinten anzugreifen.

Barn fuhr herum. Wieder war der Spieß zu langsam. Der Löffe schlug mit seinen kräftigen Hinterbeinen aus, während der Barbar noch versuchte, die scharfe Spitze auf die Bestie zu richten.

Himmel und Erde tauschten plötzlich den Platz. Der Spieß wurde dem Barbaren aus der Hand gerissen.

Er schlug mit dem Gesicht zuerst auf, und der Schmerz und der Sand in seinem Mund erstickten seine Flüche.

Benommen zwinkerte der Barbar und sah, wie der Löffe erneut auf ihn zusprang. Ein weiterer Treffer der eisenharten Hinterbeine mit den messerscharfen Klauen würde den sicheren Tod bringen. Der Keilschädel mit den beiden dolchförmigen Schneidezähnen schien hämisch zu grinsen.

Dieses Grinsen gab dem Norländer neue Kraft - es erinnerte ihn so sehr an einen Feind aus der Jugendzeit, den Häuptlingsneffen Neidgurt, dass er wütend wurde. Er rollte Barn sich zur Seite. Ein Hinterlauf des Löffen schrammte an seinem Gesicht vorbei, das harte Fell riss ihm ein Ohr blutig. Dann griff er mit der gepanzerten Rechten blind nach der Bestie. Da er keine Waffe mehr hatte, musste er irgendwie auf den Rücken des Tiers kommen, dann seinen Kopf packen und ihm das Genick brechen. Es war seine letzte Chance. Seine eisenbekleideten Finger trafen etwas. Der Löffe stieß ein seltsames, abgehacktes Winseln aus. Instinktiv fasste der Barbar zu und drückte. Das Heulen des Löffen steigerte sich zu einem Gebrüll. Ein Ruck ging wie der Hieb einer glühenden Peitsche durch den Körper des Barbaren, als das Tier versuchte, durch einen Sprung dem Schmerz zu entkommen. Aber Barn ließ nicht los, selbst als die Bestie ihn im Galopp durch den Sand schleifte und die groben Körner ihm die Haut aufrissen.

Er war bereit, sich von diesem grässlichen Ungeheuer direkt nach Vollduunheim,  die Halle der toten Krieger, tragen zu lassen, wenn er es nur in den Tod mitnehmen konnte.

Doch plötzlich war alles vorbei. Der Löffe stieß einen letzten entsetzlichen Schrei aus und stürzte zu Boden wie ein gefällter Baum. Der Höllenritt war beendet. Mit dem Misstrauen des geborenen Barbaren blieb Barn noch eine Weile mit dem Gesicht im Dreck liegen, dann sprang er mit einem Kriegsruf jäh auf, beide Fäuste kampfbereit vorgereckt.

Keinen Schritt vor ihm lag Lonzo der Löffe auf dem Rücken. Blutiger Schaum rann ihm aus dem Maul, seine kleinen Augen waren so verdreht, dass man die gelblichen, dickgeäderten Augäpfel erkennen konnte. Wie zwei geborstene Masten eines gescheiterten Schiffes ragten seine gewaltigen Hinterfüße über dem kräftigen Leib auf, die viel kleineren Vorderpfoten lagen seitlich im Sand. Das Tier atmete nicht mehr. An seinem Hinterteil war eine tiefe, blutende Wunde.

Der Barbar brummte verblüfft. Dann sah er, dass der Panzerhandschuh an seiner Rechten etwas hielt: Einen dicken, wolligen Ball aus rot verschmiertem, weißen Fell. Er starrte das Ding eine Weile an, dann begriff er: Er hatte dem Löffen den Stummelschwanz abgerissen.

Er hob die Hand hoch über den Kopf und schwenkte triumphierend die blutige Trophäe.

Während der Jubel von den Rängen wie ein Gewitterhagel über ihn herein brach, spürte er, wie ihn die Kraft verließ. Alles drehte sich, er musste sich setzen. Man konnte kaum atmen in diesen verdammten, sandigen Wüstenländern! Wenn er hier raus kam, würde zurück nach Täppenwinkel gehen, bei Gruunz!

Aber jetzt brauchte er erst mal etwas Schlaf. Er streckte sich im Sand aus, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen.

 

"Großer, hast du dich zurichten lassen!" dröhnte eine raue Stimme. "Beinahe hätten die Abdecker dich statt des Löffen in die Gruben geschleift!"

Barn schlug die Augen auf. Er lag wieder in der angenehmen Dunkelheit und Kühle der Gewölbe unter der Arena, und über ihm grinsten die felsigen Gesichtszüge des Meisters Drakken wie ein lepröser Mond der Unterwelt. "Einen seltsamen Stil hast du, Großer, aber den Leuten scheint er gefallen zu haben. Man hat dich noch auf der Bahre dreimal um die Arena tragen müssen, so lange hat der Jubel gedauert!"

Neben Drakken erschien ein weiteres Gebirgsmassiv.

"Bist echt'n Kenner, wie, Großer?" Grunter grinste ebenfalls. Er schwenkte den blutigen Löffenschwanz in der Linken. "Das is' das Teil, an dem man den besten Löffen packen kann! Da sind die kitzliger als ein Sack Ratten! Un' noch besser, es is' das Stück, das bei den zähen Viechern am besten schmeckt! Leider könn' wir ihn nich' behalten, die Leute des Präsentors beanspruchen ihn für die königliche Tafel!"

"Eine verdammte Schande is' das!" knurrte Drakken und spuckte auf den Boden. "Zu meiner Zeit durfte ein Mann noch behalten, was er im ehrlichen Kampf gewonnen hat!"

Grunter grunzte. "Die Zeiten ham sich sehr verändert seit deiner Zeit, mein Alter. Un' nich' zum Guten. Aber jetz' müssen wir zusehen, wie wir diesen Kerl wieder so hinkriegen, dass er morgen Abend wieder antreten kann!"

 

*

 

Diesmal erwachte Barn ohne fremde Hilfe. Allerdings waren seine Träume auch nicht besonders angenehm gewesen. Er war von blutigen Löffen und brüllenden Menschenhorden verfolgt worden, die ihn mit beißendem Sand bewarfen. Er rieb sich den Kopf und grunzte.

Er stand auf. Sein Bett war für seine Ansprüche geradezu göttlich bequem gewesen: Es hatte einen mit Stroh gefüllten alten Sack als Unterlage. Natürlich trug er dadurch auch Wanzenbisse am Leib, aber das war er von Jugend auf gewohnt. Die in der Arena empfangenen Schürfwunden auf seiner Brust und an den Knien schmerzten mehr.

Er gähnte und streckte sich und kratzte die verfilzte blonde Mähne. Dabei witterte er den verlockenden Geruch von frisch gebratenem Fleisch.

Schnüffelnd trat er aus seiner Schlafkammer in einen Gang, wo eine einsame Fackel sich redlich mühte, mehr Qualm als Licht zu verbreiten. Von links kamen die deutlichen Geräusche kauender und schmatzender Männer, und von dort wehte auch der Bratendunst heran.

 

Barn ging weiter und gelangte in das Gewölbe von Grunters Küche. Dort saßen Männer an Tischen und bissen zornig in dicke Steaks, als wären es ihre schlimmsten Feinde.

Grunter war nirgendwo zu sehen, also blieb der Barbar zunächst neben dem Eingang stehen. Diesmal nahm er sich die Zeit, die Essenden genauer zu betrachten. Alle waren große, breitschultrige Kerle wie er selbst, aber ihre Gesichter waren bleich und narbig und wirkten müde, als hätten die Männer seit Jahren nicht mehr richtig geschlafen und wären überhaupt unglücklich mit ihrem Leben. Die meisten hatten struppige Bärte, die vorherrschende Haarfarbe war grau. Ihre Bewegungen waren langsam, ihre Mienen verbissen, und niemand sprach ein Wort oder wechselte auch nur einen Blick mit dem Nachbarn. Alle trugen das braune Stirnband.

Das deprimierte den Barbaren so sehr, dass er die nächste Bank ansteuern und sich setzen musste.

Sofort erschien ein mageres, langes Individuum und stellte eine große Holzplatte mit dampfendem Fleisch und einer Menge gebutterter Maiskolben auf den Tisch. Daneben setzte er einen schäumenden Humpen voller Bier ab. Der Nordmann wollte ihm ein Nicken schenken, aber als er den Kopf hob, um den Mann anzusehen, war dessen Gesicht nur eine Masse roter Narben mit zwei Augen wie ausgelaufene Eier darin. Es sah aus, wie von einem Raubtier durchgekaut und wieder ausgespuckt. Barn senkte hastig den Blick auf die Tischplatte und brummte etwas Entschuldigendes.

"Schon in Ordnung, Kumpel", schnarrte der Narbenmann. "Ich hab' gehört, du hast dieses Vieh Lonzo erledigt! Er war es, dem ich meine Schönheit verdanke. Du hast dein Bier verdient." Nach einem sachten Schlag auf die rechte Schulter des Barbaren verschwand er wieder in der Dunkelheit.

Mit wenig Appetit griff Barn nach dem ersten Fleischstück und betrachtete eine Weile den herauslaufenden rotbraunen Saft. Dann beschloss er, lieber doch mit dem Bier anzufangen. Als er den Humpen heben wollte, klatschte eine dicke, haarige Pranke neben ihm auf den Tisch.

"He, Frischfleisch, lass' mein Bier steh'n!" keuchte es heiser neben Barns Ohr, dass er den feuchten Atem auf der Wange spürte. Wütend sprang der Nordmann auf und drehte sich zu dem Sprecher um.

Zwischen fettigen Strähnen dunklen Haars funkelten zwei tückische Augen auf den Barbaren hinunter. Darunter brandete eine dicke, mehrfach gebrochene Nase gegen die klebrige Lockenflut eines monströsen Vollbarts. Unter dem Bart der Mann nicht schöner. Zottige Wolfsfelle bedeckten einen Leib von Größe und Umfang eines Bierfasses und hingen herunter auf kurze, knollige Beine, die in den größten Fußsäcken verschwanden, die Barn je gesehen hatte. Die Oberarme waren so dick und fleischig, als wüchsen zwei Mastschweine aus den knorrigen Kugeln der Schultern. Und schon ein Unterarm hätte als Stützpfeiler eines Hünengrabes völlig ausgereicht.

Dies alles bildete zusammen einen Mann, der fast zwei Köpfe größer war als Barn; und sicherlich dreimal so breit. Vor allem in den Hüften.

"Na, Frischfleisch, du kenns' mich noch nich'. Ich bin der, dem du die Hälfte von deim' Essen un' dein ganzes Bier gibst." Die Pranke grabschte nach dem Humpen und hob ihn an. Das Bier verschwand gurgelnd in einem unbeschreiblichen Schlund jenseits der Schlingen des Bartes. Barn starrte fassungslos, bis der Riese den Humpen fallenließ und entsetzlich rülpste. "Mein Name is' Fart, un' jeder hier unten hört auf mich - oder er hört nie wieder was, klar?"

Barn kniff nur die Augen zusammen und knurrte leise. Dieser Mann hatte etwas getan, was selbst Flabbergasst, der Fürst der Dämonen, nie gewagt hätte: Er hatte das Bier eines Nordmannes ausgetrunken!

Er packte den Tisch, und als der nicht gleich nachgeben wollte, weil er im Boden festgeschraubt war, brüllte er wie ein wildes Tier, bis er das schwere Möbelstück hochgerissen hatte. Dann rammte er es dem Riesen mit aller Wucht in den Bauch. Fart kreischte wie eine Katze und ging zu Boden. Doch damit war der Nordmann noch nicht zufrieden. Er prügelte mit dem Tisch so lange auf den Riesen ein, bis die dicke Platte zertrümmert war. Erst dann ließ er sich mit einem zufriedenen Grunzen auf den nächsten Hocker fallen und sah sich um.

Ein paar Männer waren aufgestanden und funkelten ihn über geballten Fäusten an, aber keiner wagte es, sich zu nähern. Barn grinste.

"Ho, Wirt!" brüllte er. "Ich brauch' nochmal Fleisch un' Bier! Über mein' Tisch is' einer gestolpert un' hat alles umgekippt!"

Im Laufschritt, die großen Hände an der blutigen Schürze abwischend, kam Grunter aus der Küche gestürzt. Er betrachtete den zerschmetterten Tisch mit gerunzelter Stirn, und als er den reglosen Fart am Boden sah, weiteten sich seine Augen ein wenig. Dann wandte er sich Barn zu.

"Hat wohl dein Bier ausgetrunken, der da?" fragte er.

Der Barbar nickte nur.

Grunter nickte ebenfalls.

"Was mich angeht, is' das in Ordnung, Großer. Aber Fart hat hier noch'n paar gute Kumpels. Un' denen wird gar nich' gefallen, was du mit ihrem Boss gemacht hast."

 

Während Barn aß, sammelten sich fünf Männer um Fart und schleiften den Riesen schließlich mit viel Fluchen und Prusten aus der Küche. Bevor sie jedoch in der Dunkelheit verschwanden, drehte sich einer, ein kleiner, rattengesichtiger Kerl, noch einmal um und zischte: "Wir seh'n uns in der Arena, Süßer!"

"Ich sehe, du bist schon dabei, Freunde zu machen, Großer!" Meister Drakken erschien von irgendwoher und setzte sich dem Barbaren gegenüber. Sein Auge funkelte. Aber seine Stimme klang ernst. "Ab jetzt solltest du auf deinen Rücken achten."

Barn nickte kauend. Auf sein Bier würde er demnächst auch besser aufpassen, bei Gruunz!

Der Trainer schwieg eine Weile und betrachtete den Barbaren nachdenklich. Dann beugte er sich vor und senkte die Stimme.

"Es wird wohl Zeit, dass ich dir etwas über die Arena erzähle, Großer."

Barn nickte nochmal und versuchte dann, sich mit einem Schluck Bier die Fleischfasern aus den Zähnen zu spülen. Drakken begann zu reden.

"Die Arena, Großer, die Arena ist unsere Mutter. Sie ist das Herz dieses Landes, und es ist eine große Ehre, ihr dienen zu dürfen. Denk immer daran, wenn du raus gehst und die Leute deinen Tod wollen - du kämpfst für die Arena, nicht für den Pöbel. Wenn du für sie alles gibst, wird sie dir alles geben, was du brauchst."

Der Trainer schniefte.

"Ich finde, ich habe das sehr schön gesagt", brummte er.

Er hob einen Arm. "He, Grunter!" donnerte er. "Schick' mir Narbe mit einem Bier her. Ich halt' unserem Großen hier die Begrüßungsrede, da werd' ich immer durstig!"

Drakken schwieg, bis der Mann mit dem verstümmelten Gesicht einen Humpen vor ihn gestellt hatte. Dann hielt er das Gefäß dem Barbaren grüßend entgegen, setzte es an und leerte es in einem Zug.

"Ahhh!" keuchte er. "Das ist erfrischend wie das Blut des ersten selbst erlegten Snark! Ja, Großer, Mutter Arena sorgt gut für ihre Kinder - wenn die Kinder gut und stark sind! Ein schlechter und langweiliger Kämpfer - so einer wie Fart und seine Schwachköpfe - bleibt ewig hier unten und trägt sein braunes Stirnband, bis ihm irgendwann mal ein Vieh oder ein besserer Kämpfer die Därme rausreißt. Braun ist das Band, braun wie Dreck. Aber ein guter Kämpfer, einer, den das Publikum wiedererkennt, der kommt weiter! Der steigt auf, kriegt Weiber, Gold und schnelle Wagen und wird bewundert! Das alles ist im Kodex der Arena festgehalten, die Klassen, die Farben der Bänder, die Art der Kämpfe. Wir sind hier unten in der vierten Klasse, im Dreck, in den tiefsten Kellern. Aber jeder in der Arena ist frei, sich hoch zu kämpfen! In der dritten Klasse, das sind die blauen Bänder, da gibt es Betten ohne Läuse und alle Waffen außer der Axt! Die zweite, die rote Klasse hat Schlafräume über der Erde und sogar ein Bad, und in der ersten Klasse kannst du dir alles aussuchen: Die Waffen, die Rüstung, wann und gegen wen du kämpfst; wenn du willst sogar die Farbe des Sandes! Und dein Bild hängt überall, neben den Straßen, an den Häusern, in den Herzen der Menschen! Ha!"

Meister Drakken senkte plötzlich den Kopf und schwieg.

"Aber es ist ein harter Weg dorthin." fuhr er nach einer Weile sehr leise fort. "Für einen Kämpfer und seinen Trainer. Und der Tod kommt schnell, überall. Und wenn nicht der Tod, dann kommt das Alter..."

Das eine Auge des Trainers starrte eine lange Zeit in die Leere seines Bierhumpens. Dann hob Drakken den Kopf wieder und schlug mit einer riesigen Faust auf den Tisch, dass das Holz dröhnte.

"Also, Großer, das war's! Komm' jetzt mit, wir geh'n in den Waffensaal, und du bekommst deinen ersten Unterricht von mir, Drakken Beilstein, der von zehn Dutzend Kämpfen nur einen verlor!"

 

*

 

Der Trainer senkte das Schwert, wischte sich die Stirn und starrte dem grinsenden Barbaren schwer atmend ins Gesicht.

"Tausend Teufel! Verdammt!" keuchte der alte Mann. "Wo hast du so kämpfen gelernt?"

Barn zuckte mit den breiten Schultern. Gelernt hatte er gar nichts. Er hatte einfach immer nur schneller zugeschlagen, als sein jeweiliger Gegner. Das war alles.

Meister Drakken stellte das Schwert zurück in ein hölzernes Gestell und setzte sich auf eine lange Bank, die an einer Seite der kleinen, von vier runden Oberlichtern erhellten Halle stand, in der er und der Nordmann gegeneinander gefochten hatten. Mit der Hand bedeutete er Barn, sich neben ihn zu setzen.

"Du bist gut mit dem Schwert", begann Drakken, als der Barbar sich neben ihn gesetzt hatte. "Aber du bist zu wild. Und, wie ich gestern gesehen habe, hast du zu wenig Erfahrung mit anderen Waffen. Das müssen wir ändern. Doch nicht mehr heute."

Der grauhaarige Trainer kniff die Augen zusammen und starrte hinauf zu den Fenstern. Der Himmel darüber begann sich bereits zu röten.

"In einer Stunde beginnt dein nächster Kampf. Ich weiß nicht, gegen wen oder was. Aber sieh zu, dass du ihn überlebst!"

 

*

 

Wieder stand Barn in einem knappen, aber knallbunten Lederschurz, dicken Stiefeln und einem Armpanzer im Schatten einer Holzwand, bereit, hinaus in den Sand und unter die Myriaden Augen der Zuschauer zu treten. Aber diesmal hielt er als Waffe sein eigenes Schwert, den alten, guten 'Windmacher', in der linken Faust. Er grinste. So machte es fast Spaß, für sein Essen zu arbeiten! Drakken hatte ihm die Klinge irgendwie beschafft und sie ihm mit einem Schulterschlag in die Hand gedrückt.

"Großer, es is' ein Verstoß gegen den Kodex, was ich mache - aber mit deinen Gegnern is' auch nix korrekt gelaufen. Fart hat bessere Beziehungen nach oben, als ich gedacht habe. Aber mach' dir keinen Kopf. Wir seh'n uns in der Arena." hatte er gesagt, und sein entsetzliches Steingesicht hatte sich zu einem Ausdruck verzogen, den ein empfindsamerer Beobachter als der Barbar vielleicht als Wut, gepaart mit Sorge, erkannt hätte. Aber wahrscheinlicher war, dass ein empfindsamerer Beobachter einfach zu Tode erschrocken wäre.

 

"Jetz' geht's los Junge!" rief die heisere Stimme eines Arena-Soldaten neben Barn. "Wir seh'n uns in der Arena!"

