Eine Jagdgeschichte

Es war eine eisige und stürmische Nacht. Vier Männer saßen um ein Feuer, das gegen brutale Böen um sein Leben kämpfte. Bald würde es den Kampf verlieren, denn die Männer hatten kaum noch Brennholz.

Dabei gab es Holz, Mengen von Holz, ganz in der Nähe. Keine fünfzig Meter hinter den Männern lag die dunkle Masse des Niffelwaldes, dessen uralte Bäume den Wind im Griff ihrer knochigen Äste fingen und zum Heulen brachten. Aber die Männer würden ihn nicht betreten, nicht bei Nacht.

Unglückliche Umstände hatten sie gezwungen, ihr Lager so nahe am Rand des verfluchten Walds aufzuschlagen. In dem Land nördlich der Berge, aus dem die Männer kamen, war der Winter mit unerwarteter Härte viel zu früh hereingebrochen, und die Herden der mächtigen Weißmuffel, die fetten Elken und das andere Wild waren weit vor der Zeit nach Süden gezogen, so dass die Menschen im Nordland nun Hunger litten; daher hatten die vier Männer die Passstraße genommen und waren den Tieren so weit gefolgt, wie ihre Kräfte es an einem Tag zuließen.

Die Jäger hielten ihre Waffen – einfache Speere mit schmalen Eisenspitzen - in den klammen Fingern, denn sie vertrauten der Nacht nicht. Der Nacht und dem Wald. Keiner von ihnen dachte an Schlaf.

"He, Wrukker!", rief der Anführer, ein großer, muskulöser Mann mit verfilztem, blondem Haar. Er trug einen Schneebärenpelz, der nach der Art der Nordlandbarbaren grellbunt eingefärbt war: die Kleidung eines erfahrenen Kriegers. "He, Wrukker, erzähl' uns 'ne Saga, damitte Nacht rumgeht!"

Dann biss er ein Stück von dem Trockenfleisch in seiner Faust ab und kaute gewaltig.

Der Angesprochene, eine kleine, wieselartige Gestalt mit einem Netz alter Narben im Gesicht, spuckte ins Feuer und schüttelte den Kopf. "Nä! Ich heb' meine Stimme nich' in so einer Nacht, inner Nähe vom Niffelwald; das is' nich' gut, is' das!"

Der blonde Mann knurrte.

"Dann du, Ubbo!", befahl er. Ubbo war der jüngste der Gruppe, ein Riese mit gemütlichen, bartlosen Gesichtszügen, die im Augenblick allerdings eine Maske tiefen Unbehagens waren.

"Ho, Barn, nee, ich weiß nix", stieß er zwischen klappernden Zähnen hervor. "Mein Kopp is' wie eingefroren."

Er hüllte sich fester in seinen Umhang aus Schafswolle und starrte mit ängstlichen Augen in die Nacht.

"Bei Gruunz, weiß'n hier keiner was zu erzählen?", fluchte Barn.

Niemand antwortete. Der Wind wirbelte Schwaden feiner Eiskörner in die Gesichter. Aus dem Wald drang eine Serie krachender Geräusche, als brächen Äste unter einer schweren Last. Das Feuer flackerte. Die Männer blickten sich unbehaglich an.

"Das erinnert mich an die Nacht, als wir mit Hauleif dem Schänder bei den Steilen Zähnen lagerten."

Ole Worm, ein alter Krieger mit einem Bart wie frostiger Reisig und einer Stimme wie berstendes Eis, hob sein zottiges Haupt zum sternlosen Himmel. Er war ein wortkarger, mürrischer Sonderling, niemand hätte ihn je um eine Geschichte gebeten. Und doch sprach er jetzt. "Genau so war es damals, die Sturmriesen brüllten, und die Luft war kalt wie der Kuss einer Fylgja."

Das klang so interessant, wie es unerwartet war. Die Männer beugten sich erwartungsvoll vor. Ole blickte ihnen nacheinander in die Augen.

