1.
Der kleine graue Priester rieb sich ächzend den
Rücken. Die sechshundertsechsundsechzig feuchten Stufen von der Königsburg von
Thenil hinunter zum unterirdischen Altar des Pomander bereiteten ihm mit jedem
Hinabsteigen mehr Beschwerden.
Das Treppengewölbe war so niedrig, dass er gebückt
gehen musste, und das war für einen Mann von zweiundsechzig Jahren nicht
einfach. Dann gab es noch den üblen Dunst aus dem 'Bodenlosen Pfuhl', der ihm von unten aus der Tempelgrotte
entgegenstieg, mit klammen Geisterfingern nach seinen rheumatischen Knochen
griff und in seinen kultgemäß spitz zugefeilten Zähnen schmerzte. Den
schlimmsten Schmerz aber verursachte das Wissen, dass er nach dem Gottesdienst
den gleichen Weg wieder hinaufsteigen musste.
Wegen dieser Unbequemlichkeiten hatte der
pragmatische Gastridis die Anrufungen seines göttlichen Herren auf das nötige
Mindestmaß beschränkt. Dazu gehörte auch, dass er die meisten Opfergaben für
sich behielt. Nur wirklich unbrauchbare Geschenke wie gehäkelte Lurchpuppen,
kandierte Katzen oder Krötenschoner aus Holzwolle warf der graue Mann noch in
den Pfuhl, wo sich der Gott an ihnen auf die Ihm Eigene Weise
delektieren konnte.
Gastridis konnte sich diese Lässigkeit leisten,
denn die Manifestationen des uralten Gottes wurden seit Jahren schwächer.
Manchmal stieg bei den - schon lange nicht mehr öffentlichen - Anrufungen nur
noch übelriechender Schaum statt des ölig-glatten Lurchleibes aus den trüben
Wassern des Pfuhls, und selbst wenn der Gott einmal erschien, sabberte er,
redete wirres Zeug und sang alberne Lieder, genau wie ein betagter Greis, der
der Obhut seines Wohnheims entkommen war.
Das musste sich selbst ein hingegebener Priester
nicht häufiger als einmal im Monat antun.
Und Gastridis war schon lange kein hingegebener
Priester mehr.
Im Gegenteil: Das Hinschwinden seines Herren kam
Gastridis grundsätzlich gelegen, denn er hatte den Dienst am Gott gründlich
satt. Sechsundvierzig Jahre seines Lebens hatte er einem blubbernden Lurch mit
miesen Manieren gewidmet. Das war genug.
Überhaupt wollte kaum noch jemand in der Stadt an
eine göttliche Amphibie glauben. Das wirkte irgendwie überholt, so wie die
ganze Spezies. Und ohne Anbetung welkte der Gott dahin wie eine Pflanze ohne
Wasser.
Ohne Gläubige gab es auch keine Opfergaben.
Das war des Priesters Problem. Spenden waren das
einzige gewesen, was dem mürrischen Gottesmann die Arbeit mit dem launischen
Lurch angenehm gemacht hatte.
Früher, in Gastridis' Jugend, hatte sich unter dem
Knarren der Gallenfrösche bei Neumond halb Thenil in den Sümpfen
zusammengefunden, um mit ekstatischer Hingabe Jungfrauen zu würgen und in
Tümpel zu tunken. Und Pomanders Opfertruhen waren stets zum Bersten gefüllt
gewesen. Doch seit den neumodischen, spektakulären Kulten jüngerer Götter wie
Smaat-Voon oder Cthulhu auch bis in die alte Karawanenstadt gedrungen waren,
schwand die Zahl der Anhänger des alten Erzlurchs rapide. Und das, obwohl der
Herrscher der Stadt traditionsgemäß immer noch offiziell zu Pomander betete.
Daher war der Priester erstaunt, als er den Fuß
der Treppe erreichte und das Wasser des Bodenlosen
Pfuhls in heftiger Bewegung fand. Die klamme Luft war voller Geisterbilder
und stank salzig nach Sumpf, ganz wie in den alten Zeiten, als der dicke
Lumbago noch Hohepriester gewesen war und Gastridis nur sein junger Gehilfe.
Selbst die neun fetten und faltigen Buckelkröten,
die heiligen Tiere des Gottes, hatten nach langen Jahren scheintoter
Reglosigkeit wieder ihre gelben Augen geöffnet und ließen die bleifarbenen
Zungen spielen.
Zögernd raffte Gastridis die Robe aus Mäuseleder
um den mageren Leib und trat an den Altarblock aus grobem Granit. Es hieß, der
Gott selbst habe vor Zeiten die Abbilder von paarenden Lurchen in den harten
Stein gekratzt. Wenn die Sage wahr war, war es gut, dass der Gott ein Gott war,
denn als Bildhauer wäre er verhungert.
Gastridis räusperte sich, hob die Arme und wollte
die Anrufung beginnen.
Doch da stieg schon ein grässlich schlürfendes
Wispern aus dem blasenschlagenden Wasser und füllte die niedrige Grotte mit zitternden
Lauten, die fühlbar wurden wie ein taumelnder Schwarm geflügelter Maden. Die
Kröten hoben ihre schweren Häupter und ließen ein blubberndes Grunzen hören.
"GASTRIDIS! ICH HABE DICH ERWARTET!"
gurgelte es durch den Raum.
Gastridis schluckte heftig, bevor er antwortete.
"Ja, Meister?"
"GASTRIDIS, MEIN PRIESTER!" gurgelte der Gott.
"AUCH WENN DU MIR IN LETZTER ZEIT RECHT SCHLECHT GEDIENT HAST, SO SOLL DIR
DOCH NUN EINE UNGEHEURE EHRE ZUTEIL WERDEN: DU WIRST DER WEGBEREITER MEINER
EWIGWÄHRENDEN HERRSCHAFT WERDEN!"
Gastridis duckte sich, als ein gewaltiges,
schwarzschleimiges Gebilde spritzend aus dem Pfuhl schoss und tausend
phosphoreszierende Augen öffnete. Der Priester staunte: das war das Tausendfältig Leuchtende Lurchauge, eine
der mächtigsten Manifestationen Pomanders. Warum verschleuderte der schwindende
Gott seine Kraft auf diese Weise?
"GASTRIDIS! SCHON LANGE BIN ICH GESCHWÄCHT
DURCH DAS GELÄCHTER ALBERNER JUNGER GÖTTER! DAS WINDIGE PACK HAT MICH VON DEN
ORTEN VERTRIEBEN, VON DENEN ICH OHNE ANSTRENGUNG ZU DEN MENSCHEN SPRECHEN
KONNTE, UND ES STIEHLT MIR DIE GLÄUBIGEN, AUS DEREN OPFERN UND GEBETEN ICH MICH
NÄHRE! SELBST HIER, IN MEINEM EIGENEN TEMPEL, KOSTET ES MICH KRAFT, ZU DIR ZU
SPRECHEN. ICH WERDE NICHT LANGE BLEIBEN KÖNNEN. HÖRE ALSO GUT ZU UND MERKE
JEDES WORT, DENN ES SPRICHT VON DER WIEDERGEBURT DES EWIGEN SUMPFES, DER
NIEDERKUNFT DEINES HERREN!"
"Meister, ich höre!" rief der Priester
und senkte demütig das Haupt. Dabei überlegte er, ob Pomander nun wohl völlig
den Verstand verloren hatte. Falls ein Lurch – selbst ein Lurch-Gott -
überhaupt jemals so etwas wie einen Verstand gehabt hatte.
"ICH WEISS, dass DER ALTE KÖNIG EINE NEUE
GATTIN GEWÄHLT HAT", fuhr der Gottlurch blubbernd fort. "DIESE FRAU
ABER IST DURCH EINE FÜGUNG DES SCHICKSALS VOR BALD SIEBZEHN JAHREN WÄHREND
EINER MONDFINSTERNIS GENAU IN DER MITTE DER NACHT DES SCHWARZEN LURCHES UNTER
ANWENDUNG VON GEWALT GEZEUGT WORDEN UND GEHÖRT DAHER MIR, OHNE dass SIE ES
SELBST WEISS. NUN, DA SIE SICH IN MEINER STADT AUFHÄLT, KANN ICH SIE ZU MEINEM
GEFÄSS MACHEN UND MICH SELBST ALS IHR KIND IN IHREN SCHOSS SÄEN. NACH NEUN
MONDEN WERDE ICH DANN ALS IHR UNSTERBLICHER SOHN GEBOREN WERDEN, UND MEINE
MACHT WIRD, DA ICH MITTEN UNTER DEN MENSCHEN STEHE, GRÖSSER SEIN ALS DIE ALLER
ANDEREN GÖTTER! HA, ICH WERDE DIESES TROCKENE, EITEL SCHWATZENDE PACK AUS
SEINEM ALBERNEN PANTHEON WERFEN UND ES IN DIE ABGRÜNDE JENSEITS DER STERNE
TREIBEN! DANN WIRD ES NUR NOCH MICH GEBEN, UND DIE MENSCHEN WERDEN IM
KÖSTLICHEN MORAST KNIEN UND BETEN, BIS DICKES BLUT WIE SCHLEIM VON IHREN LIPPEN
LÄUFT!"
Der Gott machte eine Pause und ließ seine Augen
blinken. Das Quaken der Kröten schwoll.
"Sehr gut, Meister!" rief Gastridis,
nicht wirklich überzeugt. "Und was soll ich dabei tun?"
"WIE ICH BEREITS SAGTE, KOSTET ES MICH VIEL
KRAFT, AUF DER EBENE DER MENSCHEN ZU ERSCHEINEN. DAHER BRAUCHE ICH EINEN ANKER
IN DEINER WELT, EINE HÜLLE, EINEN STERBLICHEN KÖRPER, UM IN DIE KÖNIGIN
EINZUDRINGEN!"
Gastridis erbleichte. Das konnte der Lurch nicht
ernst meinen!
"Aber... Meister! Ich bin alt... und mein
schwacher Rücken war für die Liebe nie geeignet..."
"NICHT DU!" donnerte der Lurchgott
ungehalten. "ICH BRAUCHE EINEN JUNGEN MANN, DER VON KÖRPERKRAFT STROTZT;
EINEN HITZIGEN BERG AUS FLEISCH UND MUSKELN, EINEN POTENTEN KRIEGERISCHEN HÜNEN,
DER EINES GOTTES WÜRDIG IST. NUR SEIN GEIST muss SCHWACH UND DUNKEL SEIN, DAMIT
ICH IHN DURCHDRINGEN KANN. ICH KANN MEINE KRAFT NICHT DAFÜR VERSCHWENDEN, DEN
WIDERSTAND EINES WACHEN GEISTES ZU BRECHEN. DU SOLLST EINEN SOLCHEN MANN
FINDEN! ICH WEISS, dass EIN FEST IN DER STADT IST UND VIELE MENSCHEN DORT
WANDELN. AN AUSWAHL WIRD ES ALSO NICHT MANGELN."
Gastridis seufzte. Er hasste es, sich unter das
Volk zu begeben. Man respektierte ihn dort nicht mehr so wie früher, und Kinder
machten hinter seinem Rücken manchmal spöttische Froschgeräusche, wenn er durch
die Straßen ging.
"Sehr wohl, mein Meister! Ich werde einen
Gehilfen aussenden. Er ist Hauptmann der Königsgarde und der schwarzen Kröte in
tiefer Angst ergeben!"
Der Gott blubberte. Ein schwarzer Tentakel schoss
durch die Luft und hämmerte wie ein aufgebrachter Steinmetz wütend auf den
Altarstein ein.
"NEIN!!! KEIN SKLAVE WIRD GESCHICKT! DU
SELBST WIRST IN DIE STADT GEHEN UND DEN MANN FINDEN! ICH BIN EIN GOTT UND KEIN
ZWEITKLASSIGER DÄMON, DER MIT DER DIENERSCHAFT ABGESPEIST WIRD!"
Gastridis wich erschrocken zurück.
"Natürlich, natürlich. Ich selbst werde
gehen. Du befiehlst, Meister", sagte er matt und zwang seine schmerzenden
Knochen in eine leichte Verbeugung.
"SEHR GUT, MEIN TREUER DIENER!" dröhnte
der Gott. Dann zerfiel seine erhabene Erscheinung sehr schnell zu einem
schwarzen, stinkenden Schaum, der sich im Bodenlosen
Pfuhl knisternd auflöste.
Gastridis stützte sich auf den Altar und schloss
die Augen. Er war erschöpft und verwirrt.
"Na gut, dieses eine Mal noch... "
murmelte er schließlich.
Dann trieb ihn der Gestank aus der Grotte.
Während er wieder langsam die
sechshundertsechsundsechzig Stufen hinauf zu seinem Arbeitszimmer stieg,
steigerten sich die neun heiligen Buckelkröten unten am Pfuhl in eine religiöse
Ekstase und begannen schwerfällig übereinander zu kriechen.
Es war kein schöner Anblick, und ein böses Omen für
die kommenden Zeiten.
2.
Auf der Straße
der Tausend Freuden herrschte dichtes Gedränge, denn es war ein Festtag:
Der König heiratete.
Die Sonne, die nach einem heißen Frühlingstag in
einem Schleier aus orangefarbenen Dunst wie eine keusche Tempeltänzerin hinter
den zahlreichen Türmen der Stadt Thenil unterging, beleuchtete eine bunte
Vielzahl von Menschen, die auf der Suche nach Sensation und Rausch über das
schmutzige Pflaster und erste Betrunkene stampfte.
Hunderte Händler und Schausteller waren aus dem
umliegenden Land und der nahen Küstenstadt Brack, einige auch aus den
Nachbarreichen Myr Mamon und Dungg und sogar dem nebeldurchzogenen Myll im
Osten gekommen, um den Besuchern die Augen aus dem Kopf und das Gold aus der
Tasche zu ziehen.
Zelte mit Attraktionen und feilen Waren drängten
sich in jedem freien Platz längs der Vergnügungsstraße, Straßenmusikanten
trugen zu dumpfem Trommelschlag schaurige Balladen vor, Akrobaten und Narren in
bunten Lumpen vollführten Kunststückchen, lauthals rufende Männer mit
Bauchläden drückten sich durch die Menge, und an allen Ecken und Enden brieten
Garköche miserables Fleisch in offenen Feuern.
Selbst die Gilde der Taschendiebe von Thenil hatte
für diesen Tag die Zunftbrüder aus Brack herbeigerufen, da der Meisterdieb
fürchtete, allein mit seinen Getreuen der Massen nicht Herr werden zu können.
Lachen und Singen, Trinken, Stehlen und Springen
waren die überall vorherrschenden Tätigkeiten.
*
König Dullbert, seit mehr als fünfzig Wintern
Herrscher über Stadt und Land Thenil, hatte den Tag - der nur ein gewöhnlicher
Mittwoch und nach dem alten magischen Kalender von Thenil auch noch 'Tag der
Widerwärtig Warzigen Farzenden Warzenkröte' war - zu seinem Hochzeitstag und
zum allgemeinen Festtag erklären lassen. Das bewies zwar wenig Feingefühl, aber
der König war – wie erwähnt – alt, und er verspürte einen gewissen Druck.
Des Königs neue Braut - die mittlerweile achte -
war am Vortage, dem 'Dienstag', einem Dienstag, eingetroffen. Die
sechzehnjährige 'Clandine die Mandeläugige' war die siebzehnte Tochter
Vilimunds des Unentschlossenen, des derzeitigen Häuptlings der Garstek. Die
Garstek waren ein Nomadenstamm aus den Steilen Zähnen, dem Gebirge, das des
Königs Land im Norden begrenzte. Immens fruchtbar, vermehrten sich die Garstek
in einem Maße, dass ihnen die heimatlichen Gebirgsschluchten zu eng geworden
waren und sie in letzter Zeit in wachsenden Zahlen die Grenzhöfe Dullberts
überfallen und verwüsten mussten.
Daher erhoffte sich Dullbert - neben Sicherheit an
der Grenze - auch endlich Nachwuchs aus dieser Verbindung. Alle bisherigen Ehen
des Monarchen waren an der - stets hohepriesterlich nachgewiesenen -
Unfruchtbarkeit der Gattinnen gescheitert. Der Scharfrichter hatte sie trennen
müssen.
Öffentlich hatte der König am Tag Der Dürren, Haarigen Und Ziemlich Feigen Kreatur, Die Sich Nie
Wäscht - oder auch 'Montag', nach dem alten Kalender - seine Absicht, am
Hochzeitstag auch gleich den Thronfolger zu zeugen, vom Goldenen Balkon des
Schlosses verkündet.
Die Bürger hatten natürlich gejubelt, aber
insgeheim gab es manche bedrückte Miene. Zu viele junge Königinnen hatte das
Volk von Thenil schon enthauptet in den Sümpfen versinken sehen, weil sie dem
König kein Kind geboren hatten. Und auch für die neue Gattin standen die
Chancen schlecht. König Dullbert zählte mittlerweile dreiundsechzig Jahre, und
dann gab es da noch dieses Gerücht von einem Unfall mit einer Wagendeichsel in
des Königs Jugend.
Ehrliche Begeisterung löste allerdings die
Ankündigung Dullberts aus, dass am Hochzeits- und Zeugungstag in der ganzen
Stadt ein gewaltiges Fest gefeiert werden würde und der Wein nur ein Zehntel
seines sonstigen Preises kosten solle!
Am 'Dienstag' - oder auch 'Dienstag', nach dem alten
Kalender - fiel allerdings manchem Müßiggänger auf, dass Knechte fässerweise
Wasser vom Fluss in die Weinkeller der Wirte und Händler karrten, was
verwunderlich war, denn wer würde Wasser an einem Festtag trinken wollen, wenn
der Wein fast nichts kostete?
3.
Barn der Barbar schwankte missmutig durch die
feiernden Massen auf der Straße der
Tausend Freuden. Genau drei Becher Wein hatte er trinken können, dann war
ihm die Börse gestohlen worden.
Der Dieb der Börse, ein fetter Mann mit Namen
Flinkfinger Jussuf, stand, ebenfalls missmutig, in einer dunklen Seitengasse
und starrte den speckigen Beutel des Barbaren voll Ekel an.
Zwei Kupfermünzen des Königreichs Thenil waren
darin, im billigen Hammerprägeverfahren von der königlichen Münze mit einem
Fleck und einem Wulst versehen, wobei der Fleck das Konterfei des legendären
ersten Stadtgründers und Göttersohns Wiggesbert und der Wulst den Schriftzug
'Alles für Einen' darstellen sollte. Weiter fand sich in dem
Beutel noch eine aus Holz geschnitzte Imitation dieser Münzen, eine Fälschung
mit geringer Bleifüllung und dünnem Kupferüberzug, ein sogenannter
'Barbarenfänger', der seine Existenz hauptsächlich den wirren Gesetzen des
Königs Dullbert von Thenil verdankte.
Brummend steckte Jussuf die drei Münzen ein.
Sicher, diesen Barbaren zu bestehlen war ein geringeres Risiko gewesen, als
einen zehnjährigen Burschen scharf anzusehen, aber es hatte sich auch nicht
gelohnt. Er warf die Lederhülle in die Gosse - der Rest darin war nur Dreck.
Für ihn. Denn unser Barbar, dessen Wissen von
Zahlen und Münzen nur bis zu einem hilflosen 'Bei Gruunz!' reichte, sah darin
den wertvolleren Besitz: Er hatte etwas Schnee aus seiner eisigen Heimat, dem
Hochnorland, darin aufbewahrt – auch wenn er ihn seit langem nicht mehr hatte
finden können - und dann war da noch die blonde Locke der schönen Skjörga
Rundschädel, die er, wenn er in sein Dorf Täppenwinkel zurückkehrte, zu seiner
Frau machen wollte.
Ohne Beutel sah für Barn der Festtag trostlos aus.
Ohne Geld machte ihn allein der Anblick des schier paradiesischen Angebots von
Wein, Speisen und Spaß wütend.
Und dann die Mädels, die überall standen, Hüften
und Brüste wippen ließen und nur darauf warteten, mit einem großen, kräftigen
Burschen wie ihm ein Vergnügen zu haben, vorausgesetzt, er konnte dafür zahlen!
Barn knirschte mit den Zähnen. Nur der Umstand,
dass er bei allem Überfluss nicht genau wusste, was er eigentlich zuerst
wollte, hatte ihn bisher davon abgehalten, sich mit Gewalt zu nehmen, was ihm
sicherlich zustand.
Aber es würde nicht mehr lange dauern, ho!
Jemand rempelte ihn an. Mit einem wütenden Grunzen
legte er eine Pranke auf den Griff seines Langschwertes 'Windmacher'.
Ein kleiner, alter, rattengesichtiger Kerl mit
seltsam spitzen Zähnen stand vor ihm und starrte ihn an. Barn machte
"Hrrrm!" und ließ seine gewaltige Brust schwellen. Ha, dieser Bube
sollte seinen Zorn fühlen!
Der kleine Bursche rührte sich nicht. Seine kalten
grauen Augen wanderten über den Nordmann, als sei dieser eine feile Ware.
Barn grunzte unbehaglich. Sein Schwertarm
erstarrte in Ratlosigkeit. dass der Kerl keine Angst vor ihm hatte, machte ihn
unsicher und ließ seine Wut wie ein gescholtenes Kind zurück in den Bauch
flüchten. Er war sogar erleichtert, als der graue Alte schließlich nickte,
etwas murmelte und dann weiterging.
Als der Barbar sich endlich umzudrehen wagte, um
dem kleinen Mann nachzusehen, war der längst wieder in der Menge verschwunden.
Da überkam den Nordmann neue Wut, und er brüllte
einen kleinen, dicken und bärtigen Bratwurstverkäufer an, der zehn Schritt von
ihm entfernt seiner Beschäftigung nachging und mit der ganzen Sache bestimmt
nichts zu tun hatte. Der Dicke wurde bleich und entfernte sich eilig. Barn
grinste. Ha, war er nicht immer noch ein Kerl, vor dem andere Angst hatten?
Seine Welt war wieder im Lot, und ein paar
Herzschläge später hatte er den Vorfall mit dem Alten bereits vergessen.
*
Die Sonne war untergegangen, und die samtene Decke
der Dunkelheit senkte sich sanft auf die Türme der Stadt. Der traurige Ruf der
Gallenfrösche in den nahen Sümpfen wehte wie ein Gebet über die Mauern.
Viele der Feiernden hatte der Wein mit dem Lauf
von Welt und Zeit versöhnt, er hatte den Kanten des Lebens die Schärfe genommen
und Fremde zu Freunden gemacht. Frohes Grölen hallte von den Häusern links und
rechts der Straße der Tausend Freuden
wider, man umarmte und liebte einander, und das zum Teil so heftig, dass die
Garde einschreiten musste.
Selbst Barn der Barbar war mittlerweile zu drei
weiteren Bechern Weins und einer fettigen Hammelkeule gekommen, spendiert von
einem gutgelaunten Zecher; zudem hatte er bei einem schlafenden Betrunkenen
einen Beutel voll Münzen gefunden, und so war er wieder bester Laune.
Müßig und leicht angetrunken lehnte er an der
bröckelnden Mauer um den 'Brunnen des Breiten Bruno', dessen zentrale Figur
eines kräftigen, nur mit einem Helm bekleideten Kriegers in das Becken
urinierte - eine Anspielung auf die bewegte Geschichte der Stadt - und
beobachtete, wie ein eingeölter Kahlkopf auf einem quer über den Platz
gespannten Seil wackelnd und weintrinkend tanzte. Da fiel ihm das
schwarzhaarige Mädel auf.
Es stand keine fünf Schritt weit entfernt und trug
nichts als einem knappen weißen Schurz auf der bronzebraunen Haut - und wenn er
sich nicht völlig täuschte, hatte es ihm eben auch noch verheißungsvoll
zugezwinkert.
Barn grinste breit. Das Mädel lächelte und winkte
ihm zu. Lässig stieß sich der Krieger vom Brunnenrand ab.
"Ho,
Mädel, bist du auch hier?" sprach er es mit dem barbarischen Instinkt für
die Erfordernis des Augenblicks an. Dabei ließ er seine Augen beifällig über
die geschmeidige Figur gleiten. Glänzende, dunkle Brüste, groß und prall wie
die Weinschläuche der Götter! Bei Gruunz! Er streckte versuchsweise einen
Finger aus.
"Nana, großer Mann", drohte ihm das
Mädel scherzhaft. "Doch nicht hier! Komm, lass uns zu mir gehen!"
Es fasste ihn bei der Hand und zog ihn leichtfüßig
hinter sich her. Genüsslich schnalzend betrachtete der Nordmann das
geschmeidige Auf und Ab der bronzebraunen Hügel der Gesäßbacken vor sich und
war sehr zufrieden mit der Welt.
Das Mädel führte ihn weg von den Ständen und
Menschenmassen. Die Straße der Tausend
Freuden hinab ging es, in Richtung des Marktplatzes, dann links zwischen
den moosüberzogenen Trümmern zweier Tempel vergessener Götter hinein in eine
dunkle Seitengasse.
Es roch übel hier, aber das kümmerte den Barbaren
nicht. Seine scharfen Sinne waren auf andere Dinge gerichtet.
Die Gasse wurde enger, und plötzlich löste sich
die Hand des Mädels aus seiner. Er hörte das eilige Patschen nackter Füße auf
dem schmutzigen Pflaster und eine lockende Stimme: "Komm, großer Mann, und
fang mich, wenn Du kannst!"
Das brauchte man dem Nordmann nicht zweimal zu
sagen. Er liebte solche Spiele! Mit dröhnendem Lachen und weiten Schritten
folgte er dem in der Dunkelheit verschwindenden, schlanken Umriss.
Und dann stimmte auf einmal gar nichts mehr. Ein
Hindernis geriet dem liebestollen Barbaren zwischen die großen Füße; er
stolperte und schlug im stinkenden Dreck der Gasse der Länge nach hin. Ein Netz
fiel über ihn. Er verstrickte sich darin, als er aufzustehen versuchte.
Er hörte noch eine heisere Stimme "Das
isser!" sagen, dann stürzte mindestens die gesamte Welt auf seinen Kopf.
Alles wurde schwarz.
4.
Barn wollte nicht erwachen. Immer wieder schlug ihm
etwas Kaltes und Nasses ins Gesicht, doch er hatte einen so angenehmen Traum,
dass er ihn nicht aufgeben konnte.
Ein Traum von einem Fest, mit viel Wein,
Gebratenem und einem willigen Mädel mit viel brauner Haut und schwarzen Haaren.
"Seht ihr nich', dass ich schlafe?"
grunzte er unwirsch. Als Antwort überschwemmte ihn ein kalter Guss. Wütend
prustend wollte er aufspringen und nach seinem Schwert greifen, doch es ging
nicht. Seine in der lebensfeindlichen nördlichen Eisöde geschulten Sinne
verrieten ihm schnell, dass er gefesselt war.
Er schlug die Augen auf. Was er sah, begeisterte
ihn. Über ihm stand breitbeinig das schwarzhaarige Mädel mit einem tropfenden
Holzeimer in der Hand. Und als Lappen hatte es den weißen Schurz in der Hand.
"Ist gut, Flix! Er ist wach. Verschwind'
jetzt!" befahl eine heisere Stimme. Sehr zum Bedauern des Barbaren
entfernte sich das Mädel.
"So, Nordmann, wenn Du jetzt uns etwas Aufmerksamkeit schenken
würdest...", begann die Stimme von neuem. Barn hob den Kopf.
Über seinen Füßen, die mit dicken Stricken
zusammengebunden waren, ragte - breit wie ein Bär - Kartong auf, der Hauptmann
der königlichen Garde. Er trug einen ledernen Brustpanzer, der mit grellbunten
Schlachtszenen bemalt war, dazu den traditionellen, knappen dunkelbraunen
Lederrock der thenilen Soldaten. Wo der Hauptmann Haut zeigte, wucherten
schwarze, borstige Haare, selbst unter den Kanten des Panzers krochen sie wie
dürre Würmer hervor. Nur sein Kopf war auf wundersame Weise - bis auf Brauen
und Wimpern - völlig haarlos und präsentierte mit vollen, roten Lippen, zarten,
kleinen Ohren und schweren, violetten Lidern eine mädchenhafte Schönheit.
Kartong war in der ganzen Stadt bekannt und
berüchtigt als die brutale rechte Hand des Pomander-Priesters Gastridis, und
für hübsche Knaben war der Name des Hauptmanns mehr als nur ein Fluch.
Neben dem Hauptmann stand Gastridis selbst, ein
kleiner Mann in einer einfachen grauen Kutte mit Kapuze, dessen ebenfalls
grauer Schädel mit der hochgewölbten, kahlen Stirn von zwei großen,
haifischgrauen Augen dominiert wurde. Gemäß der Regeln seines Kultes trug
Gastridis die Zähne spitz zugefeilt. Der Barbar erkannte ihn sofort: das war
der kleine Kerl, der ihn angerempelt hatte.
"Barbar", sprach der Priester den
Nordmann an, "Du wirst mir jetzt gut zuhören."
Der Nordmann blinzelte unwillig. Sein Kopf tat
weh, und er hatte Durst. Er würde nicht zuhören, bei Gruunz!
Der Priester fuhr trotzdem fort, "Wenn Du
tust, was ich sage - und das wird Dir sogar gefallen – wirst Du Thenil als
freier Mann verlassen. Wenn nicht, dann... ffft" Er machte mit dürrer
Klaue eine Bewegung des Kehle Durchschneidens über seinem eigenen, faltigen
Hals. "Hast Du verstanden?"
"Ich hab' Durst", maulte der Barbar.
"Ich werd' dir was geben, Barbar!"
polterte Kartong und hob eine Faust.
"Hauptmann!", mahnte Gastridis und
schüttelte den Kopf. Der Hauptmann senkte die Faust wieder.
"Du sollst Wein haben, Barbar", sage der
Priester. "Und dann wirst du selbst wissen, was zu tun ist. Es wird eine
Frau da sein, und ich denke, der Rest erledigt sich von selbst. Danach wird
jemand kommen, dich hinausführen, dir ein paar Goldstücke und ein Pferd geben
und dafür sorgen, dass du so schnell wie möglich verschwinden kannst. Denn wenn
du nicht verschwindest, könnte es dir übel gehen."
Ein Grinsen entblößte die scharfen Zähne unter den
dunkelgrauen Lippen.
"Kartong, diesen Barbar hätte Pomander selbst
nicht besser wählen können!", rief der Priester, als wäre der Mann aus dem
Norden überhaupt nicht vorhanden. Tatsächlich begann Gastridis zu glauben, dass
der Plan seines Gottes funktionieren könnte. Und dann wäre er mittendrin, der
oberste Priesters des einzigen noch lebenden – wenn man bei Göttern von 'Leben'
sprechen konnte - Gottes auf der ganzen Weltscheibe!
Von plötzlicher Vorfreude erfüllt, rieb er sich
die Hände so fest, dass trockene Schuppen zu Boden rieselten. Dann besann er
sich, und schlug die Handflächen zusammen: "Flix, bring' den Wein!"
Das schwarzhaarige Mädel erschien wieder und
schleppte dabei einen großen Krug.
"Gib ihm zu trinken, aber vorsichtig. Dann
kannst du ihn losbinden. Und dann verschwinde, die Wirkung des Mittels hält
nicht lange an, und ich will nicht, dass er sich an dir verausgabt."
Gastridis kicherte, als Flix das Gesicht verzog.
Er und Kartong entfernten sich.
Das Mädel kniete sich neben den Barbaren und zog
den Wachsstopfen aus dem Weinkrug. Barn sah's mit Wohlgefallen.
"Na, Mädel, bist Du auch hier?"
versuchte er es noch einmal.