Der Barbar lief an zwei Männern mit einem bluttriefenden Korb voller Bauernschädel vorbei in das Licht der sinkenden Sonne. Als die Holzwand zwanzig Schritte hinter ihm lag, blieb er stehen. Er blinzelte. Das Tor, aus dem am Vortag Lonzo der Löffe gekommen war, blieb heute geschlossen.

Über ihm schmetterten die Trompeten ihr blechernes Lied. Dann erhob sich wieder die Stimme des Sprechers, der König und Publikum willkommen hieß und darüber informierte, dass die Bauern des heutigen Vorprogramms aus dem Dorf Barf im sonnigen Süden des Landes gekommen waren.

"Und jetzt", fuhr die donnernde Stimme fort. "Sehen wir als ersten Kämpfer des Abends wieder den jungen, blonden Krieger, der uns schon gestern mit seinem wilden Löffenritt so gut zu unterhalten wusste! Heute hat er sich eine wesentlich schwerere Aufgabe gesucht: Er will Fart den Fleischhauer und seine Kumpane besiegen, und zwar alle zusammen und auf einmal! Bewaffnet ist er diesmal mit einem Schwert und einem Armpanzer mit Ellbogenstacheln! Das Öl an seinem Körper stammt von den erstklassigen, kalt gepressten Oliven von Kaufmann Olaf Oeliz, der auch den Sand bezahlt hat. Applaus für Olaf, Applaus für unseren jungen Krieger! Blut und Därme zur höheren Ehre unserer geliebten Arena und des gottgleichen Königs Dunggur!"

Der Lärm der Menge stürzte auf den Barbaren nieder wie ein Schwarm von Geiern. Aber diesmal ließ Barn sich nicht einschüchtern. Er streckte der johlenden und lachenden Horde auf den Rängen stolz sein Schwert entgegen und brüllte: "Für Bier un' Braten, bei Gruunz!"

Doch dann senkte er Windmacher schnell, denn von drei Holzwänden kamen von links, rechts und vorne insgesamt sechs Männer auf ihn zu. Zwei von ihnen erkannte er sofort: Den kleinen Kerl mit der Rattenfresse und den humpelnden, fetten Fart, der sein Bier gesoffen hatte. Die anderen ähnelten einander wie Brüder, vier breite Schränke mit stumpfen Augen, zerschlagenen Gesichtern und grauen Haaren.

Alle sechs trugen Holzkeulen, die mit dicken Stahlnägeln gespickt waren. Sonst waren sie so nackt wie der Nordmann, was besonders bei Fart wenig attraktiv anzusehen war, denn dessen Bauch war mindestens so behaart wie der Wolfspelz, den er in den Gewölben getragen hatte, und er hing auch etwa so tief über seine Knie. Auch sonst war der gigantische Schläger ein übler Anblick, braune und blaue Blutergüsse und blutige Striemen zeigten an seinem ganzen Körper, welch gründliche Arbeit Barn mit dem Tisch geleistet hatte. Schon das Gehen bereitete Fart eindeutig Schmerzen. Aber er hielt sich aufrecht und erteilte mit schnellen Gesten Befehle.

Wüst schreiend stürmten die vier Brüder von rechts und links auf den Barbaren zu.

Barn wartete ruhig ab, denn er hatte viel Erfahrung im Umgang mit Männern mit Keulen; für mindestens die Hälfte der Straßenräuber, die ihm auf seinen Wegen aufgelauert hatten, war das die Standardwaffe gewesen.

Und keiner von ihnen hatte irgendetwas von dem Barbaren bekommen außer großen Ärger.

Langsam ging er seitwärts, bis die ersten zwei Schläger vielleicht noch zwei Handvoll Schritte entfernt waren. Dann stürmte er plötzlich schwertschwenkend und grässlich brüllend voran. Mit einem gigantischen Sprung erreichte er die beiden grauen Brüder und schwang Windmacher einmal vor und einmal zurück. Zwei Keulen und zwei Köpfe fielen mit dumpfem Klang in den Sand; gefolgt von den Körpern, die erst etwas später bemerkten, dass sich das Weiterlaufen nicht mehr lohnte.

Die übrigen vier Schurken blieben abrupt stehen. Barn blieb ebenfalls stehen und machte verblüfft "Ho!". Er hatte nicht gedacht, dass dieser uralte Trick, auf den im Hochnorland nicht mal die Schneehasen reinfielen, hier so perfekt funktionieren würde.

Das Publikum jubelte. Die zwei anderen Brüder gingen ein paar Schritte rückwärts und schauten sich dann unsicher nach ihrem Anführer um.

"Greift an, Fotter un' Fnart! Verflucht!" heiserte Fart von weit hinten. "Er is' allein, un' er is' nur Frischfleisch! Bei Fnagg un' Fenn hatter halt Glück gehabt! Jetz' holt ihn euch endlich! Oder soll ich wieder alles selbst machen?"

Fotter und Fnart starrten abwechselnd ihren Boss und den Barbaren an. Man konnte in ihren einfachen Gesichtern lesen, dass sie überlegten, wer von beiden am Ende gefährlicher war - und dass ihnen die Entscheidung schwer fiel.

Der Nordmann, selbst kein Freund langen Denkens, nahm ihnen den Entschluss ab. Er löste sich aus seiner Erstarrung und sprang schnell wie ein stürzender Stern zwischen sie - natürlich brüllend und schwertschwingend.

Als die Wolken aufgewirbelten Sandes sich senkten, waren von Barns Gegnern nur noch Fart und der Seemann übrig. Die Brüder Fotter und Fnart waren zwar unverletzt geblieben, hatten aber voll Panik die Flucht ergriffen und sich hinter den Holzverschlägen in Sicherheit gebracht. Die Zuschauer pfiffen ihnen hinterher.

Schwer atmend riss der Barbar beide Arme hoch in die Luft. Hoho, was war er für ein Kerl! Und hier konnten das viel mehr Leute sehen, als er bisher in seinem Leben getroffen hatte!

Er brüllte seinen Triumph hinauf zu den buntbevölkerten Sitzreihen. Langsam begann er dieses seltsame Gasthaus zu mögen, bei Gruunz!

Da explodierte ein scharfes weißes Licht in seinem Hinterkopf. Schmerzerfüllt grunzend taumelte er herum.

Zehn Schritte entfernt stand Rattengesicht und grinste mit braunen Zähnen. Seine Keule lag neben ihm im Sand; in der erhobenen rechten Hand schwenkte er das Lederband einer Steinschleuder.

Die Stimme des Sprechers mischte sich von oben ein. "Es scheint, geliebtes Publikum, das der Kampf vor unseren Augen etwas außer Kontrolle gerät!"

Das Publikum jubelte. Der Sprecher fuhr fort. "Fisk, der Adjutant des Fleischhauers, hat eine verbotene Waffe in die Arena geschmuggelt! Es ist eine Schleuder des bekannten Waffenmachers Hannek Priem! Mit den Prima-Qualitäts-Steinschleudern aus dem Hause Priem treffen sie das Auge einer Elster auf fünfzehn Schritt! Wie es scheint, hat unser blonder Fremder hier ein wirkliches Problem! Wir alle sind gespannt, ob er es lösen kann!"

Barn knurrte hinauf zu der geschmückten Tribüne und rieb sich den Hinterkopf. Dann rannte er, wie immer brüllend und schwertschwenkend, auf Fisk zu.

Fisk wartete, bis der Barbar ihn fast erreicht hatte, dann schwang er seine Schleuder erneut. Der Stein traf das linke Knie des Norländers wie der Biss eines wütenden Frettchens. Barn heulte auf und stolperte.

Windmacher fiel in den Sand.

Fart stieß ein dröhnendes Gelächter aus und humpelte mit hoch erhobener Keule vorwärts.

"Pack' ihn von hinten, Fisk!" rief er Rattengesicht zu.

Der Barbar biss die Zähne zusammen, griff nach seinem Schwert und versuchte aufzustehen. Das Knie pochte böse und wollte sein Gewicht nicht recht tragen. Fisk sprang auf ihn zu. Barn ließ seine Klinge blitzende Achten in der staubigen Luft beschreiben, doch der Seemann wich geschickt aus und lief an ihm vorbei. Als der Nordmann sich umdrehen wollte, knickte sein linkes Bein wieder ein. Fluchend ruderte Barn um sein Gleichgewicht. Da sprang ihm jemand in den Rücken. Ein fester Riemen legte sich um seinen Hals. Das magere Gesicht Fisks erschien neben Barns und grinste.

"Ne Schleuder is' nich' nur zum Schleudern gut, Süßer!" höhnte er. "Sie is' auch'n prima Halsband!"

Mit erstaunlicher Kraft zog der Seemann das Lederband zu und schnürte dem Barbaren fast die Luft ab. Barn keuchte und schlug mit den Stacheln am rechten Ellenbogen nach Fisk. Doch der kleine Mann war schnell und geschickt. Er wich elegant aus und zog die Schlinge um den Hals des Barbaren nur noch fester.

Und dann stand plötzlich der riesige, borstige Schatten des Fleischhauers Fart zwischen dem Nordmann und der untergehenden Sonne.

"Du hast 'ne Menge Zeug in dei'm Bauch, das eigentlich mir gehört!" knarrte der Schläger. "Un' das werd' ich jetz' aus dir 'rausprügeln!"

Mit diesen Worten drosch er dem Barbaren eine seiner kalbskopfgroßen Fäuste in den Bauch.

Was dann geschah, hatte wohl niemand erwartet, und es geschah auch so schnell, dass die gierig brüllende Meute auf den Rängen nur die Hälfte davon mitbekam.

Barn klappte unter dem mit vernichtender Kraft geführten Schlag zusammen wie das Maul eines Karpfens in der Wüste. Fisk, der die Enden des Schleuderriemens um die Handflächen gewickelt hatte, wurde durch die Bewegung von den krummen Beinen gerissen und in einem exakten Bogen über den Kopf des Barbaren geschleudert. Seine harte Stirn traf die Stirn seines Chefs genau oberhalb der Nasenwurzel. Der stieß einen gurgelnden Laut aus, verdrehte die Augen und verlor das Bewusstsein. Wie ein bleigefüllter Sack schlug er im Sand auf. Fisk rutschte zur Seite, fiel mit dem Brustkorb direkt in die handspannenlangen Stacheln der Keule des gestürzten Fart und verlor mehr als nur das Bewusstsein.

 

Als Barn der Barbar nach einer langen Zeit des Würgens und Keuchens schwankend aufstand, verblühte gerade das letzte Licht der Sonne. Der Barbar blinzelte. Vor ihm lagen der fette Bierdieb und das Rattengesicht im Sand. Der Seemann rührte sich nicht mehr. Aus seinem Rücken ragten drei hässliche Metallspitzen, also war es wohl besser für ihn, tot zu sein.

Doch Fart stöhnte und blinzelte und stemmte sich mit seinen gewaltigen Armen hoch. Sein Gesicht hob sich zum Nordmann, und ein einzelner Lichtsplitter der untergehenden Sonne fing sich in seinen Augen wie Fackelschein in einem rotgoldenen Spiegel. Plötzlich lächelte er.

"O holde Maid, hast du heut' für mich Zeit?" flötete er so lieblich, wie es seine ledrigen Stimmbänder zuließen.

"Ho-ja-ho-ja-hoo!" fügte er noch hinzu, dann brach er endgültig zusammen.

Barn starrte irritiert auf die ganze Szene. Ihm war hundeelend, und zu Späßen solcher Art fühlte er sich nicht aufgelegt. Eigentlich fühlte er sich zu überhaupt nichts aufgelegt, denn alles, was er hatte geben können, lag um ihn im Sand, einschließlich seines Mageninhalts.

Als sich nach einer Weile die Abdecker hinter den Holzwänden hervor wagten, um die Toten zu entfernen, ließ er sich widerspruchslos zurück in die Keller unter Arena führen.

 

*

 

Mürrisch, mit einem Gefühl, als wäre sein Bauch eine schimmlige Tomate, kauerte Barn auf seinem Hocker und starrte auf den Tisch.

Dort prunkte zwischen zwei zischenden Kerzen aus Kalbstalg die gewaltige gekochte Leiche eines bleichen Fisches auf einer Holzplatte. Ein breit strahlender Grunter hatte dem Barbaren die Mahlzeit mit sichtlichem Stolz vorgesetzt.

"Das ist ein Grottengruul, ein äußerst kostbarer Fisch, den es nur in einer Kaverne unter der Arena gibt. Er ist außerordentlich schwer zu fangen, denn er ist blind und kann die Köder nicht sehen", hatte der Koch erklärt. "Noch schwieriger aber ist es, ihn richtig zuzubereiten. Nur wenige wissen, wie man ihn kochen muss, damit sein tödliches Gift ausdunstet. Und selbst dann schmeckt er noch grauenvoll, wenn man ihn nicht gleich nach dem Fangen auf spezielle Weise verprügelt hat. Ich schmeichle mir, als einziger Koch auf der Welt die Zubereitung des Grottengruuls perfekt zu beherrschen. Nun iss, mein Großer, ich habe es speziell für dich gemacht, zur Feier deines Aufstiegs in die nächste Klasse!"

Barn grunzte und stocherte unlustig mit dem Dolch im Fisch herum. Dessen Fleisch war so bleich wie eine Wasserleiche, und sein Geruch machte den Vergleich leider nicht abwegiger. Als der Barbar sich mit dem Mut des geborenen Kämpfers endlich doch auf einen Bissen einließ, schmeckte der Grottengruul überraschenderweise eher holzig, trocken und staubig, wie ein Dachboden voll alter Spinnweben.

Er würgte das Fischstück herunter, dann griff er hastig zum Becher neben dem Teller und leerte ihn mit einem Zug.

"Bei Gruunz!" konnte er noch keuchen; dann blieb ihm die Luft weg. Eine riesige Hand schien seine Eingeweide mit glühenden Fingern zusammen zu ziehen. Erst ein gewaltiger Schlag von Drakken Beilstein auf die Schultern brachte ihn zurück in die Welt der Atmenden.

"Großer, Großer!" lachte der Trainer heiser. "Verträgste nich mal Eierlikör?"

Der Schnaps, eine trübe, dicke Flüssigkeit, war Drakkens Geschenk zu Barns Ernennung zum 'Kämpfer Dritter Klasse'. Die Auseinandersetzung des Barbaren mit Fart und seinen Leuten hatte das Publikum so amüsiert, dass es nach dem Kampf lautstark die Beförderung des Nordmannes gefordert hatte, und ein parfümierter Bote mit spitzer Nase hatte dem immer noch halb bewusstlosen Barn schon eine Stunde später ein entsprechendes Schriftstück mit königlichem Siegel überreicht.

Natürlich hatte der Mann aus dem hohen Norden mit dem mit 'Schrift' überladenen Pergament aus Eselshaut nicht viel anzufangen gewusst, aber der Trainer hatte nach längerer Suche eine alte Frau auftreiben können, die normalerweise Eintrittskarten an die Besucher der Arena verkaufte. In schwerfälligem Ton hatte sie die Ernennung verlesen. Der daraufhin aufbrandende Jubel in Grunters Küche hatte dem Barbaren so sehr im Schädel geschmerzt, dass er sich übergeben hatte.

 

Drakken Beilsteins gesundes Auge blitzte, als er dem Barbaren nach beendetem 'Festmahl' kräftig zwischen die Schultern schlug.

"Un' nu', Großer", dröhnte er mit schwerer Stimme, denn er hatte ebenfalls kräftig dem Schimmelwein zugesprochen. "Un' nu' ham wir noch'n Geschenk von den Kämpfern hier unten! Die sin' alle sehr froh, dass du ihn' endlich Fart un' seine Drecksäcke vom Leib geschafft hast! Sie ham alle zusammengelegt für dein Geschenk! Hier kommt es!"

Ein großer, stämmiger Kämpfer mit kahl rasiertem Schädel und einem unverschämten Grinsen im Gesicht schob eine hölzerne Sackkarre mit einem unförmigen Paket darauf in die Küche. Er stellte das Paket sachte auf den Boden und verschwand immer noch grinsend wieder in der Dunkelheit.

"Jetz' musst du es aufmachen, Großer!" rief Drakken. "Fass' den Zipfel un' zieh kräftig!"

Barn stand schwankend auf und stellte sich vor das Paket, das ihm bis kurz unter den Hals reichte. Nach mehreren Versuchen schaffte er es, ein auffällig abstehendes Stück Stoff zu greifen. Er zog daran, wie er ein Schwert gezogen hätte. Das Paket kicherte und begann sich zu drehen. Der Stoff wickelte sich in breiten Bändern ab. Wie ein Schleier glitt er auf die schmutzigen Fliesen.

Dann war der Inhalt vollständig entblößt.

Barns blaue Augen weiteten sich. Sein schwerer Unterkiefer klappte herab. Aller Missmut und aller Schmerz in seiner Brust lösten sich spontan auf und machten einer unbegrenzten, triebhaften Begeisterung Platz.

Was er da ausgepackt hatte, war... ein Mädel! Ein nacktes Mädel! Und was für ein Mädel!

Ein Mädel mit einem Körper, rund und braun und glänzend wie ein frisch gebackenes Brot, mit Brüsten, voll und keck wie das Lächeln einer Liebesgöttin, gelockten Haaren von der Farbe gerösteter Maronen und einem lachenden Gesicht mit Augen grün wie das verwunschene Herz des Waldes!

"Na, Großer?" grinste der Trainer. "Das is' dein Herzblatt für heute! Du kanns' die Kleine mit 'raufnehmen in dein neues Bett oben in der dritten Klasse!"

 

*

 

Barn fuhr aus dem Schlaf und zitterte am ganzen Körper. Auf seiner Stirn stand kalter Schweiß. Er hatte einen Alptraum gehabt, der so entsetzlich gewesen war, dass er ihn bereits vollständig vergessen hatte.

Der Grund dafür war einfach: Das Bett war zu bequem, die völlig ungewohnte Weichheit und Sauberkeit der Decken machte den Instinkt des Kriegers ganz krank vor Misstrauen. Soviel Gutes konnte seiner Meinung nach nur abgrundtief schlecht enden. Deshalb schickte er seinem Besitzer schlechte Träume als Warnsignal.

Mit einem Fluch sprang der Barbar auf und tastete nach seinem Schwert. Er fand neben sich jedoch nur die festen, warmen Formen von Bekka, der jungen Tänzerin aus dem Vorabendprogramm. Das Betasten des gutgebauten Mädels beruhigte den Nordmann schnell und lenkte seine Gedanken auf andere Bahnen, die zwar auch aufregend waren, aber auch viel angenehmer. Bekka stöhnte leise im Schlaf, denn sie hatte als Barns Geschenk bereits eine recht aufregende Zeit verbracht. Doch die großen Hände des Barbaren, im Liebesspiel fast so erfahren wie im Umgang mit dem Schwert, weckten sie schließlich.

 

*

 

Als der Nordmann das nächste Mal erwachte, fiel bleiches Licht durch ein kleines Fenster in sein neues Zimmer. Der Platz neben ihm war kalt und leer. Das Mädel war gegangen. Barn grunzte. Das war ganz in Ordnung so, ihm fielen am Morgen danach ohnehin nie die richtigen Worte ein.

Er gähnte, streckte sich und schob die weiche Wolldecke beiseite. Ächzend senkte er die Beine zu Boden und stand auf. Während er sich ausgiebig kratzte, sah er sich um.

Seine Kammer war winzig, sie bot gerade einmal Platz für das Bett und einen kleinen, dreibeinigen Schemel, der entschieden bessere Tage gesehen hatte. Auf dem Schemel lag sein bunt bemalter Lederschurz, darunter standen die Stiefel und stanken sauer nach schweißigen Füßen.

Die Wände des Raumes waren gekalkt und vor gar nicht allzu langer Zeit wohl wirklich weiß gewesen. Und dann gab es da dieses Fenster. Eigentlich war es gar kein richtiges Fenster, vielmehr ein winziges, kreisförmiges Loch hoch oben unter der gewölbten Decke, aber es ließ eindeutig Tageslicht herein.

