Wie die Flanken gewaltiger grüner Tiere stiegen die Hügel
vor Barn dem Barbaren an, manche wölbten sich fast fünfhundert Meter hoch in
den blauen Himmel. Kein Baum wuchs hier, nur dickes, glänzendes, kniehohes
Gras, das seufzend unter einem unsteten Wind schwankte, als wäre es lebendig.
Barn grinste breit. Er hatte beste Laune: das Land gefiel
ihm. Es war weder zu kalt noch zu warm, der Boden federte angenehm unter den
Schritten, und der würzige Geruch des Grases mischte sich mit dem salzigen
Aroma der nahen See zu einem köstlichen Duft, der an Grillfleisch mit
Kräuterbutter erinnerte.
Zu einer anderen Zeit hätte dieser Geruch Barn hungrig
gemacht; aber er hatte gerade in dem malerischen Örtchen Whyrrnhysswalldha eine große Menge gewürzter Schmalzbrote gegessen,
und war immer noch satt genug, um den Gedanken an ein Grillfest genießen zu
können, ohne gleich nach Fleisch zu verlangen.
Ebenfalls zur Zufriedenheit des muskulösen Hünen aus dem
Norland trug der Umstand bei, dass er für die Brote keine einzige Münze hatte
zahlen müssen; der Wirt hatte lediglich eine Geschichte als Gegenleistung für
das Essen verlangt. Das sei so Brauch in der Gegend, hatte er erklärt.
Und Barn hatte
erzählt. Seine Schwäche im Umgang mit Worten hatte er dabei durch eine sehr
lebhafte Darstellung wettgemacht, er hatte Grimassen geschnitten, war wie ein
Irrwisch durch die Gaststube gefegt und hatte brüllend Schwert und Dolch
geschwungen, bis der Wirt und die Gäste lachend am Boden gelegen hatten. Damit
hatte sich der Nordmann nicht nur die Brote verdient, sondern auch noch einen
vollen Becher des örtlichen Branntweins, den die Leute von Whyrrnhysswalldha Lebenswasser nannten.
Gestärkt und berauscht hatte er das Dorf verlassen,
begleitet von den besten Wünschen der Bevölkerung und einem Gefühl, Bäume
ausreißen zu können.
Aber die gab es hier ja nicht. Deshalb mussten die schlanken
Gebilde, die auf dem höchsten der Hügel vor ihm aufragten, etwas anderes sein.
Von Neugier getrieben und vom sanften Brennen des
Lebenswassers im Bauch zusätzlich angefeuert, beschleunigte der Barbar seine
Schritte. Er wollte nicht nur die Gebilde untersuchen, sondern auch von dort
oben ins Land zu schauen.
Er hoffte, weitere Dörfer zu entdecken. Wenn die Wirte hier
überall nur Geschichten statt Münzen wollten, durfte er kein Gasthaus in der
Gegend auslassen.
Der Hügel stieg steil an, doch Barn hatte keine Probleme
damit, seine Beine waren gestählt durch das Leben eines reiselustigen Abenteurers
mir einer tiefen Abneigung gegen Pferde; sein Atem ging nicht einmal schneller,
während er den Hang mit einer Geschwindigkeit erklomm, die die meisten Männer
selbst auf ebenem Boden ins Schwitzen gebracht hätte.
Im Näherkommen sah der Mann aus dem Norden, dass es ein
Kreis schlanker, aufrecht stehender Steine von hellbrauner Farbe war, der den
Hügel krönte; an den Steinen waren verzweigte Gestänge befestigt, die
vermutlich große Hirschgeweihe waren. Die Geweihe wiederum waren behängt mit
einer Menge kleiner Gegenstände, die im Wind schaukelten.
Kein Wunder, dass er die Steine aus der Ferne für Bäume
gehalten hatte!
Während er die letzten Meter bis zum Gipfel zurücklegte,
hörte er einen Gesang, der dem allgegenwärtigen Seufzen des Windes im Gras
ähnelte, aber viel lauter und klangvoller war. Plötzlich empfand er ein
leichtes Unbehagen, das sich auch dann nicht legte, als er erkannte, dass die
Töne von kleinen Windflöten herrührten, die in den Geweihstangen hingen.
Ihm wurde bewusst, dass der Ort hier die Kultstätte einer
Gottheit sein mochte; und bittere Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass manche
Götter das Eindringen ungebetener Gäste in ihre Heiligtümer gar nicht
schätzten.