"Trink das", erwiderte das Mädel und
setzte ihm den Krug an die Lippen. Dunkle, aromatische Flüssigkeit rann aus dem
Gefäß in die Kehle des Nordmanns. Nach kurzer Zeit lief es wie Feuer durch die
Adern des Barbaren. Das Mädel setzte den Krug ab.
"Aah, Mädel, das ist Wein! Mehr, Mädel, mehr!"
jubelte der Barbar.
Der Krug wurde wieder an die Lippen gehoben, und
Barn trank ihn halb leer.
"So, Mädel, un' nu' mach mich los, dass wir
Spaß haben können!"
"Trink lieber noch ein wenig."
Gehorsam leerte der Barbar den Krug. Das Mädel
stand auf.
"Ah, Mädel!"
Der geschmeidige braune Körper begann vor ihm zu
tanzen. Formen hoben, schwollen und verdoppelten sich. Bei Gruunz! In Barns
Kopf drehten sich bunte Räder, und plötzlich waren da mindestens zwei
schwarzhaarige Mädels.
Auch recht.
"Numachichlos", lallte der Nordmann
fröhlich. Warum wurde denn das verfluchte Licht immer dunkler? Er konnte ja gar
nichts mehr sehen...
Dann schlief er ein.
*
Der Barbar erwachte mit der Schnelligkeit eines
Raubtiers und sprang auf. Das blöde Pflaster in dieser verdammten Gasse! Sicher
war das Mädel inzwischen auf und davon und suchte sich einen anderen Kerl! Er
blickte sich um. Und stutzte.
Ungläubig starrte er auf den großen, gewölbten
Raum, dessen Wände ganz und gar mit Teppichen und alten Fahnen behängt waren.
In einem gewaltigen Kamin vor ihm brannte ein Feuer. Leise knackende
Holzscheite verbreiteten goldenes Licht und eine penetrante Atmosphäre der
Gemütlichkeit.
"Bei Gruunz!" fluchte der Nordmann. Nun
erinnerte er sich wieder an Kartong und den grauen Burschen. Verschleppt und
betäubt hatte man ihn, und nur Gruunz wusste, was die Kerle noch mit ihm
vorhatten! Seine Hand fuhr zum Schwertknauf.
Aber sie fand ihn nicht. Erstaunt blickte der
Barbar an sich herunter. Sein Schwert war fort! Und nicht nur das, auch seine
Hose, sein Wams, seine Stiefel, überhaupt alles
war fort! Barn massierte sich die Nasenwurzel mit Zeigefinger und Daumen. Kurz
überlegte er, ob er vielleicht alles nur geträumt hatte. Ratlos blickte er um
sich. Nein, das hier war bestimmt nicht die verlauste Kammer, für die er in der
Herberge von Bart dem Wirt einen Silberling bezahlt hatte!
Und jetzt bemerkte er, dass er nicht allein war.
Neben ihm stand ein blasses, blondes Mädel in
einem langen, kostbar bestickten Kleid aus weißer Seide blickte ihn aus großen,
leicht schrägen Augen an.
"Bist du der Mann?" fragte es leise.
"Welcher Mann?" fragte er.
Das Mädel blinzelte. "Der Priester sagte, er
würde einen Mann schicken, der mir helfen könnte."
Barn brummte vor sich hin. Er hatte einen
schrecklich bitteren Geschmack in seinem Mund entdeckt, und er hatte keine
Ahnung, wie er dem Mädel helfen konnte.
"Hast Du was zu trinken für mich,
Mädel?" wollte er wissen.
"Wein? Warte einen Augenblick." Das
Mädel nahm zwei große, goldene Kelche von einem Tisch und reichte dem Barbaren
einen. Der leerte ihn in einem Zug.
"Danke, Mädel!" Barn warf den Kelch über
die Schulter und wischte sich mit dem Unterarm über den Mund. "Nun muss
ich los, denn heute ist ein Fest, und der Wein ist billig!"
Er blickte sich nach seinen Sachen um. Sie waren
nirgendwo zu sehen, und er runzelte die Stirn.
"Mädel, ich brauch meine Sachen!"
knurrte er.
Das Mädel kümmerte sich nicht um ihn. Es trank.
Dann ließ es den Kelch zu Boden fallen und begann am Halsteil seines Kleids zu
fummeln.
Es löste eine Schnur, und die dünne Seide glitt
leise raschelnd zu Boden. Das Mädel stieg aus dem Stoffhaufen heraus und stand
nun nackt vor dem Barbaren.
"Aber nein, Mädel, ich meine nicht deine
Sachen, ich will meine..."
Barn stockte. Seine barbarischen Sinne sagten ihm,
dass ihm das Mädel außerordentlich gut gefiel. Er hob zögernd seine Hand, das
Mädel griff danach. Er zog es an sich und spürte sein Zittern.
In einer Ecke des Raumes stand im Schatten eine
flache Schale, von Gastridis selbst gefüllt mit giftigem Wasser aus dem Bodenlosen Pfuhl. Darin hockte fett und
schwarz eine riesige heilige Buckelkröte. Und während der Barbar mit geübten
Fingern glatte warme Haut erkundete, begann der Kehlsack der Kröte zu
pulsieren. Von Wasser des Pfuhls stieg dunkler Dunst auf und formte sich zu
einer schwankenden Säule, aus der zahlreiche dünne Arme wuchsen, die einander
ergriffen, sich verflochten und zuckten wie ein ekstatisch selbstverliebter
Polyp. Die Kröte öffnete ihre gelbschillernden Augen und spannte den buckligen
Leib zu dem Sprung, der sie direkt in den breiten Nacken des Barbaren bringen
würde. Aus ihrem halboffenen Maul schob sich eine Zunge, dunkel, hornig und
spitz wie ein Insektenstachel.
Da ertönte ein lautes Klopfen, und eine dünne
Stimme rief: "Ich weiß, dass du da drin bist, mein Häschen! Mach auf, ich
bin's, Dein süßer Gemahl!"
Die Magie im Raum zerbrach. Die schwarze Kröte
sank in sich zusammen wie ein Hefeteig. Das Mädel löste sich hastig aus der
Umarmung des Barbaren. Der Barbar duckte sich und spreizte kampfbereit die
Finger.
"Ihr Götter. Er ist wieder aufgewacht!
Schnell, du musst dich verstecken!" rief das Mädel.
Es packte ihn am Arm, zog ihn zur Wand und hob
dort einen Teppich an. Dahinter lag ein Alkoven. Ein Dutzend Duftkerzen
beleuchteten eine lebensgroße silberne Statue der überwältigend gebauten
Liebesgöttin Vaxina im Lotossitz. Zwischen den metallenen Schenkeln sprudelte
eine Gebetsfontäne mit parfümiertem Wasser in ein Becken, das auf den silbernen
Waden der Göttin ruhte. Hastig schob das Mädel den hünenhaften Mann aus dem
Norden in den Alkoven hinein.
"Bleib hier drinnen, schweig, und rühr dich
nicht, was auch passiert!" flüsterte es.
Barn stellte sich neben die Statue und betrachtete
fasziniert die silbernen Brüste. Von den Priesterinnen der Vaxina und ihrer
besonderen Art des Gottesdienstes wurden die interessantesten Geschichten
erzählt, und der Barbar hatte schon lange vor, dem berühmten Hügeltempel in
Ekstalia einen Besuch abzustatten.
Das Klopfen war unterdessen drängender geworden.
"Mein Haseputz! Mach doch auf! Du willst doch
meine Leidenschaft nicht warten lassen! Hasi!" quengelte die Stimme von
draußen.
Ein Riegel klickte, dann knarrte eine Tür.
"Mein Goldzähnchen! Da bist Du ja! Oooh, Du
trägst ja kein Gewand! Ei, was haben wir denn da?" Ein klatschendes
Geräusch folgte.
Die dünne Stimme greinte schrill. "Aber lass
es mich doch anfassen, mein Zuckerstücklein! Ich bin doch Dein Mann!"
"Aber mein Gebieter, wolltet Ihr Euch nicht
ausruhen? Der Tag war ja so lang, und es ist schon die neunte Wache. Wartet,
ich bringe Euch Wein zur Erfrischung", hörte der Barbar die Stimme des
Mädels antworten.
"Aber ich habe geruht, und ich fühle mich jetzt
jung und kräftig wie ein Hengst! Komm, meine Sternschnuppe!" Wieder
klatschte etwas.
"Ach, Täubchen, das tat weh! Mach mich nur
nicht ärgerlich! Ich bin wild wie ein Stier! Sieh nur!"
Stoff raschelte.
Stöhnen wurde unterdrückt.
Geräusche eines Handgemenges.
Eine Weile war es dann still. Barn gähnte
herzhaft. Der penetrante Duft der parfümierten Kerzen klebte ihm auf Gaumen und
Zunge und machte ihn wieder durstig. Er bekam große Lust auf einen Schluck
Wasser. Er griff nach dem Becken auf den Schenkeln der Statue, aber es ließ
sich nicht anheben, sondern klappte nach hinten. Das Wasser verschwand gurgelnd
im Schoß der Liebesgöttin, und unter dem Becken wurde eine breite ovale Öffnung
sichtbar. Darunter schwappte übelriechende Dunkelheit.
Draußen begann die weinerliche Stimme von neuem:
"Es geht einfach nicht! Das ist nur Deine
Schuld, Weib! Los, bring mir jetzt etwas Wein!"
"Sehr wohl, mein Gebieter. Und ich werde
einen Schluck der Göttin Vaxina als Trankopfer darbieten, damit sie sich Eurem
Vorhaben wohlgesonnen zeigt."
"Jaja, aber eile Dich."
Barn war neugierig über die Öffnung gebeugt, als
das blonde Mädel in den Alkoven kam.
Es stieß gegen die Kehrseite des Nordmannes, ein
mit Wein gefüllter Kelch fiel ihm aus der Hand und schlug klirrend auf dem
Boden auf.
"Mein Weibchen, wo bleibst du denn?"
nörgelte es da von draußen. "Mir wird kalt, und außerdem habe ich
Durst."
Und plötzlich wurde der Teppich beiseitegeschoben,
und der behaarte Kugelbauch eines kleinen, graubärtigen Männleins, das nur mit
einer Krone bekleidet war, schob sich in den Raum.
"Oh, mein Wohlgerundetes! Lass es uns direkt
vor der Göttin tun! Sie wird meine Manneskraft neu beleb... was ist denn das?
Ein Barbar in der Gebetsnische! Wachen! Waaachen!!!"
Barn, der schon durch das Mädel das Gleichgewicht
verloren hatte, kippte kopfüber in die übelriechende Öffnung. Seine Hände
fanden keinen Halt. Das Mädel kreischte, und die schrille Stimme des Männleins
fand zu neuen, hysterischen Höhen. Jemand packte die Beine des Barbaren. Barn
fluchte und trat um sich, geriet damit aber in eine nur noch üblere Lage. Er
bemerkte, wie seine breiten Schultern langsam durch die glatten Schenkel der
Göttin zu rutschen begannen. Hände drückten gegen seinen Rücken. Er wand sich,
versuchte, sich zu drehen. Über sich hörte er noch die Stimme des Mädels, hell
vor Aufregung: "Schnell, schnell, sonst töten sie uns!"
Dann erhielt er einen letzten Stoß. Und fiel.
Ungefähr eine Barbarenlänge tiefer durchschlug er
mit saftigem Platschen eine Wasseroberfläche und landete schmerzhaft auf dem
schleimigen Steinboden darunter. Trotz der Schmerzen sprang er sofort wieder
auf die Beine und stieß sich den Kopf an einer niedrigen Decke. Blitze der Pein
sprühten vor seinen Augen, und er ging in die Knie.
"Ich komme!" rief eine Stimme von oben,
und dann fiel jemand dem Barbaren auf den ohnehin angeschlagenen Schädel.
Das war zu viel, selbst für die leidensfähige
Natur eines Barbaren aus dem eisigen Norland. Sein Bewusstsein versank in einem
schmerzhaften Meer tanzender Funken.
Im schwarzen Wasser der Schale erhob sich die
Kröte von neuem aus dem giftigen Schaum. Ihr Leib wiegte sich sacht. Plötzlich
sprang sie heraus und humpelte im Schatten der schweren Wandteppiche hin zur
Gebetsnische.
Unbeachtet vom König und den vier Gardisten, die
auf Dullberts Geschrei hin ins Schlafzimmer der Königin gestürmt waren, ließ
sich die dicke schwarze Kröte in durch die Öffnung hinab in die Tiefe der
königlichen Kloake fallen.
*
Die Bewusstlosigkeit des Barbaren dauerte nur
wenige Atemzüge, dann trieb ihn seine eiserne, im ewigen Überlebenskampf auf
den schneesturmumwehten Hochebenen des Norlandes geformte Natur wieder auf die
Beine. Er stand bis zu den Knien im Wasser, und der Boden unter seinen nackten
Füßen war von einem Belag überzogen, der ihn rutschig machte. Und der Gestank,
der von dem Wasser ausging, nahm ihm beinahe den Atem.
Er sah sich blinzelnd um. Durch die ovale Öffnung
über ihm fiel ein wenig Licht, aber nicht genug, um Einzelheiten erkennen zu
können. Gerade als er den Arm heben wollte, um zu erkunden, ob er sich wieder
hochziehen könnte, erschien das hochrote, gekrönte und bärtige Gesicht des
dicken Männleins über dem Oval.
"Du räudiger Barbar, wag' es nicht, meinem
Täubchen auch nur das geringste zuleide zu tun!" wütete es schrill.
"Ich bin Dullbert, und ich bin der König, und sie ist die Königin, und
daher gehört sie nur mir ganz allein! Nur mir allein, hörst du?"
Etwas bewegte sich neben dem Barbaren. Barn sah
die schulterlangen, blonden Haare und erkannte verwundert das Mädel von oben.
Doch bevor er noch "Ho, Mädel, bist du auch
hier?" sagen konnte, hatte auch der König seine Königin entdeckt.
"Oh Clandine, meine mandeläugige Taube, da
bist du ja!" rief er. "Halt aus, gleich kommen meine Soldaten, die
dich aus den Klauen dieses Scheusals befreien werden! Halt aus, dann werde ich
dich bald wieder in meinen Armen halten!"
"Oh Dullbert, liebster König!" flötete
Clandine. "Behalt deine dürren, runzligen Arme bloß an deinem aufgeblähten
Wanst! Lieber gebe ich mich hundertmal diesem Barbaren hier hin als mich noch
einmal von dir berühren zu lassen!"
"Was?" Die Augen Dullberts wurden weit.
Sein Kopf neigte sich noch weiter in die Öffnung, als wolle auch er
hindurchkommen. "Clandine, mein Zuckerstücklein, wie sprichst du denn? Hat
er dich mit einem Schamanenzauber verhext?"
"Man braucht keinen Zauber, um zu sehen, dass
du ein alter Bock bist!" rief die Königin. "Ich habe genug. Ich gehe
zurück zu meinem Volk, und dann wirst du deine Stadt brennen sehen!"
"Wir müssen raus hier, Mädel!" sagte er
mit rauer Stimme. "Sonst verpassen wir noch das Fest!"
Oben im Schlafzimmer der Königin betrachtete der
eilig herbeigerufene Priester Gastridis mit gerunzelter Stirn die Schale, die
er unauffällig in die Ecke des Raums gestellt hatte, bevor er die Königin zu
dem Barbaren gebracht hatte. Das schwarze Wasser war verspritzt, die Kröte war
verschwunden. Er klopfte mit dem Knöchel des Zeigefingers seiner Rechten fest
gegen die zugefeilten Zähne, eine schmerzhafte Aktion, die ihn manchmal seinem
Gott näherbrachte. Aber diesmal fühlte er nichts. Die Kröte war weg, der Barbar
war weg, die Königin war weg, und des Königs zusammenhangloses Gejammer gab
keinen Aufschluss darüber, was eigentlich passiert war.
Gastridis hob ein Lammfell vom Fußboden und legte
es dem zeternden Dullbert um die nackten Schultern. Dann wandte er sich an den
Hauptmann Kartong, der inzwischen eingetroffen war und ratlos seine Glatze
rieb.
"Hauptmann!" zischte der Priester und
deutete auf die Öffnung in der Nische. "Offensichtlich hat der Barbar die
Königin in die königliche Kloake verschleppt. Nehmt eure Männer und findet die
beiden!"
Dann nahm er Kartong beiseite und flüsterte:
"Bringt sie mir unbedingt lebend! Viel steht auf dem Spiel!"
Der riesige Offizier nickte mit dem kahlen Kopf.
"Männer!" brüllte er den Gardisten
militärisch knapp seinen ausgefeilten Aktionsplan zu. "Fackeln her, und
dann ins Loch!"
Und während die Soldaten fluchend zwischen den
Schenkeln der selbstvergessen grinsenden Fruchtbarkeitsgöttin verschwanden,
nahm der Priester den greinenden König Dullbert bei der Hand und führte ihn aus
dem Raum. Der kleine dicke König wirkte wie ein trauriger alter Affe an der
Hand seines Dompteurs. Gastridis tätschelte dem Monarchen den Rücken.
"Majestät!" raunte er. "Majestät!
Ihr müsst euch unbedingt beruhigen! Lasst mich euch zu Bett bringen! Sprecht
ein kleines Gebet zu Pomander, und morgen früh, wenn Ihr aufwacht, werdet Ihr
sehen, dass der Himmel blau und alles in bester Ordnung ist!"
Der König schluckte und schluchzte und blickte den
Priester aus verheulten Augen an.
"Himmelblau? Aber meine Krone ist doch fort!
Die Barbaren haben sie mitgenommen. Vielleicht bin ich jetzt schon kein König
mehr!"
Gastridis lächelte.
"Oh, Majestät, Kronen!" rief er.
"Kronen sind alberne Äußerlichkeiten und bedeuten einen feuchten Wind!
König ist in Wahrheit der, der der Herr ist!"
*
Tief unten in den Eingeweiden des Schlossberges
bahnte sich der Barbar mühsam einen Weg durch einen niedrigen, schmalen Gang,
dessen leicht abschüssiger Boden von einem zähen, stinkenden Brei bedeckt war,
in dem er an manchen Stellen bis zu den Knien versank. Das Mädel zog er hinter
sich her.
Plötzlich stießen seine Zehen ins Leere.
Instinktiv blieb er stehen. Vorsichtig tastete er mit seinem linken Fuß vor
sich, aber dort war nichts.
Er fluchte.
"Gruunzverdammt, Mädel, da vor uns is' nur
noch'n Loch!"
Die schwarze Kröte stierte mit lidlosen Augen auf
das Paar, das vor ihr plötzlich stehen geblieben war. Die Ausdünstungen der
königlichen Kloake waren der Verkörperung Pomanders wie ein süßer Balsam.
Während der Barbar herumtastete, nahm der finstere Gott seine schwindende Kraft
zusammen und formte sich zu seiner eigentlichen
Gestalt, einer Form, deren bloßer Anblick jedem höheren Lebewesen in
kreischender Agonie das Hirn zerfraß.
Hätte der Gott Humor besessen, hätte er leise
gekichert, während er seine Zunge auf den wulstigen Nacken des Barbaren
zuschob, um die hornige Spitze von unten her in das weiche Hirn des Mannes zu
bohren und ihm das Wesen auszuschlürfen, wie Feinschmecker es mit dem bleichen
Fleisch der Austern tun.
Barn spürte er ein sachtes Stechen hinten am Hals.
Er knurrte leise und schlug dann blitzartig mit der flachen Hand zu.
Nicht genug, dass er hier in der Finsternis durch
den Dreck stapfen musste, nun gab es hier nach allem auch noch Stechmücken!
Das Mädel hinter ihm schrie auf.
"Da ist etwas!" kreischte es.
"Etwas großes, schrecklich Kaltes! Es hat mich gestreift!"
Der Barbar fuhr herum, gleichzeitig versuchte das
Mädel, sich an ihn zu drücken. Dadurch verloren beide das Gleichgewicht und
kippten nach vorne. Aneinandergeklammert fielen sie durch die Dunkelheit.
Der Gott Pomander fühlte zum ersten Mal in seiner
äonenlangen Existenz die Bedeutung des Wortes Schmerz. Träge und langsam wie zäher Schlamm flossen ihm die
Gedanken durch sein kaltes Hirn, während er zum Bodenlosen Pfuhl floh. Dieser widerwärtig trockene Warmblüter hatte
ihn geschlagen! Er, ein unsterblicher
Gott, der bereits in das grüngraue Gesicht der Welt gelacht hatte, als selbst
die Vorfahren der Menschen noch nicht erdacht worden waren, war von einem Sterblichen verletzt worden!
Die bloße Berührung einer Hand hatte seine mächtigste Verkörperung zur
Auflösung gebracht!
Schwach und hilflos kroch der Gott durch das enge
Tor des Bodenlosen Pfuhls zwischen
zahllosen Dimensionen zurück in sein sumpfiges Bett im brodelnden Dickicht der
westlichen Sterne.
Zuckend trieb er über dem kochenden Schlamm, der
ihn vor Äonen geboren hatte, und nur noch ein Gedanke war in seinem Geist und
hielt ihn aufrecht: Wenn er erst gesiegt hatte, würde seine Herrschaft
furchtbar werden, die Wasser der Welt dick und nahrhaft vom warmen Blut der
Opfer!
Pomander kroch in den heißen, blasenschlagenden
Schoß des Sternensumpfes und schlief ein. Es gab nur noch wenige Sterbliche in
der Welt, die an ihn glaubten und deren Glaube ihn existieren ließ. Er würde
lange schlafen müssen, um genug Kraft für seine Rückkehr nach Thenil zu haben.
*
Der Sturz des Barbaren und der Königin war nur
kurz. Dunkelheit machte bleichem Mondlicht Platz, dann schlugen Barn und
Clandine auf.
Ein widerwärtiges, schlürfendes Geräusch. Und dann
gar nichts mehr, nur Schwärze. Und Gestank.
5.
Eine schwere Last lag auf dem Barbaren. Sie war
weich und warm und vermittelte den bedrohlichen Eindruck, ein lebendiges Wesen
zu sein. Der Nordmann überlegte, ob es nicht besser wäre, den Toten zu spielen,
bis die Lage klarer wurde, aber nach einiger Zeit wurde ihm klar, dass er Atem holen
musste, wenn aus dem Spiel nicht Ernst werden sollte. Er wühlte, drückte,
zerrte und trat, bis er in der stinkenden Masse aufrecht stand und kühle
Nachtluft in seine Lungen saugen konnte.
Dann blickte er sich um. Und fluchte.
Er steckte in einem gewaltigen Misthaufen. Vor ihm
streckte sich eine schmale, dunkle Gasse. Von Ferne kamen Fackelschein und der
Lärm ausgelassen feiernder Menschen. Er grunzte und kratzte sich die
kotverklebte Mähne. Das war doch die Gasse, in die das schwarzhaarige Mädel ihn
geführt hatte! Gruunzverdammt! musste er denn dauernd an verpasste
Gelegenheiten erinnert werden?
Da spuckte und prustete jemand neben ihm. Der
Barbar fuhr herum. Da stand ein nacktes Mädel bis zur Taille im Mist und rieb
sich den Dreck aus dem Gesicht. Barn runzelte die Stirn. Dann grinste er. Die
Schwarzhaarige mochte ihm weggelaufen sein, aber dafür hatte er hier jetzt das
blonde Mädel aus der Kammer oben! Hoho, Gruunz meinte es gut mit ihm. Er
streckte seine muskelschweren Arme aus und zog das Mädel zu sich.
"Hab' ich dich, Mädel! Gehen wir jetzt zu
dir?"
Die Augen des Mädels wurden so weit, dass sie im
Dunkel der Gasse zu leuchten schienen.
"Bist du völlig bescheuert, Barbar?"
rief es. "Wenn die Wache uns kriegt, lässt uns der König sofort im Sumpf
ersäufen!"
Barn nickte heftig. Da erfüllte jähes Geschrei die
Lüfte, und aus einem großen Loch oben in einer Hauswand rutschten fünf Männer
mit Fackeln, Waffen und verzerrten Gesichtern. Mit saftigen Lauten schlugen sie
nacheinander in den riesigen Misthaufen und versanken darin.
Barn stutzte eine Weile. Dann schlug er sich
grölend auf die muskelschweren Oberschenkel. Das war so recht nach seinem
Geiste! Die ganze Bande, bis zum Hals im Dreck! Der Wirt oben fackelte wahrlich
nicht lange mit Zechprellern! Die Tränen flossen ihm aus den Augen, so sehr war
seinem Sinn für Humor entsprochen.
Er wollte das Mädel mit einem herzhaften Klaps an
seinem Frohsinn beteiligen, da sah er, dass es sich aus dem Dreck befreit hatte
und dem Licht am Ende der Gasse entgegenlief. Er fluchte. musste er sich den
heute jedes Mädel einfangen?
Brummend folgte er dem schmalen Umriss der
Flüchtenden zum Licht.
Er bemerkte nicht, dass sich fünf Krieger der
Stadtwache hinter ihm fluchend und schwertschwingend aus dem Kot befreiten.
Einer der fünf war der Hauptmann Kartong, und tief unten in dessen Kehle saß
ein Grollen wie bei einem bösen Wolf.
"Ihnen nach!" knurrte er seinen Männern
zu. "Aber denkt dran - wir brauchen beide lebend!"
*
Gastridis hatte dem König einen großen Becher
seines speziellen Rotweins zu trinken gegeben und ihn dann in eine kleine
Schlafkammer gebracht. Die Kammer verschloss er sorgfältig von außen, und den
Schlüssel versteckte er unter der Fußmatte.
Dann eilte er in seine Gemächer, um von dort hinab
zum Heiligtum des feuchten Gottes zu steigen.
Das erregte Quaken von achtzehn heiligen Kröten
empfing ihn unten. Er beugte sich nieder, strich der dicksten Kröte über den
Kopf und säuselte leise: "Du Süße!"
Dabei zuckten seine Mundwinkel ganz sachte.
Eigentlich hasste er Amphibien.
Aber als er damals als junger und nur mäßig
begabter Zauberlehrling beim alten Pomander-Priester Lumbago untergekommen war,
hatte er nicht gefragt, wem er Brot und Kleidung verdankte. Und wenn es dem
finsteren Erzlurch jetzt tatsächlich gelingen sollte, alle anderen Götter zu
verdrängen, dann gab es nichts Besseres, als Pomander-Priester zu sein, ganz
gleich, ob man Kröten mochte oder nicht.
Er trat hinter den Altar und hob die Arme.
Die Litanei zur Beschwörung Pomanders war ein
schier endloser blubbernder Singsang, der von menschlichen Stimmbändern das
Äußerste verlangte. Gastridis intonierte den Ruf dreimal hintereinander, bis er
husten musste. Das schwarze Wasser des Bodenlosen
Pfuhls blieb unbewegt.
Mit kaltem Schweiß auf der Stirn stieg der graue
Priester vom Altarplatz herunter und trat direkt an das schorfige Ufer des
Pfuhls. Wie verwirrte Kaninchen umhoppelten die heiligen Kröten seine Beine.
Ganz vorsichtig beugte sich Gastridis über die stille Scheibe des schwarzen
Wassers.
Der alte Lumbago hatte einmal gesagt, dass man
durch den Pfuhl bis zu Pomander sehen konnte, wo immer der alte Erzlurch sich
auch aufhielte. Gastridis hatte das noch nie versucht - er hatte nie so genau
wissen wollen, wo sich eine göttliche Amphibie herumdrückte, wenn sie allein
war.
Und jetzt sah er im Spiegel des Pfuhls nur
Schwärze. Vielleicht ein paar glitzernde Punkte darin - wie ferne Sterne - aber
das konnte auch eine Täuschung sein.
Ein Gedanke, erschreckend und erregend zugleich,
durchfuhr den Priester: War das vielleicht das Ende, war sein Gott
dahingegangen, hatte er sich einfach entkräftet aufgelöst bei dem Versuch,
seine wirre Idee in die Tat umzusetzen?
Mit zitternden Händen ging er wieder hinter den
Altar und quälte seine Kehle ein weiteres Mal mit der Litanei. Und es passierte
immer noch nichts. Der Gott hatte viermal das Ritual überhört. Das konnte nur
eines bedeuten: Es gab ihn nicht mehr.
Gastridis stand eine lange Zeit reglos. Dann kroch
ein feines, böses Lächeln in sein graues Gesicht.
Er hatte angesichts der auffälligen Schwächung
Pomanders seit längerer Zeit einen Plan entwickelt, wie er nach dem Ableben des
Erzlurchs noch einmal in einem spektakulären Festakt auf dem Marktplatz
Opfergaben genug sammeln konnte, um sich irgendwo tiefer im Süden zur Ruhe
setzen zu können.
Nun schien es Zeit zu sein, diesen Plan
umzusetzen. Aber der Gedanke, dem alten Dullbert einen Erben unterzuschieben,
gefiel dem grauen Mann auch sehr gut. Die Königin war jung und beeinflussbar,
und der blonde Barbar war dumm wie ein Ochse. Ein Kind, von beiden gezeugt,
würde sich wie eine Marionette führen lassen. Er brauchte nur das Weib und den
Barbaren noch einmal zusammenzubringen und später dann den König von seiner
Vaterschaft zu überzeugen! Der alte Narr würde ihm nur zu gerne glauben, da war
Gastridis sicher.
Er rieb sich die Hände. Wenn er es geschickt
anstellte, brauchte er die Königsburg von Thenil nicht aufzugeben, um einen
angenehmen Lebensabend zu verbringen! Im Gegenteil, er konnte mehr Macht und
Gold erringen, als er je geträumt hatte!
Er musste nur die Königin und den Barbaren wieder
einfangen.
Der graue Priester hob wieder die Arme. Als
Verkünder Pomanders hatte er die Macht, den Kreaturen der Sümpfe, den Fröschen,
Kröten und Lurchen zu befehlen. Aus ihren Lachen, Pfuhlen und Tümpeln sollten
sie kriechen, hinein in die Stadt, um die kleine Garstek und den Barbaren zu
finden und zu ihm zu bringen, zu Gastridis, dem Herren von Thenil!
Als der Ruf des Priesters verklang, schlug draußen
in den grauen Wässern der Sümpfe nordöstlich der Stadt der Schlamm dicke
Blasen. Hunderttausende von warzigen Köpfen hoben sich über den schillernden
Schlick. Flinke Frösche hüpften wie fallende Sterne durch das harte Gras hin zu
den Stadtmauern, gefolgt von den schlanken Lurchen und den plumpen, riesigen
Warzenkröten, deren geschlitzte Bernsteinaugen schwermütig auf die Türme der
Menschen starrten.
Und während Gastridis gottlos lächelnd die
sechsundsechzig Stufen hinauf zu seinen Räumen stieg, versickerte die Kraft
seines Gottes im Sumpf der südlichen Sterne. Nur ein einziger, winziger Funke
von Glauben ließ jetzt sein kaltes Blut weiter kreisen: König Dullbert träumte,
und in seinem Traum betete er zu Pomander um die Rückgabe seiner geliebten
Krone, wie Gastridis es ihm geraten hatte.
*
Die gute Laune der Feiernden auf der Straße der Tausend Freuden hatte ein
Ausmaß erreicht, das selbst den Professionellen des Viertels ein fassungsloses
Kopfschütteln abnötigte.
Nackte, schweißglänzende Leiber drehten sich
trunken zur Musik der Straßenmusikanten. Bäuche, Brüste und andere Bestandteile
der menschlichen Anatomie wackelten im Licht der Fackeln. Vor Schankzelten
rauften Männer um einen Schluck Wein oder ein Stück Gebratenes. Wildfremde
Menschen lagen einander in den Armen. Schlurr der Schlitzer, ein berüchtigter
Meuchler und stellvertretender Vorschlitzender der Gilde der Mörder von Thenil,
hockte tränenüberströmt auf dem Platz des
Besonders Kleinen Mannes und hielt eine sentimentale Ansprache an ein
Gänseblümchen, das einsam zwischen den Pflastersteinen wuchs.