Barn studierte die auffälligen Verbesserungen in seiner Unterbringung mit Misstrauen: Er wusste, dass Wirte für weiße Wände, Wolldecken und Tageslicht eine Menge mehr an Münzen verlangten, als er für ein Quartier auszugeben bereit war.

Wahrscheinlich wurde es langsam Zeit, dass er dieses Gasthaus verließ; der sonnenüberflutete, staubige Süden begann ihm ohnehin auf die Nerven zu gehen, er sehnte sich nach anständigem Eis und einem klammen Bett, dessen ungegerbte Felldecke am Morgen steif gefroren war.

Er hustete und packte den Griff der schmalen Tür dem Bett gegenüber, halb in Erwartung, sie verschlossen zu finden. Doch sie ließ sich einfach öffnen, nur ihre Scharniere knarrten entsetzlich. Leise wie eine Katze ging Barn auf nackten Sohlen hindurch und auf einen schmalen Gang, dessen weiße Wände von flackernden Wachslichtern beleuchtet wurden.

"Na, Großer, hat dein Herzblatt dich so beschäftigt, dass du nicht mal mehr ans Anziehen denkst, wenn du aussem Zimmer gehst?" Meister Drakken Beilstein stand neben der Tür an die Wand gelehnt und schnitzte mit einem riesigen Messer geräuschvoll an seinen klobigen Fingernägeln herum.

Barn grunzte und räusperte sich.

"Hm, Wirt", brummte er. "Ich wollt' nur mal draußen nach dem Rechten seh'n, ho."

"Ist mir schon klar, Großer", sagte der Trainer. "Wir alle ham manchmal Sehnsucht nach einem bisschen Licht un' Luft un' Freiheit. Aber wenn wir 'ne Zeitlang draußen waren un' geseh'n ham, wie die Welt wirklich is', dann geh'n wir sehr gern zurück in unsere gemütliche Arena. Ich zeig's dir. Zieh dir was an un' komm mit!"

 

Getrieben von Unruhe und Neugier band der Barbar nur den Schurz um, das Anziehen der Stiefel erschien ihm zu schwierig. Dann trat er wieder auf den Gang. Meister Drakken forderte ihn durch ein Nicken zum Folgen auf.

Der Trainer führte Barn über eine unübersichtliche Menge von Stufen und Rampen immer höher bis zu einer kleinen Tür, die kaum breiter war als der Zugang zur Kammer des Barbaren. Doch diese Tür hier wurde von zwei menschlichen Felsbrocken bewacht, die wie Grunter Brüder von Drakken hätten sein können.

"Ich zeig' dem Bengel hier mal die Stadt", erklärte der Trainer den Wächtern. Die nickten nur, und einer schloss umständlich die Tür auf.

Barn trat als erster hinaus. Das grelle Licht und die trockene Hitze der Außenwelt brachen mit solcher Gewalt über ihn herein, dass er spontane Sehnsucht nach den kühlen und dunklen Gewölben des Gasthauses verspürte. Doch die kleine Tür war schon wieder verschlossen. Barn grunzte. Er war froh, nur den Schurz zu tragen.

"Schau hoch! Schau über dich!" forderte ihn der Trainer in triumphierendem Ton auf.

Barn gehorchte und hob seinen Blick entlang einer schier endlosen Mauer aus riesigen, gelb-braunen Quadern in den Himmel.

"Das ist sie! Die Arena! Zweimal hundert Schritte hebt sie sich über die Stadt!" rief Drakken dramatisch. "Ich bin sicher, sie ist das gewaltigste Bauwerk aller Welten!"

Der Barbar grunzte nur. Ihm kam jedes Bauwerk, das größer war als ein Männerhaus, gewaltig vor. Und verschwendet. Denn alles Glück der Welt konnte man in einem Männerhaus finden: Mädels, Bier und Schweinehaxen.

"Vor über drei mal zehn Jahren erbaute König Dunggur in seiner Hauptstadt O'bah Dungg dieses riesige Theater, um sein Volk zu erfreuen! Die Arena hat zweimal hundert Mal hundert Plätze, genug, um allen Bewohnern des Reiches Dungg gleichzeitig einen Sitz zu bieten. Es gibt ein Programm, das von Morgengrauen zu Morgengrauen reicht, und von zehn mal hundert Kämpfern, Sängern, Tänzerinnen, Narren, Aufräumern, Abdeckern, Sandträgern, Kulissenbauern und mehreren Dutzend weiterer Berufe dem Publikum dargeboten wird."

Meister Drakken Beilstein schien diese Rede schon oft gehalten zu haben, denn sein Steingesicht veränderte sich während der Worte nicht. Der Nordmann drückte unterdessen seine Zehen in die weiche Masse zwischen den warmen Pflastersteinen unter seinen Füßen. Er beobachtete das schöne Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo sich ein nacktes Mädel völlig ungeniert auf dem Balkon sonnte.

Der Trainer bemerkte das mangelnde Interesse seines Schützlings an der Arenageschichte und brummte: "Na gut. Von hier sieht man eh nich' so viel. Lass uns also in die Stadt geh'n."

Er packte Barn unsanft am Arm und schob ihn über die Straße.

 

"Das hier ist das Viertel des Stabes. Es liegt rund um die Arena und ist vom Rest der Stadt durch hohe Mauern abgetrennt. Hier wohnen die Leute, die die Spiele organisieren, und die Leute, die den Leuten, die die Spiele organisieren, gut gefallen. Außerdem gibt es ein paar ausgediente Kämpfer, die sich als Co-Kommentatoren irgendwie einen Namen gemacht haben."

Drakken verzog das Gesicht zu einer weiteren unmenschlichen Grimasse, um anzudeuten, wie wenig er von solchen Leuten hielt. Barn starrte immer noch die meiste Zeit auf seine Füße, denn die schritten mittlerweile über einen breiten Gehsteig, dessen Pflastersteine verdächtig wie Goldbarren aussahen. Neben ihm auf der Straße donnerten manchmal rot oder blau lackierte Sportstreitwagen mit einer schier unglaublichen Zahl von Zugpferden vorbei, in denen alte, zerknitterte Knaben mit besessenen Augen neben sagenhaften Schönheiten saßen.

Die gleichen sagenhaften Schönheiten schlenderten auch entspannt über den Gehsteig und zwinkerten dem kaum bekleideten jungen Barbaren auf eine Weise zu, die der in nordischer Kälte aufgewachsene Barn gleichzeitig aufregend und empörend fand. Ein dunkelbraunes Mädel ging sogar so weit, anerkennend zu pfeifen und dem Nordmann im Vorübergehen einen leichten Klaps auf das Hinterteil zu verpassen.

Der Barbar grunzte; seine linke Hand ruckte kurz zur Schulter, wo er sonst das Schwert trug. Drakken neben ihm stieß ein kurzes Keuchen aus, das ein Lachen sein konnte oder ein Laut tiefster Missbilligung, oder wirklich nur Husten.

"Ja, Großer, der Stab des Präsentors versteht es wirklich, gut zu leben." sagte er schließlich und wies mit weiter Geste auf die prächtigen Fassaden. "Schöner als das Center soll nur noch der Palast des Königs vor der Stadt sein. Aber den habe ich noch nie gesehen und kenne auch keinen, der schon mal da gewesen ist."

Der Trainer nickte bedeutungsvoll und verstummte. Schweigend gingen er und der Barbar die großartige Straße hinunter, an deren Ende ein gewaltiger, keilförmiger Torturm aufragte, der die Morgensonne verdeckte. Staubschleier aus der trockenen Ebene vor der Stadt ließen den Himmel golden glänzen.

Unter dem Torbogen stand eine Menge Wächter. Drakken bedeutete dem Nordmann zu warten und ging zu einer Gruppe älterer Soldaten in besonders prunkvollen Rüstungen. Er wurde mit lautem Geschrei empfangen und schien mit den Männern bestens vertraut. Es wurde viel gelacht; manchmal warf der eine oder andere Soldat einen Seitenblick auf Barn, und dann wurde das Gelächter lauter. Endlich kam der Trainer zurück zu dem Barbaren.

"Geht in Ordnung, Großer. Meine alten Freunde hier draußen ham alle deinen Kampf gestern Abend gesehen. Sie mögen dich. Sagen, du hättest Stil." Er klopfte Barn auf den Rücken. "Wir könn' uns draußen in der Vorstadt 'n bisschen umsehen."

Meister Drakken führte den Nordmann vorbei an den Torwächtern, die ihm zunickten, grinsten oder den Daumen hoben. Eine einsame Trompete ertönte von weit oben und ließ Barn zusammenzucken. Der Trainer bemerkte es und lachte leise.

"Arenakoller, hm, Großer?" fragte er gutmütig. "Ging mir am Anfang auch so. Jede Trompete, jede lautere Stimme, un' ich bin hochgegangen." Er kratzte sich die buschige, steingraue Braue über dem intakten Auge. Schuppen stoben auf. "Nebenbei, Großer, da gibt's noch was... wie is' eigentlich dein Name?"

Der Barbar blickte seinen Trainer schlau grinsend an.

"Barn heiß' ich, Mann! Barn von Täppenwinkel!" rief er stolz. Das war eine der wenigen Fragen, die er fast sofort und meist richtig beantworten konnte.

 

"Jetz' schau dich um." brummte Drakken missmutig und zeigte auf die Reihen der zerfallenden Häuser hinter ihren riesigen Schilden aus bunten Bildern. "Ich bin hier geboren un' liebe dieses Land. Aber wie's hier aussieht, gefällt mir jedes Mal weniger."

Barn grunzte nur.

Die Vorstadt war noch der gleiche trostlose Ort, den er auf seiner Ochsenkarrenfahrt gesehen hatte. Wenn man ihn barfuß betrat, wirkte er sogar noch schmutziger.

Die Menschen schlurften teilnahmslos an Barn und dem Trainer vorbei. Ihr Elend war schwer zu übersehen. Die leuchtenden Kleider waren nur dünnes, bemaltes Papier, und die grelle Schminke der Gesichter konnte nicht verbergen, dass der Hunger dahinter wohnte.

Während die Sonne stieg, wurde es heiß in den staubigen Straßen. Es stank nach Kot und Müll und ungewaschenen Körpern.

Meister Drakken runzelte die Stirn über all das, und bei diesem Anblick verschwanden ein paar Leute in den Hauseingängen, in denen sie herumgelungert hatten. Nur ein ausgemergeltes Mädchen mit wirren Haaren und leeren Augen blieb zurück und schwenkte den Männern die knochigen Hüften entgegen. "Na, ihr zwei Schönen?" krächzte es. "Wie wär's? Für'n Laib Brot könnt ihr meinen Leib haben!"

Der Trainer scheuchte es mit einer Handbewegung fort. Kichernd stolperte es davon.

"Es wird immer schlimmer", brummte Drakken. "Die Leute, die noch Geld ham, hocken in der Arena un' seh'n zu, wie die anderen von Löffen zerrissen un' von Snarks gefressen werden. Die Felder werden immer trockener, un' die Ernte verkommt. Un' hier in der Vorstadt hat kaum einer genug zu essen."

Barn brummte zustimmend. Er hatte auch schon wieder Hunger.

 

Beide Männer gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Trostlosigkeit reihte sich an Trostlosigkeit, und dazwischen sah es manchmal noch schlimmer aus. Dann stieß Drakken den Barbaren an.

"Sieh mal da!" sagte er und stieß einen rasselnden Laut aus, der so ähnlich klang wie ein Satz Knochenwürfel in einem Sandsteinbecher. Wahrscheinlich sollte es ein Kichern sein. Mit einem knüppeldicken Finger deutete er auf eine Wand, vor der magere Maler auf einem Holzgerüst standen und mit sparsamen Pinselschlägen große Mengen von 'Schrift' unter das Bild eines blonden Hünen auftrugen. Neben dem mächtigen Krieger krümmte sich ein blutender Löffe schwanzlos im Sand. "Das sollst du sein, Mann!" rief Meister Drakken lachend

Der Barbar grunzte nur und schüttelte den Kopf. Wie konnte er das sein, wenn er doch schon hier auf der Straße lief? Dann blickte er noch einmal auf zu den grinsenden Gesichtszügen des blonden Kämpfers und verkniff die Augen. Den Kerl hatte er tatsächlich schon mal gesehen. Aber nicht hier. Das war mal bei irgendeinem Brunnen oder See gewesen, oben in Thenil oder Krawalle.

Plötzlich entstand Unruhe. Einige Kinder liefen laut rufend durch die Straße. "Kommt alle!" kreischten sie schrill. "Jon Ben Sissi spricht beim Staubbrunnen zum Volk!"

Ein sichtbarer Ruck lief durch den gewaltigen Körper des Trainers, und er blieb starr stehen.

"Ben Sissi?" murmelte er. "Er lebt noch?"

Barn machte leise "Ho?" Irgendwie kam ihm der seltsame Name auch bekannt vor. Aber nicht so bekannt wie das Gesicht des blonden Burschen oben auf dem Plakat. Er grübelte, wer bei Gruunz das sein konnte.

"Lass' uns hier die Seitengasse nehmen, Barn", brummte Drakken. Seine Stimme klang seltsam tonlos. "Sie führt zum Staubbrunnen. Ich muss sehen, ob dieser Jon Ben Sissi derselbe ist, den ich gekannt habe."

 

Der Staubbrunnen wirkte wie ein Symbol für den Zustand der Stadt O'bah Dungg. Selbst der Barbar konnte sehen, dass die halbrunde Brunnenanlage einst von großer Pracht gewesen sein musste. Nun waren die zahlreichen riesigen Statuen, die wohl einmal üppige Wassergöttinnen und ihre fischschwänzigen Begleiter dargestellt hatten, nur noch kopflose Rümpfe mit tiefen Wunden im steinernen Fleisch. Die Reste waren wie üblich mit unpassenden, grellen Farben bemalt worden. Und natürlich waren die Becken trocken.

Eine Menge Menschen hatte sich um den alten Brunnen versammelt und starrte mit offenen Mündern auf einen dürren, braunen Mann, der auf einer geborstenen Säule stand. Barn erkannte ihn fast sofort: Es war der alberne Schwätzer aus der Wüste. Und auch hier schwatzte er und fuchtelte in der Luft herum. Er schien sehr aufgeregt.

Meister Drakken war das auch, sobald er den Mann gesehen hatte. "Jon Ben Sissi", murmelte er. "Er ist es."

Jon Ben Sissi sprach mit beeindruckend lauter Stimme, vor allem, wenn man berücksichtigte, wie schmal sein Brustkasten war. "Das Leben nehmen sie euch weg, diese Verbrecher! Und ihr applaudiert ihnen noch! Seht euch doch an! Das alberne, bunte Papier, das ihr tragt: Keineswegs seht ihr damit aus wie die Herren der Arena! Das Viertel des Stabes lacht nur über euch! Oder die Bilder, die vor euren Fenstern hängen und eure Häuser zu dunklen Höhlen machen: Bringen sie euch den Ruhm der Kämpfer? Ruhige Träume in der Nacht? Und wen soll der farbige Schlamm in euren Gesichtern täuschen? Euren leeren Magen? Euch selbst?"

Jon hielt für einen Augenblick mit gesenktem Kopf inne. Dann hob er einen Zeigefinger in die Richtung, in der wahrscheinlich die Arena lag, und holte tief Luft.

"Die Arena ist das Monstrum, das euch frisst!" fuhr er anklagend fort. "Und ihr tanzt singend in sein Maul, weil ihr glaubt, es führe direkt in den Himmel! Ihr seid abgerichtet und dumpf wie Zugochsen, abgerichtet seit eurer Kindheit vom Stab des Präsentors, und, was schlimmer ist, von euren eigenen Eltern, die bereits genauso abgerichtet wurden! Zum Tode verurteilte Bauern jubeln voller Glück, weil sie von den wilden Tieren der Arena zerrissen werden! Ihr sitzt auf harten Steinbänken und starrt, statt auf eure hungrigen Bäuche zu hören! Eure Söhne töten sich in den Straßen, weil ihr einziges Lebensziel ist, Kämpfer in der Arena zu werden! Eure Töchter verkaufen sich an reiche Schweine, weil sie hoffen, in der Arena tanzen oder singen zu dürfen!"

Jon hob beide Arme in einer beschwörenden Geste.

"Hört auf damit! Erwacht! Die Spiele in der Arena sind nur ein Werkzeug der Herrschenden, die euch dadurch darüber täuschen wollen, dass sie unfähig sind, euch Essen und Arbeit zu geben! Unser Land ist arm, und es wird immer ärmer!"

In diesem Augenblick kam ein schrilles Geschrei von hinten. Barn fuhr herum und sah die gleichen Kinder, die auf der Straße Jons Rede beim Staubbrunnen angekündigt hatten, nun mit schreckverzerrten Mienen und wedelnden Armen heranlaufen.

"Flieht alle!" kreischten sie schrill. "Die Stabträger des Präsentors kommen!"

Weit hinter den Kindern wurde Hufgetrappel laut.

Die Menge geriet in wilden Aufruhr. Alles redete und lief durcheinander. Staub stieg in dicken Wolken auf. Als er sich legte, standen nur noch Drakken und Barn auf dem Platz vor dem Brunnen. Selbst Jon Ben Sissi war verschwunden.

"Komm, Großer, unser Ausflug ist beendet." Der Trainer stieß den Barbaren an. "Wir verschwinden besser auch. Ich hab' keine Lust, den Stabträgern zu begegnen."

 

Drakken Beilstein schwieg auf dem ganzen Weg zurück in die Arena. Seine finstere Miene machte es sogar dem einfachen Gemüt des Nordmannes deutlich, dass es besser war, den Trainer jetzt nicht mit Fragen zu belästigen. Aber Barn hatte von den Ereignissen ohnehin nicht genug verstanden, um neugierig zu sein.

Er war nur extrem erleichtert, als sich die schwere Tür des kleinen Zugangs hinter ihm schloss und er sich wieder im kühlen Dunkel der niedrigen Gänge befand. Er ließ sich vom Trainer zur Schlafkammer führen und sank dort sofort auf sein hartes Bett. Bei Gruunz, was für eine üble Stadt!

 

*

 

Ein festes Klopfen ließ den Barbaren sofort wieder auffahren. Jedenfalls glaubte er, dass es sofort war. Aber sein Kopf schien merkwürdig schwer, und in seinem Mund schwamm ein übler Geschmack. Und das Licht, das über ihm in die Kammer fiel, zeigte seinen geblendeten Augen, dass der Mittag lange vorbei war. Er hatte tatsächlich geschlafen.

Drakken Beilstein stand neben dem Bett und sah ihn grimmig an.

"Kleiner Schönheitsschlaf, oder was?", raunzte er. "Jemand will dich seh'n. Komm' mit!"

Diesmal ging es über Mengen von Stufen und Rampen steil nach oben. Dabei wurden die groben Steine der Wände erst durch behauene Blöcke, dann sogar von matt schimmerndem Marmor abgelöst. Schließlich bedeutete ihm der Trainer, stehenzubleiben. Drakken selbst trat durch ein breites Portal, das von einem schweren, mit funkelnden Fäden durchwirkten Vorhang verhüllt wurde, der außerordentlich teuer aussah. Dort blieb er eine Weile

Dann tauchte sein Kopf zwischen den Vorhangfalten auf. "Kannst 'reinkommen, Barn!"

Barn nickte und schob den Stoff beiseite, der kühl und fest wie ein Kettenhemd wirkte. Er trat in einen hohen, von goldenem Licht durchflutetem Raum, dessen gesamte Rückwand ein von Säulen unterbrochenes Fenster war. Davor saß an einem Tisch aus poliertem Stein eine große, breitschultrige Gestalt mit struppigen Haaren. Mehr war im Gegenlicht nicht zu erkennen.

"Das ist Kärrn der Killer", sagte Meister Drakken rau. "Er ist ein Meisterkämpfer der Arena." Dann nickte er und verschwand rückwärts durch den Vorhang.