"Alle waren unruhig", fuhr er fort, "denn die Ruinen von Ouwslac waren nah; zu nah, um einen anständigen Mann auch nur ein Auge schließen zu lassen."

Die Männer nickten. Jeder von ihnen kannte die düsteren Geschichten, die man über die Ruinen der alten Grenzfestung erzählte.

"Wir hörten Geräusche, die unser Blut zu Eis werden ließen, jeder von uns hielt die blanke Waffe auf den Knien. Selbst Hauleif saß stumm vor seinem Zelt, ein Bündel Jerkwurz in der Faust. Er kaute wie ein Besessener."

Eine Reihe dumpfer Schläge kam vom Wald her, dann ein hohler Klagelaut. Wrukker spuckte ins Feuer. Ubbos Zähne schlugen so fest aufeinander, dass ihr Geräusch über dem Wind zu hören war.

Barn presste die Lippen zusammen.

"Was passierte dann, Mann?", fragte er ungeduldig.

Ole zuckte mit den Schultern.

"Nix. Irgendwann wurde es hell, und wir zogen weiter."

"Nix?", rief Barn aufgebracht. "Einfach gar nix?"

Ole nickte nur.

"Das is doch keine Geschichte!", beschwerte sich Wrukker. "Inner Geschichte passiert was, sonst isses keine!"

"Hab ja auch nich gesagt, dasses ne Geschichte is!", verteidigte sich Ole. "Ich hab nur gesagt, das erinnert mich an die Nacht, als wir mit Hauleif…"

Er verstummte. Und wurde bleich.

Die Jäger waren nicht mehr alleine.

Jenseits des schwachen Lichts des sterbenden Feuers stand ein gewaltiger Schatten, von dem sich vier gebogene, schwach schimmernde Hörner abhoben. Jedes Horn hatte die Länge eines ausgewachsenen Mannes. Zwei kleine, feurige Augen betrachteten die Jäger aus der Schwärze darunter.

Barn sprang als Erster auf.

"Bei Gruunz!", brüllte er. "Ein Hornvater! Rettet euch!"

Doch es war zu spät.

Mit einem bestialischen Schnauben sprang der Hornvater vor, und die tonnenschwere Masse aus Hörnern, zottigem Fell und ledrigen Panzerplatten stürmte mitten zwischen die Männer. Ubbo wurde beiseite geschleudert wie eine Strohpuppe, Wrukker und Barn konnten sich in letzter Sekunde durch Sprünge retten.

Doch nicht auf sie hatte es der Koloss abgesehen, sondern auf Ole. Für einen langen Augenblick, den sie nicht mehr vergessen würden, sahen Barn und Wrukker den alten, grauen Krieger schreckensstarr vor der Bestie stehen, sahen, wie sein Mund Worte zu formen suchte, und wie der kleine, nutzlose Jagdspeer aus seinen Händen zu Boden fiel. Dann zertrampelte der Hornvater das Feuer, und die Nacht stürzte herab wie eine schwarze Wolke.

Nach einer Weile verhallten Oles entsetzliche Schreie in weiter Ferne.

 

Viel später gelang es Wrukker, aus der zerstreuten Glut wieder ein kleines Feuer in Gang zu bringen. Im flackernden Licht starrten die Jäger einander in die bleichen Gesichter und brachten lange Zeit kein Wort heraus.

Erst, als am östlichen Himmel ein grauer Schimmer erschien und das Toben des Windes für den Moment aufhörte, fand Wrukker den Mut, zu sprechen.

"Das, bei Glungg, das war jetz' 'ne Geschichte.", sagte er.

Barn nickte. "Hm, ja, da is' was passiert", stimmte er zu.

"Un' es gab ein Ende." Wrukker spuckte ins Feuer. "Hätter sie besser mal gleich so erzählt."

"Hm."

Stumm blickten sie in die Flammen, bis es zu regnen begann.