Niemand bemerkte die schillernden, kalten Augen
der großen, blassen Kröten und Lurche, die überall aus den Abwasserkanälen
krochen und sich schweigend in den Schatten der Gassen und Plätze sammelten.
Barn war von der Stimmung in der Straße
begeistert, aber das blonde Mädel vor ihm lief einfach weiter. Immerhin gelang
es dem Barbaren, jemandem im Vorübereilen einen vollen Krug zu entreißen.
In einer dunklen Ecke neben dem bunten Zunfthaus
der Narrengilde Thenils blieb das Mädel stehen. Es atmete schwer.
"Diese Schweine!" stieß es zwischen
zusammengebissenen Zähnen hervor. "Alle haben sie mich verraten! Mein
Vater, der König, dieser verfluchte Priester! Alle versprachen mir ein
großartiges Leben, wenn ich nur täte, was sie sagten! Ich habe es immer getan,
und nun? Nun ist es kein weiter Schritt mehr, wenn ich mich an einen Kerl wie
dich wegwerfe, Barbar."
"Hoho, Mädel!" machte Barn der Barbar
stolz, zwinkerte und ließ die Brustmuskeln ein wenig spielen. Im Hochnorland,
seiner Heimat, mochten die Mädels das. Glaubte er jedenfalls.
Das Mädel hier war allerdings nicht beeindruckt.
"Wir beide müssen ganz schnell 'raus aus
dieser Stadt, Barbar, aber dazu brauchen wir Kleidung. Hier fallen wir nicht
auf, aber durch die Tore lassen sie uns so nicht", zischte es dem Nordmann
zu. "Siehst Du das Pärchen dort bei der Latrine, Barbar?"
Barn blickte in die Richtung, in die das Mädel
zeigte. Dort lagen ein Mann und ein Mädel beisammen und bereiteten sich ein
Vergnügen. Das brachte den großen Krieger aus dem wilden Norden auf eine Idee.
Er trank den Krug mit einem entschlossenen Zug leer und zog das Mädel an sich.
Das Mädel versetzte ihm einen Stoß dorthin, wo es
nicht nur bei Barbaren besonders schmerzte.
"Hol' die Kleider der beiden. Sie liegen
neben ihnen, siehst Du?"
Der Barbar sammelte sich, grunzte missmutig und
wünschte, er hätte seinen Wein nicht so schnell getrunken. Wenn er gewusst
hätte, dass der Abend so anstrengend werden würde, wäre er sowieso im Wirtshaus
geblieben!
"Also, Barbar, " meinte das Mädel
ungeduldig, "holst du nun die Kleider, oder soll ich das machen?"
Der Barbar betrachtete voller Interesse seine
Fingernägel und fragte sich, wieviel Wein er wohl noch für den Inhalt seines
Beutels bekommen würde. Im Zählen tat er sich etwas schwer, aber er konnte ja
das Mädel fragen. Barn griff nach seinem Gürtel, um den Beutel hervorzuziehen.
Er griff ins Leere.
"Mädel", sagte er mit Grabesstimme.
"Mein Gürtel is' fort!"
"Alle Götter!" seufzte das Mädel.
"Dann geh' ich eben selbst."
Geschmeidig schlich es davon. Barn war viel zu
beschäftigt mit seiner Entdeckung, um davon Notiz zu nehmen. Gewiss, es war
kein besonderer Gürtel gewesen. Aber der Geldbeutel, sein Schwert 'Windmacher'
und eine Locke von Skjörga, der treuen Verlobten, die in Täppenwinkel hoch oben
im Norden auf seine Rückkehr als reicher Mann wartete, waren daran befestigt
gewesen. Und natürlich hatte der Gürtel seine robuste Schweinslederhose
gehalten.
Und nun war alles fort. Die Hose, sein Wams, sein
Hemd, sein Schurz und seine Stiefel, alle mussten irgendwie mit dem Gürtel
verbunden gewesen sein, denn auch sie waren verschwunden. Er war völlig nackt.
Im Schatten des Zunfthauses der Narren staunte und fluchte der Barbar
ausgiebig.
Das blonde Mädel erschien mit einem Berg Kleidung
in den Armen. Der Barbar murmelte einen weiteren Fluch des Unwillens. Diese
Mädels waren alle so dumm! Das waren nicht seine Sachen!
Aber dann entdeckte er bei der fremden Kleidung
einen silberblitzenden Gürtel, an dem ein voller Weinschlauch befestigt war.
Der machte den Verlust von Skjörgas Locke sicher mehr als wett. Und dann gab es
da noch einen prächtig bunten Brustpanzer und ein gar nicht kleines Schwert.
Das alles stimmte den Barbaren wieder versöhnlich. Umständlich und nicht ohne
Hilfe des Mädels zog er sich an.
Doch, das waren gute Sachen! Der neue Gürtel
funkelte lustig im Fackelschein, und wenn er sich nicht täuschte, war das
Schwert auch länger als sein altes. Er beschloss, dieses neue Schwert
'Windmacher' zu nennen, wie alle Schwerter, die er im Lauf der vierundzwanzig
Jahre seines bewegten Lebens schon zerbrochen oder verloren hatte. Er hob die
neue Waffe hoch über den Kopf und stieß ein heiseres Gebrüll aus. Ja, hoho, so
schmeckte das Leben!
Bedauerlich war nur, dass nun auch das blonde
Mädel Kleidung trug.
Das Mädel begann zu laufen, und Barn folgte ihm
bis zum Ende der mit zuckenden Leibern, Resten von Verkaufsbuden und den
Scherben Hunderter von Tonkrügen bedeckten Straße. Schließlich erreichten sie
den Marktplatz. Hier gab es kaum mehr Feiernde, wenn man auch so manches
Pärchen auf den alten Pflastersteinen beieinander sah.
Und zwischen den Menschen glitten lautlos einige
schwere Lurche und genossen die Wärme der erregten Körper.
6.
In den Marktplatz, einer fünfeckigen, gepflasterten
Fläche von etwa zweihundert Schritten Durchmesser, mündeten die fünf größten
Straßen Thenils: die Straße des Königs, die Straße der Tempel, die Straße der
Kaufleute, die Torstraße und die Straße
der Tausend Freuden. Vor der Herrschaft Dullberts hatte jede Straße ihr anderes
Ende in einem prunkvollen Tor gefunden, und diese Zugänglichkeit von allen
Seiten und die lässigen Kontrollen an den Toren hatte Thenil über die
Jahrhunderte hinweg zu einer der reichsten Handelsstädte der westlichen Reiche
gemacht.
Doch der dicke und ängstliche König Dullbert hatte
schon bald nach Beginn seiner Herrschaft verfügt, dass hinsichtlich der 'stetig
steigenden Fremdengefahr' sämtliche Tore und Nebeneingänge in der Stadtmauer
zuzumauern seien, bis auf das Westtor.
Dieses, das älteste und engste, lag am Ende des
vom Volke 'Straße der Bettler' genannten Weges, der durch die Elendsviertel der
Stadt führte. Kraft königlichen Edikts und hundert Zwangsarbeitern war der Weg
zwar neu gepflastert und in 'Torstraße' umbenannt worden, aber seine Anwohner
blieben ein recht unangenehmer Haufen von Schnorrern und Beutelschneidern. So
kam es, dass immer weniger Karawanen Thenil ansteuerten und der Reichtum der
Stadt langsam schwand.
Die Mitte des Marktplatzes schmückte der gewaltige
fünfseitige Obelisk des Viril als Erinnerung an den erstaunlichen Sieg des
Urgroßvaters des heutigen Königs über die Horden von Brack. Die gemeißelten
Hieroglyphen einer jeden Seite waren einst von den Bewohnern des ihr
gegenübergelegenen Stadtteils gestiftet worden. Vor dem Obelisken brannte in
einer ehernen Schüssel die ewige Flamme der Stadt, stets beschützt von fünf
ausgezeichneten Kriegern aus des Königs Wache.
Früher war hier ein Umschlagplatz für Waren aus
aller Welt gewesen, bis spät in die Nacht hatte man unter dem Licht der ewigen
Flamme und tausender Fackeln Güter verkauft und getauscht, hatten Menschen in
hundert Sprachen geredet, gefeilscht und gelacht, gebrüllt, geflucht und
gejammert.
Jetzt war es ruhig. Markt war nur noch einmal in
sieben Tagen, und die eingeteilten fünf Wächter tranken oder würfelten, wenn
sie nicht schliefen.
Heute waren sie nicht einmal da.
*
Das Mädel blieb stehen. Barn dachte nach. Er hatte
große Lust, dem Beispiel der vielen Paare am Boden zu folgen und dann auf ein
paar Schlucke in die 'Turmschenke' von Vollbert dem Höker zu gehen, die keine
zweihundert Schritt von hier am Anfang der Straße der Kaufleute lag und deren
bunte Lichter dem Barbaren von ferne zuzwinkerten.
Er wollte gerade eine entsprechende Bemerkung
machen, da hallte der Platz von Geschrei und Schritten wider. Fünf Männer in
den Rüstungen der königlichen Garde kamen aus der Straße der Tausend Freuden gelaufen, voran der gigantische Kartong.
"Verteilt euch, Männer!" brüllte er im
Laufen. "Seht euch jedes verdammte Gesicht genau an, und wenn sich einer
wehrt - schlitzt ihn auf."
Das Mädel sagte "Ihr Götter!" und duckte
sich tief in den Schatten des Obelisken. Erfreut folgte der Barbar dem
Beispiel, denn Verstecken war ein Spiel, das er in seiner Jugend in den wilden
Berglandschaften seiner Heimat besonders geliebt hatte. Er erinnerte sich an
das eine Mal, als ihn vier Tage lang niemand gefunden hatte und er fast
verhungert wäre. Tränen der Rührung traten in seine Augen.
Die Gardisten rannten aufgeregt auf dem Platz hin
und her. Sie beleuchteten auf dem Pflaster liegende Paare mit ihren Fackeln und
traten und schlugen die Irritierten.
Kartong stand breitbeinig vor der erleuchteten Straße der Tausend Freuden und brüllte:
"Halt, im Namen des Königs! Volk von Thenil, Barbarenhorden haben den
königlichen Palast überfallen und die Krone geraubt! Keiner rührt sich, alle
werden durchsucht!"
Am finstersten Ende des Platzes, dort, wo die
Torstraße einmündete, begannen Kröten leise zu quaken.
Plötzlich stand ein mächtiger, bärtiger und fassbäuchiger
Kerl neben dem im Schatten hingekauerten Barbaren, von irgendeiner
unermesslichen Naturgewalt in einen Brustpanzer der Garde gezwängt. Der Mann
trug eine kaum mehr glimmende Fackel gesenkt in der Rechten und zeigte kein
Interesse an irgendetwas außer dem Schweiß, der in Bächen unter seinem Helm
hervorlief und den er mit knubbeligen Fingern aus den Augen zu wischen suchte.
Barn blickte hin, blickte genauer, grunzte,
blickte noch mal, blinzelte und brummte, blickte wieder - dann sprang er auf,
grölte: "He, ich werd verrückt, wenn das nich Wulf is, mein alter Kumpel
Wulf!" und versetzte dem Wachmann einen Schlag auf die Schulter, der eine
Stadtmauer hätte einstürzen lassen.
Wulf, genannt 'Der Würfler', war ein Halbbarbar
aus der Grenzstadt Brucken hoch oben in den Weichlanden. Er und Barn hatten vor
einem halben Jahr als Wächter eine kleine Karawane begleitet, die in Salzlake
eingemachte Gurken durch die südlichen Wüsten brachte. In der Hafenstadt Brack
war der Führer der Karawane, der Kaufmann Krassos von Kurrentlos, bei einem
Streit mit Geschäftsfreunden plötzlich verstorben, und die Gurkenkarawane war
aufgelöst worden. Die Notwendigkeit, weiterhin Münzen für den Lebensunterhalt
zu verdienen, hatte die beiden Krieger dann auf getrennte Wege geführt.
Der Bärtige wandte sich unbeholfen um, kratzte ein
Ohr und starrte verständnislos auf den blonden Mann, der da so plötzlich neben
ihm aufgetaucht war. Doch dann brach sein Bart von der Mitte her weit nach oben
hin auf, enthüllte zwei breite Reihen strahlender Zähne und entließ dröhnendes
Gelächter.
"He, ich werd' verrückt, wenn das nicht Barn
ist, mein alter Kumpel Barn!" brüllte er und versetzte dem Nordmann einen
Schlag auf die Schulter, der einen Wald gefällt hätte.
Die beiden Männer standen sich eine Weile stumm
gegenüber und grinsten. Schließlich hielten sie es nicht mehr aus und
versetzten sich weitere Schläge. Grinsten wieder. Schlugen Schulter. Grinsten.
Das blonde Mädel sah dem Treiben sprachlos und mit
geweiteten Augen zu.
"He, was ist denn da los?" schallte da
die Stimme Kartongs über den Platz. Vom Lärm der Schulterschläge alarmiert, kam
er mit weiten Schritten herbei, um zu sehen, warum sich zwei seiner Männer
stritten. Doch dann stutzte er, und während seine kräftige Kinnlade noch sank, erkannte
er schon den Barbaren.
"Männer!", brüllte er. "Wulf hat
den Barbaren! Alle hierher!"
Diesen Augenblick versuchte das Mädel zur Flucht
zu nutzen. Es sprang auf und rannte, so schnell es der lange Rock zuließ, auf
die dunkle Torstraße zu.
Kartongs Stimme überschlug sich: "Und die
Königin! Da ist die Königin! Lauft, Männer, schneidet ihr den Weg ab! Einen
Beutel Gold für den, der sie fängt!"
Barn der Barbar war sehr verwirrt. Soviel
Geschrei! Und sein Mädel lief davon! Und Wulf! Und die Schänke! Was sollte er
nun tun?
Doch die Last des Denkens wurde von ihm genommen,
als der Hauptmann Wulf brutal beiseite drängte, sich vor dem Barbaren aufbaute
und sein Schwert zog.
Als wäre sie dorthin gesprungen, hatte auch der
Nordmann plötzlich die eigene Klinge in der Faust. Alle Verwirrung und
Gutmütigkeit fiel von ihm ab, denn er kannte diese Szenen, bei denen es um ein
Mädel, Goldmünzen oder ein verpatztes Würfelspiel ging, zur Genüge. Er war
jetzt völlig ruhig. Und gefährlich.
"Ho!" rief er dem Hauptmann entgegen,
als Warnung und als Zeichen, dass er bereit sei.
Kartong erwiderte nichts. Jäh trat er vor, und
sein kurzes Schwert war flink wie eine zustoßende Natter. Doch noch schneller
war der Nordmann. Er sprang beiseite, grätschte in einen gewaltigen Hieb nach
vorne, wich zurück, täuschte einen Rückhandschlag von links an, nur um dann
seine schwere Klinge in einem geraden Stich vorschnellen zu lassen.
Spielerisch glitt das Langschwert des Barbaren nun
in Hiebposition hoch über den Kopf, gleichzeitig zog der Nordmann das rechte
Bein zurück, um sicheren Stand für die nächste Parade zu gewinnen. Sein Atem
ging kaum schneller.
Plötzlich, ohne dass die Bewegung auch nur im
Ansatz zu erkennen gewesen wäre, machte Barn einen gewaltigen Ausfallschritt
und begann, das Schwert nach Barbarenart über dem Kopf zu wirbeln. Der
Marktplatz hallte wider von seinen eleganten Schrittkombinationen, die jeden
höfischen Eintänzer beschämt hätten. Die einfachen Soldaten starrten gebannt
auf dieses ungleiche Duell, die flüchtende Königin war vergessen.
Barn machte noch eine Weile weiter, zeigte die
hohe Kunst des seitlichen Schwertwirbelns, schließlich gar das Wirbeln unter
den Füßen, das nur einige auserlesene Schwertschwinger beherrschen und bei dem
man nach alter Überlieferung 'Hopp-Hopp-Hopp' rufen muss. Dann blieb er
grinsend und schnaufend stehen.
Kartong nutzte die Pause, ließ sein Schwert fallen
und hieb dem Barbaren die vereinte Wucht seiner beiden breiten und haarigen
Fäuste über den Schädel, dass es auf dem Marktplatz nur so dröhnte.
Staunend sah Barn die Ankunft der Sternengötter.
Lächelnd begrüßte er die sanften Hügel des Pflasters.
Sein Aufschlag ließ selbst den Obelisken erzittern.
7.
"Los, wach' auf, Barbar!"
Ein eiskalter Guss überschwemmte den Nordmann.
Hustend, prustend und fluchend schlug er die Augen auf.
Er blinzelte in einen niedrigen Raum, gemauert aus
dicken, rußgeschwärzten Steinen. Eine einzelne Fackel an der Wand verbreite
viel Qualm und wenig Licht. Die Luft war dick von Rauch und dem Gestank von
Krötenkot.
Vor ihm stand der Hauptmann Kartong. Er hatte den
bunten Panzer abgelegt und zeigte die unglaubliche Haarigkeit seiner breiten
Brust. Mit einem tropfenden Holzzuber in den Händen blickte er den Barbaren
voll gehässiger Grausamkeit an.
Neben dem Hauptmann befingerte der Priester
Gastridis nervös sein Pomander-Amulett.
"Barbar!" zischte Gastridis den Nordmann
an. "Scheinbar bist du zu blöde, mit einem nackten, willigen Weib das
anzustellen, was Kerle wie du mit nackten willigen Weibern sonst dauernd
anstellen! Einmal gebe ich dir noch Gelegenheit, deine Manneskraft unter Beweis
zu stellen. Vorher aber wirst du dich hier ein bisschen ausruhen. Vielleicht
schärft das deine Sinnlichkeit!"
Barn brummte unwillig. In seinem Schädel dröhnte
es, als wäre er ein Bergwerk voll emsiger Zwerge, und seine Zunge war wie der
schmutzige Wollrock eines alten Fischweibs. Überhaupt hatte er schlechte Laune.
Und dummes Geschwätz musste er sich erst recht nicht bieten lassen, ho!
Er räusperte sich tief in der rauen Kehle und rotzte
dem Priester einen grüngrauen Brocken vor die Sandalen.
"Ich sag' euch, das ist das letzte Mal, dass
ich in dieser lausigen Stadt übernachtet habe!" schimpfte er bitter.
Des Hauptmanns schöner, kahler Kopf verfärbte sich
rosig wie die Abendröte des jüngsten Tages.
"Jetz' langt's, Barbar!" brüllte er und
rammte dem Nordmann eine große, haarige Faust in den Magen.
Der Barbar würgte. Gastridis hob eine schmale
Hand.
"Kartong, lass' das!" rief er ärgerlich.
"Sieh' lieber zu, dass die Königin gefunden wird. Es ist eine Schande,
dass du sie hast entkommen lassen!"
"Ja, Meister!" brummte der Hauptmann
zerknirscht. "Aber ich hab' Doppelstreifen überall in der Stadt. Es wird
nicht mehr lange dauern, bis sie vor Euch steht, Meister!"
Gastridis nickte knapp. "Das will ich hoffen.
Gehen wir."
Kartong öffnete eine niedrige Gittertür in der
Wand gegenüber dem Barbaren.
"Noch eins, Hauptmann!" Der Priester
hatte einen Zeigefinger erhoben. "Sag deinem Freund, dem Kerkermeister, er
soll seine perversen Finger von dem Mann hier lassen. Mach' ihm das völlig
klar. Sonst lass' ich euch beide von der großen schwarzen Kröte holen!"
Der riesige Hauptmann wurde bleich und schluckte
trocken.
"Ja, ganz bestimmt, Meister!"
versicherte er, denn er fürchtete nichts in der Welt so sehr wie die große
schwarze Kröte, auch wenn er nicht genau wusste, was sie war und was passieren
würde, wenn sie ihn holte.
"Gut!" schloss Gastridis und trat durch
die Tür.
Gebückt folgte der Hauptmann. Die Tür fiel zu, ein
Riegel knirschte, Schritte verhallten.
Der Barbar blieb allein in seinem kleinen
Kerkerloch, allein mit der trüben Fackel und dem Gestank magenkranker Kröten.
Als der Nordmann nach einer Weile genügend Ruhe
gefunden hatte, runzelte er zunächst die Stirn. Er war wieder einmal nackt, und
er konnte weder seine Sachen noch sein Schwert irgendwo sehen. Außerdem tat ihm
der Kopf so weh, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte.
Wie kam er in diese Kammer? Warum war das Mädel
nicht hier? Wo war Wulf? Das Fest? Hatte er alles nur geträumt?
Es gab nur einen Weg, das herauszufinden:
Aufstehen, hinausgehen und jemanden fragen.
Als er aufstehen wollte, musste er feststellen,
dass man ihn in eiserne Ketten gewickelt hatte. Er fluchte fürchterlich.
Was war das nun wieder für ein dreifach gruunzverfluchter
Blödsinn? Jetzt würde er sich erst recht beschweren gehen! Er ließ die
gewaltigen Muskeln schwellen, bis die Ketten so fest in seinen Körper
schnitten, dass im vor Schmerz die Sinne zu schwinden drohten. Er bäumte sich
auf. Dick wie Schifferdaumen traten ihm die Venen aus den Schläfen. Vor
Anstrengung biss er sich Lippen und Zunge blutig.
Alles wurde dunkelrot.
Irgendwann brach etwas mit trockenem Knirschen,
und Barn wusste nicht gleich, ob das nun seine Knochen oder die Ketten gewesen
waren.
Doch dann bemerkte er, dass er die Arme bewegen
konnte. Mit vom Schmerz tauben Fingern streifte der Nordmann mühsam die Ketten
ab. Langsam floss das Blut zurück in die gequetschten Adern und brannte dort
wie glühendes Erz. Seine Knie zitterten, als er aufstand. Ihm wurde kurz
schwarz vor Augen. Er musste die Arme ausstrecken und Halt an der Wand suchen.
Ganz dringend brauchte er etwas zu essen und einen
Schluck roten Wein!
Schwerfällig schwankte er zu der kleinen Gittertür
und trat dagegen. Das Eisen dröhnte. Rost rieselte. Aber die Tür blieb zu.
"He Wirt, was soll'n das hier!" rief
Barn voll gerechten Zorns. "Die verdammte Tür is' zugeschlossen!"
"Ruhe da drinnen!" schnarrte eine
brüchige Stimme aus dem jenseitigen Dunkel.
Barn trat noch einmal gegen die Gitterstäbe.
"He Wirt, eine Dreckskammer is' das,
Wirt!" brüllte er wütend. "Außerdem hab' ich Hunger!"
Draußen kicherte jemand auf sehr hässliche Weise.
Es klang, als schabten morsche Knochen aneinander. "Sei besser ruhig,
Barbar, sonst komm' ich rein und schneid' mir'n Schnitzel aus deinem breiten
Kreuz!"
"Bei Gruunz, Wirt, ihr seid ein elender
Schurke!" donnerte der Barbar und stampfte mit dem Fuß auf.
Das Kichern wurde lauter.
"Du hast's nich' anders gewollt, Krötenfraß!
Ich komm' jetzt 'rein un' hol mir mindestens deine geschwätzige Zunge."
Etwas klapperte. Das Türgitter vibrierte, dann
schwang es knarrend nach innen. Barn trat einen Schritt zurück. Eine Fackel
erschien in der Öffnung, dahinter ein feister Arm, ein kahler, glänzender Kopf
und bleiche Schultern, schließlich schob sich ein enormer Leib durch die enge
Tür.
Das Ganze wurde zu einem kurzen, fetten Mann in
kühn geschnittenen schwarzen Lederhosen und hohen, glänzenden Stulpenstiefeln.
Sein nackter, blasser Oberkörper war in ein komplexes Gurtwerk aus
dornengespickten Riemen geschnallt, das Wanst und Brust in fast weibliche
Formen zwang. Die von Kinnen überronnene Stelle, an der bei anderen Menschen
der Hals entspringt, war umhängt mit silbernen Kettchen, an denen menschliche
Finger in den unterschiedlichsten Stadien der Verwesung befestigt waren.
Das Gesicht des Mannes war aufgequollen und
breitlippig wie das eines Frosches. Doch seine Augen waren groß, rund und blau
und blickten so friedlich wie ein Baby nach einem Bäuerchen. Zusammen mit den dunkel getuschten Wimpern und den
leberfarbenen Tränensäcken machten sie die ganze Erscheinung zur perfekten
Ergänzung des Hauptmanns Kartong.
Schnaufend stellte sich der Ledermann so dicht vor
den Barbaren, dass sein schaukelnder Bauch gegen dessen Unterleib drückte.
"Hallo, blonder Junge! Ich bin Frida, die
Kerkermeisterin von König Dullbert", stellte er sich mit hoher Stimme vor
und deutete eine Verbeugung an. "Weißt du, wie sehr ich es hasse, durch so
eine Tür zu kriechen? Ordentlich Spaß brauch' ich, um das zu vergessen!"
Er hob ein mit stählernen Stacheln gespicktes
Werkzeug vor die Nase des Nordmannes und schwenkte es, während er seine
Froschlippen langsam von zwei Reihen brauner, spitz gefeilter Zähne zog, die
von seiner Zugehörigkeit zu den Gläubigen des entsetzlichen Lurchgottes
Pomander zeugten. Eine graue, warzige Zunge erschien wie ein Krötenkopf
dazwischen.
"Das ist eine Blutbirne!" erklärte Frida
und kicherte wieder. "Man kann sie auch heiß machen, dann isses
lustiger!"
Er gab Barn mit dem Instrument einen sanften
Schlag unter das Kinn und schwenkte dann die Fackel in der anderen Hand, dass
Barn die Hitze schmerzhaft auf den Wangen spürte.
Der Barbar grunzte böse, packte den Mann unter den
Achseln und schüttelte ihn.
"Wein un' Brot will ich, klar?" knurrte
er. "Un' meine Sachen un' mein Schwert! Unne andere Kammer - hier sin'
Ratten drin."
Als er den festen Griff des Nordmannes fühlte,
wollten die säuglingsblauen Augen des Kerkermeisters schier aus den Höhlen
kriechen.
"W-wieso bist du nicht in deinen
Ketten?" keuchte der Ledermann fassungslos. "Ich selbst hab' dich
festgeschmiedet, als du noch bewusstlos warst!"
Barn fühlte sich unverstanden und schüttelte
weiter, bis außer Speichel nichts mehr über die Lippen seines Gegenübers kam.
Dann stieß er den Mann zu Boden.
"Bei Gruunz", brummte er angeekelt und
spuckte ins Stroh. "Dicker, du brings' mich jetz' ganz schnell zu deinem
Wirt, weil, ich will mich nämlich bei dem beschweren!"
*
Königin Clandine rannte durch die Dunkelheit der
Torstraße. Wie alle Frauen der Garstek hatte das harte Leben in den Zeltstädten
der Bergbarbaren sie zu einer schnellen und ausdauernden Läuferin gemacht, und
es dauerte nicht lange, bis sie vor sich den gedrungenen Schatten des Westtores
sah. Der Torbogen war erleuchtet. Zwei Soldaten standen davor.
Clandine blieb in sicherem Abstand stehen, blickte
sich um und entdeckte den dunklen Schlund einer schmalen Seitengasse. Sie glitt
hinein und duckte sich in die Schatten.
Ihren Atem zur Ruhe zwingend, spähte sie hinaus
auf die Straße und lauschte. Kein Fackelschein, kein Rufen, keine eiligen
Schritte, auch nicht das Klirren von Waffen, nichts, was auf Verfolger
hingewiesen hätte.
Stattdessen bemerkte sie nach einer Weile ein
dumpfes, kehliges Knarren, das dem Rhythmus ihres Atems folgte. Sie blickte zu
Boden und fand sich von einem Kreis bernsteinfarben schillernder, geschlitzter
Augen umgeben.
Sie biss sich in die rechte Hand, um nicht zu
schreien.
Ein Gefühl der Unwirklichkeit überkam sie: Sie
kannte diese Augen aus ihren Träumen.
Manchmal, in der Nacht vor Neugeburt des Mondes,
kamen kalte Augen im Schlaf zu ihr und sprangen sie an, fette Leiber eisiger
Kröten drängten sich dann an ihre Waden und krochen klebrig, schwer und feucht
wie Schnecken ihre Schenkel hinauf. Bevor jedoch die grässlichen Kriecher ihr
Geschlecht erreichen konnten, war sie jedes Mal erwacht.
Auch diesmal kamen die Augen näher, genau wie in
ihren Träumen. Mit dem Unterschied, dass sie wusste, diesmal nicht aufwachen zu
können.
Etwas berührte sie am linken Fuß. Es war klebrig,
schwer und feucht.
Sie schrie.
Voll panischen Entsetzens trat sie nach den Augen.
Schwere, hornige Mäuler schnappten nach ihren nackten Zehen.
Sie sprang zur Seite, und etwas Weiches zerplatzte
unter ihren Füßen. Widerwärtiger Gestank stieg auf. Das Quaken wurde jäh
schrill und bösartig.
Kreischend floh Clandine aus dem Kreis der Kröten.
*
Am ganzen Leib zitternd, unentwegt murmelnd und
sich immer wieder mit unterwürfiger Miene zum Barbaren umdrehend, führte der
Kerkermeister den Nordmann durch einen engen und feuchten Gang.
Seine flackernde Fackel tauchte die
salpeterverkrusteten Wände und den knöcheltiefen, schlammigen Boden in ein
unheimliches Blutrot. Manchmal wehte ein hohles Stöhnen oder ein dumpfes Kettenrasseln
von irgendwo aus der Finsternis heran und machte alles noch bedrückender.
Als Barn schon ungeduldig werden wollte, blieb der
Kerkermeister stehen. Er zeigte auf einen von einer einsamen Fackel schwach
beleuchteten hohen Türbogen, hinter dem eine ausgetretene Wendeltreppe steil
nach oben führte. Eine Unmenge abgenagter Hähnchengerippe lagen davor, in einer
Nische stand ein schiefer Stuhl, und ein länglicher Lappen daneben schien so
etwas wie eine Schlafstelle zu sein.
"Diese Treppe rauf", sagte Frida sehr
laut und schlug dabei fest gegen die Stufen. "Da geht es durch die
Folterkammer fast direkt in den Schlosshof, großer Barbar!"
"Geh' vor!" knurrte der Barbar.
"Oh, natürlich, du großer, kräftiger Barbar,
den ich ganz hinten angekettet hatte und der jetzt frei herumläuft, mit meiner
Blutbirne bewaffnet!" rief der Kerkermeister. "Diese Treppe werden
wir hinaufgehen!" Er gab der Treppe noch einen Stoß.
"He, Frida, was soll denn das Geschrei? Ich
hab' jetzt wirklich wichtigeres zu tun als mit dir zu spielen!" drang da
eine harte Stimme die Treppe hinunter.
Der Kerkermeister begann zu schreien:
"Kartong! Kapier' doch! Der Barbar ist frei!"
"Was sagst du, Kerkermeister?" knarrte
die Stimme von oben.
Füße polterten Stufen hinunter. Ein trübrotes
Fackellicht wurde oben sichtbar, und darin der Körper und die schön glänzende
Glatze des Hauptmannes Kartong. Der mächtige Mann blieb etwa ein halbes Dutzend
Stufen über dem Boden stehen und kniff suchend die Augen zusammen.
"Was war das jetzt mit dem Barbaren?"
rief er nach unten.