"Setz' dich, Barn von Täppenwinkel", forderte Kärrn den verwirrten Barbaren auf. Er klang flach und seltsam tonlos. Barn entdeckte einen prachtvollen Klappstuhl aus Muggahholz vor dem Marmortisch und ließ sich darauf niederfallen. Kärrn nickte und stand auf. Er trat neben den Tisch. Nun war er genauer zu sehen.

Kärrn der Killer war vielleicht zehn Jahre älter als der Nordmann, und diese zehn Jahre hatten sich unauslöschlich in sein Gesicht gefressen. Es war eine konzentrierte Maske der Ruhe und Traurigkeit, begrenzt von einem abstehenden Kranz strohiger blonder Haare. Brennende blassblaue Augen und zahlreiche Narben kündeten von einem schweren Leben. Ein Gewirr tiefer roter Furchen am Hals machte klar, warum die Stimme keinen vollen Klang mehr hatte.

"Ho, Barn, ich bin Kärrn von Wulkenschand. Ich komm' aussem Norden wie du", sagte der Killer langsam. "Ich hab' dich kämpfen sehn."

Barn nickte und grunzte. Die Burschen aus Wulkenschand waren im Hochnorland eine echte Plage gewesen. Aber hier war nicht das Hochnorland. Jeder, der vom oberen Ende der Welt kam, war hier im staubigen Süden ein Kumpel. Barn verzog sein Gesicht zu einem herzlichen Grinsen. Er sprang auf und ging auf Kärrn zu. Kärrn schlug ihm mit vernichtender Wucht auf die rechte Schulter. Barn schlug genauso brutal zurück. Beide Männer lachten dröhnend.

"Ho, Kumpel!" rief Kärrn.

"Ho, Kumpel!" rief Barn.

"Ich hab'n Vorschlag für dich, Kumpel", sagte Kärrn.

 

Das strahlende Licht hinter dem großen Fenster wurde schwächer und infizierte sich mit dem sachten Rot des späten Nachmittags. Die ganze Zeit über redete Kärrn auf Barn ein. Sein Plan war einfach, aber beide Männer waren Norländer, und deshalb dauerte alles etwas länger.

"Also, alles klar, hm?" schloss Kärrn endlich. "Wir kämpfen, ich tu so, als wär ich tot, du gewinnst. Mein Kumpel bei den Abdeckern schleift mich raus un' schafft mich ausser Arena. Ich kann endlich wieder nachhause. Un' du steigst sofort auf inne zweite Klasse un' kriegs' all die Mädels, ne?"

Barn nickte. Klar, das klang gut. Mädels, ho! Er grinste breit. Dieser Kärrn gefiel ihm. Zum Abschied schlugen sie sich wieder auf die Schultern.

Kärrn zwinkerte.

"Seh' dich inner Arena, wie, Kumpel?"

Barn nickte erneut.

 

Meister Drakken führte seinen Schützling wieder zurück zu seiner Kammer. Dabei sah er ihn den ganzen Weg über scharf von der Seite an. Barn reagierte jedoch nicht, und der Trainer beließ es bei einem Knurren, als er sich vom Barbaren verabschiedete.

"In einer Stunde geht's wieder los, Großer. Sei bereit", sagte er noch, dann schlug er die schmale Tür hinter sich zu.

 

*

 

Wieder stand der Barbar vor dem grandiosen Spektakel des Sonnenunterganges, und wieder donnerte die Stimme des Sprechers über ihm. Sie verkündete die Herausforderung des jungen blonden Fremden durch Kärrn den Killer. Ein ungeheurer Jubel brandete auf, denn der Killer war beim Publikum beliebt. Die Dinge, die er mit seinen Gegnern anzustellen pflegte, bevor er sie wirklich tötete, hätten selbst den Dämonenkönig Flabbergasst amüsiert, und den Menschen von Dungg gaben sie ein Höchstmaß von Aufregung und Ablenkung vom eigenen Elend.

Wie ein König betrat Kärrn den Sand der Arena. Er trug eine vergoldete Rüstung, die den ganzen Körper schützte und in der sinkenden Sonne leuchtete, als wäre sie glühendes Erz. Vier nackte, eingeölte Schönheiten folgten dem Krieger und trugen die Enden des langen, purpurfarbenen Umhangs, der von Kärrns breiten Panzerschultern fiel. Eine fünfte Nackte schritt hinter ihnen, in den Armen eine riesige Axt, die Lieblingswaffe des Killers.

Papierblüten flogen wie Schnee in die Arena, während der Killer den Umhang abstreifte und triumphierend die Arme hob. Flink rollten die Schönheiten den Stoff ein und verließen den Kampfplatz. Kärrn drehte sich langsam einmal um die eigene Achse und winkte dann die Axtträgerin herbei. Die Menschen riefen laut den Namen des Killers. Demütig kniend übergab die Frau dem riesigen Mann die Waffe. Kärrn riss die Waffe ebenfalls hoch über seinen Kopf und drehte sich noch einmal im Kreis. Dann schob er den Helm zurück, packte die Frau an den Haaren und zerrte sie auf die Beine. Er beugte sich über sie und trank einen leidenschaftlichen Kuss von ihren Lippen. Das Geschrei von den Rängen bekam religiöse Qualität. Kärrn schleuderte die Frau zurück in den Sand. Auf allen Vieren kroch sie eilig davon.

Gegen all das wirkte Barn mit seinem Schurz und dem Armpanzer hilflos bis lächerlich. Dazu kam noch, dass man ihm diesmal nur einen langen Stock als Waffe gegeben hatte.

Die Trompeten bliesen ein Signal. Der Killer setzte sich klirrend in Bewegung.

Das Publikum hielt den Atem an, und plötzlich herrschte im weiten Rund der Arena eine Stille, die den Barbaren geradezu betäubte. Er fühlte sich leicht, befreit, völlig sorgenlos. Sein Geist driftete mit den violetten Wolken nach Westen. Als ein Sandfloh neben ihm hustete, wäre ihm vor Schreck beinahe der Stock aus der Hand gefallen. Er blinzelte und fand die Welt wieder.

Der Kerl in der goldenen Rüstung war nur noch zehn Schritte weit entfernt. Die riesige Kriegsaxt schwang in einem langsamen, hypnotisierenden Rhythmus vor und zurück. Sie gab dem goldenen Mann etwas Düsteres, eine Aura des Verhängnisses: So mochte der Tod seine Sense schwingen, wenn er über ein Schlachtfeld schritt.

Barn starrte auf die Axt. War da nicht irgendetwas mit einem Plan gewesen? Sollte er nicht etwas ganz bestimmtes tun mit diesem Mann da vorne? Er schüttelte den Kopf. Der Rhythmus der Axt machte ihn so nervös, dass er keinen Gedanken fassen konnte.

Noch fünf Schritte. Jemand lachte irgendwo in dem weiten Rund der Arena, ein weit entfernter, belangloser Laut. Doch er genügte, um Barn wütend zu machen. Seine Augen verengten sich.

Was stand er hier und starrte diesen goldblitzenden Kerl an wie ein Huhn das Hackmesser? Was ließ er sich auslachen, nur weil ihm irgendein dummer Plan nicht gleich einfiel? Er, der einen Humpen und einen Hocker im Männerhaus von Täppenwinkel gehabt hatte, noch bevor er die Burschweih völlig bestanden hatte!

Mit gewaltigem Gebrüll stürmte er auf den Gegner zu.

Fast spielerisch unterlief er einen offensichtlich ungeschickten Axthieb des Goldkerls und drosch dem Mann seinen Stock mit aller Wucht in die Seite. Es dröhnte, und der schmucke Panzer bekam eine Beule. Barn grinste, rollte sich zur Seite ab und sprang wieder auf die Beine, bevor die Axt ein zweites Mal zuschlagen konnte. Diesmal landete der Stock in der linke Kniekehle des Gegners, wo nur dünnes Leder die empfindlichen Sehnen schützte. Der Goldkerl stöhnte und schwankte. Barns Grinsen wurde breiter. Angeberisch ließ er den Stock um die Finger wirbeln, nur um dann blitzschnell zuzustechen. Er traf die ungepanzerte Achselhöhle des Axtarms. Der Gegner ließ die Waffe fallen. Barn sprang auf ihn zu und trat ihm kräftig gegen die Brust. Mit einem entsetzlich hohlen Stöhnen sank der Goldkerl zu Boden.

Auch das Publikum stöhnte wie mit einer Stimme. Es war ein entsetzlicher Laut; so musste es klingen, wenn zur Götterdämmerung die Toten aus ihren Gräbern stiegen und die sterbende Sonne anheulten.

Der Barbar war jedoch nicht beeindruckt. In den norländer Männerhäusern klang es an jedem Morgen einer durchzechten Nacht so. Mit knapper Geste schleuderte er den Stock beiseite und griff nach der Axt, die vor ihm im Sand lag. Probehalber schwang er sie durch die Luft. Die Luft pfiff. Es war eine sehr gute Axt.

Dann sprang Barn brüllend direkt auf seinen immer noch liegenden Gegner und enthauptete ihn durch einen so raschen wie brutalen Hieb. Über ihm schrien Frauen schrill. Barn wischte den Goldhelm beiseite und packte den abgeschlagenen Kopf bei den Haaren, um ihn hoch zum Publikum zu schwenken.

Da erkannte er seinen Kumpel Kärrn.

Er runzelte die Stirn. Irgendetwas war da doch gewesen. Sein Kumpel und er, sie hatten etwas ausgemacht; da war so ein Einfall gewesen, den Kärrn gehabt hatte, ein Trick, um aus dem Gasthaus raus zu kommen, ohne die letzte Rechnung zu zahlen.

Während das Publikum sich von zögerndem Applaus langsam zu wildem Jubel steigerte, stand Barn immer noch bewegungslos da, den Schädel in der erhobenen Linken, die Finger der rechten Hand grübelnd um das breite Kinn gelegt, und versuchte nachzudenken.

Schließlich tippte ihm von hinten jemand auf die Schulter. Der Barbar drehte sich blinzelnd um und sah einen hässlichen, halb kahlen Mann in einem schmierigen Lederwams vor sich stehen. Er trug einen Weidenkorb.

"Ich bin Aane der Abdecker, Kämpfer", erklärte er und spuckte in den Sand. Ein Auge verzog sich zu einem wässrigen Zwinkern. "Weißt schon, der Abdecker, ne? Kärrn hat mir alles gesagt."

Ohne eine Reaktion abzuwarten klaubte er dem Nordmann den Kopf aus den Fingern und packte ihn in seinen Korb.

"Nee, nee, nee", brummte er dabei, den eigenen Kopf schüttelnd. "Kärrn hat ja gesagt, dass ihr dat echt machen würdet, aber dasser dat so echt kann, hättich echt nich' gedacht! Naja, auf jeden Fall verdankt er dir die Freihheit, Kämpfer."

Aane nickte, schulterte den Korb und winkte zwei andere Abdecker herbei. "Ihr zwei bringt mir den Rest von dem Kerl hinterher!" rief er. "Und dann legt ihr ihn auf den Karren, der mit den zwei rotbraunen Pferden bespannt ist, hört ihr? Auf den Karren mit den zwei roten Gäulen!"

 

*

 

"Es ist großartig! Es ist außergewöhnlich! Das gab's noch nie!" wütete Drakken Beilstein der Dritte, während er vor dem Barbaren donnernd auf und ab schritt. "Der erste Kämpfer, der innerhalb von drei Tagen von der vierten in die erste Klasse aufsteigt!"

Er blieb stehen und sah Barn mit seinem Auge stechend an. "Ich frage mich nur, warum ich mich als der Trainer dieses Kämpfers nicht darüber freuen kann!" brüllte er. "Weißt du vielleicht eine Antwort darauf, Barn von Täppenwinkel?"

Der Nordmann zuckte mit den Schultern. Er war furchtbar müde. Die halbe Nacht hatte man ihn wachgehalten und ihm zugejubelt, ihn hochgeworfen und aufgefangen, ihm fässerweise Bier zu trinken gegeben und mehr Fleisch vorgesetzt, als selbst ein Rudel Wölfe hätte fressen können. Er hatte gesungen, sich geprügelt und getanzt. Mit mindestens einem Dutzend Mädels hatte er sich an allen möglichen Orten wild vergnügt, mit ein paar weiteren hatte es nicht mehr richtig geklappt.

Schließlich hatte man ihn sogar unter irgendeinem Tisch hervorgezerrt und noch einmal hinaus in die Arena geschleift.

Dort hatte es dann zu viel Licht von zu viel Fackeln und zu viel Schulterschläge von viel zu vielen neuen Kumpels gegeben, und erst hatte ihm die Stimme des Sprechers den Kopf vollgedröhnt und dann der Jubel des Volks auf den Rängen den Schädel zerrissen.

Nun taten ihm sämtliche Körperteile weh, in seinem Hirn paarten sich Hornissen, und alles, was er von der Welt noch wollte, war Schlaf.

Doch in Barns neuem Zimmer hoch über der Stadt stand neben dem Bett der Trainer, knirschte mit seinen genagelten Stiefeln auf dem Marmorboden herum und machte ihm eine Szene wie einst seine Mutter daheim in Täppenwinkel, wenn er mal wieder ein paar Tage zu lang in der Wildnis der hochnorländer Wälder verschwunden gewesen war.

"Weil der großartige Kämpfer beschissen hat!" beantwortete sich Drakken Beilstein gerade lautstark die eigene Frage. "Weil es eine abgesprochene Sache war! Weil jeder mit ein bisschen Verstand sehen konnte, dass Kärrn der Killer sich überhaupt nicht richtig gewehrt hat!"

Er riss sich die Augenbinde vom Kopf, knüllte sie zusammen und warf sie dem Barbaren vor die Füße. Mit einem Finger zeigte er auf die grausige leere Augenhöhle inmitten von narbigem Gewebe.

"Sieh mich an! Ich bin ein anständiger Kämpfer! Wahrscheinlich bin ich der letzte anständige Kämpfer in dieser ganzen beschissenen Riesenschüssel voll Blutsuppe, die sich Arena nennt! Ich habe gekämpft, wofür ich glaubte, kämpfen zu müssen! Ich bin Jon Ben Sissi gefolgt, weil ich wusste, dass er Recht hatte, und ich habe mein Auge, meinen Rang als Kämpfer und meinen Kampf verloren! Aber ich habe trotzdem nie beschissen! Verdammt!"

Drakken bückte sich und hob seine Binde wieder auf. Dann drehte er sich abrupt um und verließ den Raum mit stampfenden Schritten.

Barn verdrehte die Augen und fiel wie ein Stein auf das Bett. Noch vor dem Aufprall war er eingeschlafen.

 

*

 

Kurz vor Morgengrauen fuhr der Barbar aus einem Traum hoch, brüllte: "Verdammt! Jetz' is' der dumme Kerl ohne seinen Kopp abgehauen!" und sank dann zurück in die Kissen, um weiter zu schlafen.

 

*

 

Das nächste Erwachen des Nordmannes kam ebenfalls einem Traum gleich. Statt des barschen Trainers stand ein rehäugiges, in ein knappes schwarzes Kleid gehülltes Mädel neben seinem Bett. Es blies sanfte Weisen auf einem rosa Muschelhorn, während Barn grunzend und augenreibend in die Welt zurück zu finden suchte.

"O Gebieter", hauchte es mit tiefer, warm vibrierender Stimme, als der Barbar sich schließlich aufgerichtet hatte. "Ich bin deine ergebene Sklavin Angina, und ich existiere nur, um dich zu erfreuen und dir mitzuteilen, dass Besuch in deinem Salon wartet. Außerdem hat Grok der Grobian um einen Termin gebeten. Ich denke, das erste Viertel nach der dritten Stunde des Nachmittags könnte passen. Um Zwei kommt bereits der der Schwertschleifer, und halb Drei ist Zeit für die Pediküre. Dann müssen natürlich Vereinbarungen für die Kämpfe heute Abend getroffen werden - obwohl Grok wahrscheinlich deshalb mit Dir reden will. Aber wir sollten auf jeden Fall versuchen, auch Shartigk das Schwert für ein Duell zu bekommen. Wenn du erst Grok und dann Shartigk schaffst, ist Dein Image als 'Guter Junge' solide wie Granit. Aber zunächst wäre es Zeit für das Bad. Der Besuch kommt zwar vom Stab, aber es ist ein Zeichen der Unabhängigkeit unsererseits, wenn wir ihn warten lassen."

Barn konnte nur noch starren. Seine in der menschenfeindlichen Eisöde des eisigen Hochnorlands geschulten Kriegersinne waren nicht dazu geschaffen, eine solche Menge von Informationen zu verarbeiten.

Angina zwinkerte und lächelte verbindlich. "Überfordert? Das geht schon klar, Gebieter. Dafür bin ich ja da."

Sie klatschte in die Hände. "Mädchen, den Bademantel" rief sie, wobei ihre Stimme alle Tiefe und Kehligkeit vermissen ließ. Eine zweiflügelige Tür öffnete sich in der rechten Wand, und zwei schlanke, vollbusige und völlig unbekleidete Frauen traten hindurch, zwischen sich ein gewaltiges Stück dunklen Stoffs tragend. Es erinnerte Barn ein wenig an ein abgezogenes Erdbärenfell.

"Das sind Sam und Pam", stellte Angina vor. "Sie sind die beiden Besten, wenn es um Erfrischung geht. Sie werden dich ins Bad begleiten."

Der Barbar brummte. Es war lange her, dass er das letzte Mal gebadet hatte, und die Erinnerungen daran waren sehr ungenau. Aber ein gewisses warmes Gefühl ließ ihn glauben, dass es ihm gut gefallen hatte. Er stieg aus dem Bett und erlaubte Sam und Pam mit einem Grunzen, ihn in den Bademantel zu hüllen. Dann straffte er die Schultern und sagte: "Ho, un' nun lass' uns Spaß ham, Mädels!"

Die Mädels kicherten, fassten ihn an den Händen und führten ihn durch die Tür hinein in eine weiß gekachelte Wunderwelt aus duftendem Dampf.

 

*

 

Barn lag im heißen Wasser und hielt die Augen fest geschlossen. Er hielt einen Becher mit starkem Rotwein in der Hand. Schmale, kräftige Hände tanzten graziös über seinen breiten Rücken und kneteten seine Muskeln. Eine liebliche Mädelstimme sang schmutzige Lieder, deren Texte an Deutlichkeit keine Wünsche offen ließen. So mussten die Götter leben!

Der Barbar wusste, dass er den herrlichen, von Seife glänzenden Körper der schönen Pam vor sich im Wasser sehen würde, wenn er sich die Mühe machte, die Lider zu heben. Aber er hob sie nicht. Dieser besondere Augenblick im Bad war einer der sehr, sehr seltenen Momente in seinem Leben, wo ihm das Wissen um die Möglichkeit genügte.

Er nahm einen Schluck Wein und brummte leise wie ein großer, zufriedener Bär, der sich nach einem langen und harten Winter zum ersten Mal wieder den Bauch richtig vollgeschlagen hat und noch ein Sonnenbad nimmt, bevor er den Bärinnen zeigt, wo der Hammer hängt.

Wahrlich, Vollduunheim, die Feste des Gottes Gruunz jenseits des Randes der Welt konnte kaum größere Freuden bereithalten!

Dann drang das hässlich scharfe Geräusch einer schlagenden Tür in seine gewaschenen Ohren, und ein unangenehm kalter Luftzug strich über sein Gesicht und die Schultern.

"O Gebieter!" kam Anginas ärgerliche Stimme durch den Dampf. "Die Herren des Stabes wollten nicht länger warten!"

Zwei große, dünne Männer mit harten Augen folgten der Stimme unmittelbar und stellten sich am Rand des Badebeckens auf. Einer war kahlrasiert, der andere hatte ein Dutzend sandfarbener Zöpfe wie ein Schlangennest auf seinem Kopf arrangiert. Beide trugen leichte Bellybahs, die in einem fantastischen Türkis strahlten, dazu Gürtel und Schmuckschwerter in Knallgelb. Ihre Füße waren in stiefelartige Objekte aus grobem grauem Sackleinen verpackt. Auch wenn Barn es nicht wusste: Das war der aktuelle Kleidungsstil der schicken jungen Leute im Viertel des Stabes.