Langsam und vorsichtig trat er zwischen die Steine. Die
Leute von Whyrrnhysswalldha waren ein freundlicher Haufen gewesen, also hatten
sie vermutlich auch freundliche Götter; aber er lockerte trotzdem den Sitz
seines Dolches Schinkenschneider in
der Lederscheide, um ihn rasch ziehen zu können.
In der Mitte des Steinkreises erhob sich ein grasbewachsener
Erdhügel von vielleicht drei Metern Höhe und zwanzig Schritten Umfang. In
seiner Seite befand sich, direkt vor Barn, eine dunkle Öffnung, umsäumt von
Steinen. Gegenstände waren in verschlungenen Mustern um diesen Eingang
verteilt, Barn erkannte Puppen aus geflochtenem Gras und Kränze aus
getrockneten Früchten; dazwischen lagen rosenfarbene Steine, die allerdings
vielfach gesplittert waren und nicht besonders wertvoll aussahen.
Barn starrte unschlüssig in die Öffnung.
Die rosenfarbenen Steine hatten Erinnerungen an eine alte
Tradition seines Volkes geweckt; eine Tradition, die mit den Besitzverhältnissen
von Wertgegenständen, die man ohne offenkundigen Eigentümer antraf, zu tun
hatte.
Vielleicht gab es in diesem Hügel etwas, das sich mitzunehmen
lohnte? Zum Beispiel andere, größere Steine?
Er blickte sich noch einmal um, studierte die Flöten, die in
den Geweihen hingen, besah sich die verschlungenen Ornamente, die in die Steine
gehauen waren, und stupste ein paar Graspuppen mit dem Fuß. Dann rief er laut:
"Ho! Ich bin der Barn aus Täppenwinkel!"
Das tat er nicht, um der Tradition zu genügen – die riet
sogar ausdrücklich davon ab, mögliche Eigentümer auf sich aufmerksam zu machen
– sondern aus taktischen Gründen. Wenn hier jemand war, dann wollte er ihm
lieber im Freien begegnen.
Als eine angemessene Wartezeit verstrichen war, ohne dass
sich jemand hatte sehen lassen, beugte Barn den Kopf und trat schnell durch die
Öffnung.
Nach dem hellen Licht des Sonnentages stülpe sich die
Dunkelheit des Erdhügels wie ein schwarzer Sack über ihn, und es dauerte eine
Weile, bis er etwas erkennen konnte. Er stand in einem niedrigen Gang, der
steil nach unten abfiel, in scheinbar absolute Finsternis. Der Gesang der
Windflöten war hier lauter als zwischen den Steinen draußen.
Nach einiger Zeit erst wagte er den ersten Schritt nach
unten. Es gab keine Stufen, der Boden war der gleiche glatte, festgestampfte
Humus wie die Wände und die Decke; alles wirkte, als wäre der Gang von einem
riesigen, unterirdisch lebenden Tier gewühlt worden. Bei diesem Gedanken blieb
Barn stehen und sog die Luft ein. Beruhigt stellte er fest, dass es nicht nach
Tier roch, nur nach feuchter, fruchtbarer Erde, und ein wenig nach Rost. Er
ging weiter, die Hand auf dem Dolchgriff.
Er war kaum fünf Schritte gegangen, als ihm ein schwacher
Lichtschimmer voraus auffiel. Wahrscheinlich war er die ganze Zeit schon
dagewesen, er hatte ihn aufgrund seiner geblendeten Augen nur noch nicht sehen
können. Der Farbton des Lichts war ein aufdringliches Rosa, also war es
vermutlich keines natürlichen Ursprungs.
Barn begann sich zu fragen, was er erzählen sollte, wenn ihn
hier unten jemand entdeckte. Dass er sich verlaufen hatte? Das hatte schon
damals bei der Sache im Frauenzelt des Reiterfürsten nicht so toll
funktioniert.
Das Licht wurde mit jedem Schritt heller, und gleichzeitig
mischte sich ein anderer Geruch unter das Aroma frischer Erde. Barn runzelte
die Stirn. Er kannte den Geruch aus seiner Jugend, aus der Werkstatt seines
Vaters, des Schmieds – es war der Geruch von erhitztem Metall.