In diesem Augenblick griff Barn nach den zwei
großen, sandalenbekleideten Füßen des Hauptmanns und zog.
Kartong verlor den Halt und kippte nach vorne.
"Oh Kartong!" kreischte Frida schrill,
als der riesige Hauptmann schwer in dem Haufen der Hähnchengerippe aufschlug.
Händeringend sank der Kerkermeister neben dem
Gefallenen auf die Knie und hob den kahlen Kopf in den Schoß. "Kartong, es
ist nicht meine Schuld!" jammerte er und knetete das schöne, blasse
Gesicht des Hauptmanns zwischen den Händen. "Ich wollte dich ja warnen,
aber du hast mich nicht verstanden!"
Kartong grunzte benommen.
Barn schüttelte den Kopf. Es war in allen
Wirtshäusern das Gleiche: Die Knechte waren ständig betrunken und außerdem mehr
aneinander interessiert als am Wohlergehen der Gäste. Man konnte nichts von
ihnen erwarten. Seufzend zog er dem klagenden Ledermann die Fackel aus der Hand
und stieg die Stufen hinauf.
Die Treppe führte in mehreren dunklen Wendeln in
die Höhe und endete in einem gemauerten Bogen mit einer dicken Holztür. Der
Raum dahinter war eine niedrige Halle, schwach erleuchtet vom roten Licht
verglimmender Kohlen.
Barn sah sich um. Das Feuerbecken in der Mitte war
groß genug, einen ganzen Ochsen darüber zu rösten, aber das Feuer war
niedergebrannt, und von einem Ochsen war auch nichts zu sehen. Schiefe Gerüste,
seltsame Stühle und unratverkrustete Tische standen um den Feuerplatz herum.
Ein paar zerbrochene Schädel und Brustkörbe lagen dazwischen auf dem Boden. Es
war ein ziemlich ekelhafter Ort, besonders wenn man - wie der Barbar - davon
ausging, in einer Küche zu stehen.
"Ho, ich hab' Hunger!" rief der Nordmann
in die Halle, dass es hallte.
Niemand antwortete.
Lautlos schlich der große Mann zum nächsten Tisch.
Er schnüffelte. Hier schien vor einiger Zeit Fleisch gehackt worden zu sein.
Auch auf den anderen Tischen roch es nach Schlachterei, überall war ein wüstes
Durcheinander von Knochen, runzligen Hautresten und getrocknetem Blut. Nur
nichts zu essen.
Als Barn sich auf einen Stuhl setzen wollte, um
nachzudenken, sprang er mit einem lauten Fluch wieder hoch: Da war ein Haufen
Nägel von unten in die Sitzfläche geschlagen! Was war denn das für eine
verfluchte Küche?
Von plötzlicher, wilder Wut gepackt, riss er den
schweren Stuhl hoch und schleuderte ihn quer durch den Raum. Dann warf er die
Tische um und verstreute Dreck, Aas und stachelige Eiseninstrumente über den
Fußboden, dass es in der düsteren Halle dröhnte wie in Vulgars Schmiede.
Da flog vor ihm plötzlich und vehement eine Tür
auf, und der Umriss eines großen, dicken Mannes erschien vor dem hellroten
Licht frischer Fackeln.
Der Umriss des großen, dicken Mannes brüllte:
"Bei Vulgar, Frida, du hast versprochen, dass du kein' mehr folterst, wenn
wir Freiwache ham! Wir könn' ja die eigenen Würfel nich' mehr rollen hör'n bei
dem Lärm hier!"
Niemand anderes als der Wachmann Wulf stampfte
wütend in das Zwielicht des Gewölbes und schüttelte drohend die linke Faust,
die noch den ledernen Würfelbecher hielt.
Der Barbar blickte, blinzelte und brummte, wiederholte
das alles mehrmals, bis er wirklich sicher war, dann rief er: "He, ich
werd' verrückt, wenn das nich' Wulf is', mein alter Kumpel Wulf!"
Wulf starrte erschrocken auf den riesigen, nackten
Barbaren, der da plötzlich vor ihm aufgetaucht war.
"Barn?" fragte er schließlich leise.
"Ich hab' gedacht, sie ham dich gekriegt!"
"Gekriegt?" rief Barn aufgebracht.
"Nix kriegt man hier. Das is' eine so elende Herberge, alter Kumpel, wie
man 'se nich' mal im Diebsviertel von Krawalle findet, das sag' ich dir, un'
Gruunz wird immer mein Zeuge, sein, bei Glungg!"
Während der Barbar mit dem Mittelfinger der Linken
die traditionellen Geste des Norländischen Schwurs vollführte, wurde hinter
ihm, dort, wo der Torbogen über die Wendeltreppe hinab in die Finsternis der
Verliese führte, eine sehr wütende Stimme laut. Ein ängstliches Gekreische
antwortete.
Wulf drehte den Kopf und schluckte hörbar.
"Das sin' der Hauptmann und sein Kumpel, der dicke Frieder!"
flüsterte er. "Wenn die dich hier finden, und mich dabei, dann gibt das
mehr Ärger als wenn man beim Falschspielen erwischt wird! Wir müssen hier
weg!"
Hastig packte der Wachmann den Barbaren an einem
Arm und zog ihn durch die erleuchtete Tür. Dahinter lag ein Korridor, mit
vielen Fackeln in eisernen Gitterkörben. Gleich links gab es einen schmalen
Torbogen. Dahinter hockten drei Soldaten um einen Tisch und starrten mit
gerunzelten Stirnen auf ein ledernes Würfelspielfeld.
Wulf legte einen dicken Finger vor die Lippen und
zeigte am Torbogen vorbei nach vorne. "Ganz leise! Die Kerle da drin waren
dabei, als der Hauptmann dich verhaftet hat. Die wissen, wer du bist und dass
du nich' frei rumlaufen darfst. Außerdem wollten die gerade meine Würfel
kontrollieren!"
Barn nickte und legte ebenfalls einen Finger vor
die Lippen. Lautlos wie Schatten schlichen die beiden Barbaren an der Öffnung
vorbei. Dann liefen sie durch den Korridor, bis Wulf neben einer Tür hielt, die
mit einem weißen Kreuz bemalt war.
Der Würfler drückte vorsichtig die Tür auf und
spähte in den dunklen Raum dahinter.
"Keiner drin, kannst kommen!" zischte
er.
In der Kammer, die Wulf und der Barbar nun
betraten, waren von Wand zu Wand viele Lederschnüre gespannt, von denen weiße
Stoffstreifen hingen.
"Das is' die Trockenstube für frischgewaschene
Schurztücher der Sklaven", erklärte der Wachmann. "Wenn du dir so
eins umbindest, erkennt dich in der Verkleidung keiner."
8.
Nachdem sie bei ihrer
panischen Flucht schließlich über die eigenen Füße gefallen war, lag Clandine
im Schlamm der Torstraße. Sie schmeckte kalten, metallischen Sand auf den
Lippen und wurde plötzlich wütend auf sich selbst. Sie, die Tochter des
Häuptlings aller Garstek, trat auf einen Frosch und begann zu kreischen wie
eine alte Jungfer, deren Unterwäsche in Flammen steht.
Nach einigen tiefen Atemzügen stand sie auf und
sah sich um. Über ihr ragten die finsteren Fassaden verwahrloster Häuser wie
vermummte Wegelagerer in den hellen Nachthimmel. Es stank nach Abfällen und
Katzenurin. Hier feierte niemand die großartige Hochzeit, es gab kein Licht
außer den kalten Sternen am Firmament und kein Geräusch außer ihrem Atem. Sie
wartete eine Weile, aber nichts veränderte sich. Entweder hatte niemand ihre
Schreie gehört, oder es war für die Anwohner nichts Besonderes, wenn in den
Gassen nachts eine Frau schrie.
Vorsichtig machte sie sich auf den Weg zurück zum
Stadttor.
Krötenaugen sah sie nicht mehr, und nur einmal
glaubte sie, hinter sich ein Quaken zu hören. Sie hielt den Atem an und
lauschte, aber das Geräusch kam nicht wieder. Vielleicht war es nur das Knarren
eines Fensterladens im Wind gewesen.
Die Szene am Tor hatte sich nicht verändert. Nur
eine einzige schwache Fackel erleuchtete die Flügel des Tores, das gerade breit
genug war, um zwei Ochsenkarren nebeneinander hindurch zu lassen. Die zwei Wachsoldaten
hielten sich dicht beieinander und schienen in ein Gespräch vertieft. Alles war
günstig für eine Flucht. Es gab nur ein Problem: Das Tor war geschlossen.
Clandine, deren Volk in Zelten lebte, stand
fassungslos vor dem unerwarteten Hindernis. Sie ballte die Fäuste und spürte
Tränen aufsteigen.
Doch da sah sie auch schon die Rettung.
Im linken Flügel des Tores gab es eine schmale
Pforte, eine Tür, die wohl benutzt wurde, um verspätete Wanderer einzulassen.
Und die war offen.
Die Königin schlich näher, bis sie fast im
Lichtkreis der Fackel stand.
Und beinahe hätte sie laut gelacht. Das waren
keine zwei Wachleute, die dort so auffällig eng standen: Ein einzelner Soldat
war da eifrig bemüht, seine Hände unter die Kleidung eines dicken Mädchens zu
bekommen, und das Mädchen war ihm dabei sehr behilflich. Die Waffe des
Soldaten, eine Lanze, lehnte lässig neben der Pforte.
Da hörte sie laute Stimmen von hinten.
"Alarm, Alarm, Barbaren!"
Clandine bezweifelte keinen Augenblick, dass das
die Verfolger waren.
Hastig berechnete sie ihre Chance. Es mochten
zwanzig Schritte zu der Pforte sein. Noch war der Soldat am Tor viel zu
vertieft in seine angenehme Beschäftigung, um die Rufe zu hören. Und wenn er
sie bemerkte, war er hoffentlich zu verwirrt, um richtig zu reagieren.
Die Königin hob den Rock und rannte los. Ihre
nackten Füße machten auf dem staubigen Pflaster kaum ein Geräusch. Fünfzehn
Schritte noch. Das Paar blieb eng umschlungen. Zehn Schritte.
"He! Da läuft jemand!" brüllte es da von
hinten. "Torwächter! Torwächter! Haltet das Weib auf!"
Der Soldat zuckte zusammen wie ein junger Bär, den
beim Honigstehlen eine Biene sticht. Clandine beschleunigte ihren Lauf. Nur
eine Handvoll Schritte trennten sie vom Tor. Sie grinste verbissen, denn sie
wusste, sie würde es schaffen.
Dann hörte sie etwas, und das Entsetzen, das mit
diesem Geräusch kam, ließ ihre Knie so weich werden, dass sie stolperte und
fast gestürzt wäre: Ein Froschchor schwoll mit der Plötzlichkeit eines Schlages
um sie an. Das Quaken und Knarren schien von überall zu kommen. Wie durch zähen
Nebel sah sie das zu einer Maske des Schreckens verzerrte Gesicht des
Torwächters. Mit aufgerissenen Augen starrte er auf einen Punkt hinter
Clandines Rücken. Die Königin taumelte weiter. Das schrille Quaken gellte als
pulsierender Schmerz durch ihren Schädel, grell wie ein glühendes Eisen.
Zwei Schritte!
Mit Wucht rammte sie den Wachsoldaten, sah ihn
fallen. Ihre Schulter wurde gefühllos. Dann war sie an der Pforte. Ein
einziger, weiter Sprung noch, dann wäre sie hindurch...
Ein harter Gegenstand schlug gegen ihren linken
Fuß. Etwas traf sie ihm Rücken. Dann riss ein ganzes Bombardement kalter,
schwerer Geschosse sie von den Füßen. Sie überschlug sich, sah die
eisenbeschlagene Türkante heranspringen und prallte mit der Stirn dagegen.
Das letzte, was sie sah, waren Kröten.
Hunderte von Kröten.
Kröten, die sich wie Schleudersteine gegen sie
warfen. Manche platzten dabei und übergossen sie mit ihrem stinkenden
Körpersaft.
*
"Es is' eine Riesenschreierei im Schloss
seit'n paar Stunden. Man sagt, Barbaren aus den Bergen hätten die Königin und
die Krone geraubt!" erklärte Wulf dem Nordmann. "Der graue Gastridis,
der Pomanderpriester, mischt sich überall ein und gibt Befehle, als wäre er in
Wirklichkeit König. Und der Hauptmann macht mit. Aber keiner hat Barbaren
gesehen. Und der König ist auch verschwunden. Irgendwas stimmt nicht, da spielt
einer mit gezinkten Würfeln, das sag' ich dir!"
Barn, der nicht zugehört hatte, nickte nur und
ließ seinen leeren Bauch knurren. Er hatte den weißen Schurz besonders fest und
eng gebunden, um den Magen einzuschüchtern, aber das half nicht viel. Ein
echter Nordmännermagen brauchte eben mehr zum Leben als dünnen Wein und
Hammelfett, ho!
Die beiden Männer passierten einen Torbogen.
Dahinter wurde der Gang breiter.
"So, ab hier müssen wir aufpassen",
mahnte der Wachmann. "Vorne ist die Küche, und dann kommen die
Sklavenquartiere. Da ist immer was los, auch so spät noch."
Tatsächlich hörten sie bald aufgeregtes Geschrei
aus einem Raum zur Rechten, und plötzlich stürmte ein langer Mann mit einem
albernen Hut, einer weißen Schürze und grauen Hosen durch die Tür. Er sah sich
um, entdeckte Wulf und den Nordmann und zeigte mit herrischer Geste auf Barn.
"Sklave, komm her!"
Der Wachmann stellte sich schnell vor den Barbaren
und sagte: "Nix da, Koch. Ich bring' den Burschen hier runter in die
Stadt, er soll noch Dackelblutwurst aus Fifis Fleischerladen holen, für den
Hauptmann."
Der Koch verzog angewidert das Gesicht.
"Dackelblutwurst nach der zehnten Abendstunde? Ihr seid ja alle krank bei
der Garde! Deinen Burschen brauch' ich trotzdem. Ich muss den königlichen
Eintopf für morgen aufsetzen, und meine Knechte haben alle so heftig Hochzeit
gefeiert, dass ich den Kessel besser gleich ausschütte, als sie versuchen
lasse, ihn über das Feuer zu hängen."
Wulf schüttelte den Kopf. "Der Hauptmann hat
gesagt..."
"Was der alte Knabenschänder gesagt hat, ist
mir egal", brüllte der lange Mann. "Wenn der König morgen Mittag
keinen Eintopf bekommt, dann werden Köpfe den Schlossberg hinabrollen. Meiner
wird dabei sein, aber deiner wird sie anführen, Dicker!"
Wulf wischte sich mit knubbeligen Fingern den
Schweiß von der Stirn. Er kaute seine Unterlippe auf der Suche nach einem
Ausweg.
"Na gut, Koch", sagte er endlich.
"Aber ich werd' hier draußen warten."
"Klar Dicker", zwinkerte der Koch.
"Kriegst deinen starken Mann zurück. Sobald ich fertig bin."
Der Wachmann gab Barn einen Stoß in Richtung der
Küche. "Mach' einfach, was er sagt", zischte er dem verwirrten Nordmann
zu. "Aber beeil' dich! Ich warte hier draußen."
*
Gastridis saß mit übereinandergeschlagenen Beinen
auf dem sumpfgrauen Gebetsteppich in der Mitte seines Geschäftszimmers, eines
großen, halbrunden Saales in einem der zahllosen Türme des Königsschlosses.
Kostbare Möbel und teure Wandteppiche machten den Raum zu einem Ort besonderer
Pracht, die nur dadurch eine leichte Minderung erfuhr, dass sich die Farben auf
Schlammgrau, Knochenweiß und Blutrot beschränkten.
Kalter Schweiß stand auf der bleichen Stirn des
Priesters. Sein Geist befand sich auf der zweiten Ebene transzendentaler
Trance, dort, wo Dämonen und verdammte Seelen brüllen, fluchen, jammern und
kichern wie Händler während der letzten Tage des Sommerschlussverkaufs.
Gastridis musste seinen großen Opferschwindel
vorbereiten, und dazu brauchte er einen Gehilfen aus der Hölle.
*
Der Koch führte Barn in das weite Gewölbe der
Schlossküche. Zahlreiche Tische und Sitzbänke standen hier, denn hier aßen auch
die Sklaven ihren ewig gleichen Fraß aus den aufgewärmten Abfällen des Hofes.
Auf dem freien Platz
zwischen den Tischen erhob sich eine runde, gemauerte Feuerstelle mit einer
gehämmerten bronzenen Abzugshaube darüber. Um sie herum standen und lagen
Mengen kleiner schmutziger Röstgitter, dreckiger Kochkessel und verbogener
Bratpfannen in wirrem Durcheinander. Der Dunst von altem Fett und verdorbenem
Fleisch hing in der Luft wie eine drohend geballte Faust.
Der Koch zeigte auf einen gigantischen Kessel, in
dem man ohne Probleme drei oder mehr Männer von der Größe Barns unzerlegt hätte
kochen können. Die gewölbten, schmiedeeisernen Flanken waren überkrustet von
zahllosen alten Schichten angetrockneten und festgebrannten Eintopfs. Drei
dickbäuchige Sklaven lagen davor und schnarchten.
"Der Kessel da muss auf die
Feuerstelle!" bellte der Koch. "Bursche, hörst du?"
Barn hörte nicht.
Er blickte mit leuchtenden Augen auf die Reihen um
Reihen geräucherter Schweineschinken, die von der Decke hingen, und auf die
fertig gebratenen Ochsenhälften, die wie gelangweilte, aber sehr attraktive
Freudenmädels an den Wänden lehnten.
"Ho!" machte er und rieb sich die Hände.
Er steuerte die nächstgelegene Bank an, setzte
sich und ließ eine kräftige Faust auf den Tisch krachen: "Ho, Wirt, 'n
halben Ochsen unnen Humpen voll Bier!"
Gutgelaunt sah er sich um. Und entdeckte das
schwarzhaarige Mädel.
Es saß an einem Tisch in der dunkelsten Ecke des
Raumes und schnitt Rotwurzeln mit einem Messer in eine Suppenschüssel. Immer
noch trug es nur den knappen weißen Schurz auf der bronzebraunen Haut.
Kein Zweifel, das war das Mädel vom Brunnen! Hatte
er es doch endlich erwischt!
Geschmeidig stand er auf, ging an dem
fassungslosen Koch vorbei und baute sich breitbeinig vor dem Tisch des Mädels
auf.
"Ho, Mädel, bist du auch hier?" dröhnte
er.
Erschrocken blickte die Schwarzhaarige auf. Als
sie Barn erkannte, ließ sie ihr Messer fallen.
"Du?" stieß sie hervor und sprang auf.
"Mein Herr hat doch..."
Sie wich zurück. Aber nachdem sie eine kurze Weile
in das strahlend naive, gewissenlos gierige Grinsen und Zwinkern des Barbaren
geblickt hatte, verschwand die Angst aus ihrem Gesicht und machte einem anderen
Ausdruck Platz.
"Du denkst, du hast mich diesmal, mmh?"
hauchte sie mit dunkler, kehliger Stimme und legte die Hände provozierend auf
ihre Brüste. "Da irrst du dich aber!"
Mit katzenhafter Gewandtheit sprang sie vor und
stieß den Tisch um. Die harte Holzkante landete genau auf Barns linkem großen
Zeh. Der Barbar brüllte vor Schmerz. Flix lief lachend an ihm vorbei.
Am Ausgang der Küche blieb sie kurz stehen, warf
dem Nordmann eine Kusshand zu und rief: "Jetzt fang' mich doch endlich,
großer Mann! Es ist doch gar nicht mehr weit bis zum Ziel aller Wünsche!"
Dann verschwand sie mit einem aufreizenden
Hüftschwung durch das Küchentor. Nur ihr Gelächter blieb zurück.
Grimmig schnaufend trat der Barbar den
umgestürzten Tisch beiseite und verpasste dem Koch, der sich ihm in den Weg
stellte, ganz nebenbei einen festen Faustschlag in den Magen.
Dann rannte er durch das Küchentor und vorbei am wartenden
Wulf. Auf die besorgten Rufe des Wachmanns reagierte er nicht, denn vom Ende
des Ganges winkte ihm das schwarzhaarige Mädel noch einmal auffordernd zu,
bevor es hüftschwingend eine breite Treppe hinaufstieg. Grunzend steigerte der
Nordmann sein Lauftempo.
Hinter ihm wurde plötzlich Geschrei laut, ein
Speer flog an ihm vorbei und schlug klirrend gegen eine Säule; aber all das
interessierte den Barbaren im Augenblick nicht. Er sah nur die braunen
Schenkel, die in wunderbarer Eleganz die Treppe hinaufflohen.
Bei Gruunz, er würde diesmal bekommen, was ihm
zustand, und wenn ihm hundert Tische dabei auf den Fuß fielen!
*
Gestärkt von der Inbrunst des Traumgebets von
König Dullbert begann Pomander ebenfalls zu träumen. Und in seinem Traum sah er
die anderen, die jungen, flinken Götter fallen, sah, wie sie in der Schwärze
der Unendlichkeit jammernd ersoffen und im Maelstrom der Zeit zu rotem Nebel
zerrieben wurden.
Das Triumphgelächter des Träumers drang hinaus aus
dem blasenschlagenden Sumpf der Sterne und hinunter an die rudimentären Ohren,
die allein es hören konnten.
Überall in den Straßen Thenils hoben die Amphibien
ihre Köpfe. Frösche und Kröten krochen auf die Sockel der Brunnen, hockten auf
den Leibern der sinnlos Betrunkenen und erklommen Treppen, um dem Traum ihres
Gottes zu lauschen. Auf den Balkonen und den flachen Dächern der Häuser
sammelten sie sich, und selbst an den glatten Wänden der hohen Türme klammerten
sich Lurche und warteten mit bebenden Flanken.
In der Straße
der Tausend Freuden taumelte das Hochzeitsfest derweil weiter seinem
ungewissen Ende zu. Buden wurden eingerannt, Kleider vom Leib gerissen und Keller
geplündert. Zunächst achtete niemand auf die Amphibien. Und wenn es doch jemand
tat, so warf er dem Becher oder Schlauch, den er gerade hielt, einen
misstrauischen Blick zu und nahm den nächsten Schluck.
Doch dann begannen die Tiere, dem träumenden Gott
eine Antwort zu singen.
In einem Hausgang neben dem Zunfthaus der Narren
schnarchte ein elender kleiner, dicker und bärtiger Bratwurstverkäufer. Das
Leben war nicht freundlich zu ihm gewesen an diesem Festtag. Kaum jemand hatte
seine Würste gekauft, zwei Kunden, große, derbe Unholde der Stadtwache, hatten
ihn statt Bezahlung sogar verprügelt, und dann war da noch dieser riesige
blonde Barbar gewesen, der ihn so furchtbar erschreckt hatte.
Aber erschreckender noch als jeder Barbar sah
seine Zukunft aus: Er hatte sich bei Fifi dem Fleischer für den kleinen Anteil
Schweinefett, den er des Geschmacks wegen in die Würste füllen musste, hoch
verschuldet, in der Hoffnung, am Tag nach der Hochzeit zurückzahlen zu können.
Denn Fifi war nicht nur Fleischer und für seine Dackelblutwurst berühmt,
sondern auch erster Vorsitzender der Gilde der Mörder von Thenil und daher
nicht sehr zimperlich beim Schuldeneintreiben.
Beim Sammeln der übrigen Zutaten im Sumpf vor
Thenil war der kleine Bratwurstverkäufer auch noch ausgerutscht und hatte sich
den Rücken verrenkt, so dass er nur wenige weiße Blindlurche hatte fangen
können, aus denen er sonst die Pelle und ein Gutteil der Füllung machte. Also
hatte er alte Fußlappen genommen und gemahlen, und in den Wurstteig auch noch mehr
gehacktes Gras und Gossenschlamm hineingetan, als gut war.
Die Schmerzen im verrenkten Rücken hatten ihn dann
auch so sehr beschäftigt, dass er nicht immer darauf geachtet hatte, seine
Bratwaren nur an wirklich Betrunkene zu verkaufen. Dem Zorn der nüchternen
Käufer war er als erfahrener Händler zwar durch Flucht entkommen, aber ihm war
klar, dass man sich sein Gesicht gemerkt hatte. Er würde die Stadt für lange
Zeit verlassen müssen, und das ohne das Geld, das er erhofft hatte.
Der Schlaf des kleinen Bratwurstverkäufers war
schwer, seine Träume düster.
Er träumte von entsetzlichen schwarzen Abgründen,
in denen das Verderben hirnlos schnatterte, von gigantischen Gestalten, die
kreischend ins Nichts taumelten, und der ungeheuren Silhouette eines Lurches
hinter allem, einer allgewaltigen Amphibie, die mit ihrem brüllenden Gelächter
das Universum erschütterte.
Er erwachte schwer atmend, als die Lurche ihr Lied
begannen. Und fand sich bedeckt von Kröten, die die Wärme seines Leibes gesucht
hatten.
Da schlugen die brackigen Wasser des Elends
endgültig über ihm zusammen.
Schreiend lief er auf die Straße, warf sich zu
Boden und begann ein hysterisches Geschrei.
"O Gott der Lurche! O Gott der Lurche!"
rief er schrill. "Ich werde Dein demütiger Sklave sein, wenn Du mir
vergibst! Nie wieder werde ich Würste aus Deinen Geschöpfen machen!"
Er schlug seinen kleinen, bärtigen Kopf mit Wucht
auf das kotige Pflaster, bis das Blut spritzte.
Die Menge gelangweilter Betrunkener, die sich um
ihn gesammelt hatte, war beeindruckt von so viel Inbrunst. Schnell stimmten
erste Zuschauer in das Gejammer ein, und bald lagen alle im Dreck und schlugen
mit ihren Stirnen auf die Steine ein. Überall auf der Straße der Tausend Freuden nahmen Menschen den Ruf zum Gott der
Lurche auf.
*
Zwei Gardisten trugen eine Bahre, eine
improvisiertes Gestell aus Lanzen, Gürteln und der derben Wolljacke einer
Bauernmagd durch die finstere Schlucht der Torstraße. Auf der Bahre lag, bleich
und bewusstlos, die junge, blonde Frau, der sie erst heute früh als ihrer neuen
Königin zugejubelt hatten. Nun trug die Königin statt des Hochzeitsgewandes die
Kleider einer Waschfrau, war beschmiert mit Straßendreck und Krötenblut und
stank schlimmer als die Jauchegrube unter König Dullberts Schloss.
Die Soldaten gingen schnell. Sie mochten das
Torviertel nicht, denn sie wussten, dass das Torviertel keine Soldaten mochte,
vor allem, seit Kartong Hauptmann der Gardisten war. Aber auch das unheimliche
Erlebnis mit den Kröten, die sich wie besessen gegen die Königin geworfen
hatten, steckte ihnen in den Knochen.
"Ich bin froh, wenn wir wieder oben auf dem
Schloss sind", sagte der hintere Träger nach einer langen Zeit bedrückten
Schweigens zum vorderen. Der nickte und spuckte aus.
"Ich sollte schon längst sturzbesoffen in den
Armen irgendeiner Hure liegen, bei Moder!" nörgelte er. "Is' heut'
nich' die Hochzeit meines Königs? Un' hat nich' der Hauptmann freien Wein und
Dienstschluss bei Sonnenuntergang versprochen?"
"Allerdings, bei Cthulhu!" rief der
hintere Träger. "Doch stattdessen rennen wir noch zur elften Stunde in der
Stadt 'rum, müssen dem Pöbel beim Feiern zugucken und dem Dullbert sein Weib
wieder einfangen!"
Der vordere Soldat drehte den behelmten Kopf halb
seinem Kameraden zu und zwinkerte.
"Wenn ich mit dem alten Flohsack ins Bett
kriechen müsste, würd' ich aber auch abhauen, bei Flabbergasst!"
Der hintere schnitt eine Grimasse, die Zustimmung
ausdrückte.
"Naja, halten wir besser's Maul und geh'n
schneller. Vorne is' schon der Marktplatz!"
Auf den schäbigen Fassaden der Häuser tanzte
tatsächlich der erste Widerschein des ewigen Feuers. Eine schwache Brise hob
sich und trieb die üblen Gerüche des Torviertels zurück in die Dunkelheit. Die
beiden Soldaten strafften ihre Schultern und schritten schneller aus.
Dann endete die Straße.
Die weite Fläche des Marktplatzes war übersät mit
Kröten, Lurchen, Fröschen und anderen, namenlosen Kreaturen der Sümpfe. Auf den
glatten Flächen des fünfseitigen Obelisken klebten die Amphibien wie Fliegen
auf einem Obstkuchen.
Und dazwischen wälzten sich Horden nackter
Menschen in obszöner Anbetung. Junge Mädchen rieben sich die schlanken Körper
zärtlich mit den Leibern fetter Kröten, als wären das edelste Badeschwämme.
Wilde Horden närrischer Alter hopsten umher und quakten wie die Frösche. Ein
Mann schluckte Mengen kleiner Lurche und rief immer wieder "Vergebt mir!
Ich liebe euch doch! Ich liebe euch!"
"Bei... Pomander!" fluchte der vordere
Träger und blieb fassungslos stehen. Der hintere reagierte zu spät und
stolperte. Die Bahre kippte, und die Königin fiel auf das Pflaster, zwischen
die Frösche.
*
"Bei den Hintern der Heiligen, Wulf!"
rollte eine Stimme wie Donner durch den Korridor vor der Schlossküche. "Da
rennt der Barbar! Halt ihn auf!"
Der bärtige Wachmann wandte hektisch den Kopf hin
und her. Vor ihm lief Barn die Treppe zum Erdgeschoss hinauf, hinter ihm nahte
der Hauptmann Kartong mit gezogenem Schwert, gefolgt von drei Gardisten; und
dann kam auch noch der Koch brüllend aus der Küche gerannt: Zuviel für einen
Mann, der mit Würfeln besser umgehen konnte als mit Schwierigkeiten.
Wulf blieb stocksteif stehen, salutierte und
schlug die Hacken zusammen. Das war ein Trick, den der alte Feldwebel Jobbo ihm
beigebracht hatte. Und er hatte sich bei der Garde stets als die beste Deckung
erwiesen.
"Wulf, du Idiot! Jetzt lauf' und steh' nicht
nutzlos 'rum wie der Obelisk" fluchte Kartong. "Wir müssen den
Barbaren kriegen, sonst holt uns alle die große schwarze Kröte!"
Da kam der Koch aus der Küche gehumpelt und trat
dem Hauptmann in den Weg.
"He, Hauptmann, ich habe eine Anzeige zu
machen!" rief er, während er sich den Bauch hielt. "Dein blöder
Sklave hat mir..."
"Beiseite, Bauer! Hier kommt die Garde!"
brüllte Kartong und schlug dem Koch in die Magengrube.
"Genau das hatter gemacht..." röchelte
der Koch und sackte zu Boden, während Kartong und die Gardisten über ihn
hinwegrannten, "Un' das alles wegen dem zickigen Weib, der Flix. Wo doch
jeder weiß, dass die ihr'm Herren, dem Krötenfreund Gastridis, völlig hörig
ist!"
Er schloss die Augen und seufzte, bevor er das
Bewusstsein verlor.
Wulf, der immer noch steif dastand, runzelte die
schweißnasse Stirn. Dann zupfte er sich an den schweren Ohrläppchen, was er nur
tat, wenn er wirklich ernsthaft nachdenken musste.