"Wir wollen's nicht übertreiben, hm, Kämpfer?" sagte der Rasierte und zwinkerte. "So klasse bist du auch nicht, dass wir auf dich warten."

Der Barbar sprang auf. Das Wasser im Badebecken spritzte und schwappte und durchnässte die stiefelartigen Objekte der beiden Männer. Schaumflocken stoben durch die Luft wie eine Herde verschreckter Schafe beim Angriff des großen, bösen Wolfs. Pam und Sam duckten sich, bis nur noch ihre Köpfe über dem seifigen Wasser zu sehen waren. Das gefiel dem Nordmann überhaupt nicht.

Er atmete tief ein, bis seine muskelschwere Brust zu beeindruckender Breite geschwollen war, dann fragte er barsch: "Ho?"

Die beiden Mitarbeiter des Stabes wichen ein paar Schritte vom Beckenrand zurück. Ihre langen, arroganten Gesichter verfärbten sich in Richtung Weiß. Der blondbezopfte Mann setzte ein verkrampftes Lächeln auf und stotterte: "A-andererseits können wir auch ge-gerne versuchen, zu warten, wenn Ihr es wünscht... bleibt nur im Bad, Kämpfer!"

"Wir wollen nur wissen, ob du die Kämpfe, die mit Kärrn dem Killer vorausgeplant waren, ebenfalls übernimmst!" rief der Kahlkopf.

"Es wird alles arrangiert werden!" sagte Angina von hinten. "Wir werden alle Verträge Kärrns erfüllen. Und noch ein paar mehr aushandeln. Eure Arena wird voller sein als je zuvor, Diener des Präsentors. Nur die Kasse muss stimmen."

Die schöne Frau mit den berechnenden Rehaugen trat durch die Dampfschwaden und zwinkerte dem Norländer ermutigend zu.

"Kasse ist egal, Schwester. Was du willst", erwiderte der Rasierte achselzuckend. "Nur bring' uns eine Show. Eine richtige Show! Blut und Därme zur höheren Ehre unserer geliebten Arena und des gottgleichen Königs Dunggur! Und eine Menge davon! Die Bauern werden immer hungriger, das Militär hat Probleme mit den Soldzahlungen und der Verpflegung, und in der Vorstadt soll sogar Jon Ben Sissi aufgetaucht sein! Nur eine gute Show kann dem Reich jetzt helfen! Und dein Kämpfer ist neu und unverbraucht!"

Angina nickte. "Kommt mit ins Vorzimmer", sagte sie. "Alles weitere dort."

Sie verschwand in den Schwaden, und die Männer folgten ihr.

Erleichtert seufzend ließ sich der Barbar zurück ins heiße Wasser gleiten. Er zwinkerte Sam und Pam zu. Die frische, kühle Luft von draußen hatte in ihm den Wunsch nach körperlicher Betätigung geweckt.

 

Am Nachmittag wurde dem Nordmann nach dem völlig unbekannten und erschreckenden Ritual der Pediküre ein weiterer Brocken aus der Arena-Kollektion der lebenden Bergmassive vorgestellt: Er hieß Grok, trug den Beinamen 'Der Grobian' und war etwas jünger als Drakken oder Grunter, denn die Stoppeln auf seinem Kopf hatten noch den Farbton alten Getreides. Aber sein Grinsen war gefährlicher als alles, was Barn in den Gewölben bisher gesehen hatte - Groks Augen blieben dabei kalt und grau wie Haifischhaut.

Der Grobian kam ohne Umschweife zur Sache.

"Du hast was mit Kärrn abgesprochen wegen abhau'n", stellte er mit rauer, tiefer Stimme fest. "Mir is' hier auch langweilig. Will ma' wieder woanders Schädel knacken geh'n. Besieg' mich im Kampf - nur nich' ganz so echt wie beim Kärrn. Dann kriegste meine Weiber un' mein' roten Zwölfspänner-Streitwagen."

Barn grunzte und zuckte mit den Schultern.

"Is' also abgemacht." Grok stand auf. "Seh'n uns inner Arena."

Schweren Schritts verließ er grußlos den Raum.

Angina, die neben Barn stand, lächelte entzückend. "Das hätten wir.", sagte sie zufrieden. "Verprügle ihn vorher tüchtig, das gibt Sympathiepunkte beim Publikum - Grok ist einer von den Bösen Jungs."

Barn ließ die kräftigen Schultern zucken. dass hier die Leute extra zu ihm kamen, um sich verprügeln zu lassen, verstand er nicht. Der Süden war wirklich seltsam!

 

*

 

An diesem Abend zogen schmale graue Wolken wie magere Bergziegen über die trockene Wiese eines senfgelben Himmels. Scharfgezähnter Wind trieb sie schneller nach Westen als jeder wilde Hund. Das aggressive Heulen der Böen war noch tief unten in den Gewölben der Arena zu hören. Die Vorzeichen eines gewaltigen Sandsturms waren unverkennbar.

Eigentlich war es noch nicht die Jahreszeit für einen solchen Sturm, der seine launische Gewalt meist im Herbst über Dungg entlud und die Menschen schrill kichernd unter Tonnen von fliegendem Sand erstickte.

Doch die Vorzeichen waren eindeutig gewesen. Den ganzen Tag hatte sich kein Wind geregt. Schon am Morgen stand die heiße Luft in den Straßen und auf den Plätzen. Wie der schale Glutatem eines feuerzüngigen Ifrits ließ sie die Gärten verdorren, trocknete die Brunnen aus und trank den Menschen den Schweiß aus der Haut. Und dann war der Himmel gegen Mittag gelb geworden.

Die Soldaten hinter den Holzwänden waren mürrisch. Sie hoben ihre braunen Fäuste gegen den fahlen Himmel und verfluchten ihn, denn nach einem Sturm gab es immer eine Menge mehr aufzuräumen als nach einem normalen Arena-Abend.

Die ganze Arena war ungewohnt still, bis auf die lauten Rufe des Wasserverkäufer, die ein Bombengeschäft machten. Selbst der Sprecher dämpfte seine Stimme, als er den Nordmann als 'Bolz Berserker' ankündigte, ein Name, den sich Sam und Pam ausgedacht hatten.

 

Unten auf dem Kampfplatz schmeckte Barn bitteren Wüstenstaub auf den Lippen. Er trug die prachtvolle Goldrüstung seines Vorgängers Kärrn und in der linken Faust den alten, katzenlederumhüllten Griff seines Schwertes Windmacher. Er wartete auf Grok den Grobian.

Und der ließ ihn lange Zeit warten. Die Windböen wurden heftiger, das Himmelsgelb noch giftiger.

Erst als die Menge auf den Rängen bereits murrte und pfiff, öffnete sich das Tor.

Grok trat in einer grässlichen Aufmachung in die Arena: Er war über und über mit struppigen Pelzen behängt, sogar auf seinem Kopf thronte er eine spitze Tüte aus filzigem Fell, die auch sein Gesicht verbarg. In der Rechten hielt der Grobian einen riesigen, mitternachtsschwarzen Morgenstern, in der Linken eine Kette. An dieser Kette zerrte er sein Schoßtier, eine bösartige, kahl rasierte Paviandame namens Pia hinter sich her.

Nach zehn Schritten blieb er stehen. Das Publikum verstummte erwartungsvoll. Mit wohltönender Stimme begann Grok die Menschen auf den Rängen zu beschimpfen. Dazu zog er in gewissen Abständen an der Kette, so dass Pia schrill aufkreischte; und manchmal gab es noch eine obszöne Geste zur Bekräftigung. Alles wirkte sehr routiniert und ein bisschen gelangweilt; Barn verstand kein einziges Wort.

Aber den Zuschauern gefiel es. Sie ließen sich von Groks professioneller Provokation bereitwillig in ein ekstatisches Hassgebrüll treiben; bald schon flogen die seltsamsten Dinge in die Arena: Nasse Schwämme, schimmliger Kuchen, tote Fische, kleine Hündchen, verfärbte Unterwäsche, abgeschnittene Hammelohren und Koteletts und große Mengen einer braunen Substanz, die in der Umgebung von Kamelherden häufig zu finden ist und vor der Arena von armen Hirtenbuben verkauft wird.

Grok machte das alles offensichtlich nichts aus. Er lachte dröhnend, und einmal hob er seine Fellmaske kurz, um einem Fisch demonstrativ den Kopf abzubeißen. Die glitschigen Reste warf er zurück auf die Ränge.

 

Als sich das Publikum endlich verausgabt hatte, hob Grok den Morgenstern und brüllte: "Un' jetz' werd' ich dir den blonden Pelz scheren, Mädel!"

Mit schweren Schritten stampfte der Kapuzenmann auf den Nordmann zu. Der brauchte eine Weile, bis er begriffen hatte, dass der haarige Bursche mit dem 'Mädel' ihn gemeint hatte. Doch dann schnaubte er vor Wut: Neben dem Austrinken des Bieres war die Bezeichung 'Mädel' das Schlimmste, was man einem Krieger aus dem eisigen Hochnorland antun konnte. Mit gewaltigem Kriegsschrei und wild wirbelnder Waffe stürmte Barn vorwärts.

Durch Schicksalsgott Audors Laune brach im gleichen Augenblick der Sandsturm los.

Eine fast erstickend dicke Wolke wirbelnden Wüstenstaubs wurde mit großer Gewalt in die Arena geblasen. In Augenblicksschnelle war die Sicht auf dem Kampfplatz geringer als in einem Fass voller Stockfische. Es roch nur anders.

Barn grunzte. Er kannte das. Wenn seine Mutter zu Hause die Mehlfladen für das Julfest gebacken hatte, war es im Wohnraum ähnlich gewesen. Und er hatte auch schon in Schneestürmen gekämpft. Wenn einen Mann die Augen und Ohren, der Geruch und der Geschmack  im Stich ließen, musste er sich auf Tastsinn und Instinkt verlassen.

Und der Instinkt ließ ihn weiterlaufen, bis der Tastsinn mit der linken Seite seines Gesichts sehr schmerzhaft ein Hindernis ertastete. Er öffnete ein Auge einen winzigen Spalt breit. Dunkel und schwer ragte etwas im Mahlstrom des fliegenden Sandes vor ihm auf. Er grinste. Hatte er den Gegner schließlich doch gefunden! Er verpasste dem Schatten einige brillante Hiebkombinationen und spürte, wie sein Gegenüber wankte. Blitzschnell wirbelte er um seine Achse und benutzte Windmacher wie ein Holzfäller das Beil. So hatte er schon manchen Strauchdieb enthauptet. Er wagte einen weiteren Blick. Irgendwie schien der Gegner jetzt kleiner, aber er stand immer noch. Barn hackte grunzend von links und von rechts auf ihn ein. Er blinzelte. Noch immer war da diese breite Silhouette. Der Nordmann zerknirschte Sand mit den Zähnen und packte den Schwertgriff mit beiden Fäusten.

Dann drosch er auf den Schatten ein, bis er keinen Widerstand mehr spürte. Das dauerte eine ganze Weile.

Schließlich blieb er stehen, senkte den Kopf und überließ sich kurz der aufreibenden Tätigkeit des Ein- und Ausatmens. Während er noch so stand, ließ das raue Prasseln der Sandkörner auf seine Wangen jäh nach. Barn öffnete die Augen wieder. So schnell er gekommen war, war der Sturm auch vorüber gezogen, und der hochgewehte Staub rieselte um den Nordmann zu Boden wie ein fallengelassener Liebhaber. Barn grunzte.

Vor seinen Füßen häuften sich die klein gehackten Trümmer einer hölzernen Schutzwand. Einige völlig verängstigte Wächter knieten dahinter im knietiefen Flugsand und hatten die Arme flehend erhoben.

 

*

 

Barn wurde in einem Triumphzug im roten Sportwagen seines Gegners um die Arena gefahren. Zwölf schwarze Hengste bäumten sich vor ihm im eleganten Gleichtakt auf. Zerfetzte weiße Papierblüten regneten auf ihn nieder. Das Publikum skandierte: "Ber-ser-ker! Ber-ser-ker! Ber-ser-ker!"

Es hatte zwar niemand gesehen, was mit Grok dem Grobian geschehen war, aber nach dem Sturm wurde nur noch seine Fellhaube in der Arena gefunden, und daher sah man ihn allgemein als besiegt an. Barn wurde zum Sieger erklärt und erhielt als Preis Groks Zwölfspänner sowie zwei verschreckte, blasse und dürre Knaben. Angina nannte sie Bam und Spam und beschäftigte sie mit Gartenarbeit.

Auf die besonders prestigeträchtige Beute der Paviandame Pia musste der Nordmann leider verzichten, denn die Äffin blieb wie ihr Herr verschwunden.

 

*

 

Barn genoss die erste Woche in der Oberklasse der Arena so hemmungslos, wie das nur ein in der langweiligen Eisöde des unzivilisierten Hochnorlandes aufgewachsener Nordmann konnte.

Seine Wohnung, die hoch über der Stadt an der Außenseite der Arena lag, war luxuriös eingerichtet, und im Empfangszimmer wachte die stets streng blickende Angina darüber, dass niemand den neuen Champion des roten Sandes störte.

Neben dem Dampfbad verbrachte der Barbar viel Zeit im angrenzenden Gymnastikraum, wo er seinen Mädels stundenlang beim Trainieren zusah; außerdem lag vor dem Gymnastikraum ein schmaler Hängegarten, von dem man einen großartigen Blick über die Dächer von O'Bah Dungg bis zu den Bergen hatte. Der Garten war voller schattiger Plätze und kleiner Springbrunnen, an denen Barn morgens seinen Durst löschte, wenn er am Vorabend wieder einmal ein paar Biere zu viel geleert hatte. Das kam häufig vor.

Außerdem hatte er noch ein riesiges Schlafzimmer mit kühlen Kissen aus Seide, auf denen sich zu allen Tageszeiten warme Körper räkelten.

Das Beste aber war: Wenn es ihm zu viel wurde, brauchte er bloß in die Hände zu klatschen, und die ganzen Mädels verschwanden ohne Geschrei.

Nur die allabendlichen Auftritte als Bolz Berserker unterbrachen die herrlichen Tage voll Gesang und Spaß. Mittlerweile musste der Nordmann oft zwei Kämpfe hintereinander bestehen. Jeder schien gegen ihn antreten zu wollen. Und jeden besiegte er. Merkwürdig kam ihm dabei nur vor, dass manche der Gegner schon umfielen, bevor er sie überhaupt getroffen hatte.

Aber er machte sich keine Gedanken darüber, solange es Essen, Bier und Bademädels im Übermaß gab.

Doch dann kamen Kahlkopf und Blondzopf, die Männer des Präsentors, wieder.

 

In geblähten Gewändern aus grellvioletter Seide, behängt mit kleinen, rostigen Stachelkugeln, kamen die beiden so energisch in das Bad des Barbaren gewankt, wie das auf grünlackierten Stelzenschuhen nur geht. Ihre Gesichter waren hektisch gerötet.

"So läuft das nicht!", rief der Rasierte wütend und schoss einen anklagenden Zeigefinger auf den Nordmann ab, der sich mit Bekka und drei Freundinnen aus der Schautanzformation der Arena in heißem Wasser wälzte.

"Ja, wirklich nicht!", bestätigte sein blonder Begleiter aufgebracht. Er schwenkte eine Schriftrolle. "Wir haben Verträge! Verträge!"

Barn grunzte und zuckte mit den muskelschweren Schultern. Das war so eine Schrift-Angelegenheit. Mit Schrift hatte er nichts zu tun. Das war die Sache von Angina.

Kahlkopf trippelte hektisch am Beckenrand hin und her.

"Du erschlägst einfach zu viele Kämpfer!" jammerte er. "Wir wissen bald nicht mehr, womit wir das Vormittagsprogramm und die Frühstückskämpfe austragen sollen! Und die Löffen und Snarks sind so satt, dass sie die Bauern nicht mehr fressen wollen! Es ist eine Katastrophe! Tatsächlich haben Bürger bereits versucht, ihre Dauerkarten zurückzugeben!"

Der Barbar schüttelte den Kopf und grunzte.

"Ho, ich komm', un' ich kämpfe! Das is' alles. So krieg' ich mein Essen." stellte er dumpf fest. Dann wandte er sich wieder seinen Begleiterinnen zu. "Lass' uns noch Schaum machen, Mädels."

 

"Was ist denn hier wieder los?" kam die spitze Stimme Anginas von hinten. "Wer stört den König der Kämpfer?"

Kahlkopf fuhr herum und richtete seinen langen, dünnen Zeigefinger nun auf die Frau, die den Raum betreten hatte. "Du, Schwester, bist mitverantwortlich! Irgendwie sorgst du dafür, dass dein blonder Schatz hier nur minderwertige Gegner bekommt, gegen die er mühelos gewinnt..."

"Was?" zischte Angina. "Waren Kärrn, Grok der Grobian, Shartigk, Kondum von Kymmerien, Hackmann&Mettmann, Friedewanst der Fetzer, Grabratte Ghulkopf, die Gebrüder Grimm oder Ede Fleischwolf und seine sieben Geißler etwa minderwertige Kämpfer?"

Der Kahlkopf schnitt Grimassen. "Natürlich nicht." gab er zu. "Aber er hat sie trotzdem plattgemacht. Und jetzt fehlen sie uns. Die Leute langweilen sich. Seine Kämpfe sind vorhersagbar. Er gewinnt, und das war's dann. Er ist nicht einmal besonders brutal. Vielleicht sollte er..."

"Er wird Shainman Shatten herausfordern."

Die Augen von Blondzopf und Kahlkopf weiteten sich. Beide hatten sichtlich Probleme, ihre Unterkiefer unter Kontrolle zu halten.

"Shainman?" stammelte Blondzopf. "A-aber - niemand kommt gegen Shainman Shatten an. Shainman ist tödlicher als der Tod selbst. Außerdem hat Shainman sich nach der Sache mit dem Aufstand von Jon Ben Sissi zurückgezogen."

"Allerdings", stimmte Kahlkopf zu. "Den Berserker gegen Shainman kämpfen zu lassen ist etwa so, als ließe ich ein Kleinkind gegen ein Rudel Löffen antreten..." Er zögerte und begann zu grinsen. "Eigentlich eine ganz hübsche Idee. Aber das Problem ist: Es dauert nicht lang genug, um eine gute Show abzugeben."

"Das ist ganz einfach.", sagte Angina. "Wir lassen sie nicht gleich mit Schwertern aufeinander los. Ich stelle mir das so vor: Ein Abend ohne Waffen, dann einer mit Stöcken, und dann, als Höhepunkt, das Schwertduell. Eine Riesenkampagne vorher natürlich."

Kahlkopf sprang vor Begeisterung fast in die Luft. "Genial, Schwester! Ein Drei-Tage-Event! Das ist der Knaller! Sprich' mit Shainman, wir sprechen mit dem Präsentor... wenn du das Ding zum Laufen bringst, sind volle zwanzig Prozent für dich drin!"

 

*

 

Als der Barbar an diesem Abend nach dem Kampf - nichts Besonderes; zwei Höhlenlöwen und zwei Halsabschneider aus den Südbergen - am Geländer seines hängenden Gartens hoch über der Stadt lehnte und mit einer gewissen Schwermütigkeit hinauf in den violetten Himmel starrte, wo die Sterne so frei und freundlich funkelten, erschien plötzlich eine Gestalt neben ihm.

"Ja, der Himmel über Dungg strahlt immer wie eine Schale voll kostbarer Steine.", sagte die Gestalt. Ihre Stimme war voll und angenehm, wie der Humpen mit honigfarbenem Starkbier in der Faust des Nordmannes. "Aber sonst gibt es hier nur noch Dreck. In jeder Hinsicht."