War hier eine Schmiede unter der Erde? Führte dieser Gang
hinunter ins sagenhafte Reich der Grimmbärte, der kleinen, ewig übellaunigen
Herren der Metalle? Äußerst angespannt ging er weiter. Ein Besuch in einer
Waffenkammer der Grimmbärte mochte sich lohnen, denn sie galten als Meister der
Schmiedekunst. Aber auch ihr Groll war legendär; selbst den allgewaltigen Vergessenen Gott, Ahnherr aller Götter
des Nordens, der so sagenhaft war, dass sich niemand mehr so richtig an ihn
erinnerte, hatten sie zwei Zeitalter lang verfolgt, nachdem er ihnen Schwanke, den Zauberspeer, gestohlen
hatte. Allerdings hatte der Vergessene
Gott nach dem Diebstahl auch noch Syrodame
die Schönbärtige geschwängert, die liebreizende Gattin des Königs unter dem
Berge; das würde Barn auf jeden Fall nicht tun. Zumindest hatte er es nicht
geplant. Wenn die Königin allerdings darauf bestand, würde er mit sich reden
lassen.
Der Nordmann vergaß alle mühsam erinnerte Mythologie seiner
Heimat, als der Gang jäh endete: eine große, von rosenfarbigem Glanz erfüllte
Höhle öffnete sich vor ihm, und was er dort sah, ließ seinen kräftigen
Unterkiefer in Sprachlosigkeit herabsacken.
In der Mitte der Höhle, in einer zuckenden Blase aus rosa
Licht, schwebte eine blitzende, wirbelnde Monstrosität aus Metall, eine
Kreatur, die aus dem Alptraum eines in der Schlacht wahnsinnig gewordenen
Kriegers zu stammen schien. Sie erinnerte vage an einen unsagbar hässlichen
Fisch, aber sie bestand ganz aus Schwertern.
Schwertern, die sich an manchen Stellen wie Stacheln bündelten
oder wie Schuppen überlagerten, an anderen gegeneinander schlugen wie Klauen
oder schnappende Kiefer. Immer wieder blitzten einige dieser Klingen auf,
verlängerten sich zu Krallen und schnitten mit vernichtendem Schwung durch die
Luft, nur um wieder in dem metallenen Körper zu verschwinden - aus dem sich
aber an anderer Stelle schon neue Schwerter schoben, die aufglühten, schnitten
und verschwanden. Offenkundig kämpfte das Schwertwesen gegen die Hülle aus
Licht, doch die passte sich jedem seiner Schläge an und hielt es scheinbar ohne
Mühe gefangen.
Dieses entsetzliche Schauspiel tobenden Metalls war lautlos,
als fände es in einer weit entfernten Welt statt, aus der nur die unfasslichen
Bilder herandrangen; wie ein gewaltiges Wetterleuchten, das einen nächtlichen
Horizont zerreißt, ohne dass Donner zu hören wäre.
Stattdessen erfüllte der wilde Gesang der Windflöten den
großen Raum, ein Chor körperloser Stimmen voller Sehnsucht und Verzweiflung.
Dann stellte Barn fest, dass sie gar nicht körperlos waren –
die Sänger standen in einem dichten Kreis um das Schwertwesen, ihre Gesichter
waren mit weit offenen Mündern zur Decke gerichtet. In erhobenen Armen hielten
sie große Kristalle, aus denen die Strahlen rosenfarbenen Lichts schossen, die
sich um das Monstrum zu der leuchtenden Hülle verwoben.
Jetzt bemerkte der Mann aus dem Norden auch, dass der Boden
der Höhle bedeckt war von rosa Kristallen in vielen Größen und Formen, und in
jedem einzelnen pulsierte ein kleines, helles Herz aus Licht.
Barn starrte auf das Schwertwesen, das in der Blase wütete,
dann auf die Gestalten der Sänger, die es in ihrem Bann aus Licht hielten, und
schließlich auf die leuchtenden Steine auf dem Boden.
Er grunzte. Das war nicht, was er erwartet hatte. Es war
auch nichts, was er jemals hatte sehen wollen. Er senkte die Augen und hoffte,
dass auch ihn niemand gesehen hatte. Sein überforderter Verstand rettete sich,
in dem er sich auf das Einzige konzentrierte, was annähernd normal schien: die
leuchtenden Rosensteine. Sie sahen wertvoll aus. Er würde, um einfach nur
irgendetwas zu tun, einen davon mitnehmen und dann ganz schnell und leise
verschwinden.
Ohne weiter nachzudenken, bückte er sich, suchte einen
möglichst großen Kristall aus und hob ihn auf.
Wie ein Schlag fuhr es ihm in die Hand, seine Finger
verkrampften sich, ein lähmender Schmerz zuckte den Arm hinauf. Der Kristall
entglitt ihm, fiel zu Boden und zerbrach. Das Licht in seinem Inneren erlosch. Ein
Stöhnen hallte durch den Raum. Barn war sich nicht sicher, ob es von ihm
ausging.