Und nach einiger Zeit - während der Koch erwachte,
ächzend aufstand und murmelnd zurück in die Küche humpelte; während der
Hauptmann Kartong und seine Männer mit wilden Schritten die Treppe
hinaufstampften und über den schlanken Türmen von Thenil ein sehr schiefer Mond
aufging - setzten sich imaginäre Räder in seinem Kopf in Bewegung. Und ihm
wurde klar, dass sich sein Kumpel Barn in großen Schwierigkeiten befand.
Mit wild gesträubtem Bart begann der Würfler zu
laufen.
9.
Barn fluchte. Das gruunzverdammte Mädel war so
flink, dass die Jagd fast keinen Spaß machte! Er war dem Weib jetzt schon durch
drei lange Korridore und über zwei Treppen nachgelaufen, und noch immer hatte
es zwei Barbarenlängen Vorsprung!
Schnaufend bog der Barbar um eine weitere Ecke,
hinter der das Mädel gerade eben verschwunden war.
Dahinter lehnten zwei große Kerle in buntbemalten
Rüstungen an der Wand und schwatzten miteinander. Einer hielt einen Weinkrug in
der Rechten. Das Mädel lief zwischen ihnen hindurch.
"Männer!" schrie es und zeigte auf den
Barbaren. "Dieser Küchensklave verfolgt mich und will mich schänden!
Haltet ihn auf und bringt ihn zu meinem Herren, dem Priester Gastridis!"
Die Gardisten grinsten träge. Der Mann mit dem
Krug versuchte, das Hinterteil der laufenden Flix mit der flachen Hand zu
treffen, verfehlte es aber und fluchte enttäuscht. Der andere trat lässig einen
Schritt vor und stellte sich Barn mit erhobener Rechter in den Weg.
"He, Sklave! Hier beginn' die Gemächer der
Edlen. Wennde kein' Auftrag hast, haste hier nix zu suchen!" lallte er mit
schwerer Zunge.
Barn kniff die Augen zusammen. Wenn die Burschen
das Mädel für sich wollten, dann würden sie gegen ihn kämpfen müssen!
Er schloss kurz die Augen und rannte einfach in
den Gardisten hinein. Der Mann wurde beiseite geschleudert wie ein lästiges
Kleidungsstück. Sein Kamerad mit dem Krug erbleichte unter der bunten Rüstung
und blieb zur Sicherheit an die Wand gelehnt.
Der Nordmann lachte grimmig. Ha, war er nicht
immer noch ein Kerl, vor dem andere Angst hatten?
Dann fiel ihm etwas auf, und er bremste seinen
Lauf so abrupt, dass er fast das Gleichgewicht verloren hätte: Der Gang vor ihm
war leer!
Das Mädel war verschwunden.
Allerdings gab es keine zehn Schritte vor ihm in
der rechten Wand eine breite Tür, ein Monstrum aus altersgrauem Muggahholz,
verziert mit verschlungenen silbernen Beschlägen, die wie verärgerte Lurche
aussahen. Nur dort hindurch konnte das Mädel so schnell verschwunden sein! Es
wollte die Jagd also auf die Spitze treiben!
Nickend lief er darauf zu und griff nach dem
Türknauf.
Der Knauf fühlte sich seltsam weich und feucht an,
als wäre er gar kein Metall, sondern tatsächlich das, was er darstellte: Ein
Krötenkopf. Barn zog seine Hand hastig zurück. Trotzdem schwang die Tür leise
seufzend nach innen.
Eine Menge merkwürdiger Gerüche kamen dem Barbaren
entgegengekrochen. Ihm wurde ein bisschen unheimlich.
Doch dann wurden hinter ihm energische Schritte
laut. Barn wirbelte herum, nur um sehen zu müssen, wie der Hauptmann Kartong
mit seinen zwei Männern um die Ecke des Korridors bog. Eine gewaltige Beule
erhöhte dem Offizier die Stirn auf der linken Seite, sein rechtes Auge war
blutunterlaufen und die Nase ein dick geschwollener Klumpen. Dieses bereits
angeschlagene Gesicht verzog sich beim Anblick des Norländers zu einer solchen
Grimasse des Hasses, dass selbst ein Dämon weinend zu seiner Mama geflohen
wäre.
"Männer! Da ist der Barbar, der euch die
Feier verdirbt!" brüllte Kartong. "Packt ihn und prügelt ihn tüchtig
durch! Aber tötet ihn noch nicht! Ein Silberstück für den, der ihm die Nase
bricht!"
Barn verbrauchte keine Zeit zum Überlegen. Mit
einem schnellen Satz war er durch die Tür gesprungen und hatte sie hinter sich
zu getreten.
Was er dann sah, ließ die feinen Haare seines
breiten Nackens aufsteigen.
*
Völlig außer Atem lehnte sich der schwere Würfler
Wulf an eine Säule. Sein Herz hämmerte in der Brust, und sein Panzer knarrte
bedrohlich über seinem Bauch. Er hatte keine Ahnung, wo er war. Die oberen
Geschosse der Königsburg waren ihm unbekannt, als einfacher Wachsoldat hatte er
normalerweise nur Zutritt zum Hof und zu den Kellern.
Nach einer Weile bemerkte er, dass nicht nur sein
Herz hämmerte. Direkt neben ihm schlug jemand von innen gegen eine schmale
Holztür.
Unschlüssig hörte er sich das eine Weile an, dann
kam ihm der Gedanke, dass das sehr wohl sein Kumpel Barn sein konnte, der da
vom Hauptmann in eine Kammer gesperrt worden war und nun auf irgendeine
grässliche Bestrafung durch den grauen Priester Gastridis warten musste.
Er schlug gegen die Tür und rief: "Halt aus,
alter Kumpel, ich hol dich 'raus!"
Dann rieb er sich die Nase und wischte sich den
Schweiß aus den Brauen, denn er wusste noch nicht so genau, wie er sein
Versprechen in die Tat umsetzen sollte. Das Klopfen war indessen drängender
geworden und wurde von dünnen, quengelnden Lauten begleitet. Wirklich, sie
mussten seinen alten Kumpel übel zugerichtet haben, wenn das seine Stimme sein
sollte!
Endlich entschlossen, trat er an die andere Wand
zurück und rannte dann brüllend mit der Wucht seiner fast vierhundert Pfund in
die Tür. Die Beschläge und Riegel brachen wie Eis im Frühjahr, und der Wachmann
fiel mitsamt der Tür in einen kleinen Raum, in dem es schwer nach halbverdautem
Wein und ungewaschenem Körper roch.
Mühsam richtete er sich auf. In dem Licht, das vom
Gang in die Kammer fiel, sah er ein zerwühltes Bett und ein hohes, schmales
Fenster. Aber sonst war der Raum leer. Wulf fuhr sich verwirrt durch seinen
schweißverklebten Bart. Er hatte doch ganz deutlich ein Klopfen gehört!
Da kam ein hohles Ächzen unter der Tür hervor, auf
der der Würfler immer noch stand, und dem Wachmann wurde unheimlich. Was, wenn
er hier einen Dämonen gestört hatte?
"Meine Krone..." stöhnte das Wesen unter
der Tür. Und da erkannte Wulf die Stimme, die ihn schon oft mit stundenlangen,
wirren Ansprachen vom Goldenen Balkon des Schlosses gelangweilt hatte: Es war
die Stimme von König Dullbert.
Nun brach ihm erst recht der Schweiß aus. Er war
mit Gewalt in ein Schlafgemach seiner Majestät eingedrungen, und wahrscheinlich
hatte er den empfindlichen Monarchen dabei verletzt. Sein Magen verkrampfte
sich. Er erinnerte sich noch sehr genau, was letzten Monat mit der süßen
kleinen Sklavin passiert war, die das Pech gehabt hatte, einen Spritzer
lauwarmen Tees über die Finger der Königs zu schütten.
Sein erster Gedanke galt also der Flucht. Aber
dann kam ein so jämmerliches Röcheln unter seinen Füßen hervor, dass sein
großes Herz weich wurde. Er durfte den armen Kerl nicht so liegenlassen. Vielleicht
konnte er ihn irgendwo hinschleppen, wo er bald gefunden wurde. Danach
allerdings würde er die Stadt und das Land schneller verlassen, als ein Würfel
brauchte, um von der Hand auf den Tisch zu fallen.
Er trat zurück und hob die niedergebrochene Tür auf,
die Zähne verbissen und auf einen unschönen Anblick gefasst.
Das kleine dicke Männlein unter ihm blinzelte. Es
sah gar nicht besonders mitgenommen aus, und unschön an ihm war nur seine
faltige Nacktheit. Der ballonartige Bauch hatte wohl die Wucht des Aufpralls
und das meiste der anschließenden Belastung aufgefangen.
"Endlich, endlich!" quengelte der König
und stand stöhnend auf. "Und jetzt schnell, General, bring er mich zu den
Gemächern des Priesters Gastridis! Ich habe von Pomander geträumt, und nun soll
er mir die Krone finden!"
Der Monarch hob die Arme und sah Wulf
erwartungsvoll an.
"Na los, na los!" näselte er nach einer
Weile ungeduldig. "Heb er mich hoch und trag er mich! Ich bin immerhin der
König!"
Und der Würfler beugte gehorsam das Haupt, hob den
König hoch und setzte ihn sich auf die Schultern, wie er ein Kind getragen
hätte.
*
Die beiden Gardisten starrten voll Ekel und
Entsetzen auf die zuckenden Massen aus Menschen und Kröten auf dem Marktplatz.
"Lasst uns aus der Stadt verschwinden!"
schlug der eine mit erstickter Stimme vor. "Das is' kein Zeichen, das
Gutes verheißt."
"Aber was machen wir mit ihr?" Der
andere zeigte auf die bewusstlose Königin.
"Mitnehmen und an die Nomaden verkaufen. Sie
is' blond, das gibt'n guten Preis. Und mit dem Geld können wir nach Süden
ziehen, nach Dungg. Der König dort sucht immer Söldner, und er zahlt gut."
Doch in diesem Augenblick wurden die Beter auf dem
Platz auf die beiden Soldaten aufmerksam.
"He, ihr zwei da!" schrie ein großer,
fetter Mann mit heiserer Stimme. Er zeigte mit dickem Finger auf die beiden
Gardisten. "Warum fleht ihr nicht um Erlösung?"
Weitere Köpfe hoben sich und starrten zur
Torstraße.
"Ja, warum fleht ihr nicht?" fragte eine
ausgesprochen üppige Frau, die Hände in die Hüften gestemmt. "Warum
schlagt ihr nicht eure Stirn auf das Pflaster, wie der Prophet es uns gelehrt
hat?" Hinter ihr erhoben sich einige hübsche Jünglinge mit blutigen
Stirnen vom Boden und schwenkten drohend die Fäuste.
Der vordere Gardist zog nervös sein Schwert.
"Verdammt, Bürger, geht beiseite! Wir sind in
einer Mission des Königs unterwegs!"
"Pah, der König!" höhnte der fette Mann.
"Der König! Bald gibt es hier nur noch einen Herren, und das ist der Gott
der Lurche!"
"Ja!" stimmte die üppige Frau zu.
"Ein kleiner Bratwurstverkäufer ist sein Verkünder! Ich habe ihn selbst
gesehen!"
"Betet mit uns, oder seid verdammt!"
forderten die Jünglinge mit den blutigen Stirnen. Sie waren unangenehm nahe
gekommen, und sie trugen plötzlich Dolche.
"Scheiße!" fluchte der hintere Gardist.
"Das ist ein Aufstand!"
In diesem Augenblick erwachte die Königin. Sie sah
die Kröten, die Soldaten und die nackten Menschen und sprang auf. Kreischend
wie eine von Teufeln verfolgte Seele rannte sie den hellen Lichtern der Straße
des Königs entgegen.
*
Die Gebete der Betrunkenen krochen wie ein warmes
Polster in die schlafende Hülle des Lurchgottes. Sie trugen in sich nicht die
dauerhafte Flamme wahren Glaubens, sondern nur das Strohfeuer religiöser
Ekstase, aber sie vermittelten dem alten Erzlurch ein Gefühl der Stärke, das er
lange nicht gekannt hatte.
Mit ungeheurem Gelächter erwachte der Gott.
Die Hysterie der theniler Bürger hatte ihn so
unerwartet getroffen, dass er wie ein lang trockener Säufer fast vergiftet
wurde von dem starken Trunk, den ihm die Beter boten. Wirr tanzte er durch die
Schwaden kosmischen Schlamms, sang alberne Lieder und war kurz davor, sich
selbst zu verlieren.
Doch da vernahm der greise Herr der Amphibien
unter dem aufdringlichen Geschrei der Menschen auch den melodischen Gesang
seines eigenen Volkes, das liebliche Lied der Lurche. Angerührt hielt er inne.
Schwellend sog er die Schwingungen der uralten Weise in sich auf.
Eine gewisse erhabene Ruhe fand in seine Seele
zurück.
Was brauchte er die launische Anbetung von
Menschen, wenn er das Lied der Lurche hatte! Wenn er erst gesiegt hätte, würde
er den Sumpf steigen lassen, bis die letzte lächerlich trockene Kreatur darin
ersoff, denn dann brauchte er keine Gläubigen mehr, dann waren die Kröten die
Herren der Welt!
Die Sterne flackerten, als er sich erhob, und sein
dunkler Leib verfinsterte die Konstellationen, während er durch die Leere des
äußeren Raumes tauchte, um zu seinem Volk zu gelangen.
*
Ein fetter, katzenköpfiger Dämon manifestierte
sich gerade in den gemeißelten Linien des Hexenzeichens vor dem Gebetsteppich
in Gastridis Empfangszimmer, als Flix atemlos eintrat.
"Meister! Der Barbar..." rief sie, dann
sah sie den Teufel und verstummte entsetzt.
"Ahhh", hauchte der Dämon mit unirdisch
tiefer Stimme. "Priester! Was für eine nette Dreingabe zu den
Versprechungen von Blut und Seelen! Welche Schönheit!"
Eine lange, schleimtriefende Zunge schoss aus dem
Katzenmaul auf die Sklavin zu, wurde aber von den unsichtbaren Grenzen des
Pentagramms aufgehalten. Sogar der Schleim blieb einfach in der Luft kleben und
tropfte nach unten, als liefe er von einer Glasscheibe.
Der Dämon zischte wütend und schlug mit einer
Pfote gegen seinen Zauberkäfig. Ein grüner Blitz erhellte den Raum. Der Boden
bebte. Gastridis keuchte und würgte, dann erwachte er aus der Trance und riss
die Augen weit auf.
"Flix, dummes Weib! Verschwinde!" schrie
er schrill.
"Aber ich habe den...", stammelte Flix.
Gastridis schüttelte hektisch den Kopf und legte
einen Finger vor die grauen Lippen.
Dann schloss er die Augen erneut und ballte eine
Faust. "Khazz!" hob sich seine Stimme hohl in den Raum. "Diese
Frau ist nicht Bestandteil unseres Handels. Du wirst sie in Ruhe lassen! Bei
Flabbergasst, ich beschwöre dich, bleib im Pentagramm und gehorche!"
Gastridis verdrehte seine Fäuste, wie eine
Waschfrau ein nasses Tuch wringt.
Als fühle er des Priesters Griff, zuckte Khazz
zusammen. "Schon gut, schon gut. Ich gehorche." Er hob abwehrend die
Katzenpfoten. "Aber ich werde nicht billig sein. Einen Gott, und sei er
auch erloschen, nachzuahmen und öffentlich mit seiner Stimme Opfer zu
verlangen, ist eine große Sache. Man kann Ärger kriegen. Da müssen schon ein
paar nette Seelen und süßes Blut im Geschäft sein, wenn man so etwas
macht..."
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, Barn
der Barbar stürmte in den Raum und schloss den Zugang wieder mit einem
kräftigen Fußtritt.
Gastridis starrte eine Zeitlang entsetzt auf den
halbnackten Hünen mit dem weißen Lendenschurz, dann sprang er auf und brüllte
mit einer Lautstärke, die man einem alten Mann von seiner schmächtigen Statur
nicht zugetraut hätte.
"Verflucht sei deine dürre Seele, Sklave,
dass du es wagst, mich bei der Arbeit zu stören! Zur Strafe wird dieser
Dämon..."
Er hielt inne, denn nun hatte er den Norländer
erkannt. Seine Stimme sank sofort hinunter in die Tiefen öliger Freundlichkeit.
"Großer Freund!" rief er herzlich und
breitete die Arme wie für einen lang verlorenen Sohn. "Hast deinen Weg
zurück zu mir gefunden! Wie schön!"
Er klatschte in die Hände.
"Flix, gewiss hat unser Gast hier Lust auf
einen Nachschlag unseres besonderen Rotweins! Geh in die Vorratskammer und
bring einen neuen Krug für den Helden!"
Flix nickte verschüchtert und verschwand durch
eine kleine Seitentür. Der Barbar machte einen zaghaften Schritt in ihre
Richtung, blieb dann aber stehen und starrte fasziniert auf die riesige, dicke
Miezekatze in der Mitte des Raums. Da war mal was gewesen mit einer riesigen,
dicken Miezekatze mit roten Augen, erinnerte er sich. In dieser staubigen, fensterlosen
Stadt, in der es kein einziges Gasthaus gegeben hatte.
Auch Gastridis wandte sich wieder dem Dämonen zu.
"Also, Khazz, tue, wie ich es befohlen
habe!" sprach er.
"Ich weiß nicht, Priester..." Die Augen
des Dämons blitzten rot. Er zeigte mit einer spitzen, blitzenden Kralle auf
Barn. "Dieser Barbar da gefällt mir nicht. Mit so einem Burschen wurde mal
ein Bruder von mir reingelegt. Wenn meine Belohnung der Geist dieses Mannes
sein soll, vergiss es, Priester! Ich kenne den Trick!"
Gastridis rang mit geballten Fäusten um Geduld.
"Khazz", mahnte er leise. "Auch der
blonde Mann ist kein Bestandteil unseres Handels! Erfülle also den Vertrag, wie
der mit Dämonenblut geschriebene Codex des Vulgar es seit Jahrtausenden
verlangt! Quid pro quo!"
Da begann ein wildes Getrommel gegen die Tür, und
Hauptmann Kartongs raue Stimme drang durch das dicke Holz: "Meister!
Meister! Der Barbar ist entkommen!"
"Ich weiß!" brüllte der Priester
unbeherrscht. Auf seinen grauen, eingefallenen Wangen zeigten sich zwei hektisch
rote Flecken. "Aber komm nur auch noch rein, mein Lieber!"
Die Tür wurde aufgerissen, und der Hauptmann
betrat energisch den Raum. Er schnaubte, als er den Barbaren sah. Aber als er
dann hinter dem Norländer die hohe, düstere Gestalt des Dämons erblickte, wurde
er blass. Sein Gesicht verzog sich jäh zu einer weinerlichen Grimasse. Er ließ
das Schwert fallen, brach in die Knie und heulte wie ein Kleinkind.
"Nein Meister, nein, nicht die schwarze
Kröte! Nicht die schwarze Kröte!" schluchzte er.
Gastridis legte eine kleine, blasse Hand vor seine
von den Anstrengungen des Tages geröteten Augen. Er atmete hörbar aus. Sicher
lagen Großartiges und Lächerliches nahe beieinander, aber warum musste beides
sich ausgerechnet jetzt und hier treffen, in seinem Arbeitszimmer?
"Kartong, sei nicht albern und steh
auf!" sagte er mit müder Stimme. "Wisch dir das Wasser aus dem
Gesicht und stell dich einfach bequem an eine Wand. Ich bin hier gleich
fertig."
Immer noch schluchzend, gehorchte der mächtige
Hauptmann.
Gastridis nickte und hob wieder die Arme in die
Luft, um die Dämonenbeschwörung fortzusetzen. "O Khazz!" intonierte
er feierlich. "Geh nun und erscheine über dem Obelisken in der Gestalt
eines Lurchs!"
Der Dämon knurrte trotzig. Er schüttelte den
Katzenkopf.
"Wie wär's mit einer Anzahlung, Priester?
Offensichtlich hast du die Sache hier nicht ganz im Griff. Ich hätte gerne eine
Sicherheit, dass ich am Ende nicht mit leeren Klauen dastehe und nur deine
alte, faltige Haut zum Spielen bekomme!"
Wieder klopfte jemand an die Tür. "Gastridis!
Gastriiidis!" klagte die dünne Stimme König Dullberts von draußen.
Der Priester schlug sich heftig gegen die Stirn.
"Wer hat denn jetzt den noch
freigelassen?" stöhnte er.
Nach einer kurzen Zeit des Nachdenkens flötete er
dann weich und wohlwollend: "Oh, kommt doch herein, Majestät! Ich bereite
gerade einen Zauber für Euch vor, um Euch Jugend und Manneskraft
zurückzugeben!"
Vor der Tür erhob sich ein begeistertes Kreischen.
"Ah, endlich, mein guter Gastridis! Schnell, General, tragt mich hinein!
Oh, ich kann es gar nicht erwarten! Bekomme ich auch meine Krone wieder?"
*
Pomander schickte seinen Ruf hinab in die Stadt,
zu seinem Priester, damit der ihm mit Gebeten die Manifestation im engen
Schlund des Bodenlosen Pfuhls
erleichtere. Aber er spürte nichts von dem immer leicht widerwilligen Glauben
des alten Mannes.
Der Gott war verwirrt.
Dann witterte er plötzlich die Seele des
Priesters, und die Schatten seiner Gedanken zogen durch die kalten Nüstern des
schwarzen Erzlurchs. Gastridis sprach mit einem kleinen Dämon der zweiten
Ebene, und er erwähnte seinen Namen!
Das erlaubte dem Erzlurch, die ganze Unterhaltung mitzuhören, auch Worte, die
in der Welt des Priesters bereits in der Vergangenheit gesprochen worden waren.
Die zuvor gute Laune des uralten Gottes wurde jäh zu kalter Wut.
Der Priester hatte sich von ihm abgewandt! Schlimmer
noch, er lachte über ihn, seinen
Herren, den er für tot hielt, und plante, sich an seinem Eigentum zu bereichern!
Tobend ballte er sein Selbst, um in seiner
grässlichen Eigentlichen Gestalt schwarz
und tödlich über der Stadt zu erscheinen und alle in den Sumpf zu reißen, die
ihn verlacht und verraten hatten. Aber schon wieder spürte er seine Schwäche,
die von den brünstigen Gebeten der Theniler Bürger nur notdürftig unterpolstert
wurde, wie heiße Luft einen Popanz schwellen lässt, aber nicht lebendig machen
kann.
Er würde wie immer durch den unbequem engen
Schlund des Bodenlosen Pfuhls in die
Welt steigen müssen, um nicht zu viel der neuen Kraft zu verbrauchen.
Doch dann würde der graue Priester für seinen
Verrat bezahlen müssen, wie noch nie ein Mensch hatte zahlen müssen.
*
Keuchend und bis zu den Lederröckchen mit
Krötenblut beschmiert rannten die zwei Gardisten hinter der schreienden Königin
her.
Ihnen folgte eine aufgebrachte Menge betrunkener
Menschen, die die Missachtung des Gottes der Lurche rächen wollte. Kröten
wurden als Wurfgeschosse benutzt und landeten immer wieder mit einem hässlichen
Klatschen auf den Panzern der Soldaten. Schuhe und Steine flogen. Wüstes
Geschrei hallte von den prunkvollen Fassaden der Höflingshäuser in der Straße
der Könige wider.
"Nieder mit der Garde! Nieder mit dem König!
Es lebe der Herr der Lurche!" brüllte der Pöbel, dem sich mit jedem
Schritt neue Betrunkene anschlossen.
Vor den Soldaten hoben sich die dreiunddreißig
schlanken Türme der Königsburg im Licht des Mondes.
"Wir schaffen es!" keuchte der vordere
Gardist.
"Ja", stimmte der hintere zu. "Aber
kriegen die andern noch das Tor zu?"
"Wahrscheinlich machen sie es schon zu, wenn
nur die Königin durch ist."
"Scheiße!"
Beide Gardisten begannen noch schneller zu laufen,
bis sie Clandine eingeholt hatten. Die Königin war völlig außer sich. Sie
weinte, lachte und fluchte im Laufen, und das alles im ordinären Dialekt der
Garstek, der selbst alten Seebären die Schamröte ins Gesicht treiben kann.
Dann schlugen die Soldatenstiefel und die nackten
Füße der Königin auf das hohltönende Pflaster der Bogenbrücke vor der Burg.
Generationen von Künstlern hatten die Pfeiler mit den in Marmor gehauenen
Ebenbildern der jeweils regierenden Monarchen in ihren kühnsten Posen gekrönt.
So flankierte eine kleine Armee von furchterregenden Majestäten den Aufgang zum
Schloss und schreckte manchen Bittsteller schon im Voraus ab.
Der berühmte Oksymoron Elster hatte sich
bereiterklärt, auch eine Statue von König Dullbert für die Brücke herzustellen,
doch das Projekt war ins Stocken geraten. Vier weise Männer und drei Helden
arbeiteten seit mittlerweile fünf Jahren an einer Pose, in der der kleine
Monarch kühn wirkte.
Aber nicht einmal ein solches Standbild hätte den
wütenden Mob abschrecken können, der jetzt mit tausend Stimmen brüllend hinter
den Soldaten auf die Brücke quoll.
Sechs Männer in den bunten Panzern der Garde
standen mit gezogenen Schwertern nebeneinander im hochzeitlich geschmückten
Bogen des Schlosstors. Sie wirkten äußerst beunruhigt.
"He, he, was soll das?" brüllte ein
Gardist mit dem gelbroten Helmbusch eines Feldwebels nervös den drei Läufern
entgegen. "Was ist denn da los? Kommen die Barbaren zurück?"
"Ein Aufstand, Meister Jobbo!" rief der
vordere Soldat atemlos, als er das Tor erreicht hatte.
"Jawoll, Meister Jobbo!" bekräftigte der
hintere Soldat keuchend. "Wir bringen die Königin! Aber das besoffene Volk
will sie dem Lurchgott opfern!"
Die Königin fluchte nur.
Ein erster Stein flog und schlug eine weißrote Blumengirlande
aus der Tordekoration. Sie torkelte hinab und schlängelte sich elegant um den
Hals des Feldwebels. Weitere Geschosse prasselten gegen die Statuen und auf das
Pflaster. Dann wurden auch Kröten geschleudert. Brüllend und Fäuste schwenkend
stürmte das Volk heran.
Der Feldwebel stand eine lange Zeit und starrte
auf das Meer der heranwogenden roten Köpfe. Doch endlich begriff er.
"Verdammt! Macht das Tor zu!" schrie er
mit überschlagender Stimme. "Wachen! Besetzt die Türme!"
Ächzend mühten sich die Gardisten mit den
mächtigen, eisenbeschlagenen Torflügeln, die seit langem nicht mehr bewegt
worden waren. Von hinten rannten weitere Soldaten herbei, um ihnen zu helfen.
Aber der Mob war schnell. Unter dem Hagel der
Steine gingen drei Gardisten zu Boden. Dann waren die ersten Aufständischen da,
eine Horde von jungen Männern mit Eisenstangen. Sie griffen wild heulend an.
Doch in ihrer Trunkenheit droschen sie zunächst
nur auf die Standbilder der alten Könige ein, von deren protzigen Posen sie
sich provoziert fühlten. Marmorne Nasen und Ohren brachen ab und zersplitterten
auf dem Pflaster, begleitet von triumphierendem Geschrei.
Als die Schläger endlich ihren Irrtum bemerkten,
war es den Gardisten schon gelungen, das Tor zu schließen.
Während wütende Fäuste von außen gegen das Holz zu
trommeln begannen, schoben die schwitzenden Soldaten die schenkeldicken
Eisenstangen der Riegel in ihre Fassungen.
"Schnell, holt den Hauptmann her!" wies
der Feldwebel seine Soldaten an. "Und den Bader für die Verwundeten! Bereitet
in den Türmen kochendes Öl vor! Und ihr zwei", er wandte sich den beiden
Gardisten zu, die die Königin in ihre Mitte genommen hatten und die tobende
Frau festhielten. "Ihr bringt diese Furie zum Priester Gastridis. Der will
irgendetwas von ihr."
10.
Im Gemach des Priesters vernahm der Dämon Khazz
die Laute mit seinen übermenschlichen Sinnen als erster, aber er sagte nichts,
denn sie sagten ihm nichts. Dann drangen sie auch an die scharfen Ohren des
Barbaren. Barn war jedoch abgelenkt, denn die schöne Flix war mit einem großen
Weinkrug in den Raum zurückgekehrt.
Doch bald waren die Geräusche so laut, dass alle
im Raum sie hören konnten: Ein langsames Knarren und Gurgeln, das durch einen
scharlachrot verhängten Türbogen im Hintergrund drang. Es klang dumpf und
hallend, als käme es aus Gewölben tief unter der Erde.
Gastridis wurde bleich: Das konnte nur der düstere
Gesang der Buckelkröten sein, denn hinter dem scharlachroten Vorhang führten
die sechsundsechzig feuchten Stufen hinab zum schwarzen Schlund des Bodenlosen Pfuhls. Und die Buckelkröten
sangen nie - es sei denn, sie erwarteten ihren Herren Pomander.
Dann kam das andere Geräusch, das er niemals
wieder zu hören erwartet hatte und das ihn nun mit einer Angst erfüllte, die er
selbst als Knabe am Vortag des kultgemäßen Zufeilens seiner Zähne nicht
empfunden hatte: Das grässlich schlürfende Wispern, das dem Auftauchen des
Erzlurchs immer voranging, kroch die Stufen hinauf wie ein giftiger Wurm.
"Khazz!" rief Gastridis schrill.
"Ich widerrufe meinen Befehl! Erscheine nicht über dem Obelisken und
sprich nicht mit der donnernden Stimme eines Gottes! Nimm vielmehr mich und
meinen Leib und trage beides weit weg von hier, und zwar schnell!"
Khazz kniff ein blutrot leuchtendes Auge zu und
studierte mit dem anderen die fingerlangen Krallen an seiner rechten Pfote.
Dann kratzte er sich damit lässig hinter beiden Ohren, so dass kleine grüne
Funken aus seinem Fell stoben.
"Du bist ein Wirrkopf, Priester", meinte
er schließlich gelangweilt. "Dieses ganze Durcheinander macht mich noch
völlig hysterisch."
"Bitte!" flehte der graue Mann, während
es hinter dem roten Vorhang immer lauter blies und blubberte. "Bring mich
irgendwohin! Ich verspreche dir auch, dass ich... einen... einen Khazz-Kult
gründen werde, Menschen finde, die dich anbeten, so dass du ein Gott werden
kannst..."
"GLAUBE DEM GRAUEN VERRÄTER KEIN WORT,
KLEINER KATER!" dröhnte da eine Götterstimme von tief unten. Der rote
Vorhang wurde von der Wucht der Worte beiseite geweht. Ein ekler Gestank faulen
Sternschlamms und unsauberer Amphibie stieg dem Satz hinterher wie eine Horde
schlagfester Jünger einem erleuchtet faselnden Wanderprediger. "WIE ALLE
STERBLICHEN BELÜGT UND BETRÜGT ER SEINE HERREN, WO ER KANN!"
Khazz erstarrte. Eine dicke Wolke absoluter
Schwärze quoll aus dem schmalen Türbogen und formte einen phallischen Zylinder,
der mächtig in den Raum ragte. Tausende bleich leuchtender Augen tanzten in
seiner Tiefe. Es war wieder einmal die ‘Legendär Lange Liebeslanze des
Lustvollen Lurchs’.
Die entnervte Flix stieß einen hellen Schrei aus
und ließ den Weinkrug fallen. Er zerplatzte auf den Granitplatten des
Fußbodens. Sein dunkler Inhalt fraß sich zischend in die Fugen. Barn sah den
Verlust mit Bedauern.