Barn erschrak und wäre beinahe vom Balkon gefallen. Er verschüttete sogar das Bier. Seine schier übermenschlichen Barbarensinne hatten dieses Wesen weder kommen gehört noch die Annäherung auf andere Weise gemeldet!

Das Licht der Sterne verriet den geweiteten Augen des Nordmannes nun, dass das Wesen neben ihm ein schlanker, dunkler Mensch mit einem scharfgestutzten Bärtchen war, das wie glänzendes schwarzes Metall auf Lippen und Kinn klebte. Der schwarze Mann lachte. Es war ein sanftes, dunkles Lachen ohne jede Bosheit. Aus dem schönen Gesicht leuchteten grüne Augen voller Nachsicht.

"Wenn du weniger getrunken hättest, hättest du mich kommen gehört.", erklärte er. "Ich bin Shainman Shatten. Aber du kannst mich Shanka nennen."

Barn brummte und sah den Mann unglücklich an. Er mochte Kerle nicht, die sich lautlos an ihn anschleichen konnten. Er mochte auch Kerle nicht, die so unverschämt gut aussahen. Und diesen Kerl hier mochte er noch viel weniger.

"Du hast mich also herausgefordert?" fragte Shanka. Er grinste ein perlweißes Grinsen, das so perfekt war wie der ganze gruunzverdammte Rest von ihm.

Der Barbar zuckte mit den Schultern. Er erinnerte sich nicht. Aber es war schon möglich. Ein Nordmann forderte einen Gegner traditionell durch einen Ladung Bier ins Gesicht heraus, und er hatte viel Bier vergossen in letzter Zeit.

"Ich wäre bereit, gegen dich zu kämpfen.", sagte Shanka. "Mir ist langweilig, ich habe dieses Schattendasein satt. Ich habe dich in der Arena gesehen. Du bist gut."

Barn nickte.

"Aber nicht gut genug.", fuhr Shainman Shatten fort und zwinkerte. "Dir fehlt die Feinheit. Du kämpfst wie die Mittagssonne in der Wüste - du schlägst mit aller Kraft erbarmungslos zu, bis nichts mehr steht. Ich bevorzuge es, wie der Mond zu kämpfen - sein sanftes Licht scheint keine Kraft zu haben, und doch bewegt er das Meer und kann Menschen den Verstand rauben. Und wie der Mond liebe ich es, von Zeit zu Zeit unsichtbar zu werden."

Er verbeugte sich ein wenig, wurde aber nicht unsichtbar. Stattdessen fasste er mit langen, schlanken Fingern nach dem breiten Kinn des Barbaren und hob dessen Kopf, bis er in Barns trotzige blaue Augen blicken konnte.

"Ich muss darauf bestehen, dass du dich in der Kunst des Kämpfens übst.", wisperte er sanft wie der Nachtwind. "Sonst wird nichts aus uns beiden. Das werde ich auch Angina sagen. Und den Männern des Stabes."

Und bevor der Nordmann noch grunzen konnte, hatte Shainman Shatten sich schon umgedreht und von der Dunkelheit schlucken lassen.

 

*

 

Wie eine geballte Faust stand Drakken Beilstein der Dritte in der Tür von Barns Gemach. Es war früher Morgen. Seit Shainmans Erscheinung hatte der Nordmann kein Bier mehr angerührt, und deshalb hatten seine barbarischen Sinne ihn bei Drakkens polternder Annäherung sofort geweckt. Barn starrte den Mann irritiert an. Der Gesichtsausdruck des Trainers hätte selbst Statuen flüchten lassen.

"Ich bin nicht deinetwegen hier!", war das erste, was Drakken zwischen seinen Granitlippen hervorpressen konnte. "Shainman Shatten hat mich gebeten, einem billigen Schläger ein paar Tricks beizubringen. Und ich war Shainmans Bruder noch einen Gefallen schuldig. Also komm' mit in die Trainingshalle, oder ich muss dich hin prügeln."

Barn grunzte und stand auf. Er lächelte sanft. Mit solchen Worten hatte ihn auch sein Vater früher immer geweckt!

 

"Jetzt greif' mich an!" befahl Drakken barsch. Er hatte seine Ledertunika und die hohen Schnürsandalen ausgezogen und stellte die beeindruckenden, grau bewaldeten Bergflanken seines Granitkörpers zur Schau. Barn trug ebenfalls nur einen Schurz. In der Trainingshalle war es noch kalt von der Nacht. Der Atem drückte sich in fröstelnden kleinen Wölkchen vor den Mündern der Männer herum.

Nachdem Barn verstanden hatte, dass der alte Bursche ihn tatsächlich dazu aufgefordert hatte, ihn mit bloßen Fäusten zu verdreschen, schritt er breitbeinig und selbstbewusst auf den Trainer zu, wie er es aus Hunderten von Kneipenschlägereien gewohnt war. Die Arme hatte er dabei vor dem straff gespannten Bauch angewinkelt, damit die dicken Bizeps und die kräftigen Brustmuskeln besonders angsteinflößend hervortraten. Viele Gegner wurden schon allein von diesem Anblick in die Flucht geschlagen.

Drakken Beilstein jedoch stand völlig entspannt da. Sein Blick schien durch den Barbaren hindurch zu gehen. Seine gewaltige Brust hob sich kaum.

Barn grinste, als er seine linke Faust mit der Gewalt eines Schmiedehammers auf den alten Mann abschoss. Dass sich jemand freiwillig zum Verhauen anbot, das gab es nur hier, in diesem seltsamen Gasthaus!

Doch dann passierten noch seltsamere Dinge. Drakken tauchte unter dem Schlag weg, packte den Arm des Barbaren, und plötzlich tauschten Decke und Boden der Halle den Platz. Der Boden ging auf dem Weg der Unverschämtheit sogar noch einen Schritt weiter und warf sich mit Wucht gegen den Rücken des Barbaren. Der grunzte und schüttelte sich. Das war Zauberei! Finsterste schwarze Magie!

Drakken trat neben den Barbaren und stieß ihn unsanft mit einem Fuß in die Seite.

"Jetzt steh' wieder auf, und dann das Ganze nochmal, bis du es kapiert hast."

 

Am Abend dieses Tages war Barn sogar zu erschöpft für sein tägliches Bad. Er winkte die Mädels mit matter Hand aus dem Schlafzimmer, fiel auf das Bett und war sofort eingeschlafen.

 

Pünktlich zum Sonnenaufgang stand Drakken wieder in der Tür und brüllte den Barbaren aus den Decken. Barn brüllte auch, als er aufzustehen versuchte. Er war so voller Prellungen, dass eine reife Pflaume gegen ihn blass wirkte. Aber der Trainer war gnadenlos, und so fand sich der Nordmann nach einer Zeit besinnungsloser Agonie in der Trainingshalle wieder, wo sein Körper einen weiteren Tag damit zubrachte, jede Fingerbreite des Bodens kennenzulernen.

 

So ging es eine ganze Woche. Danach wurde es für Drakken langsam schwieriger, den Barbaren hereinzulegen. Am Ende der zweiten Woche lag der Trainer keuchend vor Barn auf dem Boden und nickte mühsam.

"Mehr kann ich dir nich' beibringen, Großer.", stieß er hervor. "Geh' nun un' ruh' dich aus. Morgen üben wir mit Stöcken."

 

Mit den Stöcken war es ähnlich wie mit den Fäusten. Nach zehn Tagen schmerzhafter Übungen prügelte der Barbar grinsend seinen Trainer durch die Halle.

 

*

 

"Du hast noch drei Tage bis zu deinem ersten Kampf gegen Shainman", sagte Drakken, während er in sein Bier blickte. "Die Stadt brodelt. Jede Bildwand im ganzen Land zeigt nur noch dich un' Shainman. Die schwindelschnellen Burschen des Präsentors haben sich selbst übertroffen, un' wenn man ihnen glaubt, dann fiebert jetzt jeder Sandfloh in Dungg den Kämpfen entgegen."

Barn grunzte und zuckte mit den Schultern. Seiner Meinung nach waren alle um ihn herum völlig durchgedreht. Seit fünf Tagen wurde er dreimal täglich in einem riesigen bunten Wagen durch die Stadt gefahren und musste sich vom hohlwangigen Volk mit weißen Papierblumen bewerfen lassen. Außerdem musste er jeweils zum Ende aller sechs Arenaprogramme hinaus in den Sand laufen und brüllend und schwertschwingend eine Runde rennen, während sich der Sprecher vor Ekstase überschlug und zwanzig nackte Tanzmädels bunte Tücher an Stangen schwenkten und 'Ber-ser-ker' riefen.

Drakken Beilstein schien der Einzige zu sein, der ihn nicht anhimmelte. Obwohl die beiden Männer täglich zusammen trainierten, blieb der alte Kämpfer Barn gegenüber verschlossen. Selbst als er den Nordmann auf einen Krug Bier unten in Grunters Küche eingeladen hatte, hatte seine Stimme nicht besonders freundlich geklungen. Und jetzt saßen sie einander gegenüber, und die Miene des alten Kämpfers war finsterer als je zuvor.

"Ich bin ein altmodischer Mann", fuhr Drakken fort. "Ich bin in dieser Stadt geboren worden und bin hier aufgewachsen. Seit ich denken kann, lebe ich für die Arena. Und ich war immer stolz auf mich und mein Land."

Der Trainer trank. Dann ließ er plötzlich eine Faust auf den Tisch donnern. Das gefiel dem Tisch nicht sonderlich gut. Er knirschte und knackte.

"Ich habe also auch verflucht nochmal ein Recht darauf, dass dieses Land mich anständig behandelt!", schrie Drakken wütend. "Es wird doch jeder Emporkömmling aus dem Nirgendwo mit Ehren überhäuft, obwohl er so käuflich ist wie eine Bratwurst! Früher, zu meiner Zeit, da wäre das nie passiert! Früher ging es darum, das Volk mit ehrlicher Unterhaltung aus seinem harten Alltag zu holen! Jetzt wird das Volk betrogen und belogen! Das Land verkommt immer mehr, während die armen Lumpen mit bunten Bildern, faden Fechtern und nackten Weibern in die Arena gelockt werden, damit sie nicht merken, wie elend ihr Leben ist!"

Schweratmend verstummte der alte Krieger. Er blickte wieder grimmig in seinen Krug, als wäre der kühle Saft darin an allem schuld.

Schließlich hob er den Kopf wieder. Sein Auge funkelte. Mehr denn je sah er aus wie das steinerne Abbild eines aus gutem Grund vergessenen Gottes der Gewalt. Dann grinste er. Diesmal wurde sogar dem Barbaren flau im Magen.

"Du hast was gut bei mir!" dröhnte der Trainer, dass dem Barbaren vor so viel spontaner Herzlichkeit die Ohren schmerzten. "Ich hab' gedacht, du wärst auch nur ein weiterer Aasgeier, der im halbtoten Leib meines Landes nach Gewinn wühlt... aber dann hab' ich gehört, dass du Jon Ben Sissi gerettet hast, oben an der Grenze!"

Drakken ließ einen Arm über den Tisch schnellen und verpasste dem Nordmann einen kräftigen Schlag auf die Schulter. Dann zwinkerte er Barn freundlich zu. Sein Gesicht wirkte, als stünde der alles vernichtende Bergrutsch kurz bevor.

Doch stattdessen trat von hinten eine verhüllte Gestalt an den Tisch und setzte sich neben den Trainer.

Die Gestalt schob die Kapuze zurück. Große, grüne Augen lachten den Norländer aus einem dunkelbraunen Gesicht an.

"Barn von Täppenwinkel, alter Barbar!" rief Jon Ben Sissi überschwänglich.

Barn blinzelte und runzelte die Stirn. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis er den Schwätzer aus der Wüste erkannte, aber es war immerhin auch schon drei Wochen her, dass er ihn das letzte Mal gesehen hatte.

"Ho, Mann!" brummte der Barbar dumpf. dass er sich auch noch an den Namen des Kerls erinnerte, konnte nun wirklich niemand verlangen.

Jon grinste auf seine breite Art. Seine schlanken Hände spielten wie nervöse Kätzchen miteinander.

"Wir haben uns in den Bergen ja leider irgendwie..." Er hob entschuldigend die Schultern. "Irgendwie aus den Augen verloren... aber ich sehe, dass du deinen Weg auch so gemacht hast... Champion Erster Klasse... da kann ich nur gratulieren..."

Er streckte dem Nordmann eine schlanke Hand hin. Der knurrte warnend und legte einen muskelschweren Arm schützend um seinen Bierkrug.

Der schlanke Mann stutzte kurz, dann wollte er sich schier ausschütten vor Lachen.

"Haha, immer noch der alte Scherzbold!" rief er und stieß Drakken den Ellenbogen in die Seite. Der Trainer schnaubte nur kurz.

Sehr plötzlich wurde Jon dann wieder ernst und beugte sich verschwörerisch zu dem Barbaren herüber.

"Du wirst einem alten Bekannten eine kleine Bitte bestimmt nicht abschlagen..."

Barn blickte Jon scharf an. Da konnte kommen, was wollte, dem Burschen würde er keinen Tropfen Bier abgeben!

Jon neigte den Oberkörper noch weiter vor.

"Ich habe Kämpfer um mich gesammelt.", raunte er. "Sie sind bereit, gegen die Unterdrücker loszuschlagen. Aber sie müssen auch wissen, dass das Volk auf ihrer Seite ist. Sie brauchen ein Zeichen."

Der Barbar nahm demonstrativ einen großen Schluck Bier und rülpste. Jon wich ein wenig zurück.

"Aber das Volk braucht selbst ein Zeichen, um zu erkennen, dass es die Revolution will!", fuhr er dann fort. "Seit dreißig Jahren ist König Dunggur unfähig, das Land zu erhalten, und veranstaltet stattdessen Spiele! Und jetzt vertrauen die Bürger der schillernden Scheinwelt der Arena mehr als ihrem eigenen leeren Magen! Menschen verhungern, weil sie lieber Eintrittskarten kaufen als Essen. Niemand arbeitet mehr, denn alle, die noch Kraft genug haben, schleppen sich in die Arena. Die wenigen noch fruchtbaren Felder verkommen, die Bewässerungsanlagen zerfallen, es wird nichts mehr produziert - außer Unterhaltung. Das muss aufhören!"

Barn rieb sich die Stirn. Jons Rede war wie ein Rauschen in seinem Kopf. Er grunzte. Früher hatte ihn ein Krug Bier nie so müde gemacht. Das kam alles nur von diesem seltsamen Leben, immer nur in einem Gebäude, immer nur Baden, Essen, Schlagen, Schlafen! Das war auf die Dauer nichts für einen Krieger aus dem Norland. Bei der nächsten Gelegenheit würde er nach dem Weg nach Täppenwinkel fragen und verschwinden, bei Gruunz!

Voll Entschlossenheit ließ er die Linke auf die Tischplatte krachen. Der Tisch fand immer noch keinen Gefallen an dieser Art der Behandlung. Er bekam einen Riss.

Jon interpretierte den Schlag als Zustimmung.

"Genau!" rief er und hieb ebenfalls auf das strapazierte Holz. "Schluss damit! Das Volk muss aus seiner Unmündigkeit herausgeführt werden! Und du kannst uns dabei helfen!"

Er setzte sich wieder hin.

"In drei Tagen ist dein Kampf gegen Shanka. Aber Shanka wird dich nicht angreifen. Es ist alles abgesprochen. Was passiert, ist nicht gegen dich gerichtet, sondern ist für meine Kämpfer das Zeichen für den Beginn der Revolution. Alles, worum ich dich bitte, ist, ruhig zu bleiben. Du bleibst einfach stehen und tust gar nichts, in Ordnung?"

Barn grunzte.

"Also abgemacht!" rief Jon Ben Sissi. "Es lebe die Revolution!"

Drakken und er standen auf. Zum Abschied klopfte Jon mit den Fingerknöcheln einmal auf die Tischplatte. Der Tisch knarrte ein letztes Mal. Dann brach er zusammen.

 

*

 

Trompeten ertönten überall von den Dächern von O'bah Dungg. Bunt bemalte Tauben kreisten in dichten Wolken über der Stadt. Im Viertel des Stabes brannten riesige Feuer, deren Rauch mit Duftölen aromatisiert war. Lieblich singende Chöre goldbehängter Hostessen begleiteten die Mengen der heranströmenden Zuschauer auf der Prachtstraße zur Arena. Sprecher mit großen, bronzenen Schalltrichtern brüllten die Namen von Sponsoren und Dienstleistern ins Publikum. Riesige Bildtafeln mit Darstellungen des blonden Berserkers und der verhüllten Gestalt des geheimnisvollen Shainman Shatten wurden herumgetragen. Glocken wurden geläutet. An allen Ecken verkauften Männer des Präsentors Papierblumen und Fähnchen; weiß für Bolz Berserker, schwarz für Shainman. Freundliche Schläger in den Uniformen der königlichen Soldaten achteten mit einem Lächeln auf den Lippen darauf, dass niemand die Umzäunungen durchbrach, und ihre weniger freundlichen Kollegen in den anderen Teilen der Stadt sorgten dafür, dass wirklich niemand das größte Spektakel des Jahres verpasste. Sie durchsuchten alle Häuser und trieben die Einwohner mit Knüppeln auf die Straße.

Es wurde wie immer viel geschrien und wenig gelacht.

 

In der marmorgetäfelten Vorbereitungshalle der Ersten Klasse plätscherten parfümierte Fontänen in polierte Silberschalen und brachten sie zum Klingen. Aber die wunderbar leichte, feenhafte Wassermusik konnte das immer lautere Geschrei von draußen nicht mehr übertönen. Barn lief unruhig hin und her und fluchte immer wieder. Er trug nur eine weite, weiße Tuchhose mit hohem Bund und Riemen an den Fußgelenken. Drakken und Angina hatten stundenlang auf ihn einreden müssen, denn der Barbar hatte mit der angeborenen Trotzigkeit eines Hochnorländers nicht einsehen wollen, dass er seine goldene Rüstung heute nicht anziehen durfte. Entsprechend nervös beäugten die beiden ihren Kämpfer jetzt auch. Auf der zerklüfteten Stirn des Trainers hatte sich ein kleiner Gebirgsbach aus Schweiß gebildet, und Angina zog alle Augenblicke ihr viel zu knappes Kleid zurecht; außerdem warf sie hektische Blicke auf Kahlkopf und Blondzopf, die in einer Ecke saßen und alles kauten, was sie an Fingernägeln an ihren Händen finden konnten.

Ein Bote mit gehetzten Augen kam durch eine kleine Tür hereingerannt.

"Herren! Meine Herren!", rief er. "Shainman Shatten ist noch immer nirgendwo zu finden!"

Kahlkopf sprang auf. "Was soll das heißen?" brüllte er.

"Keine Ahnung!" gab der Bote zu, drehte sich um und verschwand wieder.

Das beruhigte Kahlkopf natürlich überhaupt nicht. Mit weiten, klatschenden Schritten - es waren gerade Sandalen mit übergroßen Sohlen in Mode - kam er auf Angina zu.

"Schwester, eins sage ich dir - wenn dein Projekt absäuft, kannst du deinen entzückenden Hintern direkt ins Löffengehege tragen!", schrie er. "Die Soldaten haben sogar Alte und Kranke, Hochschwangere und Neugeborene in die Arena geschleppt, damit wirklich das gesamte Volk sieht, wie gut wir es unterhalten! Das Schicksal des gesamten Reiches hängt von diesem Kampf ab! Du bist dem König und dem Präsentor persönlich dafür verantwortlich, dass der Abend ein voller Erfolg wird!"

Doch die Frau war so leicht nicht einzuschüchtern.

"Wie ich euch zwei Knaben kenne, habt ihr dem König die Idee doch als eure eigene verkauft, oder?" höhnte sie. "Warum sollte er also meinen Hintern haben wollen, wenn er ihn gar nicht kennt?"