Und dann begannen die Lichter der Kristalle rings um die
Aufschlagstelle zu flackern und auszugehen. Wie eine Welle breitete sich
Dunkelheit über den Boden der Höhle aus.
Das Lied des Chors verwirrte sich zu einem langgezogenen
Misston. Das Licht der Blase flackerte.
Plötzlich wurde es dunkel wie Blut.
Eine glühende Sichel fuhr mit stählernem Kreischen aus dem
Leib des Metallmonstrums und schnitt durch die Blase, mitten in den Kreis der
Sänger. Eine zweite Klingenklaue schrammte funkenschlagend gegen die Decke der
Höhle. Der schneidende Geruch heißen
Stahls schoss Barn in die Nase wie ein Faustschlag. Das schrille, metallische Getöse
eines Schlachtfelds füllte den Raum.
Der Barbar krümmte sich, als ihn eine Woge schwärzester
Verzweiflung erreichte und überspülte.
Dann erhob sich eine einzelne, klare Stimme über den Lärm und
nahm das Lied von neuem auf, die anderen Stimmen folgten ihr zunächst zögernd
und leise, dann immer lauter und fester, und schließlich strahlte das Licht
wieder im Ton reinster Morgenröte.
Barn, immer noch vor Schmerz vornübergebeugt, bemerkte, wie
sich Schatten zwischen ihn und das rosenfarbene Leuchten schoben, und blickte
auf.
Der Kreis der Sänger stand um ihn, doch gleichzeitig konnte
er sehen, wie sie immer noch mit erhobenen Armen das riesige Schwertwesen
umgaben. Weiße, alterslose Gesichter, in denen sich tiefe Erschöpfung mit einer
strahlenden Entschlossenheit mischte, sahen auf ihn herab, während sie
weiterhin hinauf zur Decke blickten. Die Münder formten unentwegt die Töne des
wortlosen Lieds, doch zugleich sprachen sie auch zu Barn.
"Seit Anbeginn
der Zeiten halten wir Spornklirr gefangen, und nie habe wir in unserem Gesang
geschwankt, bis du kamst!", sagten sie. "Das Lied darf nicht mehr unterbrochen werden, sonst kommt Er
frei, und das Ende beginnt. Geh, dummer Junge, und kehre nie wieder. Vergiss
alles, was du hier gesehen hast."
Der Barbar wollte etwas erwidern, denn er war sich ziemlich
sicher, dass er seit seiner Burschweih,
die jetzt schon etliche Winter zurücklag, kein Junge mehr war, und schon gar
kein dummer, aber irgendwie ging es nicht, denn da war dieses Licht hinter
seinen Augen, und es machte ihn ganz wirr und schläfrig, überhaupt, wem wollte er etwas sagen, es war
doch keiner hier, nur dieser Geruch von frischem Gras und Meeresbrise, wie
Grillfleisch mit geschmolzener Kräuterbutter.
Er schlug die Augen auf. Die Sonne schien ihm ins Gesicht,
sie hatte die Mitte des Himmels schon überschritten, also hatte er wohl länger
geschlafen, als er eigentlich vorgehabt hatte. Aber nach der gewaltigen Menge
an Schmalzbroten und dem großen Becher Lebenswasser
hatte er sich einfach hinlegen müssen.
Barn erhob sich, streckte sich ausgiebig und gähnte
herzhaft, dann blickte er sich um. Wie die Flanken gewaltiger grüner Tiere
stiegen die Hügel vor ihm auf, manche wölbten sich fast fünfhundert Meter hoch
in den blauen Himmel.
Er grinste breit. Das Land gefiel ihm. Wenn die Wirte hier
überall nur eine Geschichte als Gegenleistung für gutes Essen und Trinken
verlangten, durfte er kein Gasthaus in der Gegend auslassen.
Aber dazu musste er sich erst einmal einen Überblick
verschaffen. Der Hügel zu seiner Linken schien der höchste zu sein, von dort
oben sollte man eine gute Aussicht auf das umliegende Land haben.
Er kniff die Augen zusammen. Diese schlanken Formen auf der
Spitze des Hügels, waren das Bäume? Hier gab es doch keine Bäume, nur überall
das dicke, glänzende Gras, in dem der Wind endlos sein eintöniges Lied sang?
Von Neugier getrieben und vom sanften Nachglühen des
Lebenswassers in seinem Magen zusätzlich befeuert, begann der Barbar den
Aufstieg.