"GASTRIDIS, DU WIDERLICHE KREATUR!"
donnerte der alte Erzlurch. "DEINE STRAFE WIRD SCHLIMMER SEIN, ALS SELBST
ICH SIE MIR ZURZEIT VORSTELLEN KANN!"
Neben dem Barbaren sank der Hauptmann Kartong in
die Knie. Die Erscheinung des Gottes war zu viel für ihn. Er hob die haarigen
Hände zur Decke.
"O Schwarze Kröte!" jammerte er.
"Nimm die Strafe von mir! Ich wollte Frida nicht wirklich erschlagen! Ich
war nur einen kleinen Augenblick lang wütend auf ihn! Es ist doch seine Schuld,
dass sein Schädel so weich ist!"
Aber Pomander interessierte sich überhaupt nicht
für den hilflos heulenden Hauptmann. Seine tausend leuchtenden Augen
konzentrierten sich auf den Priester.
"Ich kann alles erklären... Herr!"
Gastridis war inzwischen an die Wand zurückgewichen und drückte sich langsam
rückwärts Richtung Tür, wo König Dullbert mit glücklich glänzenden Knopfäugleín
in die Runde blinzelte und seinen kleinen erotischen Phantasien nachhing.
Da klopfte wieder einmal jemand von außen an die
Tür.
"Priester Gastridis, Herr! Die Königin...
wünscht zu Euch zu kommen..." rief der erste Gardist durch das dicke
Muggahholz. Die Tür wurde geöffnet. Eine Frau fluchte, ein Mann keuchte vor
Schmerzen. Ein Soldat der Garde schob mit verzerrtem Gesicht die wild um sich
schlagende Clandine in den Raum. Hinter ihm krümmte sich sein Kamerad wie ein
Haken auf dem Fußboden.
Der König drehte sich überrascht um.
"Hasilein!" quiekte er, als er seine Gattin erkannte. "Das bist
ja du! Hast du auch die Krone mitgebracht?"
Clandine stieß eine Menge schmutziger Wörter aus
und riss sich von dem Gardisten los, um den König anzugreifen. Dann erstarrte
sie, denn in diesem Augenblick sprang eine fette Buckelkröte unter dem
schwarzen Leib des Pomander hervor und vor ihre Füße.
Gastridis versuchte das Durcheinander zu nutzen.
Er begann zu laufen und hätte die Tür wohl auch erreicht, wenn nicht der König
in seinen Weg getreten wäre und ihn am Arm gehalten hätte.
"Gastridis, mein Guter!" näselte der
Monarch. "Die Königin ist da, und ich wünsche mich mit ihr zu vergnügen!
Wann geht es denn mit deinem Zauber los?"
Der Priester schüttelte den König hastig ab und
wollte weiter. Doch es war zu spät. Ein schleimsprühender Tentakel schoss aus
der Manifestation des Gottes und wickelte sich um den grauen Mann. Gastridis
begann zu schreien.
Eine zweite Kröte hopste in den Raum.
Der kreischende Priester fiel zu Boden und wurde
langsam zum Türbogen hin gezogen. Dabei geriet sein zappelnder Körper in das
Liniengewirr des Pentagramms. Khazz der Dämon erwachte mit einem scharfen
Zischen aus seiner Starre und packte Gastridis an einem dürren, haarigen Bein,
das aus der Mäuselederkutte herausragte. Dann begann er seinerseits zu ziehen.
Die Schreie des grauen Mannes wurden noch lauter und schriller.
Pomanders tausend Augen blitzten zornig. Fünf
weitere heilige Buckelkröten sprangen durch die wolkige Schwärze seines Leibes
vor die Füße der Königin.
"WAS SOLL DAS, KLEINER KATER?" gurgelte
der Gottlurch erbost. "DIESER MENSCH GEHÖRT MIR!"
"Ich habe ebenfalls eine Rechnung mit dem
Mann!" zischte Khazz.
"ABER ICH BIN EIN GOTT!" donnerte der Lurchschwanz
und schwoll, bis es den gesamten hinteren Bereich des Raumes ausfüllte.
"Du bist ein alter und schwacher Gott,
Krötenkopf!" höhnte der Dämon und wuchs ebenfalls, bis die Büschel seiner
Ohrenspitzen die hohe Decke berührten. "Wir wollen doch mal sehen, was
passiert, wenn du dich mit mir anlegst!"
Dann begannen die beiden Unsterblichen am Priester
Gastridis zu ziehen wie zwei Kleinkinder an einer Puppe.
"Hauptmann! Hauptmann! Ist der Hauptmann
hier?" Das narbige Gesicht des Feldwebels Jobbo blickte in den Raum.
"Das Volk rebelliert! Sie wollen..." Der Unteroffizier stockte, als
er den König entdeckte. "Majestät!" begann er von neuem.
"Herrscher! Ihr müsst vom Goldenen Balkon zu den Massen sprechen..."
Dann wurde er bleich und verstummte, denn er hatte gesehen, was in dem großen
Raum noch alles vorging.
Der Gott Pomander spürte, wie der Zweikampf mit
dem Dämon an seinen Kräften saugte. Bald würde er so schwach sein, dass sein
Halt in der Dimension unsicher wurde. Daher zwang er sich, die Zunge vom
Priester zu lösen, obwohl die schlammige Tiefe seines Lurch-Unterbewusstseins
bei dieser Kapitulation vor Wut Blasen schlug.
"HU, KLEINER KATER, DANN BRING DIESEN
TROCKENEN BALG HALT DEINER VERWURMTEN SIPPSCHAFT ZUM SPIELEN MIT!" stieß
er mühsam hervor. "ER BEDEUTET MIR ZU WENIG, UM MICH SEINETWEGEN MIT
UNWÜRDIGEN KREATUREN WIE DIR ZU STREITEN!"
Mit einem eleganten Schwung, der sich wie zufällig
zu dem uralten Zeichen einer derben vormenschlichen Beleidigung katzenähnlicher
Dämonen formte, zog Pomander die Zunge zurück in seinen Leib. Später, wenn er
der größte Gott von allen war, würde er sich noch besser an diesem blöden Kater
zweiter Ordnung zu rächen wissen!
Denn er wusste längst, dass sein Gefäß, die
Königin, im Raum war, und dass sich auch der Begatter, der dumpfe, große
Krieger aus dem Norden, hier aufhielt. Sollte der kleine Kater doch die Seele
des Priesters erst einmal mitnehmen und tüchtig beuteln, er hatte sich jetzt um
wichtigere Dinge zu kümmern!
Während Khazz ein steinerschütterndes Gelächter in
den Raum sandte und seine jammernde Beute triumphierend schüttelte, befahl der
Gott den treuen Buckelkröten, die Königin festzuhalten. Dann sandte er seine
Zunge aufs Neue aus.
Sie packte den Barbaren am linken Knöchel.
Barn schrie auf, denn Pomanders Zunge war eiskalt.
Wütend knurrend blickte er sich nach dem Besitzer dieser üblen Fußfessel um und
wurde zum ersten Mal auf die gewaltige Gestalt des Gottes aufmerksam. Sie
gefiel ihm gar nicht. Mit einem unangenehmen Kribbeln richteten sich die feinen
Haare seines breiten Nackens auf. Eine große, dicke Miezekatze, die sprechen
und blitzen konnte, das war eine Sache, aber das riesige Ding hier, das war
schwärzeste Zauberei, und die mochte der geradlinige Kämpfer aus dem Norland
noch weniger als angebrannte Erbsensuppe.
Er bückte sich und packte die Zunge mit beiden
Händen, um ihn von seinem Knöchel zu reißen. Aber genauso hätte er versuchen
können, einen Strahl eisigen Wassers zu verprügeln. Die kräftigen Finger fuhren
durch die schwarze Schlinge hindurch und quetschten am Ende nur den eigenen
Fuß.
Doch als der Gott nun zu ziehen begann, hatte die
scheinbar substanzlose Zunge genug Kraft, um den fluchenden Nordmann von den
Beinen zu reißen.
König Dullbert klatschte begeistert, als er sah,
wie der große, muskulöse Mann langsam zur schwarzen Wolke gezerrt wurde. Er
drehte sich um und stieß Wulf mit spitzem Ellenbogen gegen den Bauchpanzer.
"Hihi, General, da, das ist der Körper, den
ich haben werde, wenn mein guter Gastridis mit dem Zauber fertig ist!" rief
er schrill. "Ein riesiger Krieger werde ich sein, und mein Liebesknüppel
so lang und dick wie jetzt mein Oberschenkel!"
Der Würfler hörte die Worte des Monarchen kaum. Er
blickte starr auf das unglaubliche Geschehen vor sich. Bäche von Schweiß rannen
unter der Helmkappe hervor und liefen durch das Gewirr seiner Brauen in die
Augen, unhaltbar für die verzweifelt reibenden Finger.
Irgendwie war sein Kumpel Barn hier wieder in
Schwierigkeiten geraten, die das Begreifen eines simplen Würfelspielers weit überstiegen!
Er hatte keine Ahnung, ob er die üble schwarze Wolke gleich angreifen oder
lieber warten sollte, bis die ganze Sache etwas verständlicher wurde - oder ob
es am Ende nicht doch das Beste war, die Stadt auf dem schnellsten Wege zu
verlassen.
Doch da gellte schon die aufgeregte Stimme des
Königs durch seine Gedanken. Der nackte Monarch tanzte auf einem Bein und
zeigte aufgeregt auf den um sich schlagenden Barn. Sein Kopf unter dem wirren
weißen Haar war fast so dunkelrot wie eine überreife Sauerkirsche:
"General! Generaaal! Ruf die Wachen! Ich habe ihn erkannt! Das ist der
Barbar, der meine Krone gestohlen hat! Wachen! Waaachen! Meine Krone!"
Und bevor Wulf auch nur zwinkern konnte, stürmte
der kleine König mit zornverzerrtem Gesicht auf die schwarze Wolke zu.
Pomander ließ den hornigen Stachel ganz langsam
aus dem Leib der tausend Augen gleiten, während seine Zunge den strampelnden
Barbaren heranholte. Den köstlichen letzten Moment vor dem Übergang in diesen
neuen Körper wollte er voll und ganz genießen.
Gleich würde er die schwarze Spitze in den Nacken
des Mannes bohren und in dessen Verstand hineinsickern. Dann würde er einen
Körper haben, der fester und kräftiger war als alles, was er in den letzten
zehn Ewigkeiten besessen hatte.
Als Krönung würde er sich die blonde Frau nehmen,
und - die leere Hülle des dann nutzlosen Barbaren zurücklassend - als
Leibesfrucht in ihren Schoß kriechen, um dadurch der mächtigste Gott des
Universums zu werden. Schon im Mutterleib würde seine Herrschaft beginnen!
Er hob den Stachel in einem Bogen über seinen
Rumpf und zeigte einen der so symbolreichen wie unverständlichen kleinen Tänze,
die er mit dem Alter so liebgewonnen hatte. Dann ließ er die schleimtriefende
harte Spitze zitternd wie den Giftdorn eines stoßbereiten Skorpions über dem
Nacken des Barbaren erstarren.
Der bemühte sich immer noch vergeblich, mit seinen
dummen sterblichen Fingern die göttliche Greifzunge abzustreifen.
Menschen waren solche Narren! Der alte Erzlurch
erlaubte sich ein gemeines Grinsen, das allerdings niemand im Raum als solches
erkennen konnte.
Dann ließ er die Spitze hinabschießen.
"Du übler Barbarenbengel! Wo hast du meine
schöne Krone hingeschleppt?" schrie König Dullbert, als er sich mit der
Gewalt eines im Streit zwischen Haremsdamen geschleuderten Samtkissens auf den
Barbaren warf. Seine Fäuste trommelten auf die breiten Schultern des völlig
überraschten Nordmannes. Dabei rief der Monarch unentwegt nach dem Beistand der
Wachen und des Priesters Gastridis.
Doch dann traf ihn etwas Spitzes und Kaltes wie
der Dolch eines Meuchlers im Nacken. Er erstarrte. Ein kühles Gefühl sickerte
ihm ins Hirn. Plötzlich war seine Wut wie weggespült. Sein Kopf füllte sich mit
unglaublichen Farben, düster im Ton, aber erhaben in der Ausstrahlung. Und er
begann zu schweben, wurde hingezogen zu einem Wirbel hoch im Himmel, der
strahlte wie ein herbstlicher Sonnenuntergang über nebliger See. Ein behäbiges,
fast freundliches Gluckern begrüßte ihn, als er in die abendliche Kühle des
Himmelstunnels tauchte. Immer schneller flog er dahin, wirbelnd zwischen den
blitzenden Wänden. Das gluckernde Geräusch wurde lauter und hastiger, bis es
fast ein bisschen unheimlich wirkte. Der Monarch versuchte, die Augen zu
schließen. Er war ein wenig überrascht, als er feststellen musste, dass das
nicht ging, dass er sogar nicht einmal sicher war, überhaupt Augen zu haben. Er
versuchte, nach der Wache zu rufen. Auch das klappte nicht.
Das Gurgeln war jetzt tief und erschreckend wie
ein verwunschenes Sumpfloch um Mitternacht. Die strahlenden Farben der
Tunnelwände wurden trübe. Kälte kroch heran.
Dann streifte ihn etwas.
Für einen kurzen, beunruhigenden Moment sah
Dullbert eine ungeheure Wolke faulfarbener Finsternis unter sich vorbeiziehen,
doch genauso schnell wurde alles wieder klar. Die Wände des Tunnels fanden
zurück zu ihrem freundlichen, sauberen Spätherbst-Licht.
Schließlich spürte der König, dass sein Flug
endete. Ihm schien, als lande er in einem Bett aus kühlem, dunkelgoldenem
Honig. Weich und fest wurde er eingehüllt und gehalten.
Dann stand er wieder im Saal und sah die Menschen
darin. Aber alles war anders als zuvor. Er blickte auf die Szene von hoch oben
- obwohl er auch knapp über dem Boden sehen konnte, dort, wo der zuckende Leib
eines kugelbäuchigen, dürren Greises sich über dem Körper eines mächtigen
Kriegers wie unter grässlichen Schmerzen aufbäumte.
Diese Wahrnehmungen waren ungeheuerlich, wilder
als in jedem Weinrausch, den er je erlebt hatte. Überall hatte er Augen! Er sah
und fühlte und schmeckte die Welt auf eine völlig neue Weise, hatte Eindrücke,
die von ganz anderen Sinnen zu stammen schienen, als er sie bisher gehabt
hatte. Er war ein Riese an Kräften und Fähigkeiten, ja, er, König Dullbert von
Thenil, war ein Gott!
Er brüllte seinen Triumph hinaus in den Raum.
"HA! GASTRIDIS, MEIN GUTER! DEIN ZAUBER IST
BESSER ALS JEDE KRONE DIESER WELT!" dröhnte die Stimme des Pomander.
"UND WAS BRAUCHE ICH NOCH EINE ALBERNE KINDISCHE KÖNIGIN, WO ICH JETZT
ALLE FRAUEN DER WELT SCHMECKEN UND FÜHLEN KANN? ICH WERDE NUN FLIEGEN UND JEDE
EINZELNE BESUCHEN!"
Mit einem trockenen Knall verpuffte der
schwarzwolkige Leib des Gottes und war verschwunden. Viele junge Mädchen
klagten am nächsten Tag über unangenehm zudringliche Träume in der zweiten
Hälfte der Nacht, die aber alle mit dem Sonnenaufgang endeten und auch nie mehr
wiederkehrten.
Der kleine dicke König Dullbert begann in einer
schrillen Schärfe zu schreien, die kaum zu seinem weichen Leib passen wollte.
Er schien auch ausgesprochen unzufrieden mit
diesem Leib zu sein, denn er fasste sich mit spitzen Fingern ins Gesicht und
zerrte an den faltigen, weißfleischigen Wülsten der Brust und des Bauches, als
wolle er sie abreißen. Tatsächlich begann unter seinen Fingern sogar Blut zu
spritzen.
Dabei fluchte er so lästerlich, als habe er seine
Schlaffheit nicht selbst durch Jahrzehnte der Völlerei und Faulheit
herbeigeführt, sondern sei völlig unvorbereitet in diesen schwachen Körper
geraten.
Die sieben heiligen Buckelkröten, die sich auf
Pomanders Befehl im engen Kreis um die nackten Füße der Königin geschart
hatten, begannen plötzlich zu verrotten. Rasend schnell zerfielen sie, als habe
ein Zauber sie am Leben erhalten, und als sei dessen Kraft jetzt jäh erloschen.
Bald waren sie nur noch sieben fettige Häufchen grauer Asche.
Clandine schien es in diesem Augenblick, als
tauche sie aus trübem Wasser plötzlich wieder auf. Ein Druck war aus ihrem Kopf
verschwunden. Es war wie das Erwachen aus einem tiefen, schmerzhaften Alptraum.
Für einen Moment wusste sie gar nichts und war fast
glücklich. Dann kam die Erinnerung zurück.
Sie sah den König auf dem Barbaren kauern, daneben
eine riesige Katze, die den Priester Gastridis wie ein lebloses Vögelchen
zwischen den Klauen hielt. Auf der anderen Seite lag die dunkelhäutige Dienerin
des Priesters bewusstlos in einer Pfütze Rotwein, und hinter ihr kniete der
riesige Hauptmann der königlichen Garde weinend auf dem Boden und betete
lautstark zu einem Gott, den er 'Die Große Böse Schwarze Kröte' nannte.
Clandine begann hysterisch zu lachen, bis ihr
ganzer Körper schmerzte.
"König? Königin? Hauptmann? Haben hier alle
den Verstand verloren?" rief eine heisere Stimme. Clandine beendete das
freudlose Gelächter abrupt und drehte sich um. Das magere, narbige Gesicht
eines älteren Mannes mit Haaren von der Farbe nassen Sands blickte in den Raum.
"Bitte?" fragte Clandine irritiert.
"Ich bin Feldwebel Jobbo, Majestät Frau
Königin! Es ist Nacht, alle sind betrunken, das Volk tobt vor dem Tor; und ich
weiß nicht mehr, was ich den Männern sagen soll!"
Die junge Garstek starrte eine lange Zeit in das
verschreckte Pferdegesicht des Feldwebels.
"Nun, ich..." begann sie schließlich.
Dann wurde ihre Stimme schrill. "Nimm alle hier fest und wirf sie in die
tiefsten Kerker unter dem Schloss! Den König auch, er ist wahnsinnig geworden
und weiß nicht mehr, was er tut! Sieh selbst!"
In der Tat war König Dullbert gerade damit
beschäftigt, sich die wenigen Haare vom Kopf zu reißen und sie aufzufressen.
"Sehr wohl, Königin! Ich höre und gehe
Verstärkung holen!" rief Feldwebel Jobbo entsetzt und verschwand. Das
eilige Klatschen seiner Sandalen auf dem Marmorboden des Korridors entfernte
sich schnell.
Clandine geriet in noch größere Wut. Aggressiv sah
sie sich nach weiteren Gegnern um, die sie nicht ernst nehmen wollten.
Doch niemand im Raum stand - außer dem Dämon
Khazz, der schwarz und bedrohlich bis unter die Decke ragte, mit einem Leib,
der dicker war als das größte Weinfass in König Dullberts Kellern, und dessen
riesige Augen leuchteten wie brennende Teller voll Blut.
Normalerweise hätte die junge Frau bei diesem
Anblick die Flucht ergriffen, doch seit ein paar Stunden war für sie nichts
mehr normal. Sie hatte in dieser Hochzeitsnacht in mehr und tiefere Abgründe
blicken müssen als in ihrem ganzen bisherigen Leben. Und so erregte die
schwarze, aufgequollene Katzengestalt nur noch ihren Zorn.
"Verschwinde von hier, du schwarze
Missgeburt!" kreischte sie. "Pack' diesen perversen Priester und
schlepp' ihn in den dumpfen Sumpf, aus dem du selber kommst!"
In ihrem Zorn trat sie gefährlich nahe an die
gravierten Linien des Hexenzeichens heran.
"Sonst wirst du mir wohl einen Tritt
versetzen mit deinen zarten Zehen, kleines Mädchen, wie?" höhnte Khazz.
"Komm doch näher und versuche es!"
Clandine ballte die Fäuste und spuckte in das
Pentagramm.
"Keiner nennt mich mehr kleines Mädchen!" schrie sie mit überschlagender Stimme, denn
der raffinierte Dämon hatte zielsicher ihre empfindliche Stelle getroffen.
"Ab heute bin ich hier die
Königin, und ich werde es bleiben, auch wenn ich alle Schwachköpfe in diesem
Reich selbst erwürgen muss! Und mit dir werde ich anfangen!"
Wie der finstere Khazz es geplant hatte, stürmte
die junge Frau mit verzerrtem Gesicht auf ihn zu, direkt in die Mitte des
Pentagramms. Ein langer, haariger Arm schoss auf Clandine herab. Krallen von
der Farbe geronnenen Blutes zerrissen ihr Kleid, schlossen sich um ihre Taille
und hoben sie hoch.
"Na, das ist doch was anderes als ein grauer
Priester!" dröhnte der Dämon. "Eine junge, saftige Königin! Und blond
ist sie auch noch!"
Zum zweiten Mal erfüllte Khazz' gemeines Gelächter
den Raum, dass er Putz von der Decke rieselte.
11.
Barn der Barbar presste aus den dunkelsten Winkeln
seiner muskelstrotzenden Bauchhöhlen ein Grollen hervor. Ihm war eiskalt, er
hatte Hunger, er hatte Durst, er hatte kein Bett und kein Mädel, ein kleiner
Mann hüpfte auf ihm herum - und nun war da auch noch dieses fürchterliche
Lachen, das in seinem angeschlagenen Schädel schlimmer schmerzte als ein fauler
Zahn!
Das war selbst für einen Krieger zu viel, der seit
frühester Jugend unter den unmenschlichen Bedingungen des eisbedeckten
Hochnorlandes überleben gelernt hatte.
Bei Gruunz, nun würde er sich so heftig beschweren
gehen, dass diese alberne Stadt noch in zehn Jahren davon reden würde!
Brüllend schüttelte Barn die kreischende Figur von
seinem breiten Rücken, stemmte sich vom Boden hoch und sprang mit geballten
Fäusten in das Gelächter hinein.
Die helle Glut seiner Wut erfuhr eine jähe
Abkühlung.
Es war ihm, als sei er in den halbgefrorenen
Kadaver eines lange toten Erdbären geprallt. Das schwarze Fell war steif und
kalt wie Raureif unter seinen Fingern. Der Barbar hob den Kopf und blickte in
zwei riesige rote Augen, die über ihm schwelten wie die Tore der Hölle. Und er
sah die gewaltigen schwefelgelben Reißzähne, die darunter grässlich grinsten.
“Harr-Harr-Harr-Harr!” dröhnte der Dämon. Schwaden
stinkenden Atems wurden dem Barbaren ins Gesicht geblasen. “Habe ich hier am
Ende auch noch einen Helden? Einen Retter junger Fräulein und alter Priester in
Bedrängnis?”
Khazz hob seine beiden Arme. In seiner rechten
Klaue zuckte Gastridis nur noch schwach, während in der Linken Clandine wild
zappelte wie ein frischgefangener Lachs im Griff eines Bären.
Barn stutzte einen Augenblick. Dann grunzte er.
Kannte er dieses Mädel nicht? War das nicht die kleine Blonde, die nach dem
ganzen Ärger in Barts Herberge mit ihm zur 'Turmschenke' von Vollbert dem Höker
ziehen wollte, um dort tüchtig Spaß zu haben?
Seine linke Hand fuhr an die Seite, wo sie den
Schwertgriff nicht fand. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse urtümlicher
Wut. Dieser fette Trunkenbold im Katzenkostüm würde schon sehen, was er davon
hatte, sein Mädel zu befummeln!
Wie ein Schmiedehammer schoss die geballte Rechte
des Barbaren hoch zu dem schwarzbepelzten Kinn. Sie traf. Etwas knirschte.
Barns Hand wurde taub. Des Dämons Gelächter schnitt wie ein glutheißes Messer
in seine Ohren.
"Oh, das kitzelt, mein Held, das
kitzelt!"
Mit verbissenen Zähnen trat der Barbar einen
Schritt zurück. Dann ließ er seine linke Faust gegen den geblähten Wanst des
Katers fliegen. Es dröhnte hohl wie ein leeres Fass. Der Dämon wankte ein
wenig.
"Körperlich bist du ja fast umwerfend!"
kalauerte Khazz. "Aber wir wollen mal sehen, wie dir etwas geistliches
schmeckt, mein Held!"
Er schwang Gastridis wie eine Keule und drosch ihn
dem Mann aus dem Norden mit Wucht in die Seite. Barn grunzte nur und
schmetterte sein rechtes Knie zwischen die Beine des Dämons, wo ein mächtiges,
schwarzledriges Geschlechtsteil provozierend baumelte. Khazz stieß ein
schrilles Geschrei aus, und sein breites Grinsen verließ das Katergesicht so
schnell wie falsche Freunde einen Bankrotteur.
Die ganze Gestalt des Dämons veränderte sich
innerhalb weniger Augenblicke auf erschreckende Weise. Khazz schrumpfte. Die
üppige Beleibtheit des menschenähnlichen Körpers schmolz. Die bizarr
geschwollenen Wölbungen ungeheurer Muskeln traten darunter hervor. Die Krallen
jeder Pranke wuchsen zu einer einzigen, sichelartigen Klaue von einem Fuß Länge
zusammen. Auch der Schädel wurde lang und schmal wie ein Schwert aus schwarzen
Knochen.
Barn wich einen Schritt zurück. Der Kerl da hatte
ein entschieden seltsames Kostüm! Die feinen Härchen im breiten Nacken des
Barbaren stellten sich furchtsam auf, ein Zeichen dafür, dass es hier ihrer
Meinung nach nicht mit rechten Dingen zuging.
Langsam ließ der Dämon Gastridis und die Königin
zu Boden gleiten. Dann beugte er sich vor, so dass seine Knochennase fast die
Nase Barns berührte. Brennende rote Augen bohrten sich Dolchen gleich in die
blauen Augen des Barbaren.
"Wir können das Spiel natürlich auch zu einem
schnellen Ende bringen, Held! Schnell wird allerdings nur das sein, was ich
tue; du selbst - das heißt, was dann von deinem Selbst noch übrig ist - wirst
noch eine Ewigkeit Zeit haben, zu bedauern, mir je begegnet zu sein..."
Tödlich und schnell wie ein Blitz schwang der
Dämon eine der Sichelklauen gegen Barns Beine, und nur die schier
übermenschliche Reaktionsfähigkeit des Barbaren rettete den Mann aus dem Norden
vor der Verstümmelung. Er sprang zurück, und die Klaue grub nur eine
fingerlange Furche in seinen linken Oberschenkel. Aber dafür war er in
schmerzendes grünes Feuer geraten, das sich in seinen Rücken fraß wie ein
brennendes Bett aus Nesseln. Entsetzt ließ er sich nach vorne fallen. Das
Gelächter des Dämons donnerte über ihm.
"Ja, Held, du bist schnell - aber du bist
jetzt auch genauso in den Wänden des Pentagramms gefangen wie ich",
erklärte Khazz höhnisch. "Und es gibt für dich nur zwei Wege hinaus: als
totes Fleisch - oder als meine Beute."
Was Khazz nicht verriet, war der dritte Weg: dass er den Kampf verlor. Das war freilich
auch eine sehr unwahrscheinliche Möglichkeit, schließlich war er ein vier Meter
großer Dämon und sein Gegner nur ein halbnackter, unbewaffneter Rüpel aus dem
Norden.
"Steh auf, Held... ich will ein paar deiner
Muskeln abschneiden... sie sind überflüssig dort, wo du hinkommen
wirst..."
Doch mit solchem Geschwätz konnte man den Nordmann
nicht entmutigen, er stand schon längst wieder, die kräftigen Finger zu
todbringenden Klauen verkrampft. Alle Verwirrung war von ihm abgefallen, ihn
regierte nur noch der eiskalte, hirnlose Instinkt des geborenen Kriegers. Mit
der Wucht eines Schleudersteins stürmte brüllend auf den schwarzen Teufel zu.
Etwas Gewaltiges rammte Barn mitten im Lauf und
schleuderte ihn beiseite. Ein zweites Mal fiel der Barbar in die Wand aus
ätzendem Nesselfeuer. Er grunzte schmerzerfüllt, als er von der Gewalt des
grünen Feuers wieder nach vorne auf den Steinboden geworfen wurde.
Dann blickte er auf. Über ihm stand neben dem
Dämon nun ein zweiter gewaltiger Schatten. Barn blinzelte und brummte und rief
krächzend: "He, ich werd' verrückt, wenn das nich' Wulf is', mein alter
Kumpel Wulf!"
Tatsächlich hatte sich der Wachmann Wulf endlich
dazu entschlossen, seinem alten Kumpel Barn zu Hilfe zu eilen. Durchnässt vom
Angstschweiß, aber mit hocherhobenem Kurzschwert, war er als lebender Rammbock
mitten ins Pentagramm gerannt und hatte sich zwischen seinen waffenlosen Freund
und den Dämon geworfen.
Mit aller Kraft seines gewaltigen Körpers ließ er
seine Klinge nun auf den überraschten Khazz niedergehen. Bei dieser Anstrengung
zerriss einer der angestrengten Riemen seiner Panzerung und schoss wie ein
fallender Stern durch die Luft. Ganz zufällig traf er den betenden und
heulenden Hauptmann Kartong in der Mitte der Stirn und schickte ihn bewusstlos
zu Boden.
Wulfs schweres Schwert traf den Dämon ebenfalls in
der Mitte des Schädels und spaltete ihn bis tief hinunter zwischen die Schultern.
Die zwei Gesichtshälften klappten auseinander wie ein halbierter Apfel. Doch
traumschnell hoben sie sich auch wieder, fanden zueinander und verwuchsen, ohne
dass eine Spur des fürchterlichen Hiebes zurückblieb - gleich den Fluten eines
Flusses, die hinter einer trennenden Insel wieder zusammenfinden. Und das
Gelächter des Teufels erschütterte einmal mehr das Schloss König Dullberts.
Wulf starrte auf sein Schwert, das wie der Korken
aus einer geschüttelten Flasche Schaumwein aus Khazz' zusammenwachsendem Brustfleisch
gedrückt wurde. Das war Betrug, ein magisch gezinktes Spiel, ganz gewiss, damit
kannte er sich aus!
Triumphierend kreuzte der Dämon die beiden
Armspitzen über dem wiederhergestellten Kopf.
"Mein Dicker! Hast du wirklich erwartet, mich
mit deinem schlechtgeschmiedeten Schwert töten zu können?"
Wulf blinzelte. Er hatte keine Ahnung, was er
eigentlich erwartet hatte, aber was passiert war, gefiel ihm überhaupt nicht.
Der Schweiß lief ihm in breiten Bächen über die Stirn, blendend in die Augen und
salzig in den Mund. Er musste husten und schüttelte sich, dass sein ganzer
Oberkörper in Bewegung geriet. Ein Regen dicker Tropfen sprühte aus seinem
durchtränkten Bart und seinen nassen Brauen.
Ganz plötzlich verstummte das Gelächter vor ihm.
Und dann erhob sich ein so schrilles und
erbärmliches Maunzen, als würde eine ganze Hundertschaft halbwüchsiger Kätzchen
in einem Fluss ertränkt. Nur die dickborstigen Haare in Wulfs Ohren
verhinderten, dass der Wachmann taub wurde.
Vor ihm wand sich Khazz wie unter unerträglichen
Schmerzen.
"Nass!