Der Mann blieb recht abrupt stehen. Sein Kahlkopf verfärbte sich rötlich.

"Wir durften gar nicht direkt zum König!", maulte Blondzopf von hinten. "Wir haben mit einem stellvertretenden Vizeassistenten des Präsentors gesprochen. Das ist auch ein wichtiger Mann. Sagt er. Der Präsentor und der König seien seit in einer wichtigen Besprechung in der Königsloge der Arena. Da würde nicht einmal Gott Buulb selbst vorgelassen, wenn der käme, hat er gesagt."

Trainer Drakken schnaubte verächtlich. "Das kriegt man von euch seit Jahren zu hören, wenn man was von euch will!"

Aber niemand achtete mehr auf ihn, denn in diesem Augenblick kam der Botenläufer wieder.

"Shainman Shatten steht jetzt im Torraum der Vierten Klasse bereit.", keuchte er. "Das heißt, es geht jetzt los.", ergänzte er dann mit einem giftigen Blick auf Kahlkopf.

"In Ordnung." Drakken packte den Barbaren an der linken Schulter und hielt ihn fest. "Jetz' geh'n wir's an, mein Großer!" dröhnte er zuversichtlich. "Denk' an alles, was du gelernt hast! Ich seh' dich in der Arena!"

Dann flüsterte er noch: "Lauf vor die Wand bleib da stehen. Tu gar nichts, was auch passiert. Kriegst'n Fass Bier von mir, wenn alles klappt!"

Barn brummte und bohrte mit dem kleinen Finger der rechten Hand im linken Ohr. Drakken war kein besonders erfahrener Flüsterer. Er hatte ziemlich gesabbert.

Vor dem Barbaren öffnete sich das elegante, silberbeschlagene Tor der Ersten Klasse. Abendlicht und ein ungeheurer Lärm kamen herein.

Mit mürrischem Gesicht setzte sich der Nordmann in Bewegung. Er sah immer noch nicht ein, warum er heute die goldene Rüstung nicht tragen durfte.

 

Das Geschrei, das ihn draußen erwartete, war schlimmer als alles, was er bisher in der Arena erlebt hatte. Es war wie harter Hagel, schmerzend am ganzen Körper. Trotzdem hob er die Arme und schwenkte sie grüßend durch die Luft. Papierblumen und Kleidungsstücke regneten auf ihn nieder. Barn schwor bei Gruunz, dass es wirklich das letzte Mal war, das er so etwas machte.

Er senkte die Arme wieder und bewegte die Schultern, um sich zu lockern.

Der Sand unter seinen Füßen war noch heiß von der Sonne und den Kämpfen des Tages. Beim Gehen stießen seine nackten Zehen manchmal gegen weiche Dinge, die die Abdecker beim Aufräumen übersehen hatten.

Der Gegner war eine schmale, dunkle Gestalt, dreihundert Schritte entfernt. Obwohl Barn die sinkende Sonne im Rücken hatte und seine Augen scharf wie die eines Schneeadlers waren, konnte er nicht viel erkennen. Scheinbar war der Bursche von oben bis unten in dicken schwarzen Stoff gehüllt. Der Nordmann grunzte und grinste. Das würde ihn nicht davor bewahren, furchtbar verhauen zu werden, hoho!

Und verhauen würde er ihn, denn entgegen seiner sonstigen Art hatte der Barbar die unheimliche Begegnung im Garten noch nicht vergessen. Dafür hatte ihn der schwarze Mann viel zu sehr erschreckt.

Der Gegner ließ sich Zeit. Langsam und gelassen ging er auf Barn zu. Der Barbar brummte ärgerlich. Das Publikum schmerzte ihm so sehr in den Ohren, dass er den Kampf heute schnell hinter sich bringen wollte. Er beschleunigte seinen Schritt.

Plötzlich stach ihn etwas in den linken Fuß. Er fluchte laut und blieb stehen. Er blickte nach unten. Aus dem Sand ragte etwas auf, ein dicker, gebogener Holzstab mit einer glänzenden Sehne daran, und eine metallblitzende Spitze an einem dünneren Stab. Die Spitze hatte seinen linken großen Zeh geritzt.

Barn grunzte. Da lagen Pfeil und Bogen im Sand! Er spuckte aus. Jeder Nordmann verachtete diese feige Waffe, die es sogar einem Mädel möglich machte, einen Krieger zu töten!

Er nahm den Bogen und zerbrach das geschmeidige Holz über dem Knie. Damit würde niemand mehr jemandem in den Rücken schießen, bei Gruunz!

Ein schriller Schrei kam von vorne. Barn schleuderte den Bogen beiseite und beugte sich kampfbereit vor. Er grinste. Plötzlich hatte es der schwarze Kerl eilig. Schreiend und gestikulierend kam er angerannt.

Der Sprecher ließ seine Stimme durch die Arena donnern, und was er sagte, verursachte einen ungeheuren Jubel. So konnte Barn nicht verstehen, was der schwarze Kerl brüllte, als er nun mit einem Riesensatz auf ihn zusprang.

Er duckte sich in Erwartung des Angriffs und kreuzte die Unterarme vor dem Gesicht.

Doch Shainman Shatten griff den Nordmann nicht an. Stattdessen fiel er auf die Knie und starrte auf den zerbrochenen Bogen.

Barn verlagerte eine Zeitlang das Gewicht von Fuß zu Fuß, ballte die Fäuste und entspannte sie wieder, knurrte und grunzte und versandte stechende Blicke, bis ihm auffiel, wie unnötig das alles war.

Er trat einen Schritt vor, immer noch wachsam, aber auch mit wachsender Verärgerung. Was sollte denn dieser Unsinn? Da machten alle einen Riesenaufstand wegen diesem gruunzverdammten Angeber, und jetzt konnte der gar nicht richtig kämpfen, sondern fiel einfach um!

Shainman schien nun erst auf ihn aufmerksam zu werden. Er hob den Kopf und betrachtete den Barbaren, als wäre er etwas, was ein großer, fetter Vogel mit schlechter Verdauung gerade fallen gelassen hatte.

"Du Idiot!" zischte Shainman und schwenkte die Reste des Bogens. "Wie soll ich jetzt den Sprecher erschießen?"

Aber Barn hörte die Worte gar nicht. Er starrte auf seinen Gegner. Sein Verstand mühte sich mit aller Macht, zu begreifen, was er da sah. Schweiß lief über Shankas Gesicht. Der schwarze Bart war verrutscht und klebte wie ein ekliger Essensrest an einer Wange. Und ohne den Bart sah der Kerl gar nicht mehr aus wie ein Kerl. Der Barbar knirschte mit den Zähnen. Ihm kam ein ungeheurer Verdacht.

Mit einer blitzschnellen und eleganten Bewegung beugte er sich vor, packte Shainman vorne am Gewand und riss ihn auf die Beine. Dabei riss auch der schwarze Stoff. Und was darunter zum Vorschein kam, gehörte auf keinem Fall einem Kerl!

"Ein Mädel!" brüllte der Barbar außer sich. Er hob die Fäuste und schüttelte sie. "Ihr wolltet mich gegen ein Mädel kämpfen lassen!"

Das Publikum wurde plötzlich ruhig.

Shainman hielt den Stoff über den Brüsten zusammen und zischte: "Ich hätte gekämpft. Und ich hätte dich fertig gemacht. Aber mein Bruder hatte diese andere Idee."

Der Nordmann schüttelte nur den Kopf und stieß das Mädel grob von sich. Dann drehte er sich um und stampfte mit festen Schritten durch den Sand auf die geschmückten Balkone des Königssegments zu. Die Sonne war hinter der Arena versunken. Eifrige Sklaven entzündeten rings um den Kampfplatz Tausende von Fackeln. Das flackernde hellrote Licht ließ den Sand wie eine Abendwolke schimmern. Doch Barn hatte keinen Blick für diese Schönheit. Seine Zähne knirschten aufeinander, während in ihm die Wut wuchs und wuchs und wuchs.

Er hatte Geschrei und Prügel ertragen, auf Bier, Bäder und Spaß verzichtet und täglich trainiert, um sich auf diesen Kampf vorzubereiten; sogar seine goldene Rüstung hatte er stehen lassen - und dann stellte man ihm ein Mädel hin! Ein Mädel!

Jemand auf diesen bunten Balkonen würde dafür bezahlen müssen!

 

Der unterste Balkon des Königssegments lag mehr als ein halbes Dutzend Barbarenlängen über dem Boden, unerreichbar selbst für den kräftigsten Löffen. Aber die einst glatte Mauer hatte unter der Zeit und den Sandstürmen gelitten und bot einem geübten Kletterer kleine Rinnen und Kerben als Halt für Finger und Zehen. Und Barn, der schon als Kleinkind von mehr Felsen gefallen war als ein Seemann in seinem ganzen Leben, war ein geübter Kletterer.

Vor der Mauer standen allerdings drei mit Spießen bewaffnete Soldaten und blickten nervös dem Barbaren entgegen.

"He! Was immer du vorhast, Berserker!", rief einer und hob seine Waffe. "Ich werde dich auf jeden Fall... nicht daran hindern!" Er warf den Spieß in den Sand und rannte davon. Seine beiden Kameraden zögerten kurz, dann eskortierten sie ihn dabei.

Barn lachte geringschätzig und grub seine Finger in die Wand. Wie eine Spinne kletterte er schnell und sicher bis zu dem vorspringenden Rand des Balkons, den schwarzgoldenes Tuch bedeckte. Er packte es und riss es mit einem Ruck ab. Wie Geierflügel sank der Stoff dem Sand entgegen. Schrilles Geschrei ertönte, als der Barbar sich dann auf die Brüstung schwang. Er blinzelte.

In der prachtvoll ausgestatten, gut beleuchteten Loge waren einige leicht bekleidete und sichtlich übergewichtige Männer erschrocken aufgesprungen und versuchten jammernd, sich hinter den schlanken Leibern nackter Sklavinnen zu verstecken. Als der Barbar verächtlich knurrte, plumpsten zwei der Männer ohnmächtig auf die polierten Marmorfliesen.

Barn schüttelte den Kopf, ging in die Knie und sprang dann hinauf zum Geländer der zweiten Loge. Die dicken Kerle interessierten ihn nicht. Weiter oben gab es jemanden, der ihm nicht erst heute gewaltig auf die Nerven gegangen war: Den Sprecher.

Hinter der zweiten Brüstung sah es aus wie hinter der ersten. Männer und Frauen flohen kreischend, als der Barbar zwischen sie sprang, Tische und Liegen hochriss und aufeinander stapelte. Der Balkon des Sprechers lag so hoch über ihm, dass er durch einen Sprung nicht zu erreichen war.

Ein etwas beherzterer Knabe zog einen Dolch aus seinem modischen Umhang und stürzte sich auf den Nordmann. Der unterbrach das Stapeln nicht einmal, sondern schlug den Angreifer einfach wie eine lästige Fliege beiseite und nahm sich den nächsten Tisch.

Als die improvisierte Treppe höher als die Stirn des Barbaren aufragte, bestieg Barn das gefährlich knirschende Gebilde und bekam nach einem gewagten Satz gerade noch ein Sims zu fassen. Unter ihm brach der Stapel zusammen.

Eine Zeit lang ruderten die nackten Füße des Barbaren in der Luft. Dann fanden seine Finger eine Zierkordel, die mit genügend dicken Golddrähten durchwebt war, um einen zweihundertfünfzig Pfund schweren Krieger auszuhalten. Barn schwang daran hin und her, bis er ein Bein auf die vorspringende Brüstung über sich bringen konnte.

Als der Barbar endlich schnaufend in die Loge des Sprechers geklettert war, dröhnte ihm aus einer Reihe von fünf fast mannshohen Bronzetrichtern ein Schrei entgegen, der ihn zu Boden warf. Der Lärm war schlimmer als ein Schlag auf den Schädel.

Aber der Mann aus dem Hochnorland war viel zu wütend, um sich davon lange aufhalten zu lassen. Fluchend sprang er auf und drosch so lange auf die Riesentrompeten ein, bis sie nur noch verbeulter Schrott waren. Dahinter fand er ein kleines, zitterndes Männchen auf einem Hocker. Sonst war niemand zu sehen. Barn grunzte und packte den Mann an seiner knittrigen Bellybah. "Wo is' der Sprecher, Zwerg?" dröhnte er gefährlich.

"Ich bin der Sprecher, K-kämpfer!" stammelte der Mann.

Barn kniff die Augen zusammen und schickte dem Kleinen seinen bedrohlichsten Blick. "Lüg' mich nich' an!"

"I-ich bin es wirklich!" Der Mann zeigte auf seinen Mund. "Hör doch meine Stimme!"

Barn runzelte die Stirn. Tatsächlich klang der Bursche wie der Sprecher, nur irgendwie viel leiser.

Plötzlich fühlte der Barbar sich, als habe ihm jemand auf den Kopf geschlagen. Die geringe Größe des Mannes, dessen donnernde Stimme ihn durch den heißen Sand der Arena gejagt und ihn verhöhnt hatte, brachte seinen ganzen Plan durcheinander. In seiner simplen Phantasie hatte er sich den Sprecher als einen Bären von einem Kerl vorgestellt, der es wert war, dass man ihm beide Fäuste mit aller Kraft unter das Kinn schmetterte, und zwar mehrfach, bei Gruunz!

Er schüttelte den Sprecher wütend.

"Oh bitte!" jammerte der Mann mit letzter Kraft. "Ich bin genauso nur ein Diener der Arena wie du! Nicht mal meine Texte darf ich selber schreiben! Lass deine Wut an jemandem aus, der besser bezahlt wird!"

Der Barbar grunzte. Es würde ihn tatsächlich nicht besonders beruhigen, dieses Männlein hier zu verprügeln. Mit einer mürrischen Bewegung schleuderte er den Sprecher gegen die Wand und setzte sich auf den Hocker. Jetzt musste er erstmal überlegen, was er weiter unternehmen wollte.

 

Auf den Rängen der Arena war Unruhe entstanden. Bis auf die reglos im Sand sitzende Shanka war das fackelerleuchtete Rund unten leer, und das war nicht besonders unterhaltend. Mit sich allein gelassen und ohne Schauspiel begannen die Zuschauer untereinander zu streiten. Viele weinten auch fassungslos.

Dabei war um sie einiges los. Soldaten rannten durch die Sitzreihen auf das Segment des Königs zu, um Bolz Berserker aus dem Balkon zu holen. Andere Soldaten versuchten sie aufzuhalten, weil die Kletterei ihrer Meinung nach zum Programm gehörte. Die Erfrischungshändler mit ihren Bauchläden nutzten die Pause und priesen lautstark Knabbereien und Getränke an.

Und dann sprang ein schmaler, langer Mann von den untersten Sitzreihen durch die Flammen auf den drei Meter tiefer liegenden Sand und lief auf die Mitte zu, wo Shainman Shatten kauerte. Der Mann hatte einem Platzanweiser die Sprechtüte aus gehämmertem Kupfer entrissen und stellte sich damit breitbeinig neben die Frau.

"Volk von Dungg!" brüllte er durch die Tüte. "Mancher von Euch kennt mich vielleicht: Ich bin Jon Ben Sissi."

Auf den Zuschauerrängen wurde es noch lauter, denn viele kannten Jon Ben Sissi nicht und fragten die Nachbarn, wer der schmale Mann sei und gegen wen er schon gekämpft habe.

Die Soldaten dagegen wussten sehr gut, wer Jon Ben Sissi war: Auf seinen Kopf war seit sechs Jahren eine Belohnung von fünfhundert Fekal ausgesetzt, sowie eine lebenslange Ehrenkarte für die Arena inklusive freier Getränke und einer Bockwurst täglich. Sie zogen ihre Schwerter und bahnten sich rücksichtslos einen Weg durch die Menge nach unten.

Doch plötzlich standen aus den Reihen der Zuschauer dunkel gekleidete Männer mit Kapuzen auf, die ebenfalls Waffen in den Händen hielten. Sie stellten sich den Soldaten entgegen. Die Uniformierten waren davon so überrascht, dass sich die meisten widerstandslos entwaffnen ließen. Die anderen gingen den üblichen Weg von Verlierern in der Arena.

"Volk von Dungg!" begann Jon erneut. "Ich stehe heute Abend hier vor Euch als Sprecher der Revolution! Wir werden uns befreien! Wir werden die Herrschaft der Unterdrücker abschütteln und ein neues Dungg aufbauen, einen Staat, in dem jeder an jedem Tag genug zu essen hat, eine Arbeit und ein Dach über dem Kopf! Wir werden die Bewässerungsanlagen reparieren, die Felder wieder bestellen und die Steuern abschaffen! Und alle sieben Tage gibt es freies Eis für alle Kinder!"

Er machte eine Pause, aber falls er Begeisterung erwartet hatte, wurde er enttäuscht. Dem Publikum war von den Akteuren auf dem Sand schon weitaus Aufregenderes versprochen worden.

Jon fuhr sich durch die Haare. Er senkte die Sprechtüte und sagte etwas zu Shainman. Die gestikulierte wild und zeigte auf das Segment des Königs. Jon machte eine beruhigende Geste, hob die Tüte wieder und fuhr fort: "Bolz Berserker steigt in diesem Augenblick hinauf zur Loge des Königs, um ihm einen Katalog mit unseren Forderungen zu überreichen..."

Jetzt jubelte die Menge. Sie ließ sogar weiße Papierblumen auf Jon Ben Sissi regnen.

Denn wenn der Berserker mitmachte, dann war das wohl in Ordnung mit der Revolution.

 

Der Berserker hatte gerade beschlossen, noch nicht zu denken, sondern erst einmal etwas zu Essen zu suchen - die ganze Aufregung hatte ihn hungrig gemacht - da hörte er lautes Geschrei und das Klirren von Waffen.

Er kniff die Augen zusammen, als ein Mann vom Balkon über ihm herabstürzte und dicht neben seinen Füßen aufschlug. Was, bei Gruunz, war denn jetzt schon wieder los? Konnte ein Mann hier nicht einmal in Frieden Hunger haben? Knurrend stand er auf, riss ein dickes Bronzerohr von etwa drei Füßen Länge aus den Resten des Stimmverstärkers und ließ es einmal prüfend kreisen. Wenn jemand Ärger haben wollte, sollte er ihn bekommen!

Vom Arbeitsplatz des Sprechers führte eine schmale Holztreppe zum Balkon darüber. Gebückt rannte der Barbar die Stufen hinauf, das Rohr wie ein Schwert schräg über dem Kopf. Er durchbrach ein hölzernes Türchen und stand auf einer breiten, marmorgefliesten Terrasse, auf der sich Soldaten mit Männern in dunklen Kapuzenumhängen schlugen. Einige Tote lagen herum.

Für die Dunklen sah es schlecht aus, denn die Uniformierten hatten sie bereits bis zum Balkongeländer gedrängt und drängten immer noch. Ein Soldat mit rotem Gesicht und verbeultem Helm drehte sich um, sah den Barbaren und brüllte ihn an.

"Steh' nich' so rum, Sklave, lauf' zur Wachstube und hol' Verstärkung! Die Kerle wollen den König töten!"

Barn blickte mit gerunzelter Stirn hinter sich, sah dort aber keinen Sklaven. Dafür sah er aus einem schmalen Tor an der Seite des Balkons weitere Soldaten kommen.

"Da!" schrie ein Mann mit Goldhelm. "Der Kerl mit der weißen Hose, das ist Bolz Berserker! Er führt diesen Aufstand an. Tötet ihn!"

Vier Uniformierte mit gezogenen Schwertern rannten von vorne auf den Barbaren zu, und auch die Soldaten hinter ihm scheinen das Interesse an den Kapuzenmännern zu verlieren und sich lieber mit ihm anlegen zu wollen.

Barn wich zurück, bis er den rauen Stein einer Marmorstütze im Rücken fühlte. Er brummte.