Nass! Ich bin überall nass!" kreischte der Katzendämon in höchster
Hysterie. Wieder veränderte er seine Gestalt, diesmal wandelte er sich zu einer
dickpfotigen, lächerlich tanzenden schwarzen Hauskatze von der Größe eines
Rindviehs. "Nass! Nass!"
jammerte die Riesenkatze und versuchte, alle vier Beine gleichzeitig trocken zu
schütteln und dabei noch den Schwanz zu wringen. Denn so wie Khazz' Äußeres
eine Erweiterung und Vergrößerung des Äußeren der Katze an sich war, so war auch sein inneres Wesen eine Verstärkung und
Überhöhung der grundlegenden Wesenszüge der felis
catus, als da wären: Grausamkeit, Faulheit und eine psychopathische
Abneigung gegen Wasser im Fell.
Der panisch umherpeitschende Katzenschwanz fegte
den am ganzen Leib zitternden Wachmann von den Beinen. Wuchtig fiel er auf den
Hintern. Der harte Sturz ließ die Brustplatte seines Panzers endgültig
abplatzen. Mit der Geschwindigkeit eines stürzenden Sterns prallte das geprägte
und bemalte Hartleder in die Seite des kreischenden Khazz und drosch ihn in die
grünflammende magische Wand des Pentagramms. Das war zu viel, selbst für einen
Dämonen zweiter Ordnung. Khazz stieß einen irrwitzigen Schrei aus und verpuffte
mitsamt der magischen Wand in einem grellgrünen Blitz.
Dann war Stille im Arbeitszimmer des Gastridis.
12.
Die Stille wurde nach einer Weile vom harten
Platschen von Soldatensandalen gestört. Schwerbewaffnet stürmten fünf Männer
der königlichen Garde in den Raum, gefolgt von dem nervös blickenden Feldwebel Jobbo.
Wie sie es beim Drill auf dem Schlosshof gelernt hatten, bildeten die Soldaten
hastig einen Kreis um ihren Vorgesetzen und schützen ihn mit gehobenen Schilden
und Lanzen.
Der Feldwebel spähte sehr vorsichtig zwischen den
gepanzerten Schultern seiner Männer hindurch. Aber als er auch nach längerer
genauer Prüfung der Lage nichts Bedrohliches entdecken konnte, hob er
entwarnend die Hand.
"In Ordnung, Männer. Lasst mich durch."
Als erstes trat Jobbo zu dem benommen dasitzenden
Wulf.
"Soldat Wulf, steh' sofort auf und nimm
Haltung an! Was, bei Tviiseth, ist hier passiert?"
Schwerfällig erhob sich der Würfler und
salutierte. Dann kratzte er sich nervös den Bart. Seine kleine rosa Zunge fuhr
wie ein eifriges Tier über seine Lippen. “Also, hm, Feldwebel, erst war da der
König... dann kam ich mit... un' die Katze un' die Wolke ham gekämpft...
außerdem musste ich doch meinem alten Kumpel helfen!”
Der Feldwebel nickte und stieß scharf die Luft
aus. Dann wandte er sich den beiden ehemaligen Trägern und Begleitern der
Königin zu, die neben der Eingangstür kauerten und außer dem Boden nichts mehr
ansehen wollten. "Habt ihr irgendetwas hinzuzufügen zu Wulfs
Geschichte?"
Die zwei Gardisten schüttelten matt die Köpfe.
“Is schon irgenwie so, Chef...” murmelte der eine.
Jobbo rieb sich das Kinn. Er hatte schon viele
Hochzeitsfeste auf Schloss Thenil mitgemacht und dabei Unglaubliches erlebt,
aber der Zustand dieses Raumes schlug alles. Es stank gleichzeitig nach
billigem Rotwein mit Schlafmittel, Katzenpisse, frittierten Fröschen, Blut und
Schweiß. Der Priester, seine Leibsklavin und der Hauptmann Kartong lagen
verrenkt und bewusstlos am Boden, König Dullbert kauerte nackt in einem Eck;
und auf einem Teppich kniete die Königin und rieb sich mit geballten Fäusten
das bleiche Gesicht. Das billige, verdreckte Hemd, das sie trug, war
aufgerissen und zeigte weit mehr, als einem Feldwebel zu sehen erlaubt war.
Und dann erhob sich hinter dem Unteroffizier noch
Barn der Barbar. Der riesige Krieger aus dem Norland streckte den muskulösen
Körper wie ein aus dem Winterschlaf erwachender Bär und machte auch ähnliche
Geräusche. Jobbo zog sein Schwert.
"Leg' dich wieder hin, Sklave, und nimm' die
Hände über den Kopf!" befahl er dem verständnislos blinzelnden Barbaren.
"Hier rührt sich keiner ohne meine Anordnung!"
Der große blonde Mann mit dem Sklavenschurz gefiel
dem Unteroffizier überhaupt nicht. Als erfahrener Soldat erkannte er die Narben
auf der bulligen Brust und den dicken Armen des Hünen als das, was sie waren:
Unauslöschliche Male zahlloser siegreicher Kämpfe. Und die konnte ein Diener
des königlichen Hofes einfach nicht haben, auch wenn Jobbo wusste, dass die
Sitten in den Sklavenquartieren alles andere als zart waren.
Jobbo wurde von diesen Überlegungen allerdings
schnell abgelenkt, denn neben ihm fand Königin Clandine mit einem saftigen
Fluch in die reale Welt zurück und entdeckte ihn.
"Was ist los, Soldat?" schrie sie.
"Ich sehe keine Ketten! Ich habe doch befohlen, alle hier
festzunehmen!"
Jobbo hob abwehrend die Hände.
"Aber Majestät, ihr... ihr seid... ich
darf... ich meine, immerhin habe ich einen Treueeid auf den König
abgelegt..." stotterte er, während er vor den blitzenden Mandelaugen der
jungen Frau zurückwich, “Ich kann nicht einfach..."
"Hast Du vielleicht Probleme, weil ich eine
Frau bin?" fragte Clandine mit einem süßen Mädchenlächeln und einer
Stimme, die lauerte wie ein sprungbereites Raubtier.
Der Feldwebel schnitt mehrere ausweichende
Grimassen, die seinem alten Gesicht alle nicht sehr gut taten. Schweiß erschien
auf seiner Stirn.
"Nun, meine Königin... ich... es geht hier ja
um sehr wichtige Dinge... militärische... politische... das ist nicht wie in
der Küche oder beim Kinderkriegen... da kann man nicht einfach so..."
Das Tier in der Stimme der Königin sprang dem
Unteroffizier direkt ins Gesicht. Clandines Geschrei gellte so schrill, dass es
unverständlich war. All ihre zuvor sprachlose Wut über eine Kindheit und Jugend
in der gewalttätigen Gesellschaft der Garstek, über das Elend einer lieblosen
Verheiratung und die schreckliche Hochzeitsnacht, über Misthaufen und Krötenkot
begann sich auf dem behelmten Haupt des Feldwebels zu entladen. Der gelbrote
Helmbusch des Unteroffiziers zitterte unter der Gewalt der wüsten Worte. Da
stürmte ein Gardist in den Raum.
"Feldwebel! Feldwebel!" rief der junge
Soldat mit vor Aufregung hochrotem Kopf. "Die Aufständischen steigen sich
schon auf die Schultern, um zum Goldenen Balkon zu kommen! Wir brauchen jeden
Mann, um sie zurückzustoßen!"
Als alter Gardist ließ sich der Feldwebel nicht
anmerken, wie froh er über die Gelegenheit zur Flucht war. Mit der Erfahrung
aus hunderten von Kneipenschlägereien tauchte er blitzschnell unter den Flüchen
der Königin durch und eilte zur Tür.
"Um Vergebung, Majestät, dass ich mich nicht
länger mit Euch unterhalten kann... die Pflicht ruft!" rief er im Laufen.
"Alle Männer mir nach! Nur der Wulf soll beim Hauptmann bleiben und
warten, bis er aufwacht!"
“Feldwebel!!!”
brüllte die Königin. Jobbo erstarrte im Schritt. Langsam drehte er sein müdes,
narbiges Gesicht Clandine zu. “Majestät?”
“Ich bin noch nicht fertig, Feldwebel!”
Jobbo holte tief Luft. “Majestät, ich habe meine
Pflicht zu erfüllen. Ich muss den Balkon verteidigen. Wenn der König den Pöbel
nicht beruhigen kann und das Volk ins Schloss eindringt, ist auch Euer Leben in
Gefahr.”
Clandine blickte den Feldwebel mit geballten
Fäusten an. Sie atmete schwer. Ihre Brüste hoben und senkten sich unter dem
zerrissenen Waschfrauenhemd in einem Rhythmus, den selbst ein alter
Unteroffizier schwer zu ignorieren fand.
“Es ist bestimmt besser, wenn ich zum Volk
spreche”, sagte sie. “Der König wirkt nämlich alles andere als beruhigend.”
Jobbo presste die Lippen fest aufeinander und
nickte. “Wie Ihr wünscht, Königin. Ich werde aber Seine Majestät ebenfalls zum Balkon begleiten lassen. Und der
Lurchpriester sollte auch nicht fehlen - schließlich wirft der Pöbel mit seinen
Kröten.”
Der Priester und der König mussten von den
Gardisten gestützt werden, doch die Königin verließ mit hoch erhobenem Kopf den
Raum.
Zurück blieben der verwirrte Barn, sein alter
Kumpel Wulf, der bewusstlose Kartong und die schlafende Sklavin Flix.
Der Feldwebel hatte dem Würfler eingeschärft, so
lange über den Hauptmann zu wachen, bis dieser erwachte. Außerdem sollte er -
Wulf - ein Auge auf den riesigen blonden Sklaven werfen und dafür sorgen, dass
der nicht den Raum verließ, bevor er - der Feldwebel - zurückkehrte, um ihn -
den riesigen blonden Sklaven - zu befragen.
Wulf hatte zu allem träge genickt, es sofort
vergessen und schließlich, als alle gegangen waren, seine Würfel hervorgeholt
und sie Barn hingehalten.
“N' Spielchen, alter Kumpel?”
Doch der Barbar hatte mit dem untrüglichen
Instinkt des geborenen Schwerenöters gerade wieder einmal das gebräunte Mädel
mit den schwarzen Haaren entdeckt und hörte die Frage des Würflers nicht mehr.
"Ho, Mädel, da bist du ja auch!" rief er
begeistert und lief zu der Bewusstlosen in ihrer Weinpfütze. Flix erwachte,
klappte die Lider hoch und erkannte den Nordmann. Mit einem entsetzten Schrei
sprang sie auf die Füße.
Wulf schüttelte den schweren Kopf. Er zog seit
langem die Launen der Würfel den Launen der Frauen vor. Aber wenn sein Kumpel
nicht würfeln wollte, war das in Ordnung. Dann würde er eben ein Schläfchen
machen. Verdient hatte er es sowieso nach diesem irrwitzigen Tag.
Während der Wachmann sich gähnend auf den grauen
Fliesen ausstreckte, machte sein Kumpel ein paar hüftschwingende Tanzschritte
auf die Sklavin zu, die langsam an die Wand zurückwich.
"Hoho, hab' ich dich doch noch gefunden,
Mädel!" Barn grinste breit und ließ seine himmelblauen Augen verführerisch
zwinkern. "Komm', lass' uns zu Vollbert gehen un' Spaß ham!"
"Sicher, Barbar. Spaß", hauchte Flix.
Sie ließ ihre kleine rosa Zunge über die dunklen Lippen gleiten. "Aber
wilde Nächte können kalt werden. Du solltest dir unbedingt etwas überziehen,
wenn du noch raus willst!"
Sie wirbelte herum, riss einen Teppich von der Wand
und warf ihn Barn ins Gesicht. Und während der Nordmann noch fluchend mit dem
Webwerk rang, verschwand sie hinter einer kleinen Tür, die sie von innen
verriegelte.
13.
Vor dem Schlosstor brüllte das Volk. Von oben, vom
Goldenen Balkon, wirkte es, als woge über Brücke und Schlossplatz ein
nächtliches, sturmgepeitschtes Meer, das wütend gegen die Mauern brandete. Die
Gardisten auf dem Balkon hatten ihre Schilde hoch erhoben gegen den harten
Regen aus Geschossen, der ihnen von unten entgegengeschleudert wurde.
Ledersandalen, Weinbeutel und Zahnprothesen flogen mit der Wucht von Steinen;
dicke Kröten platzten wie Bomben auf den Helmen der Soldaten. Kaltes Blut und
stinkende Eingeweide ergossen sich über die Männer der Wache und machten den
vergoldeten Boden des Balkons schlüpfrig für die Gardisten, die verzweifelt
versuchten, Kletterer vom Geländer zu stoßen.
Der Feldwebel erstarrte vor Entsetzen, als er der
ganzen Wut des Aufstandes jetzt zum ersten Mal gegenüberstand. Das hier war
unendlich viel schlimmer als die Schlägereien zwischen Markthändlern oder
Tempeltänzerinnen, mit denen er sonst zu tun hatte. Zitternd hob er die Hände,
um den Gardisten hinter sich den Halt zu befehlen.
"Männer!" rief er. "Bringt die
Königin, den König und den Priester zurück in ihre Gemächer! Hier helfen Worte
nichts mehr!"
Doch die Königin erzwang sich ihren Weg nach
vorne.
"Aus dem Weg, du Soldat!" herrschte sie
den Feldwebel an und drückte ihn mit erstaunlicher Kraft beiseite. "Ich
will zum Volk sprechen."
Zwischen allem Gewirr aus Schilden, Soldaten und
Geschossen stieg Clandine auf die Brüstung und hob die Arme. Der Mond ließ ihr zerrissenes
weißes Waschfrauenkleid hell leuchten und betonte die edle Blässe ihrer Haut.
Das blonde Haar flatterte wie ein Friedensbanner im sanften Nachtwind. Alles
war sehr beeindruckend.
Trotzdem war es wohl nur einer Laune des
allmächtigen Audor zuzuschreiben, dass schon nach wenigen Herzschlägen der
Geschosshagel versiegte und die Menge abwartend verstummte.
"Wer's 'n das?" fragte ein alter,
einäugiger Mützenverkäufer aus Brack und zeigte auf die helle Gestalt oben auf
dem Balkon.
"Kein Schimmer!" antwortete sein
Nebenmann, ein junger Gehilfe aus Fifis Schlachterladen. "Aber klasse
Titten hattse!" Er kicherte pubertär.
"Seid ihr blöd?" mischte sich ein
Dritter ein, der, wenn er nicht gerade in wütenden Mobs mitlief, der königliche
Bibliothekar war. "Das ist doch unsere Fürstin, die neue Königin, deren
Hochzeit wir heute feiern!"
"Ach?" machte der Mützenverkäufer.
"Na dann: Hoch lebe die Königin!"
Er rief es dreimal und schwenkte dabei sein bestes
Stück, eine fünfzig Jahre alte Wollkappe, mit der er seinerzeit in Ybris die
Meisterprüfung als Mützenmacher bestanden hatte. Die Menschen um ihn sahen ihn
mit gerunzelten Stirnen an, aber an anderer Stelle wurde sein Ruf aufgenommen.
Der vertraute Anblick einer kleinen, wild gestikulierenden Gestalt auf dem Goldenen
Balkon des königlichen Schlosses brachte viele Bürger mit der Macht der
Gewohnheit zurück zu alten Verhaltensweisen.
Bald ließ das halbe Volk die Königin hochleben.
Die andere Hälfte der Menge ballte jedoch die
Fäuste fester und fletschte die Zähne heftiger angesichts solcher
Abtrünnigkeit; die warme Kraft des Weines in ihren Mägen war weiterhin bereit,
an die Herrlichkeit des Herren der Lurche zu glauben und ihn notfalls mit
Gewalt auf den Thron zu setzen.
Aber bevor es auf dem Platz zu neuen Ausschreitungen
kommen konnte, senkte Clandine ihre Arme und öffnete den Mund. Die Rufer
verstummten.
"Menschen von Thenil!" begann die
Königin. "Ich weiß nicht, was euch hierhergetrieben hat, aber ich weiß,
dass ihr unzufrieden sein müsst! Euer
König ist ein saftloser, struppiger kleiner Greis!
Ich habe ihn heute zum ersten Mal gesehen und bin entsetzt! Ich kann mir vorstellen, wie es euch geht, die ihr ihn seit drei mal zehn Jahren kennt!"
Die Menge murmelte.
"Doch eure Götter haben euer Flehen gehört, euer Elend hat
ein Ende! Der König ist in den
Wahnsinn geflohen, und alles wird gut werden: ab nun werde ich regieren! Ich, die Königin von Thenil!"
Dramatisch stieß Clandine die geballte Faust in
den Nachthimmel.
Die Menge murmelte sehr laut.
"He, Feldwebel!" rief Clandine nach
hinten. "Bring' mir Dullbert und den grauen Priester!"
*
"Mädel! Ho, Mädel!" rief Barn und drosch
mit wilden Fäusten auf die schmale Tür ein, hinter der sich Flix in Sicherheit
gebracht hatte. Doch die dicken Planken aus Muggahholz hätten selbst einem
wütenden Mamon widerstanden, und so bekam der liebeshungrige Barbar für seine
Mühe nicht mehr als blutige Knöchel.
"Gruunzverflucht!" rief er laut und trat
mit voller Wucht gegen die Tür. "Verdammte saublöde Mädelspiele!"
"Kumpel, mach' nich' so'n Lärm un' lass' mich
schlafen..." brummte Wulf. Dann sanken die schweren Lider dem erschöpften
Wachmann trotzdem schneller über die Augen als ein Spieler Karten aus dem Ärmel
ziehen kann. Und bald bildete sein kraftvolles Schnarchen einen deutlichen
Kontrapunkt unter dem Trommeln und Fluchen des Mannes aus dem eisigen Norden.
Doch der Lärm weckte jemand anders.
Hauptmann Kartong öffnete ein blutunterlaufenes
Auge und blinzelte in den Raum.
"Wassnlos?" nuschelte er schwach. Dann
entdeckte er den Barbaren.
"Du! Du!" brüllte der Hauptmann. Er
sprang auf und deutete mit einem dicken Zeigefinger wie mit einem wurfbereiten
Speer auf Barn. "Du bist der, den die böse schwarze Kröte will! Ich werde
dich töten und zerschneiden und ihr dein Fleisch opfern, dann wird sie
verschwinden und mich in Ruhe lassen!"
Mit der Kraft des Irrsinns warf sich Kartong auf
den verdutzten Barn. In einem wilden Knäuel aus dicken Armen und Beinen gingen
die beiden riesigen Männer zu Boden.
*
Auf dem Goldenen Balkon schlug Clandine dem von
zwei Gardisten gestützten König Dullbert so fest vor die schmale Brust, dass er
husten musste. Merkwürdige, schwarzschillernde Substanz quoll wie Qualm aus
seinem Mund.
Die Königin beachtete das nicht weiter.
"Volk von Thenil!" rief sie.
"Dieser Mann, den ihr euren König nennen müsst, hat euch all die Jahre
seiner Herrschaft betrogen! Er ist es, der keine Erben haben kann, und nicht
die Frauen, die dafür sterben mussten! Nun ist er auch noch wahnsinnig
geworden: Seht seinen blutigen Kopf! Er hat sich alle Haare ausgerissen und sie
gegessen, als wären sie Krautsalat in Rotweinessig! Bei den wilden, tapferen
Kriegern, von denen ich stamme, würde ein Führer, der so etwas tut, auf einen
Felsen gespießt, gepfählt, von Pferden zerrissen, erwürgt, erschlagen und
verbrannt und seine Asche in die vier Winde gestreut! Und danach würde er
gnadenlos getötet!"
Das Volk brummte Zustimmung. Wenn es schon keinen
Wein mehr gab, sollte man wenigstens rotes Blut fließen lassen.
Die Königin erlaubte sich ein kleines Lächeln.
"Soldaten! Hebt den König auf das Geländer,
damit das Volk ihn sieht und sein Urteil bilden kann!"
Die Gardisten gehorchten und stellten die schlaffe
Gestalt Dullberts auf das breite Sims, das den Balkon umgab. Das Volk brummte
abfällig, als es den nackten Monarchen erblickte. Buhrufe wurden laut.
Doch dann bahnte sich eine kleine Prozession,
angeführt von einer üppigen nackten Frau, einen Weg durch die Menge. Hinter der
Frau trugen sechs Jünglinge auf breiten Schultern eine Bahre, auf der ein Stück
Straße lag - und der kleine Bratwurstverkäufer, der immer noch die Stirn auf
die Pflastersteine schlug und um Vergebung flehte. Hinter den Trägern gingen
zwölf weitere Gläubige, die Steine in den Händen trugen und sie rhythmisch
gegen die Köpfe schmetterten. Dazu seufzten sie dumpf den Namen Pomanders.
Unter dem Balkon blieb der Zug stehen.
"Hu, Volk von Thenil!" kreischte die
üppige Frau, während sie sich den Menschen auf dem Schlossplatz mit
ausgebreiteten Armen zuwandte. "Hört nicht auf diese kleine, dahergelaufene
Schlampe aus der Wildnis, peinliches Zeichen der greisenhaften Geilheit unseres
senilen Monarchen! Hört auf mich, denn ich habe die Wahrheit geschaut und bin
als die Stimme der Wahrheit wiedergeboren worden! Und die Wahrheit sagt: Er ist unser neuer Führer!" Sie
zeigte mit einem dick lackierten Fingernagel auf den hämmernden Wurstverkäufer.
"Er und sein Leiden sind Verkünder eines neuen Zeitalters! Er ist der
Prophet Pomanders, des wahren Gottes, dessen Reich kommen wird in Ewigkeit, hu!
Er wird herrschen über Stadt und Land Thenil, und ich werde seine Stimme sein
und in Palästen wohnen und von euch mit Geldgeschenken gnädig gestimmt werden,
hu! Hu! Hu! Pomander!"
Die Menge blickte verwirrt zwischen der üppigen
Frau und der Königin hin und her und kratzte sich die Köpfe. Das ergab ein
phantastisches Geräusch.
Oben auf dem Goldenen Balkon des Schlosses stieß
Königin Clandine ein böses Lachen aus.
"Pomander!" höhnte sie. Sie zerrte den
schwankenden Gastridis zu sich auf das Balkongeländer und zeigte ihn dem Volk.
"Seht diesen Mann! Ihr kennt ihn alle! Er ist Gastridis, Hohepriester des
Pomander!"
Die Menge erstarrte für einen Herzschlag in
Ehrfurcht.
"Gastridis, der Hohepriester des
Pomander!" murmelte sie tausendstimmig.
*
Mit einem kräftigen Stoß des rechten Knies
zwischen die Beine des Hauptmanns gelang es Barn, sich aus der mörderischen
Umarmung Kartongs zu lösen. Schwer atmend sprang der Barbar zurück und
erwartete mit verkrampften Fäusten den nächsten Angriff. Seit er das Haus
seines Vaters, des bärenstarken und cholerischen Dorfschmieds von Täppenwinkel
im Hochnorland, verlassen hatte, war er nicht mehr so gepackt worden.
Mit einem Gesicht, das erschreckender war als
Khazz' schlimmste Fratze, stürmte der Hauptmann wieder auf Barn zu. Die Wucht
des Aufpralls schleuderte die vereinigten fünfhundert Pfund Kartongs und des
Nordmannes quer durch den Raum. Barns breiter Rücken krachte in den Türrahmen,
hinter dem die sechsundsechzig feuchten Stufen hinab zum Altar des Pomander und
dem Bodenlosen Pfuhl führten. Barn
keuchte. Rote Sterne des Schmerzes rieselten durch seinen Blick.
"Ha!" kreischte Kartong schrill.
"Ich werde dich hinunter zur Schwarzen Kröte prügeln; und dort wirst du
ersaufen!"
Der Hauptmann rammte den kahlen Schädel wuchtig in
Barns Magen. Dem Barbaren wurde aller Atem aus der Brust gedrückt. Er krümmte
sich. Kartong drosch ihm beide Fäuste unter das Kinn. Ein strahlend heller
Schmerz raste durch den Körper des Barbaren, und er glaubte, in der Ferne
Gesang zu hören. Seine Knie wurden schwach, er sank zur Seite. Er wollte sich
am scharlachroten Vorhang festhalten, doch seine Finger hatten keine Kraft
mehr. Ein weiterer Faustschlag traf seinen Bauch. Barn kippte nach hinten, in
den dunklen Gang. Sein Hinterkopf schlug auf der harten Kante der obersten
Stufe auf.
Er überschlug sich und rollte die Treppe hinab in
eine kalte, schwarze und feuchte Nacht, die dazu noch nach Fisch stank.
*
Oben auf dem Balkon schüttelte die junge Königin
den Priester Gastridis, wie die Ernter von Koosnüssen im südlichen Rumballah
zur Erntezeit die Koosnußbäume schütteln: Sehr heftig.
"Priester!" schrie sie. "Sag den
Leuten, dass dein Gott tot ist!"
Gastridis klapperte mit den bleichen Augenlidern
wie die Porzellanpuppe eines Bauchredners, als er leise, aber dennoch
unüberhörbar bestätigte: "Ja.
Pomander ist tot!"
Die Menge brüllte auf wie eine ganze Herde tödlich
getroffener Löffen. Denn wenn im Alltag auch keiner mehr an den albernen
Erzlurch geglaubt hatte, so war er für die Theniler dennoch so etwas wie ein
weit entfernter Erbonkel gewesen, an den man sich in Zeiten höchster Not gern
erinnerte.
Doch da schnitt eine hohe, schrille Stimme einer
Sense gleich durch das Geschrei.
"Ich bin nicht tot!" schrie König
Dullbert. "Ich bin hier! Ich bin Pomander!"
Wirbelnder Qualm, schwärzer und schrecklicher als
jede Nacht, stieg aus den Nasenlöchern und Ohren des kleinen Monarchen und
sickerte wie Schleim von seinen dünnen Lippen. Er formte sich zur Maske eines
Lurchkopfes über dem Kopf des Königs und sandte den Gestank von Fäulnis und
Verfall aus Abgründen jenseits der Sterne in den unschuldigen Nachthimmel.
Blitze zuckten. Geisterchöre erfüllten die Luft mit ihrem unheiligem Gesang.
Kröten quakten. Viehtreiber verloren den Verstand. Der Körper Dullberts schwankte
und zitterte unter den Gewalten, die entfesselt wurden.
"Betet mich an!" brüllte die Erscheinung
mit fürchterlicher Stimme. "Gebt mir die Kraft, mich aus dieser unwürdigen
Hülle zu befreien!"
Das Volk murmelte lauter und unentschlossener als
je zuvor.
"Ja, wir werden dich anbeten, Meister!"
kreischte die üppige Frau von unten. "Und
wie wir dich anbeten werden!" Sie sank mit solcher Inbrunst in die
Knie, dass mehrere pubertierende Knaben in der Menge bei diesem Anblick in
Ohnmacht fielen.
Ihr Gefolge warf sich ebenfalls betend zu Boden -
auch die Jünglinge, die den Bratwurstverkäufer getragen hatten. Der arme Mann
wurde samt seiner Pflastersteine durch die Luft geschleudert und landete durch
einen außerordentlich boshaften Zufall direkt auf den großen Füßen seines
Gläubigers, des Fleischermeisters Fifi.
14.
Die Königin fühlte die Lage entgleiten. Alles um
sie schien ins Bodenlose abzurutschen, wie bei dem Sturz in die Kloake. Die
Kröten aus ihren Träumen waren zurück. Pomander, dessen grässlicher Leib sich
vor ihren Augen aufgelöst hatte, stand wieder neben ihr.
Der Sumpfgestank bohrte sich in ihren Kopf wie
eine Made in einen Pfirsich. Ihr wurde schwindelig. Tausende weitaufgerissener
Fressen fletschten ihr mondweiß von unten entgegen, obwohl ihr nicht mehr so
klar war, wo das war, dieses 'unten'. Sie taumelte. Alles drehte sich und
verlor seinen Bezug zu der Welt, die sie zu kennen geglaubt hatte. Schwarze,
wurmige Wolken flogen kichernd durch ihre Augen. Eine ungeheure Stimme dröhnte
glockengleich in ihrem Geist. Gelächter schnitt schrill in ihr Hirn. Kälte
hüllte sie ein.
"WEIB! DU BIST EIN KIND
DER NACHT DES SCHWARZEN LURCHES, UND DAHER GEHÖRST DU MIR!" höhnte es in
ihr. "EINE UNGEHEURE EHRE WIRD DIR ZUTEIL: DU WIRST MICH SELBST ALS DEINEN
SOHN IN DEINEM LEIB TRAGEN! HÖRE: ICH WERDE DICH BESITZEN! ICH WERDE DICH
FÜLLEN! ICH WERDE DICH SPRENGEN!"
Clandine sah die weißen Arme des Königs aus der
Schwärze schießen und fühlte die Finger wie ein Band aus Hühnerknochen um ihren
Hals liegen. Die kalte schwarze Wolke begann sie zu umfließen und beleckte sie
mit tausend geilen Zungen.
Dann wurde sie plötzlich zurückgestoßen. Das
wutverzerrte Gesicht des grauen Priesters leuchtete für einen Augenblick über
ihr, als der kleine Mann vorwärtstaumelte und seine kultgemäß spitz zugefeilten
Zähne in das bleiche Fleisch des Königs schlug. Ein grauenvoller, gänzlich
unmenschlicher und sehr lauter Schrei gellte über den Schlossplatz und hallte
zitternd von den zahlreichen Türmen des Schlosses und der Stadt wieder.
Clandine verlor das Gleichgewicht, fiel nach
hinten und schlug mit dem Hinterkopf auf dem schmutzigen Goldboden des Balkons
auf. Das machte sie sehr müde, sie schloss die Augen.
Die Lurchmaske über dem Kopf des Königs zuckte und
wogte wie eine Wolke von Kaulquappen vor dem Maul eines hungrigen Hechtes. Die
dünnen Arme des Monarchen ruderten unsicher durch die Luft, um den Angriff des
Priesters abzuwehren.
"Lass mich endlich in Ruhe!" kreischte
Gastridis, während er nach seinem Herrscher spuckte und trat. "Gott oder König,
ganz gleich, du wirst mein Leben nicht weiter ruinieren! Ich habe Ruhe verdient!"
Für einen Augenblick sah man unter dem unsicheren
Licht der Mondsichel die beiden alten Männer auf der Brüstung miteinander
ringen. Dann waren sie plötzlich verschwunden.
Mit einem dumpfen Laut schlugen König und Priester
mitten in der heftig betenden Gruppe der 'Verkünder des Propheten von Pomander'
auf. Zwei Betern wurden Rippen und Arme gebrochen, andere verloren Zähne und
Büschel des Haupthaars. Eine junge Fußwascherin aus der Straße der Tempel
erhielt einen Schock fürs Leben und wurde wunderlich. Ihr sozialer Aufstieg war
daraufhin unabwendbar, sie starb nach einem langen, erfüllten Leben als
Künstlerfreundin und allseits beliebte Gattin des bedeutendsten Käseimporteurs
von Brack.
Zwischen den Gläubigen stieg ein Rauchfaden auf,
dünn und zuckend wie über einem Rübenfeuer im Novemberregen. Und er stank auch
in etwa so.
"BETET! BETET!" flehte eine schwache
Götterstimme aus dem Rauch. "DIESER KÖRPER STIRBT, UND ICH BRAUCHE ALLE
KRAFT, UM IHN VERLASSEN ZU KÖNNEN."
Doch die selbsternannten Verkünder des Pomander
liefen angesichts der Erscheinung ihres Herren voll Panik auseinander. Sogar
die üppige Frau brachte sich mit einem schrillen Schrei in Sicherheit.