Es waren mehr Gegner, als er Finger an den Händen hatte, und sie waren viel besser bewaffnet als er. Selbst wenn das Bronzerohr dem geschmiedeten Stahl der Klingen standhielt, welche Chance hatte er, damit die Lederpanzer der Soldaten zu durchbohren?

Nur gut, dass er sich nicht wirklich Gedanken darüber machte, sondern nach guter alter Norländerart einfach brüllend nach vorne stürmte und sein Rohr wirbeln ließ. Drei Soldaten warfen ihre Waffen gleich weg und flohen, zwei weitere sanken auf die Knie und flehten um Gnade. Und die restlichen sieben sahen sich plötzlich nicht nur einem wütenden Barbaren, sondern auch fünf gut bewaffneten Männern in Kapuzenumhängen gegenüber.

Barn blickte sich hektisch um und entdeckte in einer Kapuze ein bekanntes Gesicht. Ein sehr hässliches Gesicht. Es gehörte Grabratte Ghulkopf, einem Kämpfer, der schon blutend vor Barn in den Staub der Arena gesunken war, bevor der Barbar ihn überhaupt mit dem Schwert berührt hatte.

Diesmal jedoch kämpfte er gut. Barn kam nicht dazu, sein Rohr am Schwert eines Soldaten zu erproben.

Als der Kampf vorbei war, nahm Grabratte den Barbaren beiseite. Er kicherte. "Keine schlechte Idee, den Plan zu ändern un' dich statt der Zicke Shanka hier rauf zu schicken.", rief er. "Kommt viel besser an bei den Leuten, würd' ich wetten. Haste geseh'n, wie die drei Soldaten abgehau'n sin', als du gelaufen kamst?"

Hinter Grabratte waren zwei Kapuzenmänner dabei, die Besiegten mit Vorhangkordeln zu fesseln. Zwei andere mühten sich mit einer Leiter ab, die sie gegen die Brüstung des über ihnen liegenden Balkons lehnen wollten. Aber die Leiter war zu kurz. Ihr oberes Ende schwankte kurz unterhalb des Geländers wie ein Betrunkener beim Eislaufen.

"Komm', Berserker, du kanns' doch klettern wie 'ne Mücke auf 'nem Priesterarsch!", rief Grabratte und zeigte auf die Leiter. "Wir wollten eigentlich von hier unten zum König hochsteigen, als die Soldaten uns überrascht ham. Shartigk das Schwert un' ein paar Kumpels versuchen es von innen, aber da sin' noch viel mehr Wachen!"

Barn maß die Leiter mit einem kritischen Blick, dann wuchtete er seine zweihundertfünfzig Pfund hinauf. Begleitet von den Flüchen der Männer, die die Leiter halten mussten, stieg er hoch, packte die Brüstung und zog sich empor. Diesem Wirtskönig würde er jetzt seine Meinung so deutlich machen, dass der einen Mond lang nicht mehr sitzen konnte, ho!

Aber was er dann sah, hätte ihn beinahe wieder rückwärts in die Tiefe stürzen lassen. Das schwere Bronzerohr fiel ihm aus der Hand und pfiff am Ghulkopf von Grabratte vorbei, der dicht hinter ihm geklettert kam.

"Eh, du Volldepp, was..." wütete der hässliche Mann, als er neben Barn in die Loge sprang. Dann sah auch er und verstummte. Erst nach einer Weile fand er wieder Worte. Und es waren keine sehr schönen:

"Scheiße, was issen hier passiert?"

Es war dunkel auf dem Balkon, aber von den Seiten fiel genug Licht hinein, um das Unglaubliche deutlich zu machen. Inmitten von Gerümpel, Sandverwehungen und zerfetzten Vorhängen lagen auf den Stufen vor einem verwitterten Thron zwei vertrocknete Leichname. Die mumifizierten Körper waren auf bizarre Weise miteinander verflochten, denn am Ende ihres Lebens hatten sie einander eng umarmt und sich dabei gegenseitig Dolche in den Leib gerammt.

"Bei Buulb! Der König un' der Präsentor!" Grabratte deutete auf die Kleidungsreste, den schmalen Goldreifen um den geschrumpften Schädel des einen und die schwere Kette mit einem silbernen dreizackigen Stern in einem Kreis um den brüchigen Hals des anderen. "Aber die sin' bestimmt schon 'n paar Jahre tot... hat das denn niemand gemerkt?"

Der Barbar starrte mit gerümpfter Nase auf die beiden Toten. dass man in einem Gasthaus die Kammern derart verkommen ließ, gefiel ihm nicht. Er spuckte in den Staub.

"Ho, Kumpel, das is' jetz' genug!" verkündete er. "Jetz' geh' ich heim nach Täppenwinkel."

Der hässliche Mann kratzte sich das borstige Kinn. "Abhaun is' vielleicht keine ganz dumme Idee..."

Da begann ein dumpfes Pochen im Boden, und es knarrte und krachte, als würden welke Sehnen gedehnt, um längst tote Körper zu bewegen. Wolken pfeffrigen Staubes wirbelten hoch. Barns Nackenhaare stellten sich auf wie die Stacheln eines erschrockenen Igels. Der Norländer sah, wie ein Zittern durch die beiden Mumien lief. Obwohl er aus Erfahrung wusste, dass eine Klinge wenig gegen die Wut der Toten half, fuhr seine Linke instinktiv hinter sein rechtes Ohr, dorthin, wo sie normalerweise den abgewetzten Griff des Schwertes Windmacher fand.

Das Pochen wurde zu einem Donnern, und nun begann ganz deutlich der Thron zu hüpfen. Die Mumien rutschten raschelnd die Stufen hinunter.

Grabratte fluchte und fuchtelte mit seiner Waffe hilflos in der Luft herum. Die Furcht machte sein Gesicht nicht hübscher. Barn knirschte mit den Zähnen, damit sie nicht klapperten.

Da stürzte der Thron mit einem gewaltigen Getöse von seinem Podest, zerbrach auf den Stufen und begrub die beiden Leichen unter seinen Trümmern.

Dort, wo der Thron gestanden hatte, gähnte eine Öffnung. Und aus der Öffnung hob sich erst eine Fackel, dann lugte das schmale Gesicht von Shartigk dem Schwert hervor. Der Kämpfer sah sich mit zusammengekniffenen Augen um, dann erkannte er die beiden Männer unter sich und schnitt eine Grimasse.

"Und ich dachte, ich wäre der Erste auf dem Ball des Königs.", brummte er missmutig. "Wo habt ihr zwei den alten Sack denn hin geschafft?"

Grabratte hatte gewisse Probleme mit seiner Atmung und konnte erst nach einer Weile antworten. Und wie immer waren seine Worte nicht die gewähltesten.

"Sag mal, du Riesenarsch, musst du alte Kumpels so erschrecken?" schrie er. "Dein Scheiß-König liegt da unter dem Rest von dem Scheiß-Thron, un' er sah vorher schon schlechter aus als sein Stuhl jetz'!"

"Bitte?" Shartigk hob eine buschige Braue.

"Der König is' tot! Mausetot!" brüllte Grabratte. "Un' nich' erst seit gestern! Un' der Präsentor liegt neben ihm, genauso kalt, genauso steif, genauso trocken!"

Shartigk kletterte ächzend aus dem Loch und hob die Fackel, um besser sehen zu können. "Tot? Beide?“

Er stieg die Treppen hinunter und versetzte den Trümmern des Throns einen Stoß mit dem Fuß. Den beiden Leichen hatte die Behandlung nicht sehr gut getan, aber sie waren tot genug, um sich nicht zu beschweren.

Draußen im Rund der Arena begann das Publikum nach Bolz Berserker zu rufen.

"Verdammt!" fluchte Shartigk. "Holt Jon Ben Sissi hier rauf!"

 

Drakken Beilstein, Grunter der Koch und Shanka begleiteten den dünnen braunen Mann, als er den Balkon des Königs betrat. Die Wachen am Eingang hatten sich den Aufständischen ergeben, und so konnten die vier durch die arg mitgenommene offizielle Prunktür gehen, deren Angeln nur deshalb nicht verrostet waren, weil man sie aus Gold geschmiedet hatte.

"Das mit dem Bier kannste vergessen, Großer!" knurrte der Trainer den Barbaren an, als er an ihm vorbeiging. "Aber wie du die Mauer hoch bist - alle Achtung." Er schlug Barn auf die Schulter.

Shanka funkelte den Mann aus dem Norden böse an, sagte aber nichts. Grunter nickte knapp. "Komm nachher runter in die Küche", brummte er. "Heute gibt es zur Feier des Abends wieder einen Grottengruul!"

Jon Ben Sissi schob seine Begleiter beiseite und trat zu den beiden Mumien.

"Die beiden sind tot? Und keiner hat es gewusst? Das ist ja zum Lachen!" sagte er und lachte. Es war kein besonders echtes Lachen. "Und was sagen wir den Leuten da draußen?"

Er zeigte über die Brüstung auf die wogende Masse, die die Ränge bedeckte wie ein stürmisches Meer bei Nacht. Die Zuschauer hatten sich in eine rhythmische Raserei gesteigert. Ihre Rufe kamen mit der Gewalt von Hammerschlägen: "Ber-ser-ker! Ber-ser-ker! Bolz! Bolz!"

"Wenn ihr mich fragt", sagte Grabratte Ghulkopf und deutete mit einem dreckigen Daumen auf Barn. "Schickt ihr am besten unseren gelbhaarigen Freund hier aufs Geländer un' lasst ihn mal lieb winken."

"Es fragt dich aber keiner, Ratte!", polterte Drakken gereizt.

Jon verzog das Gesicht und hob eine Hand. "Streitet euch nicht. Wir müssen nachdenken."

Der Barbar grunzte nur. Wie konnte dieser Bursche ans Denken, wenn da draußen so laut gebrüllt wurde, dass einem der Schädel schlimmer dröhnte als ein Bierfass beim Anstechen?

Er hielt sich die Ohren zu, aber der Ruf des Publikums war so mächtig, dass er die Arena erschütterte, den Boden unter den Füßen des Nordmannes zum Beben brachte und auf diesem Umweg immer noch Zugang zu Barns Kopf fand. Das war zu viel, selbst für einen mit den lärmenden Männerhäusern der bierliebenden Nordmänner vertrauten Barbaren aus Täppenwinkel. Mit einem riesigen Satz war Barn auf dem handbreiten Geländer des königlichen Balkons, hob die Fäuste und brüllte mit allem, was Lunge und Kehle hergaben: "Ruhe, verdammt nochmal!"

Das Volk von Dungg sah im Feuerschein die halbnackte, muskulöse Gestalt mit den wirren hellen Haaren auf dem Balkon und geriet in Ekstase. Ein ungeheures Stöhnen hob sich dem Barbaren entgegen. Es war ein Stöhnen der Erleichterung, der Erwartung, der Hoffnung.

Den unsensiblen Nordmann machte es allerdings nur noch wilder. Wenn ihn Drakken und Grunter nicht von hinten gepackt und herab gezerrt hätten, wäre er wahrscheinlich vor Wut von der Balkonbrüstung gesprungen.

Das schnelle Verschwinden des Berserkers brachte das Publikum kurz zum Schweigen. Doch schon erhob sich ein anderer Ruf, zunächst ganz leise, nur aus wenigen Kehlen, schließlich aber wieder donnernd laut: "König Bolz! König Bolz! König!"

"Verdammt!" fluchte Jon Ben Sissi oben auf dem Balkon. "Dieser Idiot! Und diese Schafe! Ich werde zu ihnen sprechen müssen."

Vorsichtig stieg er auf das Geländer. Die Menschen verstummten kurz, aber nachdem alle gemerkt hatten, dass er nicht der gewünschte Mann war, forderten sie noch lauter danach, den Berserker zum König zu machen. Als Jon erkannte, dass er selbst mit seiner Sprechtüte nicht gegen den Lärm und die Begeisterung ankam, beugte er sich nieder zu Drakken, der hinter ihm stand.

"Ich habe eine Idee.", sagte er zu dem Trainer. "Sieh zu, dass du die Krone von diesem Schädel da runter bekommst. Und stell den Barbaren nochmal hier rauf!"

Drakken kniff sein Auge zusammen. "Ist das eine gute Idee?" brummte er.

"Sie hat schon einmal funktioniert."

Drakken schüttelte den Kopf, tat aber, was Jon gesagt hatte. Die Krone vom vertrockneten Haupt des Königs zu nehmen war so einfach wie Nüsse knacken. Dem Barbaren musste man allerdings erst zwei Fetzen von Jons Bellybah in die Ohren steckten, bevor er sich bereit erklärte, noch einmal auf die Brüstung zu steigen.

Als er erschien, brach ein ungeheurer Jubel aus, der erst nachließ, als auch der Zäheste sich heiser geschrien hatte. Jon nahm die Finger aus den Ohren, hob eine Hand und zeigt damit auf Barn.

"Ja, Volk von Dungg!", sprach er durch seine Tüte. "Vor euch allen steht der neue König! Der alte König Dunggur ist... zu müde, um weiter zu regieren. Er wird das Land verlassen, um eine alte Tante in Thenil zu besuchen, was er immer schon einmal vorhatte, wozu er aber nie kam. Er hat unserem blonden Helden die Krone übergeben. Hoch lebe König Bolz Berserker!!!"

Die Menschen holten das Letzte aus ihren wunden Kehlen, um in Jons Ruf einzustimmen. Der schmale Mann zog die Krone aus seiner Bellybah, hob sie hoch und ließ sie im Licht der tausend Fackeln funkeln. Dann setzte er sie auf den Kopf des Barbaren. Die Menge keuchte ergriffen.

Barn knurrte. Noch so ein übler Blödsinn! Die Morgensonne würde ihn auf dem Weg nach Hause sehen, und wenn er dazu auf einem Pferd reiten musste!

Er schüttelte noch einmal wütend die Faust, dann sprang er zurück auf den Balkon. Dort schleuderte er den Kronreif in eine Ecke, riss sich die Stofffetzen aus den Ohren und sagte: "Ich geh' jetz'."

Drakken packte den Barbaren an einem Arm und wollte ihn wieder zum Geländer ziehen, aber Jon winkte ab. "Lass ihn.", sagte er, während er von der Brüstung kletterte. "Wenn er freiwillig geht, umso besser."

Der Trainer sah den schmalen Mann an, als habe der eben einen Aal geküsst.

"A-aber - ihr habt ihn doch eben zum König gemacht...", stotterte er, "Was sollen wir dem Volk sagen?"

"Gar nichts.", sagte Jon grinsend. "Den alten König und den Präsentor hat auch niemand vermisst. Sie waren eben bei einer Besprechung. Sogar die Mitarbeiter des Stabes und die Wachen direkt vor dieser Tür haben sich keine Gedanken gemacht. Alles ist so gut organisiert, dass es von selbst läuft, solange alle glauben, was man ihnen erzählt. Wenn das Volk meint, das Bolz Berserker hier oben sitzt, sitzt Bolz Berserker hier oben."

"Aber - das ist doch Betrug!" rief Drakken. Er sah so verwirrt und besorgt aus, wie ein Felsmassiv nur aussehen konnte.

Jon legte einen Arm um Drakkens Schultern. Er hatte sehr lange Arme, trotzdem reichte es fast nicht.

"Mach' dir keine Sorgen, mein Freund. Vertrau mir.", sagte er mit warmer Stimme. "Wir müssen das Volk vor sich selbst schützen. Wenn wir alles Bekannte auf einmal verändern, gibt es nur Durcheinander. Also werden wir die Dinge noch eine Weile so weiterlaufen lassen wie bisher. Mit Arena und Kämpfen und allem. Und im Hintergrund arbeiten wir und machen alles besser. Verstehst du?"

Drakken nickte, obwohl er nicht glücklicher wirkte als vor Jons Erklärung.

Jon lachte und klatschte in die Hände.

"Dann ist ja alles prächtig!" rief er. "So, jetzt möchte ich noch, dass du den Barbaren ganz unauffällig aus der Arena und über die Grenze schaffst. Wenn er noch etwas mitnehmen möchte, lass ihn. Aber verlier keine Zeit."

Jon bückte sich, um den schmalen Goldreif aus dem Staub zu holen. Mit breitem Grinsen setzte er die Krone auf.

"Na bitte - mir passt sie auch!"

 

*

 Brummend trieb der Barbar das Maultier den schmalen Bergpfad hinauf. Das dumme Vieh war so störrisch, dass beide schneller vorangekommen wären, wenn der Nordmann das Tier getragen hätte, als umgekehrt. Aber dann hätte er die goldene Rüstung zurücklassen müssen, die er dem Tier auf den Hintern gebunden hatte.

Es war bedrückend heiß in der engen, aufwärts führenden Schlucht. Der Fels schien zu glühen, und die Luft gaukelte allerlei fantastische Bilder vor. Barn nahm zum dutzendsten Male den Wasserschlauch aus der Bellybah, entkorkte ihn und trank ein paar Schlucke der heißen Brühe. Drakken hatte ihn ermahnt, mit dem Wasser sparsam zu sein, aber wenn ein Mann Durst hatte, hatte er Durst, da konnten selbst die Götter nichts machen, bei Gruunz!

Er rülpste bekräftigend. Jemand neben ihm rülpste ebenfalls, laut und hallend. Barns Hand fuhr zum abgegriffenen Knauf seines Schwertes Windmacher. Er zog die Waffe und knurrte bedrohlich. Jemand neben ihm knurrte bedrohlich. Das machte den Nordmann wütend. Er hob die Klinge über den Kopf und brüllte: "Ho, komm un' zeig' dich, du feiger Hund!" Jemand neben ihm brüllte: "Ho, komm un' zeig' dich, du feiger Hund!"

Barn runzelte die Stirn. Wollte man ihn verhöhnen?

Doch dann fiel ihm ein, dass es zu Hause in den Bergen an gewissen Stellen etwas Ähnliches gegeben hatte. Wenn man rief, wurde die eigene Stimme von Geistern zurückgeworfen. 'Echo' hatte Godskalk der Druide das genannt.

Der Barbar räusperte sich. Dann richtete er sich auf und begann ein zotiges Norländer-Trinklied zu grölen, das schauerlich von den Wänden der Schlucht widerhallte. Er sang erst eine Strophe, lauschte dann grinsend seinem eigenen Geschrei, dann sang er weiter, und grinste und lauschte erneut.

So hätte das ewig weitergehen können, denn Norländer-Trinklieder sind so lang wie die eisige Norland-Nacht, wenn nicht eine scharfe Stimme, die ganz bestimmt kein Echo war, von vorne: "Halt!" gerufen hätte.

Sieben Männer in der Uniform von Grenzsoldaten traten auf den Pfad. Ihr Anführer, ein kleiner, drahtiger Mann mit einer großen Raubvogelnase und einem kleinen, gefetteten Spitzbärtchen, schritt mit erhobenem Schwert auf den Barbaren zu.

"Soso, wieder ein Hungerleider, der sich ungesehen aus dem herrlichen Land meines Königs Dunggur schleichen will! Das mag ich überhaupt nicht, denn das ist gegen das Gesetz!"

Das Maultier erschrak und bäumte sich auf. Die schöne goldene Rüstung fiel scheppernd zu Boden, und der Barbar folgte ihr. Er wollte sofort wieder aufspringen, aber der Muli war in Panik und trat ihm bei seinem Fluchtversuch mit beiden Hinterläufen so kräftig gegen den Kopf, dass für Barn alles schwarz wurde.

 

*

 

Barn öffnete die Augen einen Spalt.

Er lag, in dicke Ketten gewickelt, auf der Pritsche eines Ochsenkarrens. Die Sonne brannte auf ihn herab und ließ seine Lippen trocken werden.

Zwei Männer in schmutzigen Bellybahs marschierten neben dem Karren. Sie trugen Speere über den Schultern.

"Eh, Fahradh!" rief der eine. "Unser Mann is' wieder wach! So schnell schon! Na, ich verwette meinen Monatssold, dass er ein Champion wird!"

Barn schloss die Augen wieder. Eine seltsame Art hatten die Echos hier in den Bergen.