Das ganze Volk geriet in Aufregung, als die
vorderen Reihen zurückdrängten, um mehr Distanz zwischen sich und die
übernatürliche Erscheinung zu bringen, und die hinteren Reihen nach vorne
wollten, um besser sehen zu können. Dutzende von Menschen wurden über das Geländer
der Schlossbrücke gedrängt und stürzten in die riesigen Misthaufen der
königlichen Kanalisation. Ihre Flüche stiegen schrill wie die Schreie
verdammter Seelen in den Himmel und machten die Stimmung vor dem Schloss noch
bedrückender.
In dem freigewordenen Fleck auf dem Schlossplatz
blieben nur der König und der Priester zurück. Sie lagen zuckend ineinander
verkrampft wie zwei halbtote Straßenkater in einem Hinterhof. Immer noch schlug
Gastridis mit schwachen Fäusten auf Dullbert ein.
Der dünne Rauchfaden tanzte über ihnen und
jammerte leise.
*
Der schmerzhafte Sturz des Barbaren fand ein jähes
Ende an einem dicken Block aus Granit. Stöhnend stemmte der Nordmann sich hoch.
Was er sah, gefiel ihm gar nicht. Sein Nackenhaar sträubte sich wieder einmal,
denn das leichenbleiche Licht, das die niedrige Grotte um ihn erhellte, war
ganz sicher nicht von dieser Welt.
Und auch alles andere in der feuchten Höhle war
geeignet, einem in den engen, von albernem Aberglauben erfüllten Hütten des
Hochnorlandes aufgewachsenen Barbaren Furcht einzuflößen. Ein mit den Bildern
grässlicher Scheusale geschmückter Altarstein ragte wie der Zahn einer
gigantischen Bestie aus einem Nebel, der wie ein lebendes Wesen über den Boden
kroch. Und hinter dem Altar lagen die schorfigen Ufer eines Tümpels voll träge
schwappender schwarzer Flüssigkeit. Barn grunzte angeekelt. Wie eine Wunde im
Leib der Erde wirkte dieser unheilige Teich, eine Wunde, die geschlagen worden
war, um schnatternden, hirnlosen Dingen aus anderen Dimensionen einen Weg zu
bereiten.
Natürlich waren die Empfindungen des Barbaren
lange nicht so ausformuliert wie die obigen Sätze, aber Barn fühlte sich
wirklich sehr unwohl, als er den Bodenlosen
Pfuhl zum ersten Mal erblickte.
Doch er wurde schnell wieder abgelenkt, denn über
ihm brüllte die raue Stimme des Hauptmanns Kartong böse Versprechungen eines
langsamen und schmerzhaften Endes.
Schwere Sandalen klatschten wütend nasse Stufen
hinab. Dann erschien das rote, hassverzerrte Gesicht des kahlen Mannes direkt
über Barn, und Barn wusste, dass es diesmal um alles ging. Vor einem solchen
Hintergrund kämpfte man nicht einfach nur um einen Becher Wein, ein Mädel oder
ein verpatztes Würfelspiel. Hier unten kämpfte man um sein Leben, und wenn man
es verlor, verlor man vielleicht noch mehr.
Mit seinem lautesten Kriegsschrei stürmte der
Barbar Kartong entgegen.
*
In der Menge auf dem Schlossplatz blickte Fifi der
Fleischer mit gerunzelter Stirn auf den kleinen bärtigen Mann, der seinen
blutverschmierten Kopf in einem harten Rhythmus immer wieder auf die teuren
Schuhe des Fleischers hämmerte und damit das kostbare Leder ruinierte.
Trotz seines furchterregenden Namens, seines
blutigen Berufs und seiner erschreckenden Fettleibigkeit war Fifi ein
Feingeist. Deswegen fegte er seinen Belästiger nicht mit einem Fußtritt
beiseite, wie es die meisten seiner Zunft getan hätten, sondern trat nur einen
Schritt zurück und rief mit einem kurzen Schnippen seiner wohlmanikürten Finger
zwei Gehilfen zu sich.
"Mengler! Drescher! Richtet dieses verdammte
Arschloch auf und zeigt mir seine beschissene Visage!" befahl er mit
sanfter Stimme.
Mengler und Drescher, zwei gewaltige Fleischberge
in besudelten Schlachterschürzen, stampften gehorsam vor, packten den armen
Bratwurstverkäufer wie ein sündiges Hündchen im Nacken und schleppten ihn vor
ihren Chef.
Fifi musste das arg entstellte Gesicht eine
längere Zeit angewidert anstarren, bis er seinen Schuldner erkannte.
"Bei Moder! Das ist doch dieser fette kleine
Würstchenschwindler! Na, ich hoffe für dich, dass du gekommen bist, mir mein
Gold zu bringen! Mengler und Drescher sind meine besten Fleischwölfe, und sie
sind sehr empfindlich, was meinen Besitz betrifft..."
Doch der Bratwurstverkäufer hörte ihn kaum. Seine
Sinne schwebten in höheren Sphären. Daher ruckte er auch noch eine Weile mit
dem Kopf vor und zurück, als hämmere er immer noch zu seiner Erlösung auf
Stein.
Und als er endlich bemerkte, dass seine Stirn kein
Pflaster mehr traf, öffnete er seine Augen nur zu einem entrückten Blick in die
Unendlichkeit und jauchzte ekstatisch: "Das ist das Ende! O großer Gott
Pomander, nimm meine Reue und meinen Glauben so in dich auf, wie ich zuvor die
Leiber deiner Lurche gehackt in meine Wurstpellen aufgenommen habe! Nimm meine
Seele als deine göttlich nahrhafte Bratwurst!"
Dann verlor er das Bewusstsein.
Fifi tippte sich an die feiste Stirn. "Völlig
plemplem! Schafft ihn weg!"
Mengler und Drescher nickten und trugen den
schlaffen Körper durch die Volksmassen hinein in die Dunkelheit, einer
ungewissen Zukunft in Fifis Fleischerladen entgegen.
In der Gegenwart hatte er allerdings genug Unheil
angerichtet. Denn für den verhungernden Gott Pomander war der inbrünstige
Wunsch des Wurstverkäufers besser als jede Bratwurst. Die kraftlos über dem
schwerverletzten König Dullbert tanzende Qualmsäule, elender Rest der einst
‘Legendär Langen Liebeslanze des Lustvollen Lurchs', schwoll jäh wie der Kamm
eines liebestollen Hahns. Oder ein anderes liebestolles Körperteil, auf das
hier nicht näher eingegangen werden soll.
"HA, IHR ERBÄRMLICH TROCKENEN MENSCHEN!"
donnerte es aus der gigantisch gewachsenen, von schimmernden Augen schwefelgelb
durchfleckten, fleischigen Walze, die unter dem Mondlicht höher als das Schloss
aufragte. "IHR ALLE HABT MICH VERRATEN, UND IHR ALLE WERDET DAFÜR LEIDEN
MÜSSEN, WIE NOCH NIE EIN LEBENDES WESEN HAT LEIDEN MÜSSEN! UND ICH WERDE THENIL
AUF EINE WEISE VERNICHTEN, dass NICHT EINMAL MEHR DAS SCHWACHSINNIGE VOLK DER
SKORPIONE IN DEN TRÜMMERN NISTEN WILL!"
Panik ergriff die Menschen. Sie drängten, taumelten,
stürzten und trampelten aufeinander herum bei dem Versuch, vor der schwarzen
Monstrosität zu fliehen. Hunderte sprangen von der Brücke in die relative
Sicherheit des königlichen Kots. Ungeheures Gebrüll erfüllte die Lüfte.
Innerhalb weniger Augenblicke war der Platz vor dem Schloss wie leergefegt.
Nur Dullbert und Gastridis bleiben auf dem
Pflaster zurück. Der König rührte sich nicht mehr. Doch der Priester hatte die
Augen noch weit geöffnet. Man sah das unirdisch weiße Strahlen seiner Augäpfel
sogar oben auf dem Goldenen Balkon. Sein Blick war starr in den Himmel
gerichtet, auf die riesige Gestalt seines früheren Herren.
"Ich weiß, dass mein Ende nahe ist,
Pomander!" keuchte Gastridis. "Daher möchte ich dir noch einmal etwas
sagen: Du bist wirklich der blödeste, langweiligste und lächerlichste Gott, den
die Äonen je geboren haben. Ich spucke auf dich, Froschfresse!"
Er stülpte seine grauen Lippen vor und tat, was er
gesagt hatte. Der kleine Speichelklumpen flog mit erstaunlicher Kraft hinauf
und verschwand im wirbelnden Leib Pomanders.
Dann sank Gastridis Kopf zurück auf das Pflaster.
Ein letzter Schauder lief durch seinen Körper, die Augen schlossen sich.
Den grauenvollen Schrei des Erzlurchs konnte der
Priester schon nicht mehr hören.
15.
Das Tröpfchen Speichel hatte genügt, um die Hülle
von Pomanders Manifestation zu aufzureißen. In seiner blinden Rachsucht hatte
der vorzeitliche Gott die Kraft, die der Bratwurstverkäufer ihm geschenkt
hatte, sinnlos für die riesenhafte Form verschwendet. Nun quoll sein Leben aus
dem Riss heraus, wie Füllung aus einer geplatzten Blutwurst, und er konnte
nichts tun, um das aufzuhalten.
Der eisige Schmerz, der bald kam, machte ihn
träge. Sein Denken war bald nur noch ein bedrängter Funke in einer ewigen
Nacht. Alles, was er wusste, war, dass er den Bodenlosen Pfuhl und den warmen Schoß des Sumpfes dahinter so
schnell wie möglich erreichen musste, wenn er nicht im Nichts versickern
wollte.
Er nahm alles zusammen, was ihm von ihm noch
geblieben war, und warf sich auf den Goldenen Balkon.
*
Der Hauptmann ließ sich von der Treppe direkt auf
den heranstürmenden Barbaren fallen. Barn drehte sich zur Seite und empfing
Kartong mit der linken Schulter. Der Aufprall warf beide Männer zu Boden. Die
Grotte bebte.
Keuchend rollte sich der Offizier zur Seite. Sein
Brustpanzer war eingedrückt und machte ihm das Atmen schwer. Er fummelte an den
Lederriemen, um die Rüstung zu lösen, doch Barn zog im Liegen die Knie an,
schwang herum und rammte Kartong beide Beine in den Magen.
Der Hauptmann wurde gegen die Wand geschleudert.
Einen anderen Mann hätte der Doppeltritt des Barbaren auf der Stelle getötet,
doch Kartong fand sogar noch Kraft für ein paar wüste Flüche, während er
aufzustehen versuchte. Aber Barn war schon über ihm und drosch ihm die linke
Faust in einem Rückhandschlag gegen die Schläfe. Der kahle Kopf schmetterte mit
einem hässlichen Knirschen gegen Fels, und Kartong spuckte Blut.
Der Nordmann zerrte den Soldaten am Hals in eine
aufrechte Position, um ihn besser mit den Fäusten bearbeiten zu können. Doch
Kartongs Augen waren blicklos, sein gewaltiger Körper schlaff wie ein leerer
Sack. Barn grinste. Die meisten dieser großen Kerle waren lange nicht so hart,
wie sie auszusehen versuchten!
Doch dann veränderten sich die Umstände so
blitzartig, dass selbst die in der lebensbedrohlichen Eisöde des winterlichen
Hochnorlandes geschulten Sinne des Barbaren nicht gleich folgen konnten. Der
leere Sack, der der Hauptmann eben noch gewesen war, blähte sich plötzlich, und
mit einem Tritt gegen die Knie fegte der Offizier den Barbaren von den Beinen.
Barn fiel nach hinten, und sein Hinterkopf schlug
hart auf dem Altarblock auf. Für einen Augenblick sah der Nordmann nur helle
Lichter, dann über sich das blutige, von irrsinniger Wut verzerrte Gesicht des
Hauptmanns. Der Offizier packte den Kopf des Barbaren an den Haaren und
schmetterte ihn noch ein paarmal gegen die Steinkante, bis Barn überzeugt war,
dass der Altar unter ihm in Trümmern liegen müsse.
Doch die Kante war immer noch da, als Kartong nun
seine Kopf nach hinten bog, den rechten Unterarm in die Kehle des Nordmannes
stemmte und sich dann mit der Linken und dem ganzen Gewicht seines Körpers
darauf stützte.
Für den Barbaren wurde die Höhle plötzlich noch
enger, als sie ohnehin schon war. Und das Licht begann zu erlöschen.
*
Schwarz und stinkend schlängelte sich der
zerfallende Götterleib zwischen den entsetzt zurückweichenden Soldaten über den
Boden des Goldenen Balkons. Als er die Königin streifte und sein Gefäß
erkannte, stockte er. Eine Woge der Wut überspülte kurz die Schmerzen, und
Pomander verschleuderte weitere Kraft für ein paar wirre Worte des Hasses.
"ICH WIEDER...", spuckte er. "KEIN
GNADE. AUFPLATZEN, BLUTSCHLEIM, ALLE STERBEN!"
Dann kam
der Schmerz zurück, und saugte und zog und fraß an ihm wie der
allesverschlingende Maelstrom jenseits der Sterne. Alles bewusste Denken wurde
aus ihm gerissen. Er war wieder der gewaltige, augen- und hirnlose Lurch, Jäger
im schwarzen Sumpf zwischen trüben Sonnen, wie er es vor dem Beginn der Zeiten
gewesen war.
Aber er roch die Nähe des Pfuhls, zu dem er kommen
musste, wenn er weiterleben wollte. Und er kroch dorthin, so schnell er konnte.
*
Der anschwellende Gestank weckte den Würfler.
Wulf grunzte, schmatzte und rieb sich die Augen,
bevor er sie zum Sehen nutzte. Was er dann sah, ließ ihn wünschen, noch zu
schlafen, und zwar möglichst weit weg von dem Ort, an dem man solche Dinge
sehen musste.
Eine riesige, schwarze Masse kroch durch die Tür
auf ihn zu. Eine Gewitterwolke, eine Blutspur in klarem Wasser, eine
Schlammlawine - es hatte keine erkennbare Gestalt, doch es war sehr lang und
füllte in seiner Breite den Türrahmen ganz aus; es schien auch nicht
körperlich, obwohl es beim Kriechen raschelte und eine übelriechende Substanz
auf den scharlachroten Teppichen zurückließ.
Wulfs träges Hirn rang lange um eine Erklärung und
Einordnung dieses Anblicks; aber alles, was es zustande brachte, war eine
Erinnerung an hereinbrechende Nacht über dem Meer, wenn der Horizont verwischt
und das dunkle Wasser ebenso körperlos wird wie der dunkle Himmel, und beide zu
etwas irrealem verschmelzen.
Das poetische Bild half dem Würfler allerdings
überhaupt nicht weiter. Nur ein beherzter Sprung zu Seite rettete ihn in
letzter Sekunde vor der Berührung der Erscheinung.
Schmerzen fuhren durch den massigen Leib des
Wachmanns - wie immer in solchen Situationen hatte er sich bei der Landung
beide Ellenbogen aufgeschlagen und seine Zunge zerbissen. Und diesmal war sogar
noch mit der Stirn gegen eine Tischkante geprallt. Aber er unterdrückte sein
Stöhnen so gut es ging, denn obwohl ihn die Masse überhaupt nicht zu beachten
schien und zielstrebig auf den Torbogen mit dem roten Vorhang zu kroch, war es
bestimmt besser, die Aufmerksamkeit einer solchen Erscheinung so wenig wie
möglich zu erregen.
Als sie den Vorhang berührte, schien die Masse
kurz zu zögern. Dicker, farbloser Schleim tropfte wie Schweiß aus ihr. Der
Gestank wurde schier unerträglich, Wulf fürchtete zu ersticken.
Dann schob die Erscheinung den Vorhang beiseite
und quoll hinunter in die jenseitige Dunkelheit. Der Würfler sah, dass der rote
Stoff wolkige Fetzen aus der Masse riss und sich schwarz verfärbte; und dass
die Masse zuckte, als habe sie Schmerzen bei der Berührung.
Es dauerte scheinbar eine Ewigkeit, bis die
gesamte Erscheinung durch die Tür verschwunden war und der besudelte Vorhang
wieder an seinen Platz fiel.
Doch als das endlich passiert war, gab es kein
Halten mehr: Donnernd wie eine ganze Herde in Panik geratener Elefanten rannte
der Wachmann zum Ausgang, um auf dem Korridor dahinter ausgiebig zu atmen, zu
rotzen und zu brüllen.
*
Barn stemmte sich mit aller Kraft gegen den
Würgegriff des Hauptmanns und rammte ihm wieder und wieder die Knie zwischen
die Beine, doch der Wahnsinnige über ihm rührte sich keine Fingerbreit, er
schien keinen Schmerz zu empfinden.
Was man vom Barbaren nicht behaupten konnte. Er
wehrte sich tapfer und würde noch lange Zeit durchhalten, bevor ihn Gott Gruunz
zum ewigen Festmahl der gefallenen Krieger willkommen heißen konnte - doch der
wilde Tag, der Hunger und zu viel Wein hatten an seinen barbarischen Kräften
genagt. Ein Himmel aus blitzenden Sternen tanzte in seinem Kopf, und jeder
Stern stach wie eine Nadel.
Aber Barn gab nicht auf. Es lag nicht in seiner
Natur, aufzugeben, so wie es nicht in der Natur eines Berges liegt, in rosa
Fummel durch die Straßen von Ybris zu stolzieren.
So konnte er sofort die Gelegenheit nutzen, als
ein Rascheln von hinten den Hauptmann ablenkte und der Druck auf den Hals kurz
nachließ. Mit einem wilden Schrei packte er Kartong wie ein Liebender den
Geliebten und warf sich und den Offizier mit aller Gewalt nach hinten.
Ein weiteres Mal schlug der Barbarenschädel auf
die raue Oberfläche des Altars, aber der Mann aus dem harten Norden hatte sich
schon so daran gewöhnt, dass er den Schmerz kaum mehr spürte. Schlimmer war,
dass Kartongs dickes rechtes Knie sein Kinn traf, als er den Hauptmann wie
einen geleerten Weinschlauch hinter sich schleuderte.
Trotzdem sprang der Barbar sofort wieder auf die
Füße, um jedem Angriff zu begegnen. Er war bereit, tödliche Schläge
auszuteilen, sollte der rotköpfige Kahlschädel immer noch nicht genug haben.
Aber es schien unnötig. Kartong war in der Mitte
des ekelhaften Teiches hinter dem Altar gelandet, schlug mit den Armen und
brüllte die ganze Verzweiflung des lebenslangen Nichtschwimmers heraus. Das
schwarze Wasser um ihn zischte und brodelte, als wolle es vor dem Eindringling
fliehen. Der Barbar glaubte sogar zu sehen, wie Mengen schwarzer Tropfen wie
Ameisen auf das schorfige Ufer krochen.
Doch bevor er genauer hinschauen konnte, hörte er
wieder das feuchte Knistern und Rascheln hinter sich, das den Hauptmann
abgelenkt hatte.
Er fuhr herum. Und stand Pomander gegenüber.
Königin Clandine hatte der Sturz auf den
Hinterkopf nicht gut getan - der Schmerz machte es der Gleichgültigkeit und der
Müdigkeit leichter, an sie heran zu kriechen. Sie war bereit, liegenzubleiben
und auf den Schlaf zu warten.
Doch als das lange Gesicht des Feldwebels sich
über sie beugte, kehrte eine gewisse Wut zurück.
"Königin? Königin?" rief der
Unteroffizier leise. "Der schwarze Rauch ist in das Zimmer des Priesters
ge..." Er stockte. Ihm fehlte der korrekte Ausdruck für die Fortbewegung
lebenden Qualms. "Geraucht. Was sollen wir nun tun?"
"Bei allen Göttern, Feldwebel, warum fragst
du nicht deinen geliebten König?" stöhnte Clandine.
Jobbo wand sich wie zuvor der verwundete Pomander.
"Nun, hm, Majestät, der liegt unten vor dem Balkon und rührt sich nicht.
Ebenso der Priester Gastridis."
Clandine sprang so plötzlich auf, dass der
Feldwebel fast vor Schreck nach hinten gekippt wäre.
"Verflucht, Feldwebel, dann schick' ihnen
einen Arzt runter!" rief die junge Königin. "Und dann sorg dafür,
dass dieser Gott aus dem Schloss verschwindet!"
Jobbo schluckte heftig. "Aber Majestät,
dieser Gott ist ein Gott! Er geht, wohin er will! Und kein Sterblicher kann ihn
daran hindern!"
"Unsinn!" zischte Clandine. "Seit
mein Vater Häuptling der Garstek ist, hat er dreimal die Stammesgötter
gewechselt, weil sie zu viel Weinopfer verlangt haben. Das war völlig
problemlos und höchstens für die Priester unangenehm. Ich werde mitkommen und
euch zeigen, wie man das macht."
Der Feldwebel starrte die Königin an, als hätte
sie sich plötzlich in einen Bottich voll toter Aale verwandelt. Dann straffte
er sich, blickte in den fernen Osten, wo ein erster heller Schleier den
kommenden Morgen versprach und nickte. Pathetisch schlug er sich mit der Faust
auf den Brustpanzer. "Der Todgeweihte grüßt Euch, Majestät! Männer!"
wandte er sich an die Soldaten, die leer und erschöpft am Balkongeländer
lehnten und in die Luft starrten. "Wir schmeißen den Gott aus dem
Schloss!"
Die Männer murmelten unwillig, denn sie waren
müde. Aber sie sammelten gehorsam ihre Ausrüstung ein und folgten ihrem
Feldwebel und der schwarzen Schleifspur des Erzlurchs. Nach einer solchen Nacht
schien ihnen das Verfolgen und Vertreiben eines Gottes nur noch wie
Routinedienst.
*
Wie eine mitten im Überschlag erstarrte Welle
schwarzen Wassers ragte der Gott Pomander über dem Barbaren auf. Mit einer
klaffenden Verdickung am oberen Ende und zwei weitgebreiteten Stummelarmen sah
er aus wie ein von einem Ochsenkarren flachgefahrener Weinschlauch.
Barn ließ sich erschrocken nach hinten fallen. Zum
letzten Mal traf sein Hinterkopf die Kante des Altars, aber dieser Aufprall war
der härteste. Der Barbar verlor fast das Bewusstsein und sackte zu Boden. Wie
eine Fontäne schoss der Gott über ihn hinweg, um in die Sicherheit des Bodenlosen Pfuhls zu tauchen.
Dort planschte immer noch der Hauptmann.
Kartong kreischte schrill, als er den Erzlurch
über sich sah. Dann drückte die schwarze Masse des Gottes den Offizier unter
Wasser. Kartongs Verstand zerbrach endgültig, als sein schlimmster Alptraum
wahr wurde: die Schwarze Kröte hatte ihn
geholt.
Auch Pomander kreischte, als er seinen Fluchtweg
verstopft fand. Die Berührung mit dem Menschen versetzte ihn so sehr in Panik,
dass er den Weg vorbei an dem strampelnden Offizier nicht fand. Wie ein Falter
gegen ein erleuchtetes Fenster prallte Pomanders Essenz immer wieder gegen den
ertrinkenden Mann, bis sie von seinem letzten Atemzug eingesaugt wurde.
Instinkt trieb die Essenz des göttlichen Lurchs
aus den überfluteten Kammern der Lunge das Rückgrat hinauf in die panikdurchtobte
Leere des Hauptmannshirns. Nichts leistete Widerstand, als der alte Gott sich
hier eingrub. Die sinnlose Strampelei Kartongs hörte schnell auf, als die
simplen, aber effektiven Mechanismen der Amphibie die Körperkontrolle
übernahmen.
Mit zwei kräftigen Schwimmzügen erreichte der neue
Lurchmensch das narbige Ufer des Pfuhls und stemmte sich aus dem Wasser.
*
Die Gardisten des kleinen Trupps, den der
Feldwebel und die Königin anführten, waren so erschöpft, dass sie sich kaum
mehr auf den Beinen halten konnten. Die Ereignisse der Nacht hatten ihre an
feste Strukturen und klare Befehle gewöhnten Soldatenhirne etwas aus der Bahn
gebracht.
Vielleicht war sowieso alles nur ein Traum, und
beim ersten Sonnenlicht würden sie unten in der Wachstube mit einem
mörderischen Kater aufwachen.
So zögerten sie nicht einmal, als sie den
beschmutzten Vorhang erreicht hatten und erkannten, dass die ekelerregende
Schleimspur, die der Gott hinterlassen hatte, direkt hinunter in jene
grässlichen, fischig stinkenden Tiefen führte, die der Priester immer mit
boshaftem Grinsen als 'jenseitig, absolut verboten und todbringend' bezeichnet hatte.
Die Königin hob den Vorhang hoch, und die Gardisten trabten gebückt und im
Gänsemarsch die schlüpfrigen Stufen hinab, ohne einen Gedanken daran zu
verschwenden, was sie dort unten vielleicht erwarten mochte.
*
Barn der Barbar stand mühsam und umständlich auf.
Jeder Knochen im Leib schmerzte, und in seinem Kopf prügelten alle Krieger der
Welt aufeinander ein. Er lehnte sich schwer gegen den blutigen Altarstein und
seufzte tief. Seine Gedanken schwammen, er erinnerte sich nur nebelhaft an die
zurückliegenden Ereignisse. Er hatte sich geprügelt, gesoffen und war Mädels
hinterhergerannt. Aber das tat er eigentlich immer.
Doch tief in seinem Innern ahnte Barn, dass
diesmal mehr passiert war. Denn normalerweise lag er unter dem Tisch
irgendeines Wirtshauses, wenn er in so einem Zustand erwachte.
Daher war er nur mäßig überrascht, als ein
riesiger, triefender Mann aus dem Teich vor ihm stieg und langsam auf ihn zu
schwankte. Barn lächelte matt, denn er konnte erkennen, dass es dem Kerl da vor
ihm nicht besser ging als ihm selbst.
"Ho, Kumpel, kannste mir sagen, was wir für'n
Tag ham un' wo wir hier sind?" rief er dem Riesen so freundlich zu, wie er
mit einem Brummschädel sein konnte.
Doch der riesige Mann starrte ihn nur
verständnislos aus leicht vorquellenden Augen an, streckte dann seine Zunge vor
und sagte: "Quak."
"Halt, Barbar!" rief da eine raue Stimme
über ihm. "Wage es nicht, den Hauptmann anzurühren! Los, Männer, nehmt ihn
fest!"
Eine Menge Sandalensohlen klatschte durch die
Dunkelheit, dann erschienen die bleichen Gesichter von Männern im Geisterlicht
der Grotte. Barn grunzte. Das war die Wache! Als war es doch wieder hoch
hergegangen diese Nacht! Das passierte ihm immer mal wieder: dass er verhaftet
und ins Loch geworfen wurde für Taten, an die er sich erst im Laufe der Zeit
wieder vage erinnern konnte.
Die Soldaten packten den Nordmann an den Armen und
richteten Schwerter auf seine Brust und den Hals. Ein narbiger Alter mit einer
lustigen Feder auf dem Helm stürmte auf den riesigen nassen Mann zu und
salutierte vor ihm.
"Hauptmann!" rief der Narbige. "Ihr
seid gerettet! Es war eine Intrige des Priesters, er hat Barbaren in die Stadt
gelassen, um die Monarchie zu stürzen und selbst als Tyrann den Thron zu
besteigen!"
Der Riese starrte den Soldaten eine lange Zeit an.
Dann schoss wieder seine Zunge aus dem Mund und leckte dem Alten über das
Gesicht.
Der Soldat sprang zurück und zog sein Schwert.
"Bei Tviiseth! Der Hauptmann hat den Verstand
verloren!" keuchte er entsetzt.
"Mach dir keine Sorgen, Feldwebel!"
sagte die Königin und trat zwischen die Gardisten. "Es ist sowieso alles
ganz anders, als du denkst, also denk' besser überhaupt nicht mehr. Dann bist
du auch ein besserer Hauptmann."
"Hauptmann? Ich?" Feldwebel Jobbo fuhr
mit geweiteten Augen herum zur Königin. Eine Weile arbeitete es in seinem
Pferdegesicht, dann sank er jäh in die Knie und bedeckte eine Hand Clandines
mit rauen Küssen. "Danke! Danke!" stammelte er dazu.
Clandine zog angewidert die Hand weg. "Lass
den Dank, Feldwebel. Im Augenblick gibt es eben keinen besseren. Oder soll ich
diesen großen, blonden Klotz zum Hauptmann machen? Ihm würde immerhin Kartongs
Rüstung besser passen..." Sie wies auf Barn, der sich trotz zehn
Schwertern an der Kehle ausgiebig dehnte, streckte und kratzte.
Jobbo wurde blass. "Nein, Majestät, bloß den
nicht! Er ist einer dieser Mordbuben aus dem Norden, die der Priester mit
Glasperlen bezahlt hat, damit sie Euch und den König mit Haut und Haaren
auffressen! Er ist gefährlich, wir sollten ihn auf der Stelle töten!"
"Nein." Clandine grinste. "Ich
mache ihn zum neuen Feldwebel. Er ist dumm, sieht gut aus, und im Saufen und
Prügeln ist er prima. Mehr erwarte ich nicht von meinen Soldaten."
"Aber Majestät!" widersprach Jobbo
leidenschaftlich.
Die Königin wischte seine Worte mit einer
arroganten Handbewegung beiseite.
"Nichts mehr, Hauptmann. Nimm deinen
Vorgänger und diesen neuen Feldwebel, und bis heute Mittag will ich alles
aufgeräumt und gesäubert haben - und Ruhe in der Stadt!"
Jobbo salutierte matt. "Jawoll, Majestät!"
"Und sorge dafür, dass dieses Loch hier
zugemauert wird! Ich will nichts mehr von Pomander sehen oder hören, solange
ich Königin bin!"
Hinter ihrem Rücken grinste der Hauptmann blöde und
steckte die Zunge heraus.
16.
Barn der Barbar saß auf einer Turmzinne hoch über
den Dächern der Stadt und ließ sich die Mittagssonne ins Gesicht brennen. Er
grinste, völlig zufrieden mit sich und der Welt. Wenn ihn die Jungs daheim in
Täppenwinkel so sehen könnten!
Eine prächtig bunte Uniform hatte er bekommen, und
einen Helm mit Federn darauf, außerdem eine große Kammer mit richtigem Bett und
sogar einem Fenster; und alle anderen mussten ihm jetzt gehorchen, sogar sein
alter Kumpel Wulf.
Aber das Beste war, dass er jetzt ein Mädel hatte,
das ihn bediente!
"Hoho, Mädel, noch'n Krug Wein!" Er
schnippte mit den Fingern. "Un' dann setz' dich eine Weile zu mir!"
Mit gesenktem Haupt kam Flix herbei, ein schweres
Tongefäß auf dem Kopf balancierend. Auf sehr ausdrücklichen Wunsch des Barbaren trug sie nicht einmal mehr einen
weißen Schurz.
Sie lächelte sehr herzlich, als sie den Weinkrug
vor ihren neuen Herren hinstellte, denn sie hatte ihn heimlich mit der ganz
speziellen Sorte Rotwein gefüllt, die der Priester Gastridis dazu benutzt hatte, um unfreiwillige Gäste zu beruhigen.
Und etwas Ruhe brauchte der ungestüme Barbar ganz sicher am meisten.
Es wäre nur dumm, wenn er hier oben einschliefe -
wie leicht konnte ein Nickerchen auf den schmalen Zinnen des höchsten Turms von
Thenil ein bestürzendes Ende nehmen!
Flix Lächeln wurde zu einem Grinsen, als der blonde Hüne den Krug wie üblich mit einem Zug leerte und hinter sich